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Bilder grauenvoller Erlebnisse

Der Maler Vann Nath hat die Schreckensherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha und die Haft im Foltergefängnis S-21 in Phnom Penh überlebt. Er wurde gebraucht, um Porträts von Pol Pot anzufertigen. Nun ist ein schriftlicher Bericht des 2011 verstorbenen Künstlers erschienen.

Von Ralph Gerstenberg |
    Er hätte gerne Sonnenuntergänge, Orchideen und Reisfelder gemalt, bekannte einmal Vann Nath. Der Maler gehörte zu den wenigen Überlebenden von Tuol Sleng, auch S-21 genannt, dem berüchtigten Foltergefängnis der Roten Khmer in Phnom Penh. Wer hier eingesperrt war, wurde auf grausamste Weise misshandelt und schließlich ermordet.

    Von 1976 bis 1979 starben zwischen 12.000 und 20.000 Menschen in Tuol Sleng oder vor den Toren der Stadt auf den sogenannten Killing Fields. Bei der Exekution, die mit Eisenstangen und Macheten erfolgte, wurde penibel Protokoll geführt. Auch der Name Vann Naths stand bereits auf einer der Todeslisten.

    Dass er überlebte, verdankte er seinem Talent als Maler, das gefragt war, um Porträts von Pol Pot anzufertigen. So erhielt er eine Schonfrist, die bis zur Befreiung durch die vietnamesische Armee im Januar 1979 währte. Danach empfand er es als seine Pflicht, die Verbrechen, die er erlebt hatte, in seinen Bildern zu dokumentieren.

    Als er 30 Jahre nach dem Ende des Pol-Pot-Regimes als Zeuge vor das Tribunal berufen wurde, das sich auf internationalen Druck endlich mit den Verbrechen der Roten Khmer juristisch auseinandersetzte, erklärte er dem Richter:

    Ich beschloss, dass ich, falls ich eines Tages überlebt und meine Freiheit wiedererlangt haben würde, alles zusammentragen würde, um ein Licht darauf zu werfen, was passiert ist, so dass die jüngere Generation darüber Bescheid wüsste. Die meisten von denen, die mit mir nach S-21 gekommen waren, wussten von keiner Straftat, die zu ihrer Verhaftung hätte führen können. Sie waren fassungslos über das, was geschehen war, warum sie verhaftet worden waren. Deshalb musste ich aufdecken, musste ich schreiben, musste ich zusammenfassen.

    Sein Erlebnisbericht "Ich malte um mein Leben. Im Todeslager der Roten Khmer in Kambodscha" beginnt mit Schilderungen des Lebens in der Provinz Battambang, wo Nath 1946 geboren wurde. Als Jugendlicher verbrachte er einige Jahre als buddhistischer Mönch und ging danach bei einem Künstler in die Lehre. Die Arbeit als Plakat- und Porträtmaler ermöglichte ihm und seiner jungen Familie fortan ein bescheidenes Auskommen.

    Im April 1975 war es mit dem Frieden in seiner ländlichen Heimat jedoch vorbei. Dort, wie im ganzen Land, hatten die Roten Khmer die Macht übernommen. Mit Megafonen und Maschinengewehren jagten sie die Menschen aus ihren Häusern, trennten Familien und siedelten sie irgendwo in Kooperativen an, wo sie nach strengen Regeln Reis anzubauen hatten.

    Der kleinste Verstoß konnte den Tod bedeuten. Allenthalben herrschte Hunger, dem viele zum Opfer fielen. Krankheiten wüteten. Ärzte, Lehrer und Funktionäre des gestürzten Machthabers Lon Nol verschwanden über Nacht und kehrten nie wieder zurück. Eines Tages wurde auch Vann Nath abgeführt, in Ketten gelegt und unter Folter verhört.

