In einem Medienumfeld, das von Teilnahme und Mitmachen geprägt ist, wirkt Kunst zusehends elitär und entrückt. Die Moderne hat uns eine Kunstwelt hinterlassen, in der die Ansichten der Betrachter nichts zählen. Wenn wir den Werken wieder eine Bedeutung außerhalb des Marktes geben wollen, genügt es nicht, sie besser zu vermitteln oder zu erklären. Es geht um mehr.
Die öffentlichen Kunstinstitutionen können den Betrachtern wieder eine Stimme geben und ihre Urteile ernst nehmen. Die Entscheidung über das, was dort zu sehen ist, sollte von den Hierarchien der Kunstwelt und den Mechanismen des Marktes gelöst werden. Stefan Heidenreich setzt damit im Deutschlandfunk den Diskurs um die Kuratoren und Ausstellungen der bildenden Kunst fort, den wir mit Essays von Ulf Erdmann Ziegler und Jörg Heiser in diesem Jahr begonnen haben.
Stefan Heidenreich, geboren 1965, lebt in Berlin und ist Autor, Kunstkritiker und Essayist für Tageszeitungen. 2016-18 lehrte er Kunsttheorie an der Kunstakademie Düsseldorf und der Universität Köln. Zuletzt veröffentlichte er die Bücher "Geburtstag. Wie es kommt, dass wir uns selbst feiern" (2018) und "Geld. Für eine non-monetäre Ökonomie" (2017).
Wer sich gerne Kunst anschaut, wird sich vielleicht schon gefragt haben, warum sich niemand dafür interessiert, was ihm gefällt und was nicht. Dabei wäre es ein Leichtes, wenigstens in Museen und öffentlichen Kunstinstitutionen den Betrachtern mehr Mitsprache zu geben. Längst sind es die Nutzer digitaler Plattformen gewohnt, sich zu allem, was sie sehen, zu äußern. Die Museen sollten darauf eingehen. Und zwar nicht nur, indem sie die Besucher befragen, sondern indem sie Wege finden, ihr Publikum über das Programm mit entscheiden zu lassen. Ob dabei bessere Kunst herauskommt, ist eine offene Frage. Die Antwort werden wir nicht kennen, solange niemand den Versuch unternimmt, die Betrachter am Ausstellungmachen zu beteiligen. Eine einfache Aufgabe ist das nicht. Denn es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als das Ausstellen neu zu erfinden.
Kunst als kommunikativer Akt
Bei der Frage, was Museen zeigen sollen, haben Betrachter so gut wie nichts mitzureden. Vorbildliche Ausstellungsbesucher kommen, sehen, staunen und schweigen. Vielleicht lassen sie sich das eine oder andere Kunstwerk erklären. Aber was sie davon halten, interessiert niemanden. In der Breite der Bevölkerung wirkt die Kunst unserer Zeit wie ein abgehobener Kult, den sich Experten und Eingeweihte für einige wenige reiche Sammler ausdenken. Dass ein Teil der teuer gehandelten Kunst dann dem gemeinen Volk zugänglich gemacht wird, kommt wie ein Gnadenakt aus feudalen Zeiten daher.
Die Betrachter waren nicht immer derart außen vor. Im Gegenteil. Der Kulturhistoriker Benedict Anderson konnte zeigen, wie Kunst und ihre großen Institutionen zu Beginn des 19. Jahrhundert geradezu neu erfunden wurden, um den Bürgern der entstehenden Nationalstaaten ein gemeinsames Selbstbewusstsein zu geben. Die romantische Kunsttheorie der Zeit räumte den Betrachtern und der Kunstkritik eine zentrale Stelle ein. Friedrich Schlegel sah in der Kritik die Vollendung des Kunstwerks. Kunst wurde als kollektiver, kommunikativer und identitätsstiftender Akt begriffen. Die Überbleibsel dieser Gründungsphase stehen noch. Museen florieren, auch wenn sie etwas ganz anderes als damals geworden sind.
Noch findet man in den meisten Lehrplänen Kunstunterricht. Nachdem man allerdings einsehen musste, dass Kunst nicht gleich Kreativität ist und dass die creative industries, in die man in den 90er Jahren so viel Hoffnung gesetzt hatte, nicht so groß wurden, wie erhofft, gelten nun die MINT‑Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik als Weg in die Zukunft. In England flog Kunst letztes Jahr aus den Lehrplänen der weiterführenden Schulen.
