Freitags und mittwochs haben wir auch nur bis halb zwei, und da kann ich mich dann halt früher mit meinen Freunden treffen. Montags bin ich hier und hab hier meine AG. Ich bin in der Billard-AG. Es gibt hier auch richtig viele AGs. Es macht ziemlich Spaß hier.
Felix, 5. Klasse, und Berivan, 9. Klasse. Die beiden gehen gern zur Schule. Und das liegt unter anderem daran, dass sie eine Ganztagsschule besuchen, die ihnen mit einem breiten Angebot an Arbeitsgemeinschaften und Freizeitaktivitäten viele Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Die Integrierte Gesamtschule in Hannover-Linden, kurz IGS Linden, arbeitet schon seit vielen Jahren als Ganztagsbetrieb - ein Modell, das in Deutschland lange Zeit die große Ausnahme war, aber jüngst von der Bildungspolitik wiederentdeckt wurde.
Wir haben vorgegeben, dass die Schüler zwischen 8 Uhr 15 und 16 Uhr 15 Unterricht haben. Das sind insgesamt neun Stunden. Davon ist eine Stunde Mittagspause. Das heißt: reiner Unterricht sind acht Stunden. Das haben wir dann gestaffelt vom fünften Jahrgang aufwärts - zunächst nur zwei lange Nachmittage in den fünften und sechsten Klassen, im siebten und achten kommt dann ein dritter Nachmittag dazu, im neunten bleibt das so, und im zehnten haben die Schüler dann vier Nachmittage pflichtgemäß Unterricht bis viertel nach vier.
Die Lehrerin Marianne Papst organisiert an der IGS Linden die Freizeitangebote. Die nutzen die Schüler vor allem während der Mittagspause, aber auch nach dem regulären Unterricht.
Es gibt Platz zum Toben und Ballspielen, für Billard oder Tischfußball, aber auch einfach nur zum Ausruhen und Quatschen. Im Computerraum können Schüler über Mittag im Internet surfen oder Schreibarbeiten erledigen. Unter den zahlreichen Arbeitsgemeinschaften erfreuen sich Akrobatik und Clownerie besonderer Beliebtheit.
Wir haben also einen schuleigenen Zirkus, der sich inzwischen aufgrund des Engagements eines Kollegen sehr erweitert hat. Wir haben jetzt als AG einen Zirkus, aber unserer Schule ist ein zirkuspädagogisches Zentrum angeschlossen, das sich selbst finanziert, also ein Verein, in dem Mitarbeiter da sind, die nicht Lehrer dieser Schule sind, sondern speziell nur dafür eingestellt sind. Und dieses zirkuspädagogische Zentrum bietet natürlich nicht nur für unsere Schule AGs an, sondern die bieten Kurse, Projekte, also ganz viel an. Das ist eine eigene Organisation. Nur für uns ist es gut, dass sie hier sind, weil sie natürlich zusammen mit der Schule vieles machen. Da können Klassen hingehen und Zirkusprojekte machen, es läuft dreimal die Woche eine AG für Zirkus – kein Schulfest ist für uns vorzustellen, ohne dass der Zirkus in Erscheinung tritt.
Die IGS Linden in Hannover ist eine Ganztagsschule, wie sie vielen Bildungspolitikern inzwischen als wünschenswert vorschwebt: Die Stundenpläne folgen einem ausgereiften pädagogischen Konzept, die Schule ist räumlich gut ausgestattet und durch zahlreiche Aktivitäten in den Stadtteil eingebunden. Dafür engagieren sich neben den Lehrern auch vier Sozialpädagogen. Sind solche Ganztagsschulen besser als Halbtagsschulen? Der Bildungsforscher Heinz Günter Holtappels vom Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigen. Er hält die Ganztagsschule für eine Organisationsform, die sich im internationalen Vergleich der Industrieländer im Grunde längst als zeitgemäß und zweckmäßig durchgesetzt hat.
