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Bilanz des Pariser Abkommens
Martin Kaiser (Greenpeace): "Fünf verlorene Jahre"

Als das Pariser Klimaabkommen 2015 verabschiedet wurde, seien ihm Tränen vor Rührung gekommen, sagte Martin Kaiser, Greenpeace Deutschland, im Dlf. Heute bilanziert er: Aus der Trendumkehr wurde nichts. Europa habe seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz verloren. Es brauche dringend einen Politikwechsel.

Martin Kaiser im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Bild aus dem Jahr 2015: Der damalige französche Präsident Francois Hollande, der damalige französche Außenminister Laurent Fabius, die damalige Klimachefin der UN, Christiana Figueres und der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-Moon feiern das Pariser Klimaabkommen.
Vor fünf Jahren haben sich die Verhandler für das Pariser Klimaabkommen gefeiert. Unter anderem im Bild: Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon und der damalige französische Präsident Francois Hollande. (picture alliance/AP Photo/Francois Mori)
Am 12. Dezember 2015 haben sich die meisten Länder der Erde zu engagiertem Klimaschutz verpflichtet. Mit dem Pariser Abkommen formulierten 195 Nationen das Ziel, die Klimaerwärmung auf deutlich unter zwei Grad, wenn möglich auf unter 1,5 Grad zu begrenzen. Doch auf die Worte folgten bislang nicht genug Taten. Die bisherigen Anstrengungen der Länder reichen nicht aus, um das Ziel zu erreichen.
Über die durchwachsene Bilanz von fünf Jahren Pariser Abkommen haben wir mit Martin Kaiser, dem Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, gesprochen.
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Politik, die auch auf fossile Energie setze, könne nicht klimaneutral werden, sagte Annalena Baerbock im Dlf und forderte entsprechende Gesetzesänderungen. Die Autoindustrie brauche Leitplanken.
Jörg Münchenberg: Herr Kaiser, Sie waren ja damals beim Klimagipfel in Paris persönlich mit dabei. So aus Ihrer Erfahrung, was ist vom Geist dieses Gipfels jetzt fünf Jahre später noch übrig?
Martin Kaiser: Das war ja schon ein ganz besonderer Moment da. Gerade am Schluss, als der Hammer fiel und das Abkommen beschlossen wurde, weil wir im Vorfeld uns ja sehr stark dafür eingesetzt haben, dass die Formulierung, möglichst unter 1,5 Grad die Globalerwärmung zu begrenzen, damit auch akzeptiert wurde. Auch mir kamen da wirklich die Tränen, weil ich dachte, es wäre die Trendumkehr.
Fünf Jahre danach muss ich einfach feststellen, es waren fünf verlorene Jahre – bedingt einerseits davon, dass Präsident Trump dann ins Amt kam und das Abkommen ja aufgekündigt hat und damit sehr viel Dynamik verloren ist, aber auch ein Präsident Bolsonaro in Brasilien Präsident wurde, der wirklich daransetzt, gegen das Klima zu arbeiten, die Abholzung im Amazonas voranzubringen. Insofern waren es verlorene Jahre.
Martin Kaiser, Geschäftsführer Greenpeace Deutschland e. V.
Martin Kaiser, Geschäftsführer Greenpeace Deutschland e. V. (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Kaiser: Ölindustrie hat massiv Druck gemacht
Münchenberg: Aber lassen Sie mich da einhaken: Klar war ja wohl schon damals, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht ausreichen würden. Kam das Abkommen nicht insgesamt zu spät?
Kaiser: Ja, 2009 war ja die große Hoffnung mit einem neuen Präsidenten, Obama, dass es gelingt, ein Klimaabkommen zu beschließen, was krachend gescheitert ist. Wir dürfen nicht unterschätzen, mit welcher Vehemenz gerade die Ölindustrie aus den USA, aber auch weltweit und auch die Energiewirtschaft, die ja immer noch sehr stark von der Kohleverbrennung abhängt, dagegen gearbeitet hat und damit auch über ihre Lobbykanäle massiv Regierungen unter Druck gesetzt hat. Heute stellen wir fest, dass mit der Akzeptanz von erneuerbaren Energien auch die preisliche Konkurrenz – sie sind ja mittlerweile sehr günstig und günstiger als alle anderen Energieformen – jetzt schon zu einem Gesinnungswandel führt.