Tatsächlich wirkt vieles an der Kunst wie aus der Zeit gefallen. Bildende Kunst hat einen schweren Stand in einer Welt, in der neue Generationen, die alte Medien wie das Fernsehen als eine Art kaputtes Youtube ansehen, es gewohnt sind, überall ihre eigene Auswahl zu treffen.
Der Markt bestimmt den Rang
Bei der Frage, welche Namen in der Kunst etwas gelten und ausgestellt werden, hat der Markt das Sagen; und dort bestimmt am Ende eine recht kleine Gruppe sehr reicher Sammler, was sich durchsetzt. Das hat jedenfalls jüngst eine Studie des Ökonomen Magnus Resch ergeben. Künstler, Galeristen, Kuratoren, also der Rest des Kunstbetriebs, befinden sich in der unglücklichen Lage, auf diesen Markt angewiesen zu sein.
Die Stimme der Kunstbetrachterinnen jedenfalls zählt in dieser Welt nichts. Von daher stellen sich zwei Fragen: Wie konnte die Kunst in diese unschöne Lage geraten? Und was lässt sich tun, um sie daraus zu befreien?
Beginnen wir bei einem Begriff, der ein wenig in Verruf geraten ist: Schönheit. Von der hohen Warte der Kunstwelt aus gesehen steht das Schöne für die billigen und einfältigen Vergnügungen und die ungebildete Kultur, für den "Geschmack der Kleinbürger", um es mit dem Soziologen Pierre Bourdieu zu sagen. Die Kunst der Moderne musste neu sein, experimentell, irritierend, rätselhaft, revolutionär, komplex, auch gerne verstörend oder schockierend. Daran hat sich auch nach dem Ende der Moderne erst einmal nichts geändert.
Schönheit als Eigenschaft oder Urteil
Heute hat man Schönheit der Werbung und dem Design überlassen oder der Kosmetikindustrie mit ihren millionenschweren Make‑Up‑Künstlerinnen und Influencern.
Das Verschwinden des Schönen aus der Kunst ist nicht einfach einer Laune geschuldet oder einem Irrweg der Geschichte. Es gibt dafür ganz einfache und materielle Gründe. Und es lohnt sich, den Begriff der Schönheit noch einmal genauer zu betrachten. Wenn als "Schön" nämlich gilt, was gefällt, dann leben wir längst wieder in einer Welt des Schönen, nämlich einer digitalen Welt der "Friends" und der "Likes". Schönheit, wenn wir sie nur als gemeinsamen Ausdruck des Gefallens begreifen, aber kann eine Brücke bilden, von dem im Kunstwerk einbezogenen Betrachter der Romantik zu den Netzwerknutzern unserer Zeit. Beide geben dem Kunstwerk Bedeutung, indem sie es als schön anerkennen.
Gehen wir einmal davon aus, dass es das Schöne auf zwei verschiedene Arten gibt, als Eigenschaft und als Urteil. Die eine Art von Schönheit wird in den Dingen selbst gesucht, als Eigenschaft. Sie kommt mit dem Anspruch auf Objektivität und Wahrheit daher und ist genau deshalb bei Kunstexperten so beliebt. Sie können das Ästhetische an Kunstwerken bestimmen und darüber streiten. Als einer der letzten hat der Informationstheoretiker Max Bense versucht, Schönheit aus Zahlenverhältnissen herzuleiten. Und in seiner Fixierung auf das Berechenbare erscheint dieser absurd klingende Versuch heute schon wieder großartig. Die gleiche Debatte ist seitdem unter anderem in der Philosophie fortgeführt worden, ob als ästhetisches Erscheinen bei Martin Seel oder im Begriff der Kraft bei Christoph Menke.
Der soziale Begriff der Schönheit macht etwas ganz anderes. Hier zählt das, was gefällt. Das Urteil tritt an die Stelle der Eigenschaft und damit das Verhältnis der Betrachter zum Werk. In dem Fall erübrigt sich die Suche nach der einen Wahrheit, denn jeder Mensch kommt mit seinem eigenen Geschmack daher und kann sagen, was ihr oder ihm gefällt. Es muss nicht sein, dass sich alle auf eine Ansicht einigen, so wie es der Philosoph Kant noch für möglich hielt. In seiner Kritik der Urteilskraft stellte er die Vermutung an, dass die Urteile aller, wenn sie nur frei genug von jedem Interesse seien, auf einen gemeinsamen Nenner zustreben würden. Eigentlich handelt es sich dabei um ein politisches Problem. Die Frage lautet, wie alle ihre Meinung haben können und dennoch in einer Gesellschaft und unter einer Regierung leben.
