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Bilanz einer digitalen Bildungsoffensive
Ein Laptop für jedes Kind

Ein Laptop soll Bildung an die ärmsten und abgelegensten Orte der Welt bringen - das war im Jahr 2005 die Vision der gemeinnützigen Initiative "One Laptop per Child". 16 Jahre später inspiriert der kleine, grüne Rechner noch immer, zeigt aber auch: Das Bildungsproblem der Welt lässt sich nicht mit einer Maschine lösen.

Von Anneke Meyer |
Dre kleine, grüne Notebooks des Projekts "One Laptop per Child". Sie sollten 2008 auch an dieser äopischen Schule eine Bildungs-Revolution auslösen.
Die kleinen grünen Notebooks des Projekts "One Laptop per Child" sollten eine Bildungs-Revolution auslösen. (Thomas Kruchem)
Es ist das Jahr 2005, Weltgipfel zur Informationsgesellschaft in Tunis. Neugierig scharen sich Journalisten um einen grünen Laptop. Eine kleine Maschine, die eine universale Lösung für Bildungsprobleme sein soll.
Die Idee sei ganz einfach, erklärte Nicholas Negroponte damals. Er ist Professor am MIT in Boston und die treibende Kraft hinter dem Projekt. Der Laptop soll einerseits so widerstandsfähig sein, dass Kinder ihn überall auf der Welt benutzen können und andererseits so billig, dass ihn auch die Regierungen von Entwicklungsländern bezahlen können.
Weniger als hundert Dollar das Stück soll er kosten. Das ist zehn Mal weniger als günstige handelsübliche Modelle zu der Zeit. Jedes Kind soll einen bekommen. Daher der Name der Non-Profit-Organisation "One-Laptop-per-Child".

Inspiration zum Lernen

"Warum sollte ein Kind in einem Entwicklungsland ausgerechnet einen Laptop brauchen?", fragt Nicholas Negroponte plakativ in einem Imagefilm der Initiative und antwortet selbst darauf: "Ersetzen Sie das Wort Laptop durch Bildung - und die Frage erübrigt sich."
Der kleine grüne Computer soll den Kindern gehören. Er soll Internetzugang haben und ausschließlich kostenfreie Open-Source-Software verwenden. Er soll die Kinder zum Lernen inspirieren: Intuitiv, auch ohne Schule, ohne Lehrer, ohne Bücher. Angetrieben durch ihre natürliche Neugier sollen sie durch Programmieren des Computers die Grundlagen des Lernens und der Problemlösung erfahren.

"Was haben die sich bloß dabei gedacht?!"

5 bis 15 Millionen Kinder sollten von dem Programm profitieren. Bis zum Jahr 2011 sind aber nur rund zwei Millionen der grünen Laptops verteilt worden. Hergestellt werden sie schon länger nicht mehr.
"Es ist leicht, aus heutiger Sicht auf das Projekt zurückzuschauen und zu sagen: Was haben die sich bloß dabei gedacht?"
Morgan Ames ist Assistenz-Professorin an der School of Information in Berkeley. Die Computerwissenschaftlerin und Anthropologin hat unter anderem die Einführung der Laptops in Teilen von Südamerika untersucht.

Der Enthusiasmus ist groß

"Damals hat das Projekt große Hoffnungen geweckt. Man dachte, man könnte damit viel Gutes in der Welt bewirken."
Die Idee überzeugt Sponsoren und wichtige Tech-Partner wie den Chiphersteller AMD und den Suchmaschinenbetreiber Google. Ende 2007 laufen die ersten XO-getauften Kinder-Computer vom Band. Die Preismarke von unter 100 US-Dollar wird nicht erreicht, der Rechner kostet fast das Doppelte. Trotzdem kaufen einige Länder die Geräte auf Staatskosten für ihre Schüler. In anderen Ländern starten lokale Nicht-Regierungsorganisationen Pilotprojekte, um die Politik zu überzeugen. Unterstützt werden sie dabei von zahlreichen Freiwilligen aus aller Welt. Der Enthusiasmus ist groß.

Fehlender Internetzugang, fehlende Infrastruktur

Die Probleme auch: Verteilung der Geräte. Fehlende Stromanschlüsse. Fehlender Internetzugang. Und eine fehlende Infrastruktur für den Support und die Reparatur von defekten XOs. Am schwersten wiegt aber ein nicht-technisches Problem: Das intuitive Lernen mit dem Computer fällt den Kindern nicht so leicht, wie die Hersteller es sich vorgestellt haben.
"Etwa zwei Drittel der Kinder, die ich getroffen habe, fanden diese Computer gar nicht so spannend. Das Internet war ihnen ziemlich egal. Sie wollten viel lieber Fußball spielen oder hatten andere Dinge zu tun."
Der XO ist nicht auf Nutzerfreundlichkeit ausgelegt. Er soll zum Nachdenken anregen. Man muss verstehen wollen, was man tut.

Was wollen die Kinder?

"Die Entwickler hatten eine ziemlich genaue Idee von einem bestimmten Kind im Kopf. Und diese Vorstellung ähnelte stark jenem Kind, das sie selbst mal waren. Viele Projektmitarbeiter erzählten gerne davon, wie sie als Kind durch Computer inspiriert wurden und was das für sie bedeutete. Aber ich habe nie gehört, dass jemand die Kinder mal selbst gefragt hätte, was sie eigentlich wollen."
Das Lernen per Laptop ist kein Selbstläufer. Viele der Länder, die den Kinder-Computer eingeführt haben, kommen bald zu dem Schluss, dass es für den Erfolg des Projektes notwendig ist, es in die Schulen einzubetten und die Lehrkräfte entsprechend zu qualifizieren.
2012 kommt eine Studie an 320 Schulen in Peru zu dem Ergebnis, dass ein Laptop pro Kind nicht reicht, um bessere Lernerfolge zu erzielen. Im gleichen Jahr verlässt Nicholas Negroponte die Initiative "One-Laptop-Per-Child". 2014 wird der Hauptsitz in Boston aufgelöst.

Das Erbe von One-Laptop-Per-Child

Gestorben ist die Idee damit aber nicht. Seit 2015 wird "One-Laptop-per-Child" von einer Non-Profit-Organisation aus Nicaragua weitergeführt, unter Leitung der Pädagogin Mariana Cortez.
"Es gab immer Leute, denen klar war: Es geht nicht darum Laptops abzuliefern und dann abzuhauen."
Sagt sie und meint damit die zahlreichen Freiwilligen, die lokale Ableger der Initiative gegründet haben. Viele davon sind heute eigenständige NGOs. In einigen Ländern haben die Kinder-Computer staatliche Strukturprogramme angestoßen. Paradebeispiel: Uruguay, das als eines von wenigen Ländern während der Corona-Pandemie nahtlos auf Online-Unterricht umstellen konnte.

Zurück zu den Wurzeln

Der Fußabdruck, den One-Laptop-Per-Child im Bereich der digitalen Bildung hinterlassen hat, ist damit deutlich größer, als die Organisation selber es heute ist. Man habe während des großen Hypes Ende der 2000er den Fehler gemacht, sich zu sehr auf das Verteilen von Laptops zu konzentrieren. In Zukunft, meint Mariana Cortez, gehe es vor allem darum, sich auf die ursprüngliche Idee zurückzubesinnen.
"Viele Kinder auf der Welt haben heute Zugang zu einem Computer. Jetzt geht es darum, Regierungen, Schulen und Lehrkräften Tipps zu geben, wie man diese Computer sinnvoll einsetzen kann, damit Kinder zu Schöpfern von Wissen werden, statt nur Informationen zu konsumieren."