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Bilanz eines Lebens als Ein-Mann-Show

Es gab schon viele "Jedermann"-Inszenierungen. Mit seiner Version schafft Bastian Kraft einen ebenso überzeugenden wie berückenden Gegenentwurf. Er performt die Geschichte überaus wuchtig in die unmittelbare Gegenwart.

Von Sven Ricklefs |
    Die Sterblichkeit ist als Symbol von Beginn an zugegen: als sei es das normalste der Welt kommt dieser Jedermann mit einem Skelett im Arm herein, er wird mit ihm sprechen, es hätscheln und küssen, mit ihm tanzen und er wird ihm in die Augen schauen. Aus dem einen Auge strahlt dabei ein Scheinwerfer hervor, beim anderen ist eine Kamera ausgeklappt, sie wird das Gesicht dieses Jedermann immer wieder in Großaufnahme auf die Bühnenwand projizieren. Und dann legt er los dieser Jedermann, der in diesem Fall wirklich ein Jedermann ist indem er jeden Mann und jede Frau spielt: dieser überaus wandlungsfähige Philipp Hochmair. Er spielt sie alle, den guten Gesell und die Mutter, die Buhlschaft und den Mammon und natürlich den Jedermann selbst. Nur den Tod, den spielt er nicht, diese bedrohliche Unausweichlichkeit eines jeden ist die einzige Figur, die Regisseur Bastian Kraft nicht in den Jedermann selbst hineingespiegelt hat. Und dieser Tod ist eine Frau:
    Zunächst einmal ist Simonne Jones die Sängerin auf der Bühne, die Musikerin, die ebenfalls wie Philipp Hochmair gleich ein ganzes Ensemble rockt, sie spielt insgesamt 12 Instrumente, sie singt, sie tanzt und liefert mit ihren selbstkomponierten Songs den sehr eigenwilligen Soundtrack zwischen Elektro, Pop und auch klassischen Elementen. Und wenn sie den Tod gibt, dann schreitet sich im langen Goldlametta einher:
    Allein schon ihr Auftritt macht diesen Jedermann zu einer Mischung aus Konzert und Performance und so geriert sich auch Philipp Hochmair als eine Art Popstar wie er da in Lederhosen und nacktem Bauch unter dem Samtsakko daherkommt, ein Popstar, der ein erotisches Verhältnis zu seinem Mikrophon und zu seinem Publikum hat, dem außer Geld nichts wirklich heilig ist, und der das Leben lebt als würde es niemals enden.
    Es sind vor allem die starken ästhetischen und formalen Setzungen, die die Inszenierungen des 33jährigen Bastian Kraft auszeichnen. Dabei ist eines seiner herausragenden Mittel, Figuren auf mehrere Schauspieler zu verteilen und damit aufzufächern, oder aber das Personal eines Stückes oder einer Literaturbearbeitung auf nur einen Darsteller zu fokussieren. Heraus kommen dabei zumeist höchst eigenwillige und dabei stimmige Interpretationen. Wie nun auch bei diesem Jedermann, dass das im mittelalterlichen Knittelvers daherkommende Mysterienspiel nicht nur ästhetisch in die Gegenwart eines Popkonzerts spiegelt, sondern im Zeitalter des extremen Individualismus das Spiel rund um das Sterben des reichen Mannes zu einem Kampf der inneren Stimmen macht. Doch während der Hofmannsthalsche Originaljedermann in katholischer Naivität die guten Werke und vor allem den Glauben als Wegbegleiter auf dem letzten Gang bereit hält, lässt Bastian Kraft seinen Jedermann im Zeitalter der verlorenen Spiritualität im Angesicht des Todes zwar nach dem Glauben rufen, aber dann doch an ihm verzweifeln.
    Glaubst Du Jedermann? Ich will glauben, ich will glauben können
    Das dieser ebenso überzeugende wie berückende Jedermann als eine Art frecher Gegenentwurf zu dem neuen Jedermann auf dem Salzburger Domplatz gesetzt wurde, ist tatsächlich ein Coup des Schauspielchefs Sven Eric Bechtholf, der sich ja sonst nicht gerade durch seinen Wagemut sondern eher durch sein fast naives Theaterverständnis in Salzburg einen Namen gemacht hat.

    Und während der offizielle Jedermann von Julian Crouch und Brian Mertes als mittelalterliche Mysterienspiel mit Thespiskarren und Maskenspiel bunt und unterhaltsam weit in die Tradition zurückgreift, performt Bastian Kraft die gleiche Geschichte überaus wuchtig in die unmittelbare Gegenwart.