Soziale Schönheit stiftet Gemeinschaft
Das Zusammenkommen der vielen Urteile ist ein politischer Akt. Wenn jede und jeder mit ihrem und seinem eigenen Urteil daher kommt, entsteht im Gespräch darüber eine gemeinsame Sache, eine res publica, eine Republik des Sprechens. Im gemeinsamen Sprechen über das, was gefällt, entsteht überhaupt erst ein sozialer Begriff von Schönheit. Seit überall im Netz zu jeder Gelegenheit Leute ihren Vorlieben durch Likes und Kommentare Ausdruck geben, sind wir von dieser Art sozialer Schönheit umgeben, mit all ihren unschönen Nebenwirkungen. Die Frage ist nicht, wie wir Kunst vor dieser Ausdrucksform abschirmen können, sondern wie wir diese Form eines digitalen und vernetzten Schönen produktiv machen können.
Kunst zu demokratisieren heißt auf jeden Fall, der zweiten Art von Schönheit, also der sozialen, wieder einen Ort zu geben. Man könnte etwas kitschig formulieren: Lasst uns die Museen wieder zu Orten der Schönheit machen. Damit würde Kunst zu etwas, das viele Leute liken, und nicht zu etwas, das nur wenige Leute kaufen. Der romantische Begriff des Schönen meint immer auch das gemeinsame Urteil und stiftet im gemeinsamen Urteilen eine Gemeinschaft. Um diese Gemeinschaft geht es bei der Frage nach der sozialen Schönheit.
Der Kunstmarkt der Moderne kommt ganz ohne das Schöne aus, er braucht weder die soziale Schönheit noch die der Experten. Der entscheidende Wert eines Kunstwerks liegt allein in seiner Exklusivität. Was einer besitzt, kann kein anderer haben. Alles andere ist Nebensache. Das Kunstwerk unserer Zeit ist das Ding gewordene Alleinstellungsmerkmal. Die Geschichte, die uns dort hin führt, läuft mit der Moderne parallel. Genauer gesagt: Moderne und Kunstmarkt sind ein und dasselbe.
Kunst als gesellschaftliche Avantgarde
Am Beginn des modernen Kunstmarktes steht die eigentümliche Entscheidung, Fotografien und andere reproduzierbare Bilder wie Lithografien an den Rand zu drängen, um statt dessen Gemälden den Vorrang zu geben. Damit ist Kunst die einzige Kulturform geworden, die mit industriellen Produktionsweisen nichts zu tun hatte, und stattdessen bei einem handwerklichen Standard blieb. Hinzu kam, dass Museen seit Anfang des 19. Jahrhunderts begonnen hatten, Kunstwerke in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Die Ordnung der Dinge legt fest, was hinzugefügt werden kann. Wer nach Qualität sortiert, orientiert sich an den Bewertungen der Experten. Wer seine Exponate dagegen nach der Entstehungszeit ordnet, sucht stets das Neue.
Das Museum als zeitorientierter Speicher und der Markt mit seinem Streben nach Exklusivität wirkten fruchtbar zusammen. Kunst wurde zu einem Ausdruck von Fortschritt. Die Künstler sahen sich als gesellschaftliche Avantgarde und der entstehende Kunstmarkt bestärkte sie darin. So wurde Kunst zum Motor der Umwertung aller Werte, was die konservativen Werte des 19. Jahrhunderts durchaus verdienten. Dass das breite Publikum auf der Strecke blieb, fiel erst einmal nicht weiter ins Gewicht, im Gegenteil. Je lauter der Aufschrei der Abgehängten mit ihrem überholten Schönheitsbegriff war, desto eher konnte Kunst für sich beanspruchen, ihrer Zeit wirklich voraus zu sein. Der Künstler avancierte zum Bürgerschreck.
