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Bilanz-Skandal bei Wirecard
"Es sind immer Personen, die solche Krisen verursachen"

Der Skandal um den Bezahldienstleister Wirecard ist laut der Leiterin des Deutschen Aktieninstituts einzigartig für einen DAX-Konzern. Sie gehe aber nicht von Betrug aus, denn börsennotierte Unternehmen würden streng reguliert, sagte Christine Bortenlänger im Dlf. Eher müsste man Personen überprüfen.

Christine Bortenlänger im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Die Firmenzentrale von Wirecard in Ascheim (Bayern)
Wirecard geht inzwischen davon aus, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen". (dpa-Bildfunk / Peter Kneffel)
Schon seit Anfang 2019 gibt es massive Vorwürfe gegen den Bezahldienstleisters Wirecard. Der Vorwurf der Bilanzmanipulation lag dabei immer wieder im Raum. Wirecard hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen und wollte sich dies durch Bilanzprüfer bestätigen lassen. Doch diese Bestätigung gab es nicht.
Im Frühjahr 2020 wurde die Bilanzvorstellung mehrfach verschoben und platzte am 18. Juni ganz. An diesem Tag meldete sich auch der Vorstand zu Wort. Die in der Bilanz des Zahlungsabwicklers fehlenden 1,9 Milliarden Euro würden mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existieren, teilte das Unternehmen in einer Stellungnahme mit.
Kreditkarten zum kontaktlosen Bezahlen in einem Showroom von Wirecard. Foto: Sven Hoppe/dpa | Verwendung weltweit
Was Wirecard in den Dax brachte – und jetzt in Bedrängnis
Die Zukunft des deutschen Zahlungsabwicklers Wirecard hängt nun vom Wohlwollen der Banken ab. Was macht der Dax-Konzern aus dem Landkreis München und welche Probleme hat er? Ein Überblick.
Wirecard war bisher von der Existenz dieser Konten ausgegangen und hatte sie als Aktivposten ausgewiesen. Sie waren angeblich bei Banken auf den Philippinen geparkt. Noch ist unklar, ob die Gelder gestohlen wurden oder ob es die Milliarden nie gab. Das entspricht nach Angaben des Unternehmens in etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme.
So etwas habe es in der Bilanz eines DAX-Konzerns noch nicht gegeben, sagte Christine Bortenlänger, Leiterin des Deutschen Aktieninstituts im Dlf. Aber es sei noch keinem Rechtssystem auf der Welt gelungen, Betrug oder Fehlverhalten gänzlich auszuschließen.

Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Frau Bortenlänger, können Sie sich an so einen Fall erinnern, dass zwei Milliarden Euro in einer Bilanz eines DAX-Konzerns auf einmal fehlen?
Christine Bortenlänger: In der Bilanz eines DAX-Konzerns hat es so was noch nicht gegeben. Da kann ich mich nicht erinnern. Aber es hat natürlich international solche Fälle gegeben und leider muss man auch sagen, es ist noch keinem Rechtssystem auf der Welt gelungen, Betrug oder Fehlverhalten gänzlich auszuschließen. Insofern wird es wohl leider auch so sein, dass wir auch in der Zukunft mit schwerem Betrug oder ähnlichen Fällen rechnen müssen.
Armbrüster: Gehen Sie davon aus, dass das hier der Grund bei Wirecard ist, Betrug?
Bortenlänger: Nein, davon kann ich momentan nicht ausgehen, weil im Prinzip sind das momentan Thesen, die im Raum stehen, Thesen, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit haben, nachdem ja auch der Jahresabschluss zum wiederholten Male nicht vorgelegt werden konnte.
Aber das ist jetzt zunächst einmal Aufgabe der Aufsicht, auch der Staatsanwälte, zu prüfen, was hier passiert ist, und insofern will ich wie in anderen Fällen auch ein Unternehmen oder Personen nicht verurteilen, solange hier nicht komplett die Untersuchungen gelaufen sind. Da müssen Sie Verständnis haben. In dubio pro reo gilt auch in diesem Fall.
"Man muss sehr genau hinschauen, was hier falsch gelaufen ist"
Armbrüster: Warnungen hat es allerdings bei Wirecard ja seit vielen Jahren schon gegeben, auch als der Konzern in den DAX aufgestiegen ist. Da gab es diese warnenden Stimmen, so dass da möglicherweise nicht immer alles stimmt in den Büchern bei Wirecard. Warum haben die Experten da nicht richtig aufgepasst?
Bortenlänger: Zum einen ist natürlich der Wirtschaftsprüfer dafür zuständig, jährlich die Bilanz zu testieren, und das ist immer wieder erfolgt, wenngleich auch immer wieder verspätet erfolgt. Und insofern: Das ist auch noch mal der Vorteil an einem börsennotierten Unternehmen. Sind hier Gerüchte oder möglicherweise, wie wir vielleicht auch in der Zukunft feststellen, Tatbestände früh schon diskutiert worden, so dass die Öffentlichkeit und auch die Anleger die Chance hatten, sich intensiv mit dem Unternehmen auseinanderzusetzen und auch mit dem Risiko, das das Unternehmen möglicherweise mit sich bringt, und zu überlegen, ob man dort investiert oder nicht.
Bilanz-Skandal bei Wirecard - Dem Shootingstar droht der Absturz
Wirecard steht wegen milliardenschwerer Ungereimtheiten in der Bilanz in der Kritik. Dabei ist das Geschäftsmodell überzeugend, meint Michael Watzke. Eine Pleite wäre jammerschade.
Armbrüster: Aber trotzdem hat es jetzt mehrere Jahre gedauert, bis mal jemand genau hingeguckt hat und sich genau angeguckt hat, wo sind eigentlich diese ganzen Beträge genau und stimmt das, was da in der Bilanz steht. Warum dauert das so lange?
Bortenlänger: Zum einen dauert es wahrscheinlich wirklich sehr lange, weil Wirecard ein neues und auch sehr komplexes Geschäftsmodell hat. Hier geht es ja um Online-Zahlungsmodelle, wenn ich es mal ganz einfach sage, oder auch die Risikoprüfung von Kunden, die online bezahlen. Ich denke, das ist ein Thema.
Dann war es ein sehr schnell wachsendes Geschäft. Und letztlich muss man die Frage tatsächlich dem Wirtschaftsprüfer, der Aufsicht, dem Aufsichtsrat, dem Vorstand stellen, was hier falsch gelaufen ist. Und man wird sicher auch beispielsweise aus der Enron-Krise – da bin ich jetzt nicht die erste, die hier einen Vergleich zieht zu diesem Fall damals – Lehren daraus ziehen müssen.
Ich möchte aber auch eines betonen. Insgesamt gelten für börsennotierte Unternehmen sehr, sehr viele Transparenzpflichten. Sie können sich umfassend über diese Unternehmen informieren und konnten sich auch umfassend über Wirecard informieren. Letztlich halte ich das für einen großen Vorteil und letztlich ist das auch schon Ergebnis vergangener Krisen.
Und ich warne jetzt auch davor, aus einem solchen, natürlich sehr schwerwiegenden Fall die Regulierung noch mal deutlich zu erhöhen. Ich glaube, man muss sehr genau hinschauen, was hier falsch gelaufen ist, und dann entscheiden, was man zum Schutz der Anleger, aber natürlich auch zum Schutz des Image der Wirtschaft generell tun kann.
"Es sind immer Personen, die solche Krisen verursachen"
Armbrüster: Frau Bortenlänger! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Was kann denn daran falsch sein, wenn man aus diesem Desaster die Schlussfolgerung zieht, solche börsennotierten Unternehmen müssen strenger reguliert werden – einfach, damit so etwas nicht noch einmal passiert?
Bortenlänger: Börsennotierte Unternehmen sind sehr streng reguliert. Ich weise nur darauf hin, dass vierteljährlich Berichte vorgelegt werden, wie das Geschäft läuft, dass durch die Wirtschaftsprüfer wie natürlich bei anderen Unternehmen auch die Bilanzen sehr streng geprüft werden. Das ist unfassbar viel, wenn Sie sich einen Geschäftsbericht zur Hand nehmen, was dort alles berichtet wird, aus den Unternehmen berichtet werden muss, sowohl zum vergangenen Geschäft als auch Prognoseberichte, als auch Berichte darüber, wie der Aufsichtsrat arbeitet, wie der Vorstand zusammengesetzt ist, was man im Bereich der Nachhaltigkeit tut. Ich weiß nicht, ob noch mehr Transparenzpflichten tatsächlich solche Krisen verhindern.
Es sind immer Personen, die solche Krisen verursachen. Aus meiner Sicht ist es ganz wesentlich, dass der Aufsichtsrat genau hinschaut, welche Vorstände er bestellt, und dass auch der Anleger – und wir haben ja nicht nur in solchen Unternehmen Privatanleger, sondern wir haben auch professionelle Anleger, die hier in engem Dialog mit den Unternehmen sind -, dass man einfach bei den Personen genau hinschaut. Da ließen sich meines Erachtens Krisen neben den zahlreichen Berichtspflichten und Transparenzpflichten verhindern.
Armbrüster: Frau Bortenlänger, Ihr Deutsches Aktieninstitut vertritt die Interessen der Börsenunternehmen in Deutschland. Wir haben das gerade in Ihren Antworten auch schon gehört, dass Sie da vor Überreaktionen warnen. Kann man aus Ihrer Position wahrscheinlich verstehen. Mich würde interessieren: Was bekommen Sie denn mit von anderen großen börsennotierten Unternehmen? Wie reagieren die auf diesen tiefen Fall von Wirecard?
Bortenlänger: Zunächst einmal sind alle in Sorge, weil ein solcher Fall sehr schnell pauschal ein schlechtes Image auf die Wirtschaft lenkt oder ein schlechtes Image für die Wirtschaft bedeutet. Hier möchte ich aber, auch wenn Sie die vergangenen Tage anschauen, wie der DAX gelaufen ist, zum einen die Besonnenheit der Anleger loben, denn Anleger können doch unterscheiden, dass es nicht in jedem Unternehmen so läuft, können doch sehen, wie viele Unternehmen sehr redlich und im Interesse der Anleger, aber auch der Gesellschaft agieren.
Insofern ist natürlich: Wenn solche Vorfälle in Unternehmen sehr wahrscheinlich sind, machen sich andere Unternehmen Sorgen. Zumal ja dann auch, wenn die Regulierung stärker wird, wieder alle Unternehmen davon betroffen sind. Und Sie müssen auch sehen: Dann sind häufig gerade besonders junge Unternehmen mit interessanten Geschäftsmodellen besonders stark betroffen, weil für sie die Regulierung, wenn sie noch jünger sind, oftmals ein Riesenaufwand bedeutet, und das sind Unternehmen, die eigentlich erst mal noch damit beschäftigt sind, ihr Produkt weiterzuentwickeln, ihren Markt zu entwickeln. Damit muss man schon sehen, dass von Überregulierung auch ein Schaden insgesamt für die Gesellschaft entstehen kann, weil damit vielleicht Arbeitsplätze gar nicht entstehen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.