Michael Böddeker: Bei den Olympischen Spielen in Brasilien treffen ab heute Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt aufeinander. Einen Austausch zwischen Brasilien und Deutschland gibt es aber auch ganz unabhängig von den Spielen, und zwar im Bereich Wissenschaft und Bildung. Eine wichtige Rolle dabei spielt das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in São Paolo. Von solchen deutschen Wissenschaftshäusern gibt es auf der ganzen Welt nur fünf Stück – sie sollen Deutschland als Forschungsstandort fördern und auch ein Forum sein für den internationalen Dialog und den wissenschaftlichen Austausch. Sprecherin des Hauses in São Paolo ist Martina Schulze, und sie ist auch Leiterin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Brasilien. Mit ihr habe ich über die Hochschullandschaft im Land gesprochen, da hört man ja immer wieder Meldungen über Proteste, weil die Hochschulen nicht genug Geld haben. Ich habe Martina Schulze gefragt, wie es denn da im Moment aussieht.
Martina Schulze: Ja, es sind verschiedene Hochschulen im Streit zurzeit hier. Im Moment sind es die staatlichen Hochschulen, zum Beispiel in São Paolo, die streiken, aber vielleicht sage ich ganz kurz was zum Allgemeinbild: Wir haben weit über 2.000 Hochschulen in Brasilien, davon sind aber nur ein relativ kleiner Teil staatliche Hochschulen. Und bei denen ist die Streikbereitschaft relativ groß – immer dann, wenn zum Beispiel Gehälter nicht angepasst werden, der Inflation angepasst werden oder wenn, wie in diesem Moment, eigentlich die Interimsregierung doch sehr in den Blick von Wissenschaft und Forschung geraten ist, und zwar im negativen Sinne, weil man befürchtet, dass wenn diese Regierung sich fortsetzt, Wissenschaft und Forschung doch stärkere Einschnitte hinnehmen müssen. Und das bringt jetzt zusätzlich auch noch die Studenten in den Streik, sodass zum Beispiel die größte Universität des Landes, die USP, seit dem 12. Mai bestreikt wird.
Böddeker: Es gibt also in Brasilien genau wie in Deutschland private und staatliche Hochschulen, genauso private und staatliche Schulen, aber es gibt ja sicher auch Unterschiede. Wo liegen die?
Schulze: Es ist so, dass hier die privaten Schulen dominieren, indem sie auch sehr gute Bildung anbieten. Das bedeutet, dass diejenigen, die relativ viel Geld haben und es sich leisten können, ihre Kinder auf ein privates Gymnasium, eine Sekundarschule zu schicken, hinterher diese an die sehr viel besser aufgestellten öffentlichen Hochschulen schicken, von denen wir nur 220, 230 haben. Die privaten Hochschulen dagegen haben einen längst nicht so guten Ruf, sind auch meistens sehr profitorientiert, indem sie gerade auch Studiengänge im Bereich Betriebswirtschaft, Verwaltung et cetera anbieten. Für diese Hochschulen werden zwar Kredite für die gesamte Bevölkerung angeboten, sodass auch ärmere Bevölkerungsteile Zugang zu Hochschulen haben, aber aufgrund der schlechten Vorbildung, die sie in der Sekundarschule haben, finden sie meistens gar nicht die Möglichkeit, in eine der staatlichen Hochschulen zu kommen. Und das führt einfach dazu, dass wir gut situierte Leute in einem größeren Maße an den staatlichen Hochschulen haben und an den privaten Hochschulen mit schlechterer Ausbildungsqualität sehr viele eher bildungsfernere Studierende.
"Viele Stipendien wurden wegen der Wirtschaftskrise gestrichen"
Böddeker: Außerdem spielen ja Stipendien auch noch eine große Rolle in Brasilien. Inwiefern ist das anders als in Deutschland an den Hochschulen?