Zunächst mal ist die Ganztagsschule in den meisten Industrieländern, in den mit Deutschland vergleichbaren Ländern, ausgebaut. Es ist die normale Schulform im Ausland. Wir haben nur wenige Länder in Europa, die wie in Deutschland im Wesentlichen nur die Halbtagsschule haben.
Die Halbtagsschule hat nach Holtappels’ Meinung strukturelle Nachteile. Das gelte gerade auch im Hinblick auf die Ergebnisse der Pisa-Studie, die auffallend große Unterschiede zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Schülern in Deutschland zu Tage gefördert hatte.
Wir haben im Prinzip einen sehr engen Unterrichtsvormittag, in dem Kinder in der Schule sind. Was darüber hinaus mit dem Lernen passiert, entzieht sich meistens dem schulischen Zugriff, weil in den Elternhäusern ja auch unterschiedlich gefördert wird, unterschiedlich auf Hausaufgaben und auf Lernen geachtet wird. Das heißt, Ganztagsschule ist im Prinzip auch immer ein Weg zu mehr Chancengleichheit, weil alle Kinder und Jugendlichen besser gefördert werden können in einem Mehr an Lernzeit. Das heißt, man hat auch mehr Zeit, etwas zu verstehen, etwas zu begreifen, etwas Neues zu lernen. Man ist nicht angewiesen auf den engen Stundenplan. Hinzu kommt, dass in der Ganztagsschule auch soziale Lernziele vorherrschen, das heißt, dort wird auch gelernt, miteinander umzugehen, Hilfestellung, gegenseitige Unterstützung, Solidarität, Einfühlungsvermögen, das sind alles wichtige soziale Kompetenzen, die Kinder und Jugendliche auch später im Beruf brauchen.
Argumente dieser Art sind es, die nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler bei der Pisa-Studie auch die SPD-geführte Bundesregierung auf den Plan rufen. Im Koalitionsvertrag vom Herbst 2002 kündigt sie die Schaffung von 10 000 zusätzlichen Ganztagsschulen an. Ende des Jahres werden dann konkrete Pläne für das milliardenschwere Förderprogramm bekannt. Vor allem aus CDU-regierten Bundesländern ist scharfer Protest gegen die vermeintliche Einmischung in ihre Zuständigkeiten zu hören. Von "Almosen des Bundes" spricht die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier, während ihre Kollegin Annette Schavan aus Baden-Württemberg die vorgesehenen vier Milliarden Euro als "jämmerlich und realitätsfern" geißelt.
Dennoch kommen Bund und Länder nach zähen Verhandlungen zu einer Einigung über Ablauf und Modalitäten des Programms. Im Mai 2003 stellt Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn die "Verwaltungsvereinbarung zum Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung" vor. Das Papier sichert den Ländern insgesamt vier Milliarden Euro zu, verteilt auf einen Zeitraum bis zum Jahr 2007. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Schulen mit Unterstützung des Bundes ihren Ganztagsbetrieb aufnehmen. Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, sieht das Projekt jetzt nach dem Ende verfassungsrechtlicher Grabenkämpfe auf einem guten Weg.
Es ist ja so, dass alle Bundesländer in unterschiedlicher Weise, mit unterschiedlichen Konzepten Ganztagsschulprogramme vorbereitet haben, zum Teil, bevor der Bund mit seiner Initiative an die Öffentlichkeit getreten ist, zum Teil ermuntert, vielleicht auch etwas forciert und stärker unter Druck geraten nach dem Angebot des Bundes – ich nenne etwa Nordrhein-Westfalen, ich nenne aber auch Baden-Württemberg oder Bayern. Es ist Gott sei dank ja jetzt keine Frage mehr von Parteikonflikten bundesweit, sondern sowohl SPD-geführte wie CDU-geführte Bundesländer bereiten solche Ganztagsschulprogramme vor. Sie müssen wissen, dass ja auch der Weg zur Verwaltungsvereinbarung ein lange dauernder, ein quälender war, und wir sind erst einmal froh, dass diese Phase verlassen worden ist, und jetzt die Länder erst einmal selbst entscheiden, wie schnell und in welchem Umfang sie von dem Angebot des Bundes Gebrauch machen.
