Es ist der 20.01. Stehen die USA noch? Ich weiß es nicht, ich habe diese Kolumne voraufgezeichnet.
Die gewaltsamen Ausschreitungen, zu denen es am 06.01.2021 in Washington kam, haben aufmerksame Beobachter schon antizipiert. Ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit dem Universum der Onlineradikalisierung der neuen Rechten und lese die Geschichten mit, die sie sich intern erzählen.
Mit zweifelhaftem Vergnügen vollziehe ich nach, welche Bilder sie warum verbreiten. Welche Wörter sie verwenden. Und welche Memes.
Der Mann im Büffelfell als Symbol
Memes, also diese wiederkehrenden Bilder, die immer wieder abgewandelt, immer wieder mit etwas neuem Kontext zu lustigen Zwecken verbreitet werden, sind ja längst kein Teil der Jugendkultur mehr. Auch die Massenmedien machen Memes.
Zum Beispiel: der junge Mann im Büffelfell, der ins Kapitol eingedrungen ist. Seine Bilder gingen durch die Presse, um die Absurdität, die Lächerlichkeit des Angriffs zu zeigen. Die Geschichte, wie er im Gefängnis nach Bio-Essen verlangte, folgte auf dem Fuße.
Erzählungsmuster in den Massenmedien verbreitet
Welche Bilder, welche Memes verbreiten wir? Was benutzen wir, um uns über Leute lustig zu machen, deren Handlungen wir abwerten? Hier lohnt sich ein kritischer Blick. Denn das Spiel, das die neue Rechte spielt, funktioniert ohne Massenmedien nicht.
Die Strategien eines stochastischen Terrorismus – eines Terrorismus, der nicht durch organisierte Strukturen, sondern durch Massenaufwieglung funktioniert – verlassen sich darauf, dass bewusst von ihnen gesetzte Erzählungen durch die Presse verbreitet werden.
"Es ist absolut möglich – für jeden"
Die Erstürmung des Capitols in möglichst bunten, schrägen Kostümen hat eine Funktion: sie zeigt, wie leicht die Institution zu überwinden ist. Wenn sogar Spinner das schaffen, schaffe ich das auch. Sie haben eine Grenze überschritten, ein Tabu gebrochen, und das alles teilweise so lächerlich in Szene gesetzt, dass unsere normale Angst vor Terroristen nicht greift – weil Terroristen nunmal keine Büffelhörnchen aufhaben.
Damit senden sie ein klares Signal an alle, die auch gerne ihre Regierung stürzen würden: es ist absolut möglich. Für jeden. Und man kann ein Event daraus machen.
Zentrale Fragen vor der Veröffentlichung
Klar, berichten muss man. Um die Bilder von den Terroristen selbst kommen wir wohl auch nicht herum. Aber es bleibt eine sinnvolle Methode, vor dem privaten Verbreiten eines Memes oder dem journalistischen Gebrauch eines Bildes zu fragen: "Wer hat dieses Bild gemacht? Was hat diese Person mit dem Anfertigen und Veröffentlichen dieses Bildes bezweckt? Möchte ich dieser Person bei ihren Zielen helfen?"
Vielleicht müssen wir uns nicht über jeden Rassisten, jeden Antisemiten, jeden Terroristen totlachen, bis er berühmt ist und als Sprecher eingeladen wird. Wohin hat uns die Memefizierung und das Auslachen von Präsidentschaftskandidat Donald Trump damals gebracht? In unserer Aufmerksamkeitsökonomie ist das Sprengen von Grenzen und das Sich-Lächerlich-Machen nunmal ein gutes Rezept für Erfolg. Das sollte man Terroristen nicht gönnen.
Sichtweise im Sinne der Opfer verändern
Und was wäre besser, statt die Memes der Täter zu verbreiten? Mehr Bildmaterial, Aussagen, Stimmen und Gedanken der Opfer mitzunehmen; oder derer, die Angreifern entgegenstehen. Die Geschichte des Angriffs auf Minderheiten sollte man immer aus Sicht der Minderheiten erzählen. Und die Geschichte des Angriffs auf eine Demokratie sollte immer aus der Sicht der Demokratie erzählt werden.