"Hey, na wie geht's? Warum läufst Du denn so schick rum?"
"War gerade auf der Ausbildungsmesse, hab' mich da so ein bisschen umgeschaut. Aber irgendwie weiß ich noch nicht so richtig ... "
"Also wir machen eine kaufmännische Ausbildung bei der Barmenia."
"Daran hatte ich auch schon gedacht, aber ganz ehrlich, das stelle ich mir total trocken vor."
Den ganzen Tag Akten sortieren - mit diesem Vorurteil spielt der kleine Werbefilm der Barmenia-Versicherung gezielt, um es anschließend zu widerlegen. Die Auszubildenden des Unternehmens haben den Film unter Anleitung selbst gedreht. Er ist auf der Internetseite und auf dem Portal Youtube zu sehen. Die Versicherung vergibt jedes Jahr mehr als 30 Stellen, nur eine ist kurz vor Beginn des neuen Lehrjahres am 1. August noch frei. Dennoch: Ohne Werbung geht es nicht, sagt Darius Santowski, Referent für Berufsausbildung bei der Barmenia.
"Wir nutzen jetzt auch verstärkt die neuen Medien, seien es Social Media oder auch die Internetpräsenz. Darüber hinaus haben wir natürlich unsere Kontaktstellen zur Arbeitsagentur und zur IHK, wo wir unsere Ausbildungsplätze publizieren. Darüber kriegen wir natürlich auch eine ganze Menge an Bewerbungen."
Noch hat das Unternehmen keine Schwierigkeiten, geeignete Auszubildende zu finden - der Versicherungskaufmann rangiert auf der Hitliste der beliebtesten Berufe noch immer weit vorn. Doch auch wenn Darius Santowski und seine Kollegen im Jahr mehr als 500 Bewerbungen auf den Tisch bekommen - der drohende Fachkräftemangel ist bei der Versicherung ein Thema. Deswegen ist das Unternehmen auf Ausbildungsbörsen präsent, an diesem Nachmittag in einem Wuppertaler Einkaufszentrum. Am Stand der Barmenia gibt Azubi Rinat Khakimjanov interessierten Jugendlichen Auskunft über die Ausbildung.
"Eigentlich sehr spannend, sehr interessant, man lernt viele neue Leute kennen. Man hat viel zur Ausbildung gelernt. Am Anfang war es auch ein wenig anstrengend, da man viele neue Sachen lernen musste. Aber inzwischen hat man sich eingelebt, man hat viele Leute kennengelernt, man hat den Betrieb kennengelernt. Inzwischen ist es schon sehr gut da."
Die Ausbildungsstelle zum Fachinformatiker hat der 21-Jährige über ein Praktikum gefunden - inzwischen der klassische Einstieg bei vielen Unternehmen. Interessenten müssen häufig ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren durchlaufen, nicht zuletzt weil sich die Unternehmen die Ausbildung der Jugendlichen mittlerweile gern etwas kosten lassen. Wer die Prüfung besteht, hat nach der Lehre gute Berufsaussichten, sagt Darius Santowski:
"Die Chance der Azubis übernommen zu werden ist sehr groß. Wir geben keine Garantie, haben es aber in der Vergangenheit immer geschafft, den Azubis einen anschließenden Vertrag anzubieten, weil wir natürlich immer viel Bewegung haben und in der Vergangenheit unsere Mitarbeiterkapazitäten ausgebaut haben. Wir gucken bei jedem Einzelnen, wo sind seine Stärken und wo haben wir im Haus offene Stellen, die wir damit auch besetzen können."
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Im Juli waren bei der Bundesagentur für Arbeit 135.700 unbesetzte Stellen gemeldet, 27.000 mehr als im Vorjahr. Als noch unversorgt gelten 145.800 Bewerber, rund 7.000 weniger als im Juli 2010 - eine leichte Entspannung, aber noch keine Entwarnung. Die Bundesregierung scheint den Lehrstellenmangel dagegen bereits als Problem der Vergangenheit zu betrachten. Bundesbildungsministerin Annette Schavan bei der Vorstellung des Bundesbildungsberichts im Frühjahr:
"Positive Perspektive für die Jugendlichen. Wir werden in der nächsten Dekade eine ganz andere Situation erleben als in den letzten Jahrzehnten im Blick auf den Fachkräftebedarf. Im letzten Jahrzehnt stand im Vordergrund, genügend Ausbildungsplätze zu bekommen, in den nächsten Jahren wird im Vordergrund stehen, Jugendliche in die Ausbildungsplätze zu bekommen, die angeboten werden und diejenigen, die sich schwertun, so zu qualifizieren und zu begleiten, dass sie in eine Ausbildung gehen können. Das ist die Quintessenz des Berufsbildungsberichts 2011."
Noch im Jahr 2004 stellte sich die Situation ganz anders dar: Damals fanden mehrere zehntausend Jugendliche auch nach langer Suche keine Lehrstelle. Die Bundesregierung feilschte daraufhin lange mit den Wirtschaftsverbänden um den Ausbildungspakt. Handwerk und Industrie verpflichteten sich schließlich, allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen ein Angebot zu unterbreiten. 30.000 neue Lehrstellen pro Jahr sollten entstehen. Im Gegenzug verzichtete die Bundesregierung auf die angedrohte Ausbildungsplatzabgabe für Unternehmen, die keine Lehrstellen anbieten. Für die Wirtschaft ein guter Handel. Entsprechend zufrieden sind ihre Vertreter. Gregor Berghausen von der Industrie- und Handelskammer Köln.