Schulze: Ja, es ist so, dass es sehr, sehr viele Bildungskredite gibt und auch viel Förderung gibt durch den Staat, allerdings jetzt seit dem letzten Jahr deutlich weniger, weil Brasilien in einer ganz schweren Wirtschaftskrise ist – nicht nur Wirtschafts-, sondern auch politischen Krise –, aber vor allem die Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass viele Stipendien erst mal gestrichen worden sind. Das heißt also, so ein Typ BAföG-Stipendium wird jetzt nur noch etwa für ein Viertel der Studierwilligen zur Verfügung gestellt, wie noch 2014. Auf der anderen Seite ist es so, dass diese Stipendien auch dafür sorgen, dass der Forschungsmotor in diesem Land läuft. Während in Deutschland doch immer mehr dazu übergegangen wird, dass man junge Wissenschaftler auch schon bei der Promotion einstellt an den Universitäten, ist das Wissenschaftssystem, das Forschungssystem hier in Brasilien eindeutig stipendienorientiert, und der Stipendiengeber ist in den meisten Fällen der Staat.
"Die Forschungsdynamik hat sehr abgenommen"
Böddeker: Und läuft denn der Forschungsmotor in Brasilien im Moment gut?
Schulze: Nein, der läuft leider nicht so gut, das ist das ganz große Problem. Dadurch, dass das Land in eine Wirtschafts- und auch Finanzkrise gerutscht ist, sind natürlich die Haushalte viel geringer ausgefallen für die Ministerien, in diesem Fall für das Bildungsministerium, aber auch für das Forschungsministerium. Und es ist noch etwas dazugekommen – die Währung Brasiliens, dass diese Währung furchtbar abgenommen hat an Wert. Sie können sich vorstellen, dass so ein Land kaum noch jemanden richtig ins Ausland schicken kann, weil sehr viel mehr dafür bezahlt werden muss, um so ein Stipendium zu finanzieren, was natürlich in Euro oder Dollar definiert ist. Und an den Hochschulen selbst ist es so, dass die ersten Stipendiaten, die dort in der Forschung tätig waren, die also ihre Stipendien hatten, um zu promovieren an einer bestimmten Stelle oder auch eine Postdocstelle hatten, die über Stipendien finanziert war, dass diese jetzt sehr viel weniger Arbeit haben beziehungsweise gar keine Arbeit mehr und auch kein Stipendium hatten für eine gewisse Weile. Im Moment ist gerade der Umbruch, es geht wieder etwas voran, dennoch bedeutet es, dass Brasilien eigentlich im Moment in den Ergebnissen, die es publiziert im Bereich der Forschung, davon lebt, was bis 2014 hier geforscht worden ist. Sagen wir mal, die Dynamik, die Forschungsdynamik, hat sehr abgenommen.
"Brasilien ist doch noch sehr stark einsprachig"
Böddeker: Wenn jetzt die Sportler aus aller Welt zu den Olympischen Spielen nach Brasilien kommen, dann lernen die auch ein Stück weit Land und Leute und die Kultur dort kennen. Sie haben ja auch viel mit Wissenschaftlern zu tun, die aus Deutschland nach Brasilien kommen – worauf müssen die sich einstellen, was läuft da anders als in Deutschland?
Schulze: Ein ganz wichtiger Faktor ist, wenn man nicht an die ganz großen Universitäten geht und zu sehr renommierten Instituten, wird man Schwierigkeiten haben, wenn man nur auf Deutsch oder Englisch kommunizieren wollte. Brasilien ist doch noch sehr stark einsprachig, die Dominanz des Portugiesischen ist sehr, sehr groß. Und das ist nicht immer einfach, weil man dann entweder immer jemanden braucht, der einem beim Übersetzen hilft, oder man muss halt auch vieles erraten, was dann auch wieder zu Missverständnissen führen kann. Außerdem sind die Zeitbegriffe, glaube ich, doch sehr unterschiedlich zu denen, die wir in Deutschland haben. Also der Deutsche ist doch sehr immer noch auf die Uhrzeiten geeicht, der Brasilianer lässt es, wenn er nicht gerade in São Paolo wohnt, dann auch mal drauf ankommen, dass er ein bisschen später auftaucht oder eine Verabredung nicht ganz so genau einhält.
Böddeker: Soweit Martina Schulze. Sie ist Sprecherin des Wissenschafts- und Innovationshauses in São Paolo und Leiterin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Brasilien. Mit ihr habe ich über die Lage der Hochschulen im Land gesprochen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.