Natürlich hatte der Spott über die zurück gebliebenen Kleinbürger, die Honoré Daumier in seinen Stichen der Pariser Salons so schön zeigt, auch Nebenwirkungen. Nach und nach hängte die Kunstkarawane ihr ehemaliges Publikum ab. Zumal dieses bei Film und Foto genügend visuelle Unterhaltung jenseits der Avantgarden fand. Und so wurde moderne Kunst vom Symbol des Fortschritts nach und nach zum elitären Kult. Solange staatliche Bildungs- und Ausstellungsinstitutionen die Kunst kräftig förderten, fiel es nicht weiter auf, dass sie dabei war, in eine Sackgasse zu laufen.
Das Gleichgewicht von Markt und Museum kippte, als sich der Staat aus den Museen und Ausstellungshallen zurück zog und die Kunst dem Markt allein überließ. Seitdem irrt das viele Geld der Sammler auf der Suche nach immer neuen Investitionsgelegenheiten umher. Auf die zeitliche Ordnung der Moderne folgte die Postmoderne. Und dann wurde alles zeitgenössisch, contemporary.
Akteure im Kunstbetrieb abhängig von Sammlern
Das bedeutet nicht, dass Kunst die Autorität von Staaten benötigt. Aber der Markt allein sorgt nur für Bewegung. Um dauerhaft Bedeutung herzustellen, braucht es auch Erinnerung, Archiv und Institutionen von Dauer. Mittlerweile haben sich so gut wie alle Akteure im Kunstbetrieb von den Sammlern abhängig gemacht. Gehen wir die handelnden Akteure nacheinander durch.
Kuratoren stellen in der Regel Künstler aus, die von großen Galerien vertreten werden. Sie sind von Leihgaben abhängig oder lassen sich Ausstellungen von Sammlern und Galeristen querfinanzieren. Das Programm wird zu einer Werbeveranstaltung. Das betrifft nicht nur kleine, sondern auch und gerade große Häuser und Großausstellungen. Künstler ohne Vertretung durch eine Galerie sind dort so gut wie nicht mehr zu sehen.
Die Galeristen versuchen, möglichst wohlhabende Sammler um sich zu scharen. Kleinvieh lohnt nicht, es macht zu wenig Umsatz und zu viel Mühe. Alle buhlen um die Sammlungen der reichen Klientel. Bessere Galerien haben Angestellte, die nichts anderes zu tun haben, als opulente Abendessen für VIPs zu organisieren. Der Siegeszug der großen Kunstmessen hat die Galeristen zu Nomaden gemacht. Seither reisen sie mit ihren Bauchläden den Sammlern hinterher und warten darauf, dass einer der Multimillionäre ihren Stand beglückt.
Kunstmagazine wiederum sind auf die Galerien angewiesen, die bei ihnen Annoncen kaufen, und dementsprechend verteilen sie die Rezensionen der Ausstellungen. Kritiker bekommen gute Honorare nur noch, wenn sie sich als Werbeschreiber für Kataloge und Galerien verdingen.
Vielleicht hätten die Kunsthistoriker noch eine Chance gehabt, eine unabhängige Stimme im Kunstbetrieb zu bleiben. Aber ihr Urteil hat keine Macht. Denn sie entscheiden weder, was ausgestellt wird, noch was gekauft wird. Wollen sie als Experten überhaupt gehört werden, müssen sie sich darum bemühen, die Vorlieben der Sammler mit intellektuellem Dekor zu versehen.
Die Macht von wenigen sehr reichen Sammlern hat durchaus eine historische Richtigkeit. Wenn man glaubt, dass Kunst die Welt abbilden soll, dann wird hier tatsächlich eine Wahrheit über unsere Gesellschaft sichtbar: das Zeitalter eines neuen Finanzfeudalismus.
Die Kunst hat sich der Nachfrage angepasst. Sie ist zu einer von vielen Anlageklassen im Luxusbereich geworden. Noch gibt es Sammler alten Schlags, die Wert darauf legen, dass ihre Sammlung den Eindruck intellektueller oder kulturhistorischer Bedeutung vermittelt. Aber auch das liefert der Markt. Es finden sich immer Künstler, die Experten anheuern, um ihre Arbeiten mit intellektuellem Ornament zu umkränzen, und Kuratoren, die die Werke in einem anspruchsvollen Umfeld zum Einsatz bringen.