Peter Altmaier (CDU): Im Klimaschutz wieder gemeinsam vorangehen
Nach dem Sieg Joe Bidens sieht Altmaier den Beziehungen mit den USA optimistisch entgegen. Sollten die USA beim Klimaschutz wieder mitziehen, wäre das auch gut für die Wirtschaft, sagte er im Dlf.
Münchenberg: Sie haben Donald Trump und die USA schon angesprochen, die ja eben aus dem Abkommen jetzt erst mal ausgetreten sind, aber ist das nicht trotzdem auch ein Erfolg, dass quasi die Phalanx der Klimaschützer nicht auseinandergebrochen ist, obwohl die USA jetzt erst mal ausgetreten sind aus dem Pariser Klimaabkommen?
Kaiser: Na ja, auch in Europa war ja Stillstand die letzten fünf Jahre. Eigentlich erst gestern ist wieder eine neue Dynamik entstanden, weil viele Länder in Europa, gerade die skandinavischen Länder, aber auch die südost-, südeuropäischen Länder jetzt schon immens von dem wetterbedingten Klimawandel betroffen sind – die Arktis, die ja sich sehr viel stärker erwärmt als alles andere, mit dem Auftauen auch der Permafrostböden, und im Süden Europas brennen die Wälder eigentlich jedes Jahr und die Hitzeextreme nehmen zu. Insofern ist auch die Klimaerwärmung bei uns massiv angekommen.
"Ich glaube, dass der internationale Klimaschutz jetzt neu an Fahrt gewinnt"
Münchenberg: Wenn jetzt die USA wieder beitreten – das hat ja Joe Biden President-elect in Aussicht gestellt –, welche Bedeutung wird das für den Klimaschutz haben?
Kaiser: Ich glaube, dass der internationale Klimaschutz jetzt neu an Fahrt gewinnt, weil ja Biden auch gewählt wurde von vielen in der Klimabewegung in den USA, die gesagt haben, wir erwarten uns jetzt auch von dir einen Wandel in der Politik und ein ambitioniertes Angehen. Biden hat auch verstanden, dass die Technologien da sind, um diesen Wandel herbeizuführen. Man darf aber jetzt auch nicht zu viel erwarten, denn die Ölindustrie in den USA ist immer noch sehr mächtig. Mit dem Fracking-Gas, was sie auch nach Europa jetzt verstärkt importieren wollen – und da macht leider unsere Regierung auch mit –, haben die immer noch extremen Einfluss. Aber ich glaube, es besteht jetzt eine Chance, mit einer strategischen Klimapolitik zwischen den USA, Europa und China jetzt wirklich wieder Fahrt zu gewinnen.
Münchenberg: Wie bewerten Sie die Rolle von China beim Klimaschutz?
Kaiser: Wir hatten ja 2016 dann gehofft, als Trump ins Amt kam, dass Präsident Xi dann auch mehr multilaterale Verantwortung übernehmen wollte, er hat das auch geäußert. Daraus ist dann leider sehr wenig geworden, und eigentlich erst in den letzten Monaten ist China zurückgekommen mit seiner Ankündigung, bis 2060 treibhausgasneutral zu sein, das heißt aber erst mal nichts. Spannend wird jetzt, was China in dem nächsten Fünfjahresplan an Sofortmaßnahmen reinschreibt, und das wird ja auch wichtig sein für Europa: Was soll jetzt wirklich in den nächsten ein bis drei, ein bis fünf Jahren passieren. Wir müssen jetzt den Einstieg gestalten, weil mit jedem Jahr, wo wir nichts tun, ja das CO2-Budget weiter aufgebraucht wird.
Kaiser: Europa hat keine Vorreiterrolle mehr
Münchenberg: Sie haben Europa schon angesprochen, da hat man sich ja gestern zu strengeren Reduktionszielen verpflichtet. Hat denn Europa überhaupt noch die Vorreiterrolle, die man ja gerne für sich selbst in Anspruch nimmt?