"Der Ausbildungspakt war in erster Linie ein sehr, sehr wichtiges Instrument, um staatliche Eingriffe in das Ausbildungssystem zu verhindern. Da hat er auch vollständig funktioniert. Denn es ist eine klare Selbstverpflichtung der Wirtschaft gewesen zu sagen: Wir lösen das Problem in den Strukturen, die bewährt sind, und wir brauchen keine staatlichen Zwangseingriffe. Das hat funktioniert, und ich glaube, man kann heute sagen: Der Ausbildungspakt war das Beste, was dem Berufsbildenden System in Deutschland passieren konnte."
Die Gewerkschaften halten dagegen: Der Pakt sei von Anfang an eine Mogel-Packung gewesen. Der DGB boykottiert die Vereinbarung nach wie vor. Der Vorwurf: Bundesregierung und Arbeitgeber hätten die Statistik geschönt, sagte DGB-Vize Ingrid Sehrbrock im vergangen Jahr, als der Pakt noch einmal verlängert wurde:
"Wir haben den Eindruck, dass die Paktpartner die Lage auf dem Ausbildungsmarkt schön rechnen. Bundesregierung und Arbeitgeber sehen auch im Jahr 72.000 Jugendliche schon als versorgt an, wenn sie in berufsvorbereitenden Maßnahmen stecken oder in Praktika oder Einstiegsqualifizierungen, obwohl sie von der Bundesagentur als ausbildungsreif eingestuft wurden. Offenbar geht es aber den Paktpartnern mehr um den Erfolg auf der Pressekonferenz als um ernsthaft um die Ausbildung von jungen Fachkräften."
Die Unternehmen kontern: Sie seien ihren Verpflichtungen nachgekommen und hätten jedes Jahr 25.000 Jugendlichen mit eingeschränkten Vermittlungsperspektiven eine Einstiegsqualifizierung angeboten. Das ist allerdings auch so im Ausbildungspakt festgeschrieben. Und die Unternehmen erhalten dafür auch staatliche Unterstützung. Außerdem beklagt die Wirtschaft, sie fände bereits jetzt für viele offene Stellen keine geeigneten Bewerber. Professor Friedrich Hubert Esser leitet das Bundesinstitut für Berufsbildung. Seiner Einschätzung nach haben die Unternehmen inzwischen verstanden, dass sie schon aus Eigeninteresse mehr ausbilden müssen.
"Wir können absehen, dass wir spätestens ab 2015 mehr Probleme bekommen in verschiedenen Branchen, was die Fachkräftesicherung angeht. Das hat wieder etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun. Gerade die Säule der Ausbildung, unsere kleinen Betriebe, beispielsweise Handwerksbetriebe, setzen bei der Rekrutierung verstärkt auf die Ausbildung."
Bereits am frühen Morgen ist Christian Baumann mit seinem Kollegen auf der Baustelle in einem Kölner Mehrfamilienhaus.
"Wir drücken gerade die Gasleitung ab, das heißt, wir gucken, ob die dicht ist."
Christian Baumann ist Azubi im dritten Lehrjahr bei der Heizungsfirma Püttmann. Als Hauptschulabsolvent mit schlechten Noten hatte er sich zunächst ein Jahr lang erfolglos beworben.
"Ja, war schwierig, ich habe lange gebraucht, bis ich eine Lehrstelle gefunden habe. Ich habe auch ein Berufsgrundschuljahr gemacht, weil ich nicht direkt eine Ausbildung gefunden habe."
Michael Püttmann hat in den vergangenen Jahren immer wieder Hauptschüler mit schlechten Noten ausgebildet. Sie mussten den Wissenstest der Innung bestehen, einen guten Eindruck im Vorstellungsgespräch machen und bei einem Praktikum zeigen, dass sie sich für den Beruf interessieren. Ein weiteres Kriterium, auf das Michael Püttmann nach vielen Jahren Erfahrung mit Azubis achtet: ein intaktes Elternhaus.
"Das ist ja das Riesenproblem, dass einfach viel zu viele Probleme zu Hause haben. Der Vater kümmert sich nicht, die Mutter kümmert sich nicht, die sind getrennt. Der Junge wohnt alleine bei der Oma. Kann ja auch alles gut und schön sein, aber wir haben auch wirklich einige, die es nicht geschafft haben, die ich vorzeitig entlassen habe. Die sind einfach nicht zur Arbeit gekommen, die haben nicht angerufen, die sind dauerhaft krank. Die Auszubildenden haben privat einfach zu viele Probleme."
Ein Problem, mit dem der Geschäftsführer nicht alleine dasteht: Der Zentralverband des deutschen Handwerks geht sogar davon aus, dass jeder vierte Jugendliche nicht ausbildungsfähig sei - und da helfen nach Einschätzung von Michael Püttmann auch Einstiegsqualifizierungen wenig. Aus den negativen Erfahrungen der vergangenen Jahre zieht er jetzt die Konsequenz: Statt bisher 18 Azubis will er künftig nur noch acht ausbilden, und die dafür intensiver vorher testen.
Denn Püttmann weiß: Er wird wegen des drohenden Fachkräftemangels in Zukunft verstärkt Azubis übernehmen müssen. Doch auch eine strenge Auswahl bringt nicht immer den gewünschten Erfolg, weiß Uwe Klose. Er ist beim Kölner Drahtwerk für die Ausbildung zum Fertigungsmechaniker zuständig.
