Adalbert Siniawski: Als durchschnittlicher Europäer wundert man sich manchmal über diese Nation: Russland – auf der einen Seite, Teil des europäischen Kontinents – zum Großteil aber geographisch und kulturell auch weit weg von Europa. Die erneute, zweifelhafte Verurteilung von Kreml-Kritiker Nawalny, die Besetzung der Krim, das martialische Auftreten von Präsident Putin - es sind Bilder wie diese, die bei vielen einen Europäern Besorgnis auslösen. Doch wie viel davon ist Aktionismus auf politischer Ebene - wie viel ist wirklich gelebte Überzeugung im Alltag der Menschen? Die Fotografin Sandra Ratkovic ist mit ihrer Kamera durch die Straßen von Moskau gelaufen und hat Orte und Menschen porträtiert. Ihre Fotos wurden in deutschen Medien publiziert – und kürzlich ist die Serie in einem Bildband erschienen - "Moskau". Sandra Ratkovic ist aus Berlin zugeschaltet. Herzlich willkommen zum Corso-Gespräch!
Sandra Ratkovic: Hallo.
Siniawski: Sie haben z.B. ein Schaufenster eines Souvenirshops abgelichtet. Dort sieht man T-Shirts mit Putin-Aufdrucken, wie er mit Tarnfleckjacke und Gewehr auf einem Bären reitet. Oder: Putin mit Sonnenbrille. Oder: Putin mit Bernhardiner-Welpen. Das ist schon ein Klischee-Bild - von dem autoritätshörigen Russen. Sind Sie diesem Klischee oft begegnet?
Ratkovic: Ja, auf jeden Fall. Ich war auch überrascht wie klischeehaft es tatsächlich war. Sie haben jetzt das Bild angesprochen von Putin mit dem Bernhardiner-Welpen, den er umarmt auf einem T-Shirt für Touristen und auch für Einheimische. Das ist glaube ich mein Lieblingsmotiv gewesen. Was uns sehr oft begegnet ist, ist das Bild von Putin wie er auf dem Bären reitet. Das gab's einmal auf T-Shirts, dann auch als Figuren zum Hinstellen ins Wohnzimmer. Der Putin-Kult war auf jeden Fall eine Sache, die ich fotografieren wollte, nach der ich auch gezielt gesucht habe in Moskau. Ich war allerdings überrascht wie massiv es mir entgegengeschlagen ist. Ich musste wirklich gar nicht suchen. Eigentlich in jeder U-Bahn Station, in jedem Laden waren irgendwelche Putin T-Shirts, Putin-Taschen. Und jetzt nicht nur in sagen wir mal billigen Tourismus Shops, sondern durchaus auch im Edelkaufhaus "Gum", wo es dann eben die teure Designervariante gab. Das war eine Sache die erwartet habe, aber nicht in dem Ausmaß.
Siniawski: Wie sehen sie das? Ist Putin also Pop?
Ratkovic: Ja, also ich weiß gar nicht ob man das jetzt so als offensichtliche Propaganda sehen soll, sondern es ist ein bisschen so was wie ein Spiel wo alle mitspielen - so kam es mir vor. Teilweise auch, was ich sehr lustig fand war, dass sich auch koreanische Touristen im Kreml gesehen habe, die komplett mit Putin T-Shirt durch die Gegend liefen, die glaube ich gar nicht wirklich wussten was sie da taten. Also ich hatte gar nicht mal das Gefühl, dass das so politisch konnotiert war, sondern auch ein bisschen auch wie die Verehrung für einen Popstar. Mit Michael Jackson habe ich es teilweise verglichen. Es hat sich so ein bisschen verselbstständigt in der Gesellschaft hatte ich das Gefühl.
Siniawski: Hat aber trotzdem eine Wirkung, genauso wie die Waffen und die Militarisierung, die sich durch Ihre Fotoserie zieht. Man sieht da zum Beispiel schießende Soldaten auf einem Wandgemälde in einem Gebäude - es ist das Patriotismus-Museum. Ein überbordendes Angebot von Spielzeugwaffen in einem Geschäft - militärisch dekorierte Fahrgeschäfte auf einem kitschigen Rummelplatz - selbst ein Zaun ist aus Tarnnetz gemacht. Warum haben Sie diesen Aspekt mit Ihrer Kamera verfolgt?
Ratkovic: Der Hintergrund ist: Ich wohne ja seit ungefähr zehn Jahren in Berlin und habe angefangen mit einem befreundeten Fotograf über mehrere Jahre die russischen Hinterlassenschaften in Berlin und Brandenburg zu fotografieren. Alte Militärflughäfen, Kasernen wie Vogelsang, Jüterbog, das Haus der Offiziere. Und bin dort eben auf die unglaubliche Fülle von für uns auch sehr absurd wirkenden Militärsymbolen und Dekorationen gestoßen. Zum Beispiel eine Szene ist mir sehr im Gedächtnis geblieben: In einem ehemaligen Militärkinderkrankenhaus - einer Kinderstation war eine Rechentafel, dort war 1+1 = 2 und die Einsen waren Raketen anstand Zahlen. Und das glaube ich ist sehr symbolisch für die gesamte Dekoration, Architektur - das Gesamtbild der russischen Gesellschaft wie es wahrgenommen hatte. Und ich nach Moskau gefahren um eben zu untersuchen, ob es wirklich immer noch heute auch so ist. Also das war ja vor einigen Jahren und ich fand es sehr faszinierend. Und ich wurde nicht enttäuscht in Moskau. Es war sogar noch um 50-mal höher als ich es erwartet hatte.
