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Bilder von Wolfgang Herrndorf
"Durchweht von einer Melancholie und Sehnsucht"

Der 2013 gestorbene Wolfgang Herrndorf gehört zu den meistgelesenen Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur. Vor seinem schriftstellerischen Erfolg war er auch als Maler und Illustrator tätig. Zu seinem 50. Geburtstag zeigt das Literaturhaus in Berlin zum ersten Mal seinen bildnerischen Nachlass.

Von Natascha Gillenberg |
    Wolfgang Herrndorf
    Der Schriftsteller und Maler Wolfgang Herrndorf auf der Leipziger Buchmesse 2007 (dpa / picture alliance / Erwin Elsner)
    Ein Küchentisch in einem fünften Stock; Brot und Erdbeeren, Zigarettenrauch und Kaffeeduft. Holm Friebe von der Zentralen Intelligenz Agentur und andere Freunde von Wolfgang Herrndorf haben sich zum Frühstück verabredet; der Ausstellungskatalog liegt druckfrisch auf Friebes Knien, nachher wollen sie zusammen zum Literaturhaus spazieren.
    "Für mich ist einiges Neue dabei. Die großen, wichtigen Ölbilder hingen ja zum Teil bei ihm in der Wohnung. Vieles ist entsorgt worden, von ihm selber. Es gibt im ‚Arbeit-und-Struktur-Blog' das Bild einer überquellenden Badewanne, in der Papier und Leinwände eingeweicht werden, um dann als Pappmaschee in der Mülltonne entsorgt zu werden - etwas, wo uns allen einmal kurz mulmig wurde. Aber das war Wolfgangs Art, darüber zu entscheiden, was stehen bleibt und was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist."
    Als er wusste, dass er todkrank war, hat Herrndorf viele seiner Werke vernichtet. Die etwa 80 Gemälde und Zeichnungen, die das Literaturhaus nun erstmals zeigt, müssen seinem kritischen Urteil also standgehalten haben.
    Herrndorfs künstlerische Bandbreite ist enorm. Da finden sich mit leichter Feder gezeichnete Aquarelle sommerlicher Landschaften. Boshafte Porträtzeichnungen aus Tusche zeigen einen bekannten Fußballreporter in Hitler-Posen. Es gibt religionskritische Filzstift- Karikaturen über "Glaubi, Liebi und Hoffi" und ein Selbstporträt des Künstlers mit Bohrmaschine unter Verwendung christlicher Ikonografie. Herrndorf hat zu Lebzeiten nie ausgestellt, mit dem zeitgenössischen Kunstbetrieb tat er sich schwer.
    Kurator Jens Kloppmann: "Er ist in dieser Kunstwelt auch immer ein Fremdkörper geblieben. Auch wenn man sich anschaut, was überhaupt er gemacht hat: Er hat ganz penibel gemalt, er hat Vorlagen seiner Heroen wie Raphael, wie Vermeer bearbeitet, hat sich deren Techniken angearbeitet, das ist unglaublich schwer, unglaublich fleißintensiv, und auch unglaublich unpopulär zu der Zeit, als er das gemacht hat. In den 80er-, 90er-Jahren, da wollte so was eigentlich gar niemand sehen, da war man auf anderen Dampfern unterwegs."
    Inspiration im Museum gesammelt
    An der Nürnberger Akademie der Künste, wo er Malerei studiert hat, wirft man Herrndorf vor, er sei reaktionär. Was er lernen will, entdeckt er oft in Museen, wo er stundenlang vor den Gemälden der großen Meister verharrt.
    Friebe erinnert sich an einen gemeinsamen Besuch der Londoner National Gallery: "Er hatte eine sehr dezidiert Meinung, was ihn interessierte. Wir liefen an Kilometern Rubens, Rembrandt vorbei, und er meinte, alles Quatsch, alles Dreck, kannst du alles vergessen, steuerte zielgenau auf die Arnolfini-Hochzeit von Van Eyck hin, dieses Bild, wo zum ersten Mal mit diesem Spiegel-Fischaugen-Effekt gearbeitet wurde und man den Maler selbst im Bild sieht, allerdings verzerrt. Also diese Vexierbilder haben ihn interessiert"
    In Herrndorfs Werken finden sich oft Spiegelungen, Zitate und andere versteckte Hinweise, auch auf die Entstehung des jeweiligen Bildes: "Und insofern gibt es da schon neben der handwerklichen Qualität eine intellektuelle Ebene, die einen wirklich lange rätseln lässt."
    Die Pointen entstehen oft durch die unerwartete Brechung, wenn Renaissance und Moderne ganz selbstverständlich zusammenfinden, Romantik und Nihilismus aufeinanderstoßen. Im Garten des Literaturhauses erinnert sich der ehemalige Chefredakteur der Titanic, Oliver Maria Schmitt, an ein ungewöhnliches Gemälde, das Herrndorf ihm schickte:
    "Das war praktisch ein originaler Vermeer, in einem wunderbaren Kleinformat meisterlich ausgeführt. Aber am Fenster war eben keine brieflesende Magd wie bei Vermeer, sondern ein dicker, großer, schwarzer Pfälzer, der sehr schnell als Helmut Kohl erkennbar war. Er hat nach der Art der Meister gemalt - das war nicht nur wunderschön anzuschauen, das war auch entsetzlich komisch."
    Ganz er selbst in der Landschaftsmalerei
    Es folgt eine ganze Kohl-Werkreihe: Kohl im Spitzwerk-Stil, im Lichte Edward Hoppers oder à la Georg Baselitz. Ganz Eigenes findet Kurator Jens Kloppmann nur in wenigen Werken von Herrndorf:
    "In der Landschaftsmalerei verzichtet er auf das Wort, er verzichtet auf den Humor, und da verzichtet er auf das Zitat, und da ist Herrndorf ganz er selbst, und da hat er, auch wenn es vielleicht Auftragsarbeiten waren, die er für irgendwelche Buchgestaltungen gemacht hat, da bringt er seinen eigenen Stil, sein eigenes Vokabular, seinen eigenen Duktus ins Spiel."
    Irgendwann hat Herrndorf das Malen aufgegeben und stattdessen an seinen Romanen gearbeitet. Holm Friebe blättert noch immer durch den Katalog:
    "Ich glaube, diese Geschichten hier, die Schatzinsel und Huckleberry Finn, da kommen natürlich die Motive zusammen, die Jugendliteratur, die jugendlichen Träume und Sehnsüchte, die ihn immer fasziniert haben. Das waren natürlich die Zutaten für 'Tschick', und das steckt hier auch in diesen Bildern drin. Bei allem messerscharfen Intellekt und Rationalismus ist das ganze Werk durchweht von einer Melancholie und Sehnsucht, die sich auch nicht niederringen lässt und die immer durch die Ritzen sickert."