"Wir führen einen recht einfachen Test durch: Grundrechenarten, ein bisschen logisches Denken. Die Schwelle ist eigentlich, dass 60, 70 Prozent erreicht werden sollten. Nur wir haben keinen Bewerber gehabt, der die 40-Prozent-Marke geknackt hätte. Dann sagen wir natürlich: dann lieber nicht."
Uwe Klose hätte gern noch einen weiteren Lehrling eingestellt, doch nach einer wochenlangen Auswahlphase haben er und seine Kollegen für dieses Jahr das Thema abgehakt. Klagen, die nach Einschätzung der Kammern und Innungen in den vergangenen Jahren immer häufiger zu hören sind. Ihr Kommentar: Wir haben genügend Lehrstellen mit Übernahmeperspektive im Angebot, finden aber keine geeigneten Kandidaten. Das sagt auch Uwe Klose:
"Wir bieten den jungen Leuten, wenn die Leistung in der Ausbildung stimmt, danach an, sich an der Abendschule weiterzubilden, den Techniker oder den Meister zu machen. Wir haben im Grunde genommen von 1983 an alle leitenden Stellen hier im Unternehmen durch ehemalige Auszubildende besetzt."
Nahmen die Firmen vor ein paar Jahren am liebsten Abiturienten, freuen sie sich inzwischen wieder über Bewerber mit einem guten Realschulabschluss, sagt Gregor Berghausen:
"Es ist mehr oder weniger der Wettbewerb unter den Unternehmen nicht nur um die besten Bewerber entbrannt, sondern auch um die beste Idee, wie man an gute Bewerber kommt."
Publikumsmagnet auf der Ausbildungsmesse im Wuppertaler Einkaufszentrum ist der Werkzeughersteller Knipex. Hier stehen gleich fünf Azubis im Blaumann hinter einer Werkbank, an der die Besucher selbst schrauben und hämmern dürfen. Tim Becker, im 3. Lehrjahr, gibt Tipps.
"Wir haben hier verschiedene Vorrichtungen, an denen wir zum einen unsere Zangen demonstrieren können, was für Kräfte man ausüben kann, zum Beispiel Klemmkräfte oder welches Drehmoment. Dann haben wir zum Beispiel hier eine Vorrichtung im Vergleich: ein normaler Maulschlüssel im Vergleich zu unserem Zangenschlüssel."
Zwei begeisterte Väter probieren schon seit fünf Minuten die verschiedenen Werkzeuge aus, während Tim Becker ihren Söhnen erklärt, was in seiner Branche zählt.
"Wenn wir jetzt mal so von den Schulnoten ausgehen: Mathe, klar, braucht man, ein bisschen Physikkenntnisse sind auch nicht schlecht. Aber am wichtigsten ist einfach das Interesse. Wenn einen das nicht interessiert, dann sollte man das auch nicht machen. Man muss wirklich eine Veranlagung dazu haben, gern zu schrauben oder zu basteln. Wenn das nicht der Fall ist, dann würde ich davon abraten. Dann macht es einfach keinen Spaß."
Aufmerksam blicken die beiden jungen Interessenten Tim Becker an. Dem macht seine neue Aufgabe als Werbeagent sichtlich Spaß. Im Hintergrund sieht ihm sein Ausbildungschef wohlwollend zu: Keiner könnte den Spaß an einer Lehre wohl glaubhafter vermitteln als ein begeisterter Azubi.
"Wir haben schon im zweiten Lehrjahr den Auftrag bekommen, uns selbst eine Produktionsmaschine mit einer neuen Werkzeugzufuhr auszudenken. Also eine kleine Ingenieursarbeit, und das schon im zweiten Lehrjahr. Das war für uns natürlich super interessant, sehr spannend. Und es hat uns Riesenspaß gemacht, da das ganze jetzt auch bei uns im Betrieb läuft, und da ist man schon ein Stückchen stolz drauf."
Souverän erklärt Tim Becker den Schülern die Inhalte des Lehrplans und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewerbung. Zum Schluss drückt er ihnen noch eine Hochglanzbroschüre zu den verschiedenen Ausbildungsberufen in seinem Unternehmen in die Hand - gleich mit dabei: Tipps für die Bewerbungsmappe. Sichtlich beeindruckt ziehen die beiden Jungen ab, an der Werkbank wartet schon der nächste Interessent. Auch die Industrie- und Handelskammern lassen sich etwas einfallen.
"Hallo und herzlich willkommen beim Azubi-Speed-Dating der IHK Köln."
"Ja, und ihr solltet jetzt so schnell wie möglich zum Rheinenergie-Stadion kommen, denn bei diesem Azubi-Speed-Dating habt ihr die Chance, in einem kleinen Bewerbungsgespräch zu einem Ausbildungsplatz zu kommen. Viel Erfolg dabei!"
Zwei gut gelaunte Moderatoren begrüßen die Zuschauer der Internet-Live-Übertragung des "Azubi-Speed-Datings" der Industrie- und Handelskammer aus einem Stadion in Köln. Die Gespräche dauern nur zehn Minuten, dann ertönt ein Gong, weiter geht es zum nächsten Infostand. Für einen ersten Eindruck reicht es, und die Interessenten können mehrere Unternehmen an einem Tag kennenlernen.