Die Betrachter bleiben teilnahmslos
Manch Betrachter mag sich heute fragen, wie es kommt, dass viele Kunstwerke seltsam verrätselt wirken und auf eine Weise unnahbar erscheinen. Doch je rätselhafter und unverständlicher ein Kunstwerk daherkommt, desto eher erfüllt es das Versprechen, etwas ganz Exklusives zu sein. Und es scheint längst ein Kult des Exklusiven zu existieren.
Für Museen, vor allem wenn sie von öffentlichen Geldern bezahlt werden, ist dieser Kult ein Dilemma. Sie sind ja der Öffentlichkeit verpflichtet. Auch wenn die Besucherzahlen stimmen, fehlt es an Resonanz, die Betrachter bleiben teilnahmslos. Man hat versucht, das Problem durch eine bessere Vermittlung zu lösen. Seitdem mühen sich Museumsangestellte, in Führungen und Vorträgen dem Publikum die Kunstwerke näher zu bringen. Leider ist Vermittlung aber keine Lösung, sondern ein Teil des Problems.
Kunst zu demokratisieren dagegen hieße, den vielen Stimmen der Betrachter wieder Bedeutung zu geben. Sie müssen mit entscheiden können, was ausgestellt werden soll. In den sozialen Medien nehmen die Betrachter Stellung. Aber es reicht nicht, diese Stimmen zu zählen, um dann weiterzumachen wie bisher. Damit die Kunstbetrachter ein Gegengewicht zum Markt bilden können, muss ihren Stimmen tatsächlich Gewicht verliehen werden.
Das Vorhaben, die Kunst und ihre Strukturen zu demokratisieren, ist nicht ganz einfach. Es ist wohl nicht damit getan, das Publikum in sozialen Medien darüber abstimmen zu lassen, was ausgestellt werden soll. Das Ergebnis einer solchen netzdemokratischen Ausstellung würde vermutlich sehr eigenartig ausfallen, um es freundlich zu sagen. Dem Urteil, oder vielleicht auch dem Vorurteil der Experten nach liefe das Vorhaben ziemlich sicher auf eine Katastrophe hinaus.
Vielleicht aber auf eine heilsame Katastrophe, von der es etwas zu lernen gäbe. Denn auf den zweiten Blick ist die Idee nicht ganz so schlecht. Sie könnte im besten Fall zwei Dinge zeigen: dass die Kunstwelt von heute nicht die einzige mögliche ist. Und dass es überhaupt noch Wege gibt, dem Urteil des Marktes andere Verfahren gegenüber zu stellen.
Wie auch immer man es im Detail anstellt - der Versuch, das Ausstellen zu demokratisieren, wäre ein soziales Experiment, das sich gegen die herrschenden Institutionen und Machtverhältnisse auflehnt. Als solches würde es in die Geschichte der Kunst wiederum sehr gut passen, die sich als eine lange Reihe von Revolutionen erzählen lässt.
Die Mehrheit will Stumpfsinn und Spektakel
Ein sicheres und gültiges Rezept für einen solchen Weg der Demokratisierung kann es nicht geben. Dass die Herrschaft der Mehrheit nicht immer zur besten Lösung führt, ist aus der Politik bekannt. Dass die "wisdom of the crowd", die "Weisheit der Menge" eben nicht notwendigerweise zur Klugheit tendiert, sondern gelegentlich auch zu Stumpfsinn und Spektakel, kennen wir aus den digitalen Medien. Dass sich nur ein geringer Anteil der Betrachter überhaupt an einer Entscheidungsfindung beteiligt und dann dem Rest seine Wahl aufnötigt, zeigt das politische Tagesgeschäft. Dass sich in den Netzwerken der Beteiligungsdrang zu emotionalen Ekstasen hochschaukelt, die dann nur Hass und Opfer übrig lassen, sehen wir in sozialen Medien.
Wir haben es bei der Demokratisierung mit einem Prozess zu tun, der im Kleinen, nämlich in der Kunst, die politischen Verhältnisse abbildet. Das ist kein Unglück, sondern das Ziel der Übung. Nämlich eine bessere Politik der Kunst zu organisieren als die Abbildung von Marktmacht und elitären Kult, mit der wir jetzt konfrontiert sind.
