Simone Miller: Gehört haben wir jetzt also von 3 aus 16 Beispielen, dazu, wie die Bundesländer die frei werdenden BAföG-Gelder einsetzen. Klar wird: Der Bildungsbereich profitiert von den zusätzlichen Mitteln – aber von anbrechenden goldenen Zeiten für Deutschlands Bildungssektor kann man nicht gerade sprechen im Angesicht von maroden Hochschulgebäuden, schimmelnden Schultoiletten und ausfallendem Unterricht.
Entsprechend umkämpft ist also der Einsatz der Mittel. Darüber möchte ich jetzt mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD sprechen. Wie viel zusätzliches Geld bekommen Sie in Niedersachsen durch die neue BAföG-Regelung in die Kassen?
Stephan Weil: Na ja, je nachdem, wie man es rechnet, könnte man sagen, zwischen 130 und 140 Millionen Euro. Das ist schon eine schöne Stange Geld.
Weil: Wir haben "die Qual der Wahl"
Miller: Was genau sollen diese sogenannten Bildungsmillionen im Bereich der frühkindlichen Bildung in Niedersachsen bewirken? Was soll da genau verbessert werden?
Weil: Wir haben natürlich, ebenso wie alle anderen Länder auch, die Qual der Wahl gehabt. Wir haben ganz am Ende für die frühkindliche Förderung entschieden und wollen, dass an unseren Krippengruppen eine dritte Betreuungskraft nach und nach überall in Niedersachsen etabliert wird.
Dabei war für uns der Gedanke leitend, was man ja immer wieder liest und auch im Grunde alle wissen: Die frühesten Investitionen in junge Köpfe, das sind diejenigen, die sich im Grunde genommen am besten auswirken, weil damit Weichen gestellt werden. Und deswegen glauben wir, das ist die richtige Wahl für uns.
Weil: Wir müssen frühkindliche Entwicklung besser fördern
Miller: Das Geld also allein den Krippen – das ist eine umstrittene Entscheidung, hatte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka die Zweckbindung an Schulen und Hochschulen letztes Jahr ja noch angemahnt. Aus welchem Grund schlägt Niedersachsen hier einen Sonderweg ein?
Weil: Wir haben im Moment die Situation, dass in den Krippengruppen, da, wo die ganz Kleinen sind, also die Ein- und die Zweijährigen, dass wir es da mit zwei Betreuungskräften zu tun haben, und, das weiß jeder auch noch aus seinem privaten Leben, das macht eine Menge Arbeit, und wenn man einige Kinder gleichzeitig zu versorgen hat, dann ist für individuelle Förderung im Grunde kein Platz. Und deswegen ist der Gedanke der: Wenn wir eine dritte Betreuungskraft dabei haben, dann kann schon sehr viel mehr für die Entwicklung der Kinder getan werden, und damit, wie ich eben sagte, werden Weichen gestellt, die sich dann hinterher auf den weiteren Stufen für das Bildungswesen wahrscheinlich sehr, sehr gut auswirken werden.
"Wir versuchen, die Hochschulen an vielen Bereichen nach vorne zu bringen"
Miller: Niedersachsens Hochschulen sehen das etwas anders, sie laufen Sturm, denn die Grundfinanzierung der Hochschulen, sagen sie, auch in Niedersachsen, sei nicht ausreichend gedeckt. Ohne Geld für Sanierungen würden ganze Gebäude in Zukunft wegfallen. Die Studienqualität könnte leiden und sogar Studienplätze seien bedroht.
Weil: Der Gedanke ist der gewesen, ohne Hochschulen und Schulen irgendwie kleinreden zu wollen: Bei der frühkindlichen Förderung – da werden tatsächlich die Grundlagen dafür gelegt, wie es weitergeht. Und deswegen scheint uns hier ein besonderer Schwerpunkt tatsächlich richtig zu sein. Aber wir investieren in Niedersachsen gleichzeitig sehr viel Geld in Schulen, in Hochschulen, wir bauen Ganztagsschulen aus, wir haben die Studiengebühren abgeschafft, wir versuchen, die Hochschulen an vielen Bereichen nach vorne zu bringen. Und ganz am Ende haben wir ja im Haushalt immer das sogenannte Gesamtdeckungsprinzip, das heißt, alles kommt in einen großen Topf und aus diesem großen Topf werden die unterschiedlichen Aufgaben finanziert. Und insofern relativiert sich der Streit um die einzelnen Zuweisungen von Bundesmitteln sehr stark.
"Wir müssten überall in unserem Bildungswesen eigentlich mehr Mittel hineintun"
Miller: Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Schulen. Auch die leiden unter Mittelknappheit. Im Bereich der Schulpsychologen zum Beispiel ist Niedersachsen absolutes Schlusslicht. Hier kommen über 16.000 Schüler auf einen Schulpsychologen. Müssten hier nicht auch Mittel fließen?
Weil: Wir müssten überall in unserem Bildungswesen eigentlich mehr Mittel hineintun. Man kann, je nachdem, welche einzelnen Module aus dem Bildungswesen man dann rausgibt, mal sagen, das eine Land müsste mehr tun, mal das andere. Ganz grundsätzlich nehme ich für Niedersachsen in Anspruch, dass wir in den, diesen Jahren, in den letzten beiden und in den nächsten drei Jahren massiv in Bildung investieren werden. Wir strengen uns insbesondere ungeheuer an, zu einem guten, qualitativ ansprechenden Ganztagsschulwesen zu kommen.
Und vor diesem Hintergrund, glaube ich, ist die Frage, wo die einzelnen Mittel in welche einzelnen Bestandteile eines schönen Schullebens hineingehen, zweitrangig. Wir geben uns Mühe, so gut wie wir können.
Miller: Warum aber haben Sie sich dagegen entschieden, die Mittel auf die drei Bildungsbereiche, also frühkindliche Bildung, Schule und Hochschule, aufzuteilen?
"Wir bräuchten dabei mehr Unterstützung vom Bund"
Weil: Weil wir bei den Hochschulen mit der Abschaffung der Studiengebühren, und zwar so, dass die Hochschulen keinerlei Einnahmeverluste haben, eine große Aufgabe in Anspruch genommen hatten, weil wir bei den Schulen mit dem Ausbau des Ganztagsschulwesens eine riesengroße Aufgabe in Angriff genommen haben und auch durchfinanziert haben, und wir miteinander festgestellt haben: Bei der frühkindlichen Förderung, da ist jetzt einfach der nächste Akzent fällig. Und ich sagte ja schon, das sind typischerweise eigentlich diejenigen Investitionen im Bildungswesen, die, wenn man das so sagen mag, die größte Rendite abwerfen. Niedersachsen, das müssen Sie wissen, ist ein Land, das vom demografischen Wandel besonders betroffen ist.
Wenn man weniger junge Menschen hat, dann muss man sich umso mehr anstrengen, alle Talente bei diesen jungen Menschen tatsächlich zu entwickeln, und deswegen glaube ich, dass die Anstrengungen am Bildungssektor in Niedersachsen so gut es nur irgend geht weitergehen werden. Wir bräuchten dabei mehr Unterstützung vom Bund. Das ist eine generelle Kritik, die ich habe. Ich halte das Kooperationsverbot für völlig falsch.
Ich bin der Überzeugung: Es gibt derzeit keine gesellschaftspolitisch größere Aufgabe, als gemeinsam für mehr Bildung und Qualifizierung zu sorgen.
Miller: ..sagt Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, SPD, zu den Plänen, wie frei werdende BAföG-Gelder künftig investiert werden sollen.
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