Rund 600 Jugendliche und 50 Unternehmen waren in diesem Jahr dabei: Wie viele Verträge im Anschluss tatsächlich abgeschlossen wurden, weiß man bei der IHK allerdings nicht. Hauptsache topmodern mit eigener Facebook-Seite und Twitter-Account - wer im neuen Ideenwettbewerb um die Aufmerksamkeit der plötzlich rar gewordenen Azubis bestehen will, muss mit der Zeit gehen.
"Das Schülerportal 'Planet Beruf.de - mein Start in die Ausbildung‘ versorgt Schüler im Alter zwischen 13 und 17 in jeder Stufe der Berufswahl mit den richtigen Informationen."
Hinter dieser Idee steht die Bundesagentur für Arbeit. Auch sie hat verstanden, dass die meisten Schüler nicht mehr ins Berufsinformationszentrum gehen, sondern das Internet nutzen. Wer noch gar nicht weiß, was er werden möchte, kann sich auf "Planet Beruf" zunächst Broschüren über generelle Arbeitsmöglichkeiten in den Bereichen Computer, Gebäudetechnik oder Metallerzeugung herunterladen. Je weiter man blättert, desto differenzierter wird das Bild, bis am Ende alle möglichen Ausbildungsberufe der Branche mit Kurzbeschreibung und Verdienstmöglichkeiten aufgelistet sind.
Prägnante Texte, viele Fotos von Azubis bei der Arbeit und weiterführende Links bis hin zu Ansprechpartnern bei Unternehmen: Schritt für Schritt können sich die Nutzer durch das Angebot klicken und so einen guten Überblick bekommen. Denn das große Problem vieler Betriebe, die Azubis suchen, ist: Im Schnitt kennen Schüler noch immer nur acht bis zehn der über 300 anerkannten Lehrberufe. Und schließlich kann nicht jeder Einzelhandelskaufmann lernen. Dieser Beruf steht immer noch auf Platz eins der Hitliste bei Jugendlichen. Selbst wenn man einen Ausbildungsplatz findet, sind die Chancen, anschließend arbeitslos zu werden, in den Trendberufen oft deutlich höher als in weniger bekannten und beliebten Branchen. Deswegen stellt das Portal jede Woche besonders ausgefallene Jobs vor.
"Du möchtest dein Hobby zum Beruf machen? Falls du handwerklich begabt und musikalisch bist, in Mathe und Physik etwas drauf hast, kannst du in einer Ausbildung erlernen, wie man ein Instrument anfertigt."
In anschaulichen Reportagen werden im nächsten Schritt die verschiedenen Auswahlmöglichkeiten erläutert: Geigenbauer, Holzblasinstrumentenmacher, Zupfinstrumentenmacher. Dazu ein kleiner Test, bei dem Schüler ihre musikalischen Fähigkeiten einschätzen können. Für eher technisch Interessierte gibt es ein Porträt eines gerade erst geschaffenen Berufs: Die Ausbildung zum Geomatiker, einem Experten für die Erfassung von Raumdaten, am Heinrich-Hertz-Europa-Kolleg in Bonn.
"Dieser Beruf ist sehr zukunftsträchtig. Erinnern Sie sich an die Entwicklung bei Google Earth. Das konnte man vor zehn Jahren noch nicht absehen. Erinnern Sie sich jetzt an Smartphones, die digitalen Kameras sind mittlerweile mit GPS ausgestattet, von daher kann man eigentlich absehen, dass die neuen technischen Entwicklungen genau in die Richtung zeigen, die der Geomatiker versucht abzubilden."
Als stellvertretender Leiter des Bonner Kollegs hat Bernd Kunz gute Kontakte zu zahlreichen Unternehmen der Branche - die suchen händeringend Fachkräfte in dem neuen Bereich, zu dem es bis vor einem Jahr noch keine passgenaue Ausbildung gab. Nun gilt es, bei jungen Menschen das Interesse für den modernen Beruf zu wecken. Lucia Rütten ist die erste, die sich getraut hat, den Schritt zu wagen.
"Ich habe schon studiert, ich habe Agrarwissenschaften studiert und war dann nach meinem Abschluss ein Jahr lang arbeitslos und habe in der Bewerbungsphase gemerkt, dass dieser Bereich Geoinformationssysteme gerade auch im Bereich Naturschutz immer wichtiger wird und dass das aber im Studium gefehlt hat. Dann habe ich zufällig den Ausbildungsberuf Geomatiker gefunden, hab' mich beworben und bin dann direkt genommen worden."
Das erste Berufsschuljahr hat Lucia gemeinsam mit den Auszubildenden zum Vermessungstechniker absolviert. In der Spezialisierungsphase im zweiten Jahr werden die Fachrichtungen dann getrennt unterrichtet. Vize-Schulleiter Bernd Kunz sieht für beide Berufsgruppen gute Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz.
"Es gibt im Moment leider sehr viele Betriebe, die rufen hier in der Schule an und fragen, ob ich nicht jemanden wüsste, der eine Stelle benötigt. Es ist leider so, dass viele Betriebe in der Vergangenheit nicht ausgebildet haben. Da können Sie sich vorstellen, was meine erste Reaktion ist: Hätten Sie mal ausgebildet. Den Schülern, die sich jetzt in der Ausbildung befinden, denen gebe ich gute Chancen, dass sie eine Übernahme bekommen in ihrem Betrieb."