Wir können an manchen Orten schon einen Blick in diese mögliche Zukunft werfen. Visuelle Plattformen wie Instagram haben schon jetzt einen Effekt auf Ausstellungen. "Instagramability" wird zu einem der wichtigsten ästhetischen Kriterien. Das heißt: Ein Kunstwerk funktioniert dann gut, wenn es auf Instagram gut aussieht. Bekannt wird, was sich gut auf dem Handy abbilden lässt. Auf diesen Effekt hatte der Kunstkritiker Michael Sanchez bereits 2013 in der Zeitschrift "artforum" aufmerksam gemacht. In Europa breitet sich diese Ästhetik nur langsam aus. Andere Teile der Welt sind da bereits viel weiter.
Besonders hervorzuheben wäre China, wo es zum guten Ton gehört, Ausstellungsbesuche auf dem Netzwerk WeChat zu posten. Vom Umgang mit Gegenwartskunst in China gibt es einiges zu lernen, und zwar nicht nur Gutes, sondern auch die Nachteile. Dort ist Kunst zu einem Volkskult geworden. Überall werden Kunsthallen errichtet. Im Besuch von Ausstellungen dokumentiert sich sozialer Fortschritt. Im Besitz von Kunstwerken der beginnende Wohlstand. Übrig bleibt von dem sozialen Spektakel kaum etwas.
Es hat sich ein Kreislauf von immer neuen Trends herausgebildet, den man am ehesten mit der Musikkultur hierzulande vergleichen kann.
Alle paar Jahre kommt ein neuer Trend, einer so dekorativ und bedeutungslos wie der andere. Im ständigen Zustrom des Neuen kommt tatsächlich alles ins Fließen. Die politischen Vorbehalte gegen jede Art von Diskurs oder Reflexion machen es fast unmöglich, in diesem kurzlebigen Kunstbetrieb irgendetwas von dauerhafter Bedeutung herzustellen.
Eine große Sorge der Künstler gilt ihrer "Autonomie", also der Vorstellung, dass sie in ihrer Arbeit vollkommen frei sein müssten. Schauen wir uns aber an, was diese Autonomie tatsächlich bedeutet. Künstler wissen recht genau, was bei Sammlern und Kuratoren ankommt, und das liefern sie in der Regel auch, nicht selten unter sanftem Druck ihrer Galeristen. Wirklich autonom können sie sich nur den Betrachtern gegenüber verhalten. So wird Autonomie letztlich zur intellektuellen Ausrede, um auf das Publikum keinerlei Rücksicht nehmen zu müssen. Nötig wäre genau das Gegenteil: Anstatt die Betrachter zu ignorieren und nach Belieben vor den Kopf zu stoßen, sollten Künstler sich auf die Haltung der Romantik besinnen. Das hieße: auf die Betrachter zugehen und sie als Verbündete bei der Wirkung ihrer Werke begreifen.
Es wird nicht einfach sein, bei dem Versuch, das Ausstellen zu demokratisieren, überhaupt Mitstreiter zu finden. Zu tief verwurzelt ist das Misstrauen gegenüber den Fähigkeiten des Publikums. Zu sehr im Betrieb verstrickt all jene, die bestehende Institutionen führen. Auch das ist aus dem politischen Leben bekannt. Je stärker der Druck wird, Strukturen zu verändern, desto dichter halten genau diese Strukturen zusammen.
Betrachter wieder mitreden lassen
Vermutlich wird man sich nach neuen Verbündeten umsehen müssen, und zwar in den Kreisen, die aus dem gegenwärtigen Betrieb herausgefallen oder nie hinein gekommen sind. Hier gibt es drei große Gruppen, die zusammen wohl etwas auf die Beine stellen könnten: erstens die vielen weniger vermögenden Sammler, um die sich niemand kümmert. Sie machen den "long tail" aus, mit dem sich insgesamt mehr Umsatz machen lässt, als mit den wenigen Großen. Von der Kunstwelt sind die meisten abgekoppelt und finden keinen Zugang mehr, selbst wenn sie wollten.
Zweitens kommen dazu die vielen Künstler, die sich dem Markt nicht angepasst haben oder nicht anpassen konnten. Allerdings sollten sie gewillt sein, ihr Werk ganz anders als bisher dem Urteil eines großen Publikums auszusetzen, und davor fürchten sich viele.
Als wichtigste kommen drittens die Betrachter hinzu, und das meint vor allem jene, die in den sozialen Medien gelernt haben zu sagen, was ihnen gefällt. Sie sind der Schlüssel, um aus den Museen wieder Orte des Schönen zu machen, in dem politischen Sinn einer sozialen Schönheit und eines gemeinsamen Sprechens.