    Der Mann (…) wand einen elektrischen Draht fest um meine Handschellen und verband mit einer Sicherheitsnadel das andere Ende mit meinen Shorts. Dann setzte er sich wieder. "Es wird über dich gesagt, dass du herumziehst und die Leute dazu anstiftest, gegen Angkar Widerstand zu leisten", sagte er. "Wer gehört zu deinem Netzwerk?"
    "Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Bruder", sagte ich. (…)
    Einer der Männer legte sein Gewehr auf den Tisch und ging auf mich zu. Er schloss das Kabel an den Strom. (…)
    Mein ganzer Körper verkrampfte sich, und ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, vernahm ich in der Ferne eine Stimme, die fragte: "Wie viele Leute sind in deinem Netzwerk? Mit wem stehst du in Kommunikation?"


    Nach Tagen in Haft wurde Vann Nath nach Phnom Penh ins Foltergefängnis S-21 verlegt, das sich in den Gebäuden eines ehemaligen Gymnasiums und der Tuol-Sleng-Grundschule befand. Dezidiert beschreibt er das dortige Aufnahmeprozedere und die unmenschlichen Bedingungen.

    Tag und Nacht wurden die Häftlinge aneinander gekettet, sie durften nicht miteinander reden, bekamen kaum etwas zu essen, viele starben bereits in der Zelle. Die Insassen wurden so lange gefoltert, bis sie Taten gestanden, die sie nicht begangen hatten. Anschließend wurden sie exekutiert. Chef von S-21 war Kaing Guev Eav, genannt Duch - ein kunstsinniger Mann, den die Gefangenen den "Gott des Bösen" nannten.

    Im Gefängnis hatte der Duch eine Kunstwerkstatt eingerichtet, in der er Büsten und Gemälde von Pol Pot anfertigen ließ. Dorthin kam Vann Nath. An den Porträts des Führers der Roten Khmer, den er bis dahin gar nicht kannte, arbeitete er in dem Wissen, dass es seine einzige Chance war zu überleben.

    Duch stand mehrere Minuten schweigend vor dem Gemälde, dann brach er in schallendes Gelächter aus. "Gut … gut!", sagte er dann. "Es ist in Ordnung." Diese wenigen Worte bedeuteten für mich den Unterschied zwischen Leben und Tod.

    Genau ein Jahr verbrachte Vann Nath in S-21 - 365 Tage in Todesangst! Seine Frau hatte die Zeit des Pol-Pot-Regimes ebenfalls überlebt. Ihre gemeinsamen drei Kinder, das älteste war gerade fünf Jahre alt, sind jedoch an Unterernährung und Krankheiten gestorben.

    Bereits wenige Monate nach seiner Haft kehrte Vann Nath nach Tuol Sleng zurück und beteiligte sich am Aufbau der dortigen Gedenkstätte. Er wollte den Opfern dienen und malte Bilder, die deren Leiden dokumentierten. Sein Bericht "Ich malte um mein Leben" ist eindringlich und bewegend. Vann Nath schildert darin mit einfachen Worten, was ihm und anderen im Namen einer menschenverachtenden Ideologie angetan wurde. Er zeigt sich als ein Überlebender, der nicht nach Rache sinnt, sondern um Aufklärung bemüht ist.

    Herausgegeben wurde das Buch von Alexander Goeb, der 1979 als einziger westdeutscher Journalist nach dem Sieg der vietnamesischen Armee nach Kambodscha reiste. Goeb war mit Vann Nath befreundet. In zwei Kapiteln informiert er über Hintergründe und beschreibt persönliche Begegnungen mit dem kambodschanischen Maler, der 2011 an Nierenversagen starb und 2012 posthum an der documenta in Kassel teilnahm.

    Statt eines Vorwortes zitiert Goeb die Grabrede des Dokumentarfilmers Rithy Panh, dessen Erlebnisbericht unter dem Titel "Auslöschung" ebenfalls in diesem Jahr auf Deutsch erschienen ist. In der Rede heißt es:
    Du bist früh gegangen, Nath. (…) An deinem Gedächtnis sind die Roten Khmer gescheitert (…) Dein Zeugnis geht über die kambodschanische Tragödie hinaus. Es gehört zur Geschichte der Menschheit.

    Vann Nath: "Ich malte um mein Leben. Im Todeslager der Roten Khmer in Kambodscha."
    Verlag Brandes & Apsel, 159 Seiten, 17,90 Euro,ISBN: 978-3-955-58000-1