"War gerade auf der Ausbildungsmesse, hab' mich da so ein bisschen umgeschaut. Aber irgendwie weiß ich noch nicht so richtig ... "
"Also wir machen eine kaufmännische Ausbildung bei der Barmenia."
"Daran hatte ich auch schon gedacht, aber ganz ehrlich, das stelle ich mir total trocken vor."
Den ganzen Tag Akten sortieren - mit diesem Vorurteil spielt der kleine Werbefilm der Barmenia-Versicherung gezielt, um es anschließend zu widerlegen. Die Auszubildenden des Unternehmens haben den Film unter Anleitung selbst gedreht. Er ist auf der Internetseite und auf dem Portal Youtube zu sehen. Die Versicherung vergibt jedes Jahr mehr als 30 Stellen, nur eine ist kurz vor Beginn des neuen Lehrjahres am 1. August noch frei. Dennoch: Ohne Werbung geht es nicht, sagt Darius Santowski, Referent für Berufsausbildung bei der Barmenia.
"Wir nutzen jetzt auch verstärkt die neuen Medien, seien es Social Media oder auch die Internetpräsenz. Darüber hinaus haben wir natürlich unsere Kontaktstellen zur Arbeitsagentur und zur IHK, wo wir unsere Ausbildungsplätze publizieren. Darüber kriegen wir natürlich auch eine ganze Menge an Bewerbungen."
Noch hat das Unternehmen keine Schwierigkeiten, geeignete Auszubildende zu finden - der Versicherungskaufmann rangiert auf der Hitliste der beliebtesten Berufe noch immer weit vorn. Doch auch wenn Darius Santowski und seine Kollegen im Jahr mehr als 500 Bewerbungen auf den Tisch bekommen - der drohende Fachkräftemangel ist bei der Versicherung ein Thema. Deswegen ist das Unternehmen auf Ausbildungsbörsen präsent, an diesem Nachmittag in einem Wuppertaler Einkaufszentrum. Am Stand der Barmenia gibt Azubi Rinat Khakimjanov interessierten Jugendlichen Auskunft über die Ausbildung.
"Eigentlich sehr spannend, sehr interessant, man lernt viele neue Leute kennen. Man hat viel zur Ausbildung gelernt. Am Anfang war es auch ein wenig anstrengend, da man viele neue Sachen lernen musste. Aber inzwischen hat man sich eingelebt, man hat viele Leute kennengelernt, man hat den Betrieb kennengelernt. Inzwischen ist es schon sehr gut da."
Die Ausbildungsstelle zum Fachinformatiker hat der 21-Jährige über ein Praktikum gefunden - inzwischen der klassische Einstieg bei vielen Unternehmen. Interessenten müssen häufig ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren durchlaufen, nicht zuletzt weil sich die Unternehmen die Ausbildung der Jugendlichen mittlerweile gern etwas kosten lassen. Wer die Prüfung besteht, hat nach der Lehre gute Berufsaussichten, sagt Darius Santowski:
"Die Chance der Azubis übernommen zu werden ist sehr groß. Wir geben keine Garantie, haben es aber in der Vergangenheit immer geschafft, den Azubis einen anschließenden Vertrag anzubieten, weil wir natürlich immer viel Bewegung haben und in der Vergangenheit unsere Mitarbeiterkapazitäten ausgebaut haben. Wir gucken bei jedem Einzelnen, wo sind seine Stärken und wo haben wir im Haus offene Stellen, die wir damit auch besetzen können."
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Im Juli waren bei der Bundesagentur für Arbeit 135.700 unbesetzte Stellen gemeldet, 27.000 mehr als im Vorjahr. Als noch unversorgt gelten 145.800 Bewerber, rund 7.000 weniger als im Juli 2010 - eine leichte Entspannung, aber noch keine Entwarnung. Die Bundesregierung scheint den Lehrstellenmangel dagegen bereits als Problem der Vergangenheit zu betrachten. Bundesbildungsministerin Annette Schavan bei der Vorstellung des Bundesbildungsberichts im Frühjahr:
"Positive Perspektive für die Jugendlichen. Wir werden in der nächsten Dekade eine ganz andere Situation erleben als in den letzten Jahrzehnten im Blick auf den Fachkräftebedarf. Im letzten Jahrzehnt stand im Vordergrund, genügend Ausbildungsplätze zu bekommen, in den nächsten Jahren wird im Vordergrund stehen, Jugendliche in die Ausbildungsplätze zu bekommen, die angeboten werden und diejenigen, die sich schwertun, so zu qualifizieren und zu begleiten, dass sie in eine Ausbildung gehen können. Das ist die Quintessenz des Berufsbildungsberichts 2011."
Noch im Jahr 2004 stellte sich die Situation ganz anders dar: Damals fanden mehrere zehntausend Jugendliche auch nach langer Suche keine Lehrstelle. Die Bundesregierung feilschte daraufhin lange mit den Wirtschaftsverbänden um den Ausbildungspakt. Handwerk und Industrie verpflichteten sich schließlich, allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen ein Angebot zu unterbreiten. 30.000 neue Lehrstellen pro Jahr sollten entstehen. Im Gegenzug verzichtete die Bundesregierung auf die angedrohte Ausbildungsplatzabgabe für Unternehmen, die keine Lehrstellen anbieten. Für die Wirtschaft ein guter Handel. Entsprechend zufrieden sind ihre Vertreter. Gregor Berghausen von der Industrie- und Handelskammer Köln.
