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Bilderbuch "Armstrong"
Die Mondfahrt aus der Perspektive einer Maus

Der Zeichner Torben Kuhlmann erzählt in seinem Kinderbuch "Armstrong" die Reise einer Maus zum Mond. Die setzt sich gegen die Vorbehalte ihrer Artgenossen und gegen die Widrigkeiten dieser Reise mit viel Einfallsreichtum durch.

Von Thomas Linden |
    Die Sichel des zunehmenden Mondes leuchtet bei Einbruch der Dunkelheit am Himmel über dem brandenburgischen Sieversdorf (Oder-Spree), aufgenommen am 26.03.2012. 20 Prozent des Mondes sind zu sehen.
    Die Sichel des zunehmenden Mondes: Eine Maus bricht dorthin zur Reise auf. (dpa-Zentralbild/ Patrick Pleul )
    Dieses Buch hat abgegriffene Ecken und Kanten, blanke Stellen, die vom Vergehen der Zeit und den vielen Händen erzählen sollen, durch die es gegangen ist. Zahlreiche Konstruktionszeichnungen finden sich im Vorsatz, Zeitungsausschnitte mit breiten Schlagzeilen. Und immer ist da eine Maus, die in den Nachrichten oder in den Skizzen der Raketen und Raumkapseln auftaucht. "Armstrong" sammelt Erkenntnisse für eine Reise zum Mond, nur trifft sein Ehrgeiz auf wenig Interesse im Volk der Mäuse. Torben Kuhlmann erklärt, worin das Dilemma des kleinen Astronomen besteht.
    "In dieser Geschichte haben die Mäuse eine sehr krude Vorstellung von der Natur des Mondes entwickelt. Und dann kommt jemand mit einem wissenschaftlichen Instrument – einem Teleskop – beginnt, wirklich zu beobachten und stellt fest: So ist es eigentlich nicht. Er findet natürlich kein Gehör, weil alle anderen mittlerweile diese allgemeinen Gedanken adaptiert haben."
    Unser Held setzt sich jedoch in seiner Verzweiflung auf eine Kiste Parmesankäse und beginnt, die verträumte Mäusegesellschaft mit der harten Tatsache zu konfrontieren, dass der Mond eine große Steinkugel ist. Den Beweis kann er nur mit einem Stück Mondstaub erbringen, also muss er sich auf die Reise begeben. Zum Glück verfügt die Maus über genau jene Fähigkeit, die auch Kuhlmann beherrscht, denn sie vermag uns das, was sich im Inneren eines schöpferischen Wesens ereignet, sichtbar zu machen. Kuhlmann hat dazu eine eigene Theorie:
    "Ich finde, Zeichnen ist eine gute Verdeutlichung davon, wie Gedankenprozesse verlaufen, weil ungeplante Skizzen eine ungefilterte Art und Weise des Denkens sind. Bei der Maus ist das nicht anders, das sind einfach Gedankengespinste, die ungefiltert aufs Papier kommen. Und dabei entstehen dann Ideen. Für mich ist das Zeichnen eine Visualisierung von Gedankengängen. Bei der Maus ist das so und bei mir auch."
    Armstrong beginnt, ein Shuttle mit Raketenantrieb zu entwickeln. Dazu steht ihm jedoch nur das Material seiner Mäusewelt zur Verfügung. Zum Beispiel ein Strumpfband, mit dem er seine Raumkapsel - die er aus dem Gehäuse eines Weckers montiert hatte – auf einem Katapult in den Himmel schießt. Ein Versuch, der scheitert. Wobei das Scheitern ein grundsätzliches Thema in Kuhlmanns Geschichten ist. Fehlschläge machen die Geschichte erst so richtig interessant.
    Zeichnen aus der Perspektive der Maus
    Da die Maus klein ist, wird alles aus der Untersicht erzählt. Und das ist jene Perspektive – die Erwachsenen vergessen das allzu schnell – die auch dem Blickwinkel der Kinder entspricht. Kuhlmanns Helden fühlen sich aber nicht klein, sondern glauben an sich. So wird die Maus schließlich auch ihre Spuren auf dem Mond hinterlassen. Wir kennen ihre Fußspuren dann schon, weil sie zuvor für den Helm des Raumanzugs ein gläsernes Tintenfass verwendet hatte. Dessen Inhalt war ihr über die Zehen gelaufen, sodass man ihre Füße auf dem Papier sehen konnte. Kuhlmann bereitet solche Szenen mit der Umsicht eines Drehbuchautors vor.
