Kate Maleike: Am nächsten Montag wird der offizielle Stabwechsel an der Spitze der Kultusministerkonferenz erfolgen. Das ist eine turnusmäßige Sache, passiert jedes Jahr. Aber nach der zumindest medial doch eher farblosen Brunhild Kurth gibt es nun Hoffnung auf einen frischen Wind durch Claudia Bogedan. Die Sozialdemokratin ist in Bremen seit wenigen Monaten Senatorin für Bildung und Kinder und schon dieser neue Ressortzuschnitt zeigt und lässt erkennen, dass da Dinge möglicherweise anders gedacht werden. Guten Tag, Frau Bogedan!
Claudia Bogedan: Ja, schönen guten Tag, Frau Maleike!
Maleike: Es gibt in Deutschland nicht gerade wenig Leute, die die Kultusministerkonferenz fast für überflüssig halten, weil in der Schulbildung die Länder ja eh das machen, was sie wollen. Zumindest hat man oft den Eindruck. Können Sie diesen KMK-Pessimismus verstehen?
Bogedan: Verstehen kann ich das auf jeden Fall, ich bin ja selbst frisch im Amt habe so ein Stück weit auch noch diesen Außenblick mir in den letzten Monaten Gott sei Dank bewahren können. Jetzt habe ich aber selber die KMK erleben dürfen und muss sagen, das ist eine veraltete Wahrnehmung. Die KMK ist doch mittlerweile so weit, dass wir in den Ländern doch vor ähnlichen Herausforderungen in der Bildungspolitik stehen und das ein gutes Forum ist, um sich auszutauschen, um auch die guten Praxisbeispiele aus anderen Bundesländern, davon zu lernen und zu überlegen, wie man das vielleicht auch in der eigenen Praxis eben umsetzen und anwenden kann.
"Die Lage in den Bundesländern ist sehr unterschiedlich"
Maleike: Eines der drängendsten Probleme im Moment - und das würde ja dann wunderbar passen, wenn die KMK so aufgestellt ist, wie Sie das gerade beschreiben - ist vermutlich der Schulbesuch der Flüchtlingskinder. Hunderttausende sind ja inzwischen an den Schulen oder eben auch noch nicht, weil es fehlende Ressourcen gibt, weil die Länder das bislang noch unterschiedlich regeln, wie die Kinder in die Schule kommen und wann. Was werden Sie tun in Ihrer Präsidentschaft, um das vielleicht auf einheitlichere Basis zu stellen?
Bogedan: Ich glaube, das Ziel sollte gar nicht die einheitlichere Basis sein. Denn wenn man sich anguckt, ist die Lage in den Bundesländern wirklich sehr, sehr unterschiedlich ...
Maleike: Aber die Kinder wechseln doch bisweilen die Bundesländer.
Bogedan: Die Kinder wechseln die Bundesländer, deshalb ist es ja wichtig, dass wir uns darauf verständigt haben, dass diese Schulpflicht eben auch für Kinder von Geflüchteten gilt, und zwar unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Und dass wir auch uns darüber hinaus verständigt haben, dass in allen Bundesländern es eben eine sprachliche Erstintegration gibt. Die findet aber allerdings in unterschiedlichen Formen statt und das hat etwas damit zu tun, dass natürlich in einer Stadtgemeinde Bremen oder in einem Stadtstaat Bremen die Jugendlichen sehr schnell eben auch dezentral verteilt werden, während gerade in den großen Flächenländern ja es häufig sehr zentrale Erstaufnahmeeinrichtungen gibt, wo man natürlich dann nicht dezentral Schulplätze eben zur Verfügung stellen kann. Und insofern müssen unterschiedliche Angebote gemacht werden. Wir hier in Bremen können eben direkt Schulplätze an den Regelschulen zuweisen, weil wir mit großer Sicherheit auch wissen, dass die Kinder dann auch weiter dort zur Schule gehen können. Aber genau dieser Ansatz ist eben in Flächenländern nicht möglich, wo sich sozusagen der dann letztendliche Wohnort häufig erst deutlich später eben entscheidet.
"Der Bund muss seiner nationalen Verantwortung gerecht werden"
Maleike: Sie wissen, dass bei diesen großen Problematiken gerne auch der Ruf nach dem Bund laut wird.
Bogedan: Ja.
Maleike: Würden Sie jetzt auch sagen, der Bund muss da helfen, wir müssen vielleicht ein gemeinschaftliches Sonderprogramm auflegen?
Bogedan: Das würde ich unbedingt so sagen. Denn es geht eben nicht nur darum, dass wir die Erstintegration schaffen müssen und dann die Integration in die Regelschulen, sondern die Kinder der Geflüchteten haben natürlich eine spezifische Erfahrung gemacht auf der Flucht, die auch sozialpolitische und auch sozialpsychologische, sozialarbeiterische Unterstützung eben bedeutet. Und da dürfen wir die Schulen eben nicht hängen lassen und mit dieser Verantwortung alleine lassen. Und ich glaube, an der Stelle muss der Bund ganz massiv seiner nationalen Verantwortung eben auch gerecht werden und die Kommunen dabei unterstützen.