"Der Ausbildungspakt war in erster Linie ein sehr, sehr wichtiges Instrument, um staatliche Eingriffe in das Ausbildungssystem zu verhindern. Da hat er auch vollständig funktioniert. Denn es ist eine klare Selbstverpflichtung der Wirtschaft gewesen zu sagen: Wir lösen das Problem in den Strukturen, die bewährt sind, und wir brauchen keine staatlichen Zwangseingriffe. Das hat funktioniert, und ich glaube, man kann heute sagen: Der Ausbildungspakt war das Beste, was dem Berufsbildenden System in Deutschland passieren konnte."
Die Gewerkschaften halten dagegen: Der Pakt sei von Anfang an eine Mogel-Packung gewesen. Der DGB boykottiert die Vereinbarung nach wie vor. Der Vorwurf: Bundesregierung und Arbeitgeber hätten die Statistik geschönt, sagte DGB-Vize Ingrid Sehrbrock im vergangen Jahr, als der Pakt noch einmal verlängert wurde:
"Wir haben den Eindruck, dass die Paktpartner die Lage auf dem Ausbildungsmarkt schön rechnen. Bundesregierung und Arbeitgeber sehen auch im Jahr 72.000 Jugendliche schon als versorgt an, wenn sie in berufsvorbereitenden Maßnahmen stecken oder in Praktika oder Einstiegsqualifizierungen, obwohl sie von der Bundesagentur als ausbildungsreif eingestuft wurden. Offenbar geht es aber den Paktpartnern mehr um den Erfolg auf der Pressekonferenz als um ernsthaft um die Ausbildung von jungen Fachkräften."
Die Unternehmen kontern: Sie seien ihren Verpflichtungen nachgekommen und hätten jedes Jahr 25.000 Jugendlichen mit eingeschränkten Vermittlungsperspektiven eine Einstiegsqualifizierung angeboten. Das ist allerdings auch so im Ausbildungspakt festgeschrieben. Und die Unternehmen erhalten dafür auch staatliche Unterstützung. Außerdem beklagt die Wirtschaft, sie fände bereits jetzt für viele offene Stellen keine geeigneten Bewerber. Professor Friedrich Hubert Esser leitet das Bundesinstitut für Berufsbildung. Seiner Einschätzung nach haben die Unternehmen inzwischen verstanden, dass sie schon aus Eigeninteresse mehr ausbilden müssen.
"Wir können absehen, dass wir spätestens ab 2015 mehr Probleme bekommen in verschiedenen Branchen, was die Fachkräftesicherung angeht. Das hat wieder etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun. Gerade die Säule der Ausbildung, unsere kleinen Betriebe, beispielsweise Handwerksbetriebe, setzen bei der Rekrutierung verstärkt auf die Ausbildung."
Bereits am frühen Morgen ist Christian Baumann mit seinem Kollegen auf der Baustelle in einem Kölner Mehrfamilienhaus.
"Wir drücken gerade die Gasleitung ab, das heißt, wir gucken, ob die dicht ist."
Christian Baumann ist Azubi im dritten Lehrjahr bei der Heizungsfirma Püttmann. Als Hauptschulabsolvent mit schlechten Noten hatte er sich zunächst ein Jahr lang erfolglos beworben.
"Ja, war schwierig, ich habe lange gebraucht, bis ich eine Lehrstelle gefunden habe. Ich habe auch ein Berufsgrundschuljahr gemacht, weil ich nicht direkt eine Ausbildung gefunden habe."
Michael Püttmann hat in den vergangenen Jahren immer wieder Hauptschüler mit schlechten Noten ausgebildet. Sie mussten den Wissenstest der Innung bestehen, einen guten Eindruck im Vorstellungsgespräch machen und bei einem Praktikum zeigen, dass sie sich für den Beruf interessieren. Ein weiteres Kriterium, auf das Michael Püttmann nach vielen Jahren Erfahrung mit Azubis achtet: ein intaktes Elternhaus.
"Das ist ja das Riesenproblem, dass einfach viel zu viele Probleme zu Hause haben. Der Vater kümmert sich nicht, die Mutter kümmert sich nicht, die sind getrennt. Der Junge wohnt alleine bei der Oma. Kann ja auch alles gut und schön sein, aber wir haben auch wirklich einige, die es nicht geschafft haben, die ich vorzeitig entlassen habe. Die sind einfach nicht zur Arbeit gekommen, die haben nicht angerufen, die sind dauerhaft krank. Die Auszubildenden haben privat einfach zu viele Probleme."
Ein Problem, mit dem der Geschäftsführer nicht alleine dasteht: Der Zentralverband des deutschen Handwerks geht sogar davon aus, dass jeder vierte Jugendliche nicht ausbildungsfähig sei - und da helfen nach Einschätzung von Michael Püttmann auch Einstiegsqualifizierungen wenig. Aus den negativen Erfahrungen der vergangenen Jahre zieht er jetzt die Konsequenz: Statt bisher 18 Azubis will er künftig nur noch acht ausbilden, und die dafür intensiver vorher testen.
Denn Püttmann weiß: Er wird wegen des drohenden Fachkräftemangels in Zukunft verstärkt Azubis übernehmen müssen. Doch auch eine strenge Auswahl bringt nicht immer den gewünschten Erfolg, weiß Uwe Klose. Er ist beim Kölner Drahtwerk für die Ausbildung zum Fertigungsmechaniker zuständig.