Weder der Markt noch die Kuratoren müssten abgeschafft werden, um Kunst zu demokratisieren. Im Gegenteil. Auf lange Sicht wird es allen Beteiligten nutzen, wenn die Betrachter wieder mitreden können. Der Markt hätte die Chance, eine neue Balance zu finden. Kuratoren bekommen eine neue Aufgabe, die viel erfüllender ist, als Galeristen und Sammlern hinterherzulaufen. Sie haben die Gelegenheit, einen sozialen Prozess wachsen zu lassen, um ihre Institutionen in Labore demokratischer Beteiligung zu verwandeln.
Nicht einfach wird die Lage für die Künstler. Es passiert wohl einmal mehr, was im Verlauf der Kunstgeschichte schon öfter der Fall war. Ein Großteil all dessen, was in den letzten Dekaden entstand, bleibt dem Markt überlassen, für den es produziert wurde. Außerhalb dieses Marktes besitzen die wenigsten Werke einen Wert.
Ende des Kults um das Objekt
Ein solcher Umbruch ließe sich mit dem Beginn der Moderne vergleichen. Die vormodernen Spätromantiker und Historienmaler wie Bouguereau, Cabanel, Kaulbach oder Makart sind mit ihrem pompösen und manchmal auch grandiosen Schwulst zu Dinosauriern der Kunstgeschichte geworden. Ähnlich könnte es vielen Werken unserer Gegenwart gehen, die von einer künftigen Kunst aus betrachtet als das erscheinen, was sie sind: Luxusobjekte mit leeren Versprechen auf Exklusivität.
Für den Begriff des Werks bringt der Bezug zum Betrachter einige ganz grundlegende Veränderungen. Vor einigen Jahren erklärte der Künstler Simon Denny bei einer Diskussion in den Räumen der Zeitschrift "Spike", dass er seine Aufgabe darin sieht, optimale Ausstellungserlebnisse zu gestalten. Richtig. Aber wenn es tatsächlich nur darum ginge, könnte man auch auf die Produktion von Einzelstücken verzichten.
Das bedeutet: Der Kult um das Original kann endlich aufgegeben werden. Alles, was am Erleben des Betrachters nichts ändert, sondern nur dem Marketing von Exklusivität dient, kann man dem Markt überlassen.
Das betrifft nicht nur den Eiertanz um die Einzelstücke. Was soll das selbstauferlegte Wiederholungsverbot unter Kunstschaffenden, das mit dem Exklusivitätsanspruch einhergeht? Warum sollten Künstler nicht, wie alle anderen Kulturschaffenden, wiederholen, nachmachen, samplen, neu mischen? Und wie sie lustig sind auch Kopien anderer Werke anfertigen? All das, was wir aus der Musik längst kennen, sollten Künstler sich in fröhlicher Grenzenlosigkeit wieder aneignen. Ob es von einem Werk eine oder 20 Ausführungen gibt, ändert am Empfinden des Betrachters schlicht und einfach gar nichts.
Das philosophische Gerücht, dass ein Original eine besondere Aura besitze, ist nichts anderes als intellektuelles Exklusivitätsmarketing. Vielleicht müsste man dazu übergehen, die Originalstücke dem Markt ganz zu überlassen, und in den großen Institutionen, bei denen es um das Erleben der Betrachter geht, konsequent nur Kopien und Reproduktionen auszustellen.
Dem ganzen Vorhaben der Demokratisierung liegt die Annahme zugrunde, dass Bedeutung nicht etwas ist, das Kunstwerke einfach haben. Bedeutung entsteht durch aktive Bezugnahme, durch Gebrauch, wenn man so will. Diese Idee finden wir nicht allein in der Romantik. Sie wird auch von heutigen Philosophen bekräftigt, die sich auf einen Satz von Ludwig Wittgenstein beziehen: "Die Bedeutung eines Wortes liegt in seinem Gebrauch."
Wie genau also der Weg zu einer Demokratisierung der Kunst aussieht, kann sich wie bei allen sozialen Bewegungen nur im Prozess erweisen. Wichtig ist es dabei, den Sinn der ganzen Unternehmung nicht aus den Augen zu verlieren. Es geht darum, Kunst eine breite gesellschaftliche Bedeutung zurückzugeben.