Maleike: Heißt, Sie werden als KMK-Präsidentin jetzt als eine der ersten Handlungen ein Bundesprogramm fordern?
Bogedan: Wir sind mit den anderen Bundesministerien im Gespräch. Es gibt da zwei ganz große Punkte, für die ich mich stark mache, dass der Bund da seiner Verantwortung gerecht wird und die Länder und Kommunen stärker unterstützt. Das ist einmal das Thema Schulsozialarbeit, wie ich es gerade angesprochen habe, und das andere Thema ist die Frage, das Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses. Diese Verantwortung kann eben auch nicht bei den Ländern gelassen werden, wir wissen, dass wir viele Jugendliche eben haben, die 16, 17 oder auch schon 18 Jahre eben sind und damit eben schnell aus der Schulpflicht eben rausfallen und die wir in der Kürze der Zeit aber nicht in die Lage versetzt bekommen werden, dass sie selbstständig dann einen Schulabschluss hier erwerben. Und das kann natürlich nicht unser Ziel sein, dass wir jede Menge Jugendliche mit hohem Potenzial eben auch haben, deren Potenzial wir verschenken, weil die Bundesagentur für Arbeit beispielsweise ihr Programm, was nämlich das Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses gibt, dass es dieses Programm nicht weiter ausfährt, sodass gar nicht quantitativ eben genug Plätze da zur Verfügung gestellt werden.
Bildung in der digitalen Welt als vierte Kulturtechnik
Maleike: Was werden denn weitere Ziele Ihrer Präsidentschaft sein, was wollen Sie vorantreiben?
Bogedan: Ja, das zweite wichtige Thema für mich ist Bildung in der digitalen Welt. Da glaube ich, dass gerade die Herausforderungen, die auch mit den Flüchtlingen zu tun haben, aber insgesamt mit heterogener werdenden Lerngruppen, also Klassen, in denen Schülerinnen und Schüler zunehmend mit sehr unterschiedlichen und auch individuellem Lerntempo arbeiten, dass die für diese Herausforderungen eben eine Antwort finden. Und dann meines Erachtens kann die Digitalisierung uns dabei sehr unterstützen, indem man klug diese Technologien einsetzt, entweder durch die Anwendung von Lernsoftware auch im Unterricht, aber gleichzeitig natürlich besteht die Notwendigkeit, auch die Schülerinnen und Schüler auf das vorzubereiten, was sie später dann am Arbeitsmarkt entwickeln, wo Roboter und der Einsatz digitaler Technologien eben längst zum Alltag gehören.
Maleike: Also Industrie 4.0, Digitalisierung ist natürlich jetzt ein Schlagwort, was in aller Munde ist. Sie wissen, dass wir in Deutschland da vielleicht einiges verschlafen haben auch. Stichwort Lehrerausbildung, da müsste natürlich auch ein bisschen was passieren, denn nur die Schulen mit Smartphones und Tablets auszurüsten, das ist es ja nicht. Man muss ja pädagogische Konzepte gleichzeitig mit liefern. Was wollen Sie für die Lehrerausbildung entsprechend verändern?
Bogedan: Das ist genau der Punkt. Also, die Lehrerausbildung muss angepasst werden. Und mein Ansatz ist dabei eben nicht, die Digitalisierung als eine weitere Komponente der typischen Medienbildung zu verstehen, sondern Digitalisierung als einen umfassenden Prozess, der sich eben nicht nur darauf ausrichtet, dass wir jetzt ein neues Medium in Schulen einsetzen und den Umgang mit diesem Medium – eben Tablets, Smartphones, Notebooks – eben lernen, sondern dass es darum geht, dass dieses Technologie Arbeitsweisen, Arbeitsprozesse, Möglichkeiten der Kommunikation und der Zusammenarbeit, aber auch zwischen Schülerinnen und Schülern, aber dann später eben auch im Arbeitsleben ermöglicht. Das heißt, die Kompetenz, die erworben werden muss, ist eine, die im Prinzip neben Lesen, Rechnen, Schreiben als eine vierte Art Kulturtechnik eben erworben werden muss. Und das muss natürlich auch dann in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung entsprechende Berücksichtigung finden. Und das muss auch curricular so verankert sein, dass klar ist: Es kann jetzt nicht ein weiteres Schulfach Digitalisierung oder Informatik geben, was das alles löst, sondern es muss integraler Bestandteil in jedem Unterrichtsfach dann sein.
Maleike: Und dann auch in jedem Bundesland?
Bogedan: Und dann auch in jedem Bundesland.
Maleike: Das wird sicher interessant. Claudia Bogedan war das, die Bremer Senatorin für Bildung und Kinder wird Anfang nächster Woche offiziell die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz übernehmen. Frau Bogedan, wir wünschen Ihnen ein gutes Händchen und viel Glück für diese Arbeit!
Bogedan: Ja, ganz herzlichen Dank dafür!
Maleike: Danke fürs Gespräch hier in "Campus und Karriere"!
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