Kaiser: Nein, Europa hat sie längst verloren, und auch Deutschland, das ja immer für sich in Anspruch nimmt, Vorreiterin zu sein, hat längst verloren. Ich glaube, da muss Boden gutgemacht werden. Wir sehen es ja ganz konkret in Deutschland, die Neuinstallation von Windkraftanlagen ist dramatisch zurückgegangen jetzt unter der Regierung Merkel, und gerade im Verkehrssektor hat sich ja 30 Jahre nichts bewegt, haben wir immer noch die gleichen hohen Emissionen wie 1990. Da muss es jetzt wirklich einen Politikwechsel geben, um da wieder Boden gutzumachen, denn ich glaube, überzeugend für andere Länder, für andere Wirtschaftssysteme werden wir nur dann, wenn wir es konkret umsetzen, und deswegen sind die nächsten Jahre entscheidend.
Münchenberg: Herr Kaiser, lassen Sie uns noch mal auf Corona schauen: In der Pandemie hat sich ja jetzt auch gezeigt, wozu Staaten in der Lage sind – finanziell, aber eben auch was Auflagen angeht. Lässt sich daraus auch was für den Klimaschutz lernen?
Kaiser: Ja, das ist schon interessant, wie sich dadurch die Perspektive gewandelt hat. Wenn wir verstehen, dass wir in einer Krise sind, in einer existenziellen Krise, dass wir dann auch sagen, wir brauchen eine starke politische Hand, wir brauchen Ordnungsrecht, um dann auch die Krise bewältigen zu können. Ich glaube, da können wir viel für die Klimakrise lernen, denn die existenzielle Bedrohung ist ja um ein Vielfaches größer durch die Klimakrise, auch wenn es eher langfristig ist, aber wir merken es ja jetzt schon. Insofern erwarten wir vonseiten der Politik, dass wir zum Beispiel jetzt ganz klar auch für die Automobilindustrie sagen, 2025 muss Schluss sein mit dem Neuverkauf von Verbrennungsmotoren, ab dann dürfen nur noch Elektrofahrzeuge auf den Markt gegeben werden, weil wir ansonsten den Ausstieg aus der Verbrennung von Öl nicht schaffen werden. Wir erwarten auch, dass der Kohleausstieg beschleunigt wird, dass wirklich bis 2030 dann das letzte Kraftwerk spätestens vom Netz geht. Dafür brauchen wir jetzt eine Politik, die ähnlich ist wie in dieser Corona-Zeit.
Während der ersten Coronawelle blieben, wie hier, am Münchner Flughafen Franz Josef Strauß, die Flugzeuge am Boden
COVID-19 - "Der Klima-Effekt ist erstaunlich gering"
Die Coronakrise hat weltweit zu einem Rückgang der CO2-Emissionen um fast neun Prozent geführt, so eine Studie. Das sei bemerkenswert, aber zu wenig, sagte einer der beteiligten Wissenschaftler, Hans-Joachim Schellnhuber, im Dlf.
Münchenberg: Aber ist die Gefahr nicht sehr groß, dass am Ende eben auch einfach das Geld fehlen wird für den Klimaschutz, weil die Staaten jetzt so viel Geld zur Bekämpfung der Pandemie in die Hand nehmen?
Kaiser: Das ist eine große Gefahr, dass jetzt durch die Schuldenaufnahme in der Coronakrise, wo ja Unsummen jetzt wirklich in Systeme reingepumpt werden, am Ende das Geld fehlt für die Transformation. Deswegen haben wir ja auch eingefordert, dass jeder Euro, der ausgegeben wird in den Konjunkturpaketen, in der Bekämpfung der Coronakrise gleichzeitig auch nachhaltig investiert werden muss, das heißt umweltschonend, klimaschonend, denn dann könnte ein Euro sozusagen eine doppelte Dividende haben. Da ist die Politik leider noch nicht so weit. Die haben jetzt gesagt, 30 Prozent der Mittel sollen Richtung Klimaschutz gehen, da würden wir uns mehr wünschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.