"Wir führen einen recht einfachen Test durch: Grundrechenarten, ein bisschen logisches Denken. Die Schwelle ist eigentlich, dass 60, 70 Prozent erreicht werden sollten. Nur wir haben keinen Bewerber gehabt, der die 40-Prozent-Marke geknackt hätte. Dann sagen wir natürlich: dann lieber nicht."
Uwe Klose hätte gern noch einen weiteren Lehrling eingestellt, doch nach einer wochenlangen Auswahlphase haben er und seine Kollegen für dieses Jahr das Thema abgehakt. Klagen, die nach Einschätzung der Kammern und Innungen in den vergangenen Jahren immer häufiger zu hören sind. Ihr Kommentar: Wir haben genügend Lehrstellen mit Übernahmeperspektive im Angebot, finden aber keine geeigneten Kandidaten. Das sagt auch Uwe Klose:
"Wir bieten den jungen Leuten, wenn die Leistung in der Ausbildung stimmt, danach an, sich an der Abendschule weiterzubilden, den Techniker oder den Meister zu machen. Wir haben im Grunde genommen von 1983 an alle leitenden Stellen hier im Unternehmen durch ehemalige Auszubildende besetzt."
Nahmen die Firmen vor ein paar Jahren am liebsten Abiturienten, freuen sie sich inzwischen wieder über Bewerber mit einem guten Realschulabschluss, sagt Gregor Berghausen:
"Es ist mehr oder weniger der Wettbewerb unter den Unternehmen nicht nur um die besten Bewerber entbrannt, sondern auch um die beste Idee, wie man an gute Bewerber kommt."
Publikumsmagnet auf der Ausbildungsmesse im Wuppertaler Einkaufszentrum ist der Werkzeughersteller Knipex. Hier stehen gleich fünf Azubis im Blaumann hinter einer Werkbank, an der die Besucher selbst schrauben und hämmern dürfen. Tim Becker, im 3. Lehrjahr, gibt Tipps.
"Wir haben hier verschiedene Vorrichtungen, an denen wir zum einen unsere Zangen demonstrieren können, was für Kräfte man ausüben kann, zum Beispiel Klemmkräfte oder welches Drehmoment. Dann haben wir zum Beispiel hier eine Vorrichtung im Vergleich: ein normaler Maulschlüssel im Vergleich zu unserem Zangenschlüssel."
Zwei begeisterte Väter probieren schon seit fünf Minuten die verschiedenen Werkzeuge aus, während Tim Becker ihren Söhnen erklärt, was in seiner Branche zählt.
"Wenn wir jetzt mal so von den Schulnoten ausgehen: Mathe, klar, braucht man, ein bisschen Physikkenntnisse sind auch nicht schlecht. Aber am wichtigsten ist einfach das Interesse. Wenn einen das nicht interessiert, dann sollte man das auch nicht machen. Man muss wirklich eine Veranlagung dazu haben, gern zu schrauben oder zu basteln. Wenn das nicht der Fall ist, dann würde ich davon abraten. Dann macht es einfach keinen Spaß."
Aufmerksam blicken die beiden jungen Interessenten Tim Becker an. Dem macht seine neue Aufgabe als Werbeagent sichtlich Spaß. Im Hintergrund sieht ihm sein Ausbildungschef wohlwollend zu: Keiner könnte den Spaß an einer Lehre wohl glaubhafter vermitteln als ein begeisterter Azubi.
"Wir haben schon im zweiten Lehrjahr den Auftrag bekommen, uns selbst eine Produktionsmaschine mit einer neuen Werkzeugzufuhr auszudenken. Also eine kleine Ingenieursarbeit, und das schon im zweiten Lehrjahr. Das war für uns natürlich super interessant, sehr spannend. Und es hat uns Riesenspaß gemacht, da das ganze jetzt auch bei uns im Betrieb läuft, und da ist man schon ein Stückchen stolz drauf."
Souverän erklärt Tim Becker den Schülern die Inhalte des Lehrplans und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewerbung. Zum Schluss drückt er ihnen noch eine Hochglanzbroschüre zu den verschiedenen Ausbildungsberufen in seinem Unternehmen in die Hand - gleich mit dabei: Tipps für die Bewerbungsmappe. Sichtlich beeindruckt ziehen die beiden Jungen ab, an der Werkbank wartet schon der nächste Interessent. Auch die Industrie- und Handelskammern lassen sich etwas einfallen.
"Hallo und herzlich willkommen beim Azubi-Speed-Dating der IHK Köln."
"Ja, und ihr solltet jetzt so schnell wie möglich zum Rheinenergie-Stadion kommen, denn bei diesem Azubi-Speed-Dating habt ihr die Chance, in einem kleinen Bewerbungsgespräch zu einem Ausbildungsplatz zu kommen. Viel Erfolg dabei!"
Zwei gut gelaunte Moderatoren begrüßen die Zuschauer der Internet-Live-Übertragung des "Azubi-Speed-Datings" der Industrie- und Handelskammer aus einem Stadion in Köln. Die Gespräche dauern nur zehn Minuten, dann ertönt ein Gong, weiter geht es zum nächsten Infostand. Für einen ersten Eindruck reicht es, und die Interessenten können mehrere Unternehmen an einem Tag kennenlernen.