Das klingt vielversprechend. Doch wie immer steckt der Teufel im Detail. Allein die Frage, wie viele Ganztagsschulen es in Deutschland derzeit gibt, bringt den Fachmann ins Grübeln und den Statistiker zur Verzweiflung. Alle bisherigen Zählungen sind dadurch beeinträchtigt, dass die Länder Ganztagsschulen unterschiedlich definieren – zum Teil bekommen auch solche Schulen dieses Etikett, in denen sich der Ganztagsunterricht darauf beschränkt, dass die örtliche Musikschule dort an zwei Nachmittagen in der Woche ein paar Kurse abhält. Vermutlich liegt die Zahl der Ganztagsschulen, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen, zwischen 1500 und 2000, davon sind allerdings etwa ein Drittel Sonderschulen. In jedem Fall beträgt der Anteil an der Gesamtversorgung deutlich weniger als fünf Prozent. Was wird das Investitionsprogramm des Bundes ändern? Der Bildungsforscher Heinz Günter Holtappels glaubt zwar daran, dass sich in den nächsten Jahren einiges bewegen wird, aber er befürchtet, dass der Zug nicht immer in die richtige Richtung fährt:
Es wird den Ausbau sicher entscheidend voranbringen, aber man darf nicht verkennen, dass die Bedingungen ja sehr, sehr weich gesetzt sind. Die Länder haben ja selbst darauf gedrängt. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesministerin hier härter gewesen wäre und hätte stärker auch konzeptionelle pädagogische Bedingungen zur Voraussetzung gemacht. Dieses war aber sicherlich politisch einfach nicht durchsetzbar. Das muss man so sehen, denn die Länder haben ja bereits schon zum Teil ausgebaute Strukturen, es gibt auch Länder, die haben noch fast gar nichts im Ganztagsschulbereich. Aber einige Länder möchten natürlich diese Strukturen ausbauen und nicht etwas völlig Neues schaffen.
Welche Ganztagsschulen Geld bekommen und welche nicht, darauf hat der Bund nur einen begrenzten Einfluss. Die Verwaltungsvereinbarung spricht sehr allgemein von einem "pädagogischen Konzept" als Voraussetzung. Was man von Seiten des Bundes erwartet, erläutert Wolf-Michael Catenhusen:
Also der Bund erwartet nicht selbst ein pädagogisches Konzept nach unseren Vorstellungen, aber wir erwarten, dass für jede Maßnahme ein pädagogisches Konzept der zuständigen Behörde des Landes vorgelegt wird. Und eins muss klar sein: die Fortführung einer klassischen Halbtagsschule mit angepappter Übermittagsbetreuung, die wird durch Bundesmittel nicht finanziert werden.
Jenseits dieser Minimalforderung gibt es sehr verschiedenartige Modelle von Ganztagsschulen: Manche arbeiten vor allem mit außerschulischen Anbietern wie Sportvereinen und Musikschulen zusammen, andere setzen auf Hausaufgabenbetreuung und Fördermaßnahmen am Nachmittag, wieder andere verteilen den Unterricht gleichmäßig über den kompletten Schultag. Heinz Günter Holtappels befürchtet, dass über das Investitionsprogramm des Bundes auch solche Ganztagsschulmodelle gefördert werden, die unter pädagogischen Gesichtspunkten weniger sinnvoll sind.