Siniawski: Ja und auch Schriftsteller Wladimir Kaminer, der das Vorwort zum Buch geschrieben hat, erklärt dort: "Nach dem Ende der Sowjetunion habe sich die Ideologie dieses Staates und die damit verbundene Lebenshaltung in den Köpfen der Menschen tief verwurzelt." Er selbst beschreibt da, wie er als 10-Jähriger eine Spielzeug-Kalaschnikow geschenkt bekommen hat. Wie viel Militarismus, vielleicht auch aus der Zeit des Kalten Krieges, sind da wirklich noch so spürbar?
Ratkovic: Das ist ein sehr gutes Stichwort, gerade mit den Plastikwaffen. Ich war ja im Museum des Großen Vaterländischen Krieges und dort war ich wirklich erschrocken, da gerade auch bei Kindern das eben noch sehr, sehr stark in Gang gehalten wird. Also wir kamen rein ins Museum und das erste was mir entgegenschlug war ein unglaublich großer Stand wo man Spielzeug-Kalaschnikows, Gewehre, kleine Panzer kaufen konnte. Und bevor es dann ins Museum ging wurden die ganzen Kinder von den Eltern erstmal wirklich mit den Spielzeugwaffen ausgestattet und dann ging's los - durch die Räume mit den Schlachten. Rund um das Museum waren auch Kinderjahrmärkte, das war ein unfassbar absurdes Bild. Also wir kennen ja Autoscooter zum Beispiel mit kleinen Autos, in Moskau sind's dann eben kleine Panzer mit denen die Kinder fahren.
Siniawski: Da fragt man sich schon: Wo ist das andere, internationale, offene Russland. Haben Sie das auch gesehen?
Ratkovic: Ja auf jeden Fall. Es ist auf jeden Fall eine Wandlung, was mich auch sehr stark interessiert. Ich hoffe das habe ich auch in den Bildern gut rübergebracht. Es ist die Wandlung. Ich denke, dass die alten Strukturen, auch die alten folkloristischen und Militärsymbole natürlich kollidieren mit der Globalisierung, der Verwestlichung. Das ist meiner Meinung nach nicht nur in Russland sondern generell ist Osteuropa. Ich habe auch versucht in meinem Buch einzelne Menschen darzustellen, wie Frauen mit Kopftüchern. die an den modernen Metrostationen verloren sind. Oder eben eine Frau, die geschminkt wie Marylin Monroe vor einer Militärrakete steht. Das passt nicht mehr ganz zusammen. Es löst sich langsam auf, aber die Reste wie eben riesengroße Raketen und Panzer und Militärzäune im Stadtbild sind noch vorhanden. Teilweise sind jetzt natürlich nur noch Dekorationen, weil sie auch keinen wirklichen Zweck mehr erfüllen. Das führt zu einem sehr, sehr absurden Bild und ich denke auch ein bisschen so einem Transitzustand in dem sich die Menschen dort befinden.
Siniawski: Ja wenn man sich einer Kultur und den Menschen nähert ertappt man sich da als Fotografin dabei eine Aufnahme zu machen, die ein Klischee der Nation einfach nur bestätigt. Sie waren ja auch nur zwei Wochen da muss man sagen. Die Frage ist, ob das wirklich ausreicht da auf den Grund zu gehen.
Ratkovic: Was mir ganz wichtig ist, ist das ich nicht werten möchte. Natürlich kommt man am Thema Politik nicht ganz vorbei, aber es soll nicht weder politisch noch gesellschaftlich wertend sein. Ich habe eben versucht so gut wie ich es kann als Fotograf mit mehr oder weniger westlichen Augen einfach wirklich zu dokumentieren, das was ich sehe und das was jetzt für uns und unsere Sehgewohnheiten unserer Gesellschaft befremdlich wirkt. Dadurch dass ich eben auch einen Vater habe aus dem ehemaligen Jugoslawien und dort auch sehr oft war, habe ich immer so ein bisschen beide Perspektiven. Einmal die Innere, auch als Osteuropäerin, aber dann auch die Äußere Perspektive als eben Deutsche und ich habe versucht beide Perspektiven zusammenzuführen.
Siniawski: Aber die Fotografin wählt doch einen bestimmten Ausschnitt aus, aus der Wirklichkeit für das Bild und lässt andere Aspekte weg, die nicht so ins eigene Weltbild passen, oder?
Ratkovic: Genau, man kann ja nicht alles fotografieren. Natürlich war dieses Fotoprojekt auch genau recherchiert. Ich habe auch ganz genau vorher die Orte recherchiert, die ich besuche. Wie eben jetzt der Gorki Park oder das allrussische Ausstellungsgelände oder eben die Militärmuseen. Wo das was ich untersuchen und finden wollte natürlich auch vorhanden war. Ich hätte auch in irgendwelche Bars gehen können abends, da hätte ich ganz andere Bilder gemacht. Ich möchte jetzt auch nicht behaupten, dass das das Moskau ist, das es gibt. Es gibt sicherlich auch noch andere Seiten, aber das ist eben das, was ich besonders spannend und bizarr finde und das ich dokumentieren wollte.
Siniawski: Sagt Fotografin Sandra Ratkovic. Sie hat mit ihrer Kamera Menschen und Orte in Moskau porträtiert, und eine Auswahl der Aufnahmen ist jetzt als Bildband erschienen: "Moskau", so der schlichte Titel, im Verlag Hatje Cantz. Und auf der Homepage finden Sie Hinweise zu den geplanten Ausstellungen über diese Fotoserie. Frau Ratkovic, danke für das Gespräch.
Ratkovic: Vielen Dank.
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