Manfred Kloiber: Big Data und Datability sind im Moment die Schlagworte der IT-Branche. Und die Wirtschaft erwartet von Big-Data-Anwendungen Riesengewinne. Doch es fehlen die Fachkräfte, die solche Analysen konzipieren und fahren können. Entsprechend groß ist der Druck auf die Politik, dem vorgeblichen Fachkräftemangel in Sachen Big Data abzuhelfen. Und deshalb ist seit einigen Monaten nicht nur das neue Berufsbild des Data Scientist in der Diskussion, sondern auch eine Neuausrichtung des Faches Informatik. Aus dem Informatiker soll der Data Scientist werden. Aber was ist das eigentlich, ein Data Scientist, Peter Welchering?
Peter Welchering: Data Scientist, Data Engineer - die Begrifflichkeiten wirbeln da ein wenig durcheinander. Gesucht am Arbeitsmarkt und gefordert sind Analytiker, die sich nicht nur mit sehr, sehr großen Datenbanken auskennen, sondern auch auf unstrukturierten Daten Mustererkennung anwenden können, Wahrscheinlichkeitsrechnung beherrschen und auch noch sehr sophistische Methoden der Datenanalyse drauf haben. Platt gesagt, will die Wirtschaft eine Mischung aus Softwareentwickler und Analytiker haben, dem sie 30 Terabyte geben und sagen: Hole uns da die zehn Kunden raus, mit denen wir im nächsten Jahr den meisten Umsatz machen können.
Kloiber: Inwieweit kann der bodenständig ausgebildete Informatiker das leisten?
Welchering: Nur sehr bedingt. Der kennt sich nach einem Master-Studium vielleicht noch mit Strukturen sehr großer Datenbanken aus, bei Wahrscheinlichkeitsrechnung, Fehlerrechnung und der sogenannten Inferenzanalyse, mit der erst die Beziehungen zwischen den Daten hergestellt werden, sieht es dann schon nicht mehr so gut aus. Und deshalb die Forderung der Wirtschaft: Mixt uns doch bitte aus den Bereichen Statistik, Softwareentwicklung, Datenstrukturen den Data Scientist zusammen. Und um das zu tun, gab es unter Forschungspolitikern und Hochschulpolitikern die Diskussion: Müssen wir die Informatik nicht in Richtung einer Datenwissenschaft weiter entwickeln?
Warnung vor überstürzter Entwicklung
Kloiber: Genau diese Frage ist ja auf den Informatiktagen am Donnerstag und Freitag dieser Woche am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam diskutiert worden. Wie bewerten das denn die Informatiker?
Welchering: Zwei Informatiker, vier Meinungen. Also sehr unterschiedlich. Einen wirklichen Paradigmenwechsel von der Informatik zur Datenwissenschaft wollen die meisten nicht. Dann gibt es die Fraktion derer, die können sich einen Bindestrich-Informatiker hier ganz gut vorstellen, also so nach dem Muster des Wirtschaftsinformatikers könnte hier entweder eine neue Fachrichtung entstehen oder der Wirtschaftsinformatiker wird umgebaut. Dann wird noch eine Vertiefungsrichtung im Master-Studium diskutiert. Bei der könnte dann der Informatiker (Data Scientist) herauskommen. Erstaunliche Einigkeit gibt es bei den Hochschullehrern. Die sehen eine ähnliche Situation, als sich die Informatik so ganz, ganz langsam, ganz evolutionäre ab den 70er-Jahren als eigenständiges Fach zu etablieren begann und bei den Elektrotechnikern, Nachrichtentechnikern und Mathematikern Anleihen machte. Aber die warnen auch ganz klar vor einer überstürzten Entwicklung.
Kloiber: Welche Folgen werden da für das Hochschulfach Informatik diskutiert?
Welchering: Na ja, zunächst werden die der Forderung nachgeben, Inferenzanalyse, Fehlerberechnung und ähnliche für Big-Data-Anwendungen wichtige Inhalte aufzunehmen. Da ist auch klar, dass an anderen Stellen Inhalte herausgenommen werden müssen. Da läuft die Diskussion zur Zeit so nach dem Motto "Compilerbau raus, Datenanalyse dafür ausgebaut". Das bewerten erstaunlicherweise die Studierenden sehr kritisch.
Kloiber: Und wie lautet deren Kritik am Umbau des Fachs Informatik?
Welchering: Gebt uns mehr Inhalte, aber gebt uns wichtige Inhalte - so könnte man die Kritik der Studierenden zusammenfassen. Wahrscheinlichkeitsrechnung und Datenanalyse ausbauen ist ok, sagen die. Aber wenn wir uns stärker mit Big-Data-Anwendungen beschäftigen, dann wollen wir die berufsethischen Fragen, die damit zusammenhängen, auch methodisch reflektiert diskutieren. Also welche Big-Data-Anwendungen sind vertretbar und welche nicht. Und da kam auch auf den Informatiktagen die Kritik deutlich heraus: Um diese ethische Diskussion drückt sich die Informatik in der Ausbildung schon seit Jahrzehnten. Und eine deutliche Botschaft gibt es auch von jungen Informatikern an die Hochschulpolitiker: Hört endlich auf, uns zu Fachidioten auszubilden, die den kurzfristigen Anforderungen der Wirtschaft genügen. Orientiert euch doch mal wieder etwas stärker an so etwas wie dem Grundgedanken der Humboldtschen Universität. Das ist für mich die ganz erstaunliche Botschaft. Gebt uns mehr Raum für die methodisch reflektierte Diskussion, statt irgendwelchen Punkten in einem verschulten Fachstudium hinterherzujagen und für einen kurzfristigen Modetrend ausgebildet zu werden.