Finanzbildung
Die Deutschen sollen Finanzexperten werden

Das Wissen junger Menschen zu Finanzen ist eher gering. Die Bundesregierung will das mit einer bundesweiten Finanzbildungsstrategie ändern. Experten sehen einige Vorschläge der FDP-geführten Ministerien aber kritisch.

    Christian Lindner und Bettina Stark-Watzinger sitzen nebeneinander.
    Bessere Altersvorsorge, weniger Schulden: Finanzminster Christian Lindner und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) wollen die finanzielle Bildung in Deutschland fördern. Ihr Konzept stößt auch auf Kritik. (imago / IPON )
    Finanzbildung ist wichtig. Darüber herrscht fast ein Konsens in der Gesellschaft. Eine große Mehrheit zumindest befürwortet einer Umfrage zufolge Finanzbildung in der Schule. 93 Prozent haben in einer repräsentativen Forsa-Befragung für die Verbraucherzentrale Bundesverband angegeben, ihnen sei es wichtig oder sehr wichtig, dass Kinder und Jugendliche in der Schule Wissen und Kompetenzen über Finanzen erwerben, etwa zu Themen wie Inflation, eigenen Haushaltsfinanzen oder Verträgen und Versicherungen.

    Übersicht

    Warum braucht es mehr Finanzbildung in Schulen?

    Je nachdem in welchem familiären Umfeld man aufwächst, lerne man etwas über Finanzen oder eben nicht, sagt Finanzcoachin Leonie Rudolf. Sie geht unter anderem in Schulen und bringt Schülern und Schülerinnen Basics aus der Finanzwelt bei. Ihre Erfahrung aus ihrer Arbeit ist: Sparen und investieren sind Themen, die junge Menschen interessieren und wozu sie mehr wissen möchten.
    Doch es fehle an konkreten Bildungsangeboten rund um Finanzen. „Wo können junge Menschen hingehen, um sich zu bilden?“, fragt Rudolf. Entweder bekämen sie Wissen von zu Hause mit, weil sich das Elternhaus damit auskenne. Wenn das nicht der Fall sei, gebe es kaum Möglichkeiten für junge Menschen ihre Finanzkompetenzen zu stärken. Rudolf spricht sich für einen Unterricht zu „Alltagsfinanzen“ aus. Es brauche einen generellen Raum, um überhaupt über Geld und Finanzen sprechen zu können.

    Immer mehr Deutsche investieren an der Börse

    Was den Anteil der Bevölkerung angeht, der Geld an der Börse investiert, steht Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz neun. Länder wie die USA, Niederlande, Japan, Schweden oder Finnland führen die Statistik an. Dabei gab es noch nie zuvor in Deutschland so viele Aktionärinnen und Aktionäre. Vor allem seit den Pandemiejahren setzen immer mehr und auch immer jüngere Menschen auf diese Form der Geldanlage: Den stärksten Anstieg gab es bei den Unter-30-Jährigen.
    Im Vergleich zu 2022 gab es zwar 2023 eine leichte Abnahme der Aktiensparer, doch immer noch haben im Jahr 2023 rund 12,3 Millionen Menschen in Aktien, Aktienfonds und ETFs gespart. Die Zahlen stammen vom Deutschen Aktieninstitut, einer Lobbygruppe, die Deutschland als Finanzstandort attraktiver machen will.
    Auch immer mehr Finanz-Influencer auf Plattformen wie TikTok oder Instagram tragen dazu bei, dass junge Menschen sich für die Börse interessieren. Neobroker-Apps wie „Trade Republic“ machen das Investieren einfach. Allerdings heiße das nicht automatisch, dass junge Menschen auch alle de facto mehr Ahnung vom Thema Geldanlage haben, warnt Bo Hyun Kim aus dem ARD Börsenstudio. Auf Social Media gibt es auch viele schwarze Schafe. Gute Finanzbildung kann vor Betrügern schützen.

    Was ist die Finanzbildungsstrategie der Bundesregierung?

    Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wollen gemeinsam die finanzielle Bildung verbessern. Die „Initiative Finanzielle Bildung“ habe zum Ziel Chancengleichheit zu erstellen, so dass alle Menschen kompetent über ihre Finanzen entscheiden können. Finanzielle Bildung sei ein Instrument zur Selbstermächtigung und gehöre zur gesellschaftlichen und ökonomischen Teilhabe, lässt sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Seite „Mit Geld und Verstand“ zitieren.
    Ein Punkt, den Lindner dabei auch im Blick hat, ist die Altersvorsorge. Denn gerade junge Menschen werden privat in ihre Rente investieren müssen, um die Gefahr der Altersarmut zu minimieren. Die Ampelregierung will die Rente zukunftsfest machen. Der Finanzminister setzt dabei auch auf Aktien.
    Zusammen mit Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will Lindner das Wissen der Bevölkerung zu Finanzthemen stärken. Dabei stützen sich die beiden Minister auch auf einen Bericht der OECD. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat fünf Schwerpunkte identifiziert, bei denen man vor allem auf Finanzbildung setzt: 
    • Langfristiges Sparen (mit Blick auf die Altersvorsorge)
    • Teilnahme an Finanz- und Kapitalmärkten
    • Frage der privaten Haushaltsführung ohne Überschuldung
    • Digitale Finanzkompetenz (damit ist auch das Abschließen von Verträgen gemeint)
    • Nachhaltige Finanzprodukte besser erkennen 
    Dabei hat die OECD verschiedene Gruppen im Blick, für die sie die Finanzbildung besonders sinnvoll hält: für junge Menschen, Frauen und Menschen mit geringen Einkommen.
    Vorgestellt haben Lindner und Stark-Watzinger ihre Initiative bei dem so genannten Festival „Mit Geld und Verstand“ - so heißt gleichzeitig die Onlineplattform, auf der Bildungsangebote abgerufen werden können. Neun Millionen Euro pro Jahr sollen zukünftig für Werbung, Tagungen und Veranstaltungen wie diese ausgegeben werden. Ziel: die Stärkung von Finanzbildung und der Aktienkultur. Das ganze ist ein Teil der Wachstumsinitiative der Bundesregierung. Aber auch die Schulen rücken in den Fokus der Finanzbildungsstratgie, denn dort müsse man Schülerinnen und Schülern Finanzbildung lehren.
    „Die Finanzbildungsstrategie schafft erstmal den Rahmen, dass Finanzbildung über verschiedene Angebote den Menschen zu Verfügung gestellt werden kann“, sagt Carmela Aprea. Sie ist Professorin für Wirtschaftspädagogik der Universität Mannheim und war schon im Vorfeld bei der Strategie eingebunden. Die Aufgabe der Strategie sei es, eine Steuerung und Bündelung des Themas darzustellen.
    Da Bildung Ländersache ist, sieht Aprea eine große Herausforderung die Bundesländer mit an den Tisch zu kommen, denn Schule gehörte dazu. Sie müsse ein Grundverständnis vermitteln, so dass auch schon junge Menschen über Finanzthemen nachdenken und reflektieren könnten. Denn ohne Information zum Thema, werde man schnell zum „Spielball von Interessen“. Allerdings sieht sie Finanzbildung auch als Lebensaufgabe: Man könne nicht alles in der Schule lernen.

    Kritik an der Finanzbildungsstragie

    Erstmal klingt mehr Finanzbildung in der Schule nicht schlecht: Chancengleichheit, Information, Wachstum und langfristiger Wohlstand - wer würde das nicht wollen? Doch an der Strategie der Bundesregierung gibt es auch Kritik. 
    Eine Studie des Erziehungswissenschaftlers Thomas Höhne von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg erhebt Zweifel. In Zusammenarbeit mit der Otto Brenner Stiftung und Attac Deutschland hat Höhne untersucht, wie unabhängig die Initiative wirklich ist und welche politischen Interessen dahinterstecken. Sein Fazit:
    Die Initiative der beiden FDP-Ministerien rücke ausschließlich die finanzielle Bildung in den Vordergrund und ignoriere, dass sie Teil des sehr viel breiteren Feldes der ökonomischen Bildung sei. Die bisherigen Angebote seien „weder systematisch geordnet“ noch lasse sich ein „durchdachtes Bildungskonzept erkennen“, heißt es in Höhnes Auswertung, in der der Erziehungswissenschaftler der Initiative vorwirft, dass sie das Feld der Bildung „instrumentalisiere für eigene wirtschaftspolitische Ziele“. Er erkenne die Verengung einer Perspektive: „mehr individuell in Aktien zu investieren, um Altersarmut und ökonomischer Unsicherheit vorzubeugen.“
    Finanzbildung müsse ergebnisoffen sein, fordert auch Anke Wolf vom Bundesverband Verbraucherzentrale. Das wäre beispielsweise ein Kriterium, um die Qualität der Angebote auf der Plattform „Geld und Verstand“ zu sichern. Bei der Vorstellung habe Lindner angekündigt, die Online-Plattform noch weiter für private Initiativen zu öffnen, also für Banken oder Finanzdienstleister. Die Verbraucherschützerin sieht darin ein praktisches Problem: „Es wird im Moment viel über Qualitätssicherung gesprochen, aber wir wissen noch nicht, wie die Kriterien aussehen werden.“
    Wenn Finanzbildung in den Händen der Finanzwirtschaft liege, sei immer das Risiko der Einflussnahme gegeben. Das Bundesfinanzministerium und das Bundesbildungsministerium müssten daher definieren, wie die inhaltlich-didaktische Qualität und Unabhängigkeit der Angebote gewährleistet wird, fordern die Verbraucherschützer. Auch seitens der Bildungsgewerkschaft GEW und der Kultusministerkonferenz sind ähnliche kritische Stimmen zu hören.
    Wirtschaftspädagogin Carmela Aprea kann die Kritik nur bedingt nachvollziehen. „Investieren und Kapitalmarkt“ sei ein Thema, was nicht heiße, dass man in Aktien investieren müsse - „aber man braucht Wissen und Verständnis“, so Aprea. In der Strategie gebe es viele andere Themen wie Kreditaufnahme, Altersvorsorge oder den Umgang mit digitalen Technologien im Finanzbereich. Allerdings sei es „fatal, wenn Menschen nicht verstehen, was passiert mit ihrem Geld und wenn sie nicht in der Lage sind gute, kluge und informierte Finanzentscheidungen zu treffen" - und das könne ja auch eine Entscheidung gegen den Kapitalmarkt sein.
    Wie nachhaltig die Finanzbildungsstratgie ist und ob „Finanzbildung“ tatsächlich als Schulfach auftauchen wird, wird sich erst noch zeigen müssen. Bildung bleibt Ländersache und zumindest bei der Auftaktveranstaltung waren die Kultusminister und -ministerinnen der Länder nicht anwesend. 

    nba