    Seine Illustrationen entfachen dabei eine besondere Lust an der gegenständlichen Welt. Durch den Blick der Maus sehen wir ein Paar Rollschuhe, einen Autoscheinwerfer, Bücher, Käse oder eine Nadel anders. Die Schönheit ihrer Formen wird uns bewusst. Und die Tatsache, dass sie uns nicht einfach gegeben sind, sondern jeder Gegenstand eine Geschichte seiner Herstellung besitzt, die sich auch Kuhlmann erst erarbeiten muss.
    "Wenn ich zurückblicke auf die ersten Zeichnungen, die ich als kleines Kind gemacht habe, dann ging es auch immer darum, Dinge zu verstehen, zu begreifen und sie dann wiederzugeben. Und das ist nie so ganz verschwunden. Wenn ich mir eine Szenerie überlege, geht es mir auch darum, die einzelne Objekte, die zu sehen sind, zu verstehen. Das muss ich ein Stückweit auch, damit ich sie zeichnen kann, aber dadurch ergibt sich dann automatisch für mich die realistische Anmutung des Ganzen."
    Ob sich die Maus nun, während sie ihren Raumanzug näht, zwischen großen, prallen Garnrollen bewegt oder im Hörsaal der Uni auf der Deckenlampe hockt, um sich astronomische Vorträge anzuhören, hier wie dort produziert die kühne Wahl der Perspektive großes Kino. Kein Wunder also, dass die Geschichte im New York der 1950er-Jahre spielt, dort sind die Autos imposanter und die Schluchten zwischen den Wolkenkratzern steiler als irgendwo sonst auf der Welt. Kuhlmann veranstaltet eine raffinierte Orchestrierung zwischen den Panoramablicken der Doppelseiten und den kleinteiligen Einzelbildern, in denen der Fortgang der Geschichte betrieben wird. So zerlegt er das Abenteuer der Mondfahrt in zahlreiche Episoden, die das dramatische Potenzial an- und abschwellen lassen.
    Akribische Recherche als Grundlage
    Dass Kuhlmann mit der Maus einen neuen Star der Bilderbuchszene etablieren konnte, liegt auch an der akribischen Recherche, mit der er ihre Körpersprache über die fotografischen Vorlagen des Internets hinaus studiert hat.
    "Es gibt ein paar Posen, da ist es sehr schwierig oder für mich war es schwierig dazu passende Bilder zu finden. Zum Beispiel eine Maus, die auf zwei Beinen steht, was im Buch relativ häufig vorkommt. Seltsamerweise gibt es davon nicht viele Fotos, aber wenn man sie sich in der Zoohandlung anschaut, klettern sie häufig an der Scheibe hoch und stehen auf zwei Beinen. Das war sehr hilfreich."
    Armstrong ist eben keine ungezählte Variante der Disney-Maus. Ihre Gestalt wird nicht stilisiert, weil sie im Zeichentrickformat nicht in das authentische Bild einer vergangenen Epoche gepasst hätte, wie Kuhlmann es detailgenau entwirft.
    "Dann war es für mich fast interessanter, die Maus so wenig wie möglich zu vermenschlichen und wirklich als dieses kleine graue Fellknäuel zu zeigen, wie man es in der normalen Welt auch kennt."
    Eine Entscheidung, die Armstrong einen unverwechselbaren Look verleiht. Professionalität zeichnet dieses gesamte Projekt aus, zu dem der Illustrator selbst einen in Rhythmus und Pointe makellos formulierten Text liefert. Kuhlmann widersteht der Versuchung, aus der Geschichte einen Comic mit zahlreichen Verlaufszeichnungen zu machen. Vielmehr schenkt er uns ein Bilderbuch, das mit jeder Illustration eine neue Bildidee bietet. Das Ergebnis ist so üppig, dass man dieses Buch immer wieder hervorholen kann und stets neue Details in seinen wundervollen Panoramen entdecken wird.
    Torben Kuhlmann: "Armstrong: Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond"
    NordSüd Verlag, 128 Seiten, Preis: 19,99 Euro