Rund 600 Jugendliche und 50 Unternehmen waren in diesem Jahr dabei: Wie viele Verträge im Anschluss tatsächlich abgeschlossen wurden, weiß man bei der IHK allerdings nicht. Hauptsache topmodern mit eigener Facebook-Seite und Twitter-Account - wer im neuen Ideenwettbewerb um die Aufmerksamkeit der plötzlich rar gewordenen Azubis bestehen will, muss mit der Zeit gehen.
"Das Schülerportal 'Planet Beruf.de - mein Start in die Ausbildung‘ versorgt Schüler im Alter zwischen 13 und 17 in jeder Stufe der Berufswahl mit den richtigen Informationen."
Hinter dieser Idee steht die Bundesagentur für Arbeit. Auch sie hat verstanden, dass die meisten Schüler nicht mehr ins Berufsinformationszentrum gehen, sondern das Internet nutzen. Wer noch gar nicht weiß, was er werden möchte, kann sich auf "Planet Beruf" zunächst Broschüren über generelle Arbeitsmöglichkeiten in den Bereichen Computer, Gebäudetechnik oder Metallerzeugung herunterladen. Je weiter man blättert, desto differenzierter wird das Bild, bis am Ende alle möglichen Ausbildungsberufe der Branche mit Kurzbeschreibung und Verdienstmöglichkeiten aufgelistet sind.
Prägnante Texte, viele Fotos von Azubis bei der Arbeit und weiterführende Links bis hin zu Ansprechpartnern bei Unternehmen: Schritt für Schritt können sich die Nutzer durch das Angebot klicken und so einen guten Überblick bekommen. Denn das große Problem vieler Betriebe, die Azubis suchen, ist: Im Schnitt kennen Schüler noch immer nur acht bis zehn der über 300 anerkannten Lehrberufe. Und schließlich kann nicht jeder Einzelhandelskaufmann lernen. Dieser Beruf steht immer noch auf Platz eins der Hitliste bei Jugendlichen. Selbst wenn man einen Ausbildungsplatz findet, sind die Chancen, anschließend arbeitslos zu werden, in den Trendberufen oft deutlich höher als in weniger bekannten und beliebten Branchen. Deswegen stellt das Portal jede Woche besonders ausgefallene Jobs vor.
"Du möchtest dein Hobby zum Beruf machen? Falls du handwerklich begabt und musikalisch bist, in Mathe und Physik etwas drauf hast, kannst du in einer Ausbildung erlernen, wie man ein Instrument anfertigt."
In anschaulichen Reportagen werden im nächsten Schritt die verschiedenen Auswahlmöglichkeiten erläutert: Geigenbauer, Holzblasinstrumentenmacher, Zupfinstrumentenmacher. Dazu ein kleiner Test, bei dem Schüler ihre musikalischen Fähigkeiten einschätzen können. Für eher technisch Interessierte gibt es ein Porträt eines gerade erst geschaffenen Berufs: Die Ausbildung zum Geomatiker, einem Experten für die Erfassung von Raumdaten, am Heinrich-Hertz-Europa-Kolleg in Bonn.
"Dieser Beruf ist sehr zukunftsträchtig. Erinnern Sie sich an die Entwicklung bei Google Earth. Das konnte man vor zehn Jahren noch nicht absehen. Erinnern Sie sich jetzt an Smartphones, die digitalen Kameras sind mittlerweile mit GPS ausgestattet, von daher kann man eigentlich absehen, dass die neuen technischen Entwicklungen genau in die Richtung zeigen, die der Geomatiker versucht abzubilden."
Als stellvertretender Leiter des Bonner Kollegs hat Bernd Kunz gute Kontakte zu zahlreichen Unternehmen der Branche - die suchen händeringend Fachkräfte in dem neuen Bereich, zu dem es bis vor einem Jahr noch keine passgenaue Ausbildung gab. Nun gilt es, bei jungen Menschen das Interesse für den modernen Beruf zu wecken. Lucia Rütten ist die erste, die sich getraut hat, den Schritt zu wagen.
"Ich habe schon studiert, ich habe Agrarwissenschaften studiert und war dann nach meinem Abschluss ein Jahr lang arbeitslos und habe in der Bewerbungsphase gemerkt, dass dieser Bereich Geoinformationssysteme gerade auch im Bereich Naturschutz immer wichtiger wird und dass das aber im Studium gefehlt hat. Dann habe ich zufällig den Ausbildungsberuf Geomatiker gefunden, hab' mich beworben und bin dann direkt genommen worden."
Das erste Berufsschuljahr hat Lucia gemeinsam mit den Auszubildenden zum Vermessungstechniker absolviert. In der Spezialisierungsphase im zweiten Jahr werden die Fachrichtungen dann getrennt unterrichtet. Vize-Schulleiter Bernd Kunz sieht für beide Berufsgruppen gute Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz.
"Es gibt im Moment leider sehr viele Betriebe, die rufen hier in der Schule an und fragen, ob ich nicht jemanden wüsste, der eine Stelle benötigt. Es ist leider so, dass viele Betriebe in der Vergangenheit nicht ausgebildet haben. Da können Sie sich vorstellen, was meine erste Reaktion ist: Hätten Sie mal ausgebildet. Den Schülern, die sich jetzt in der Ausbildung befinden, denen gebe ich gute Chancen, dass sie eine Übernahme bekommen in ihrem Betrieb."