Es gibt Länder, die haben gar keine Ganztagsschule, auch nicht im Schulgesetz – Thüringen ist so ein Beispiel – die arbeiten mit Jugendarbeit in der Schule. Das ist gar nicht mal so ein schlechter Ansatz, es hilft nur relativ wenig, wenn wir an die Notwendigkeit von Förderung denken oder an Maßnahmen, wo wir die didaktische Kompetenz der Lehrkräfte auch brauchen.
Wie würde die Ganztagsschule also im Idealfall aussehen?
Ein Mehr an Zeit muss auch der Entwicklung der Lernkultur zu Gute kommen. Das heißt, Unterricht anders zu machen in neuen und anderen Lernformen, die längst existieren, die längst erprobt sind, für die man aber meistens auch ein Stück mehr Zeit braucht, zum Beispiel Erkundungen, Projekte, in denen wichtige Schlüsselqualifikationen auch vermittelt werden an Kinder und Jugendliche, und es gibt natürlich auch die Möglichkeit, mit außerschulischen Partnern zu kooperieren, an andere Lernorte zu gehen, um stärker handlungsorientiert zu lernen, um authentische Begegnungen zu haben. Hiermit kann man meistens auch Schülerinnen und Schüler erreichen, die ansonsten Probleme haben mit dem Lernen.
Als Vorreiter in Sachen Ganztagsschule gilt unter Experten das Bundesland Rheinland-Pfalz. Schon vor der Initiative des Bundes hat man dort begonnen, das Land mit einem Netz von Ganztagsschulen zu überziehen, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllen: Sie garantieren an mindestens vier Tagen in der Woche ein Ganztagsangebot von 8 bis 16 Uhr, und sie verfügen über bestimmte pädagogische Merkmale wie Förderunterricht, Hausaufgabenbetreuung, Freizeitaktivitäten und themenbezogene Projekte. Bis zum Jahr 2006 sollen 300 Schulen dieses Typs entstehen – jede fünfte allgemeinbildende Schule in Rheinland-Pfalz ist dann mit einem Ganztagsangebot ausgestattet.
Andere Länder wie Baden-Württemberg agieren sehr viel zurückhaltender. Hier entstehen vor allem in sozialen Brennpunkten neue Ganztagsschulen – mit der durchaus nachvollziehbaren Begründung, dass eine umfassende pädagogische Betreuung die Bildungschancen einer benachteiligten Klientel verbessere. Aber – könnte man fragen - haben nicht auch andere Schüler einen Anspruch auf die bestmögliche Förderung? Dürfen nicht auch Gymnasiasten die Schule als Lebens- und Lernort erleben, wie es in den Leitlinien des Landes Rheinland-Pfalz heißt?
Was diese Formulierungen in der Realität bedeuten, sieht man beispielsweise in der Mensa der Integrierten Gesamtschule in Hannover-Linden. Hier können sich Lehrer und Schüler nicht nur eines von drei Menüs auswählen, die Kantine ist auch von unschätzbarer Bedeutung für Begegnungen und persönlichen Austausch. Dass die milliardenschwere Finanzspritze des Bundes schon mal als "Suppenküchen-Programm" verspottet worden ist, kann man hier gar nicht so richtig verstehen. Für Lehrerin Marianne Papst ist gerade die Suppenküche beinahe so etwas wie der Mittelpunkt der Schule.
Wir gehen selber in die Mensa, da trifft man sich mittags und unterhält sich. Die informellen Gespräche sind oft ertragreicher, als wenn man sich zu ner Sitzung trifft. Man trifft auch so Leute, die man nicht so durch den Unterricht trifft. Man trifft die Techniker da, man trifft die Schüler, mit denen man vielleicht mal nen Wort nebenher reden möchte. Unser Anliegen ist, für die Schüler auch Ansprechpartner zu sein.
Und das, so Marianne Papst, sei oft dringend nötig:
Wir haben im Laufe der Zeit das immer wieder festgestellt, dass Schüler, dass sie in der Schule auch das finden, oft, was sie zu Hause nicht haben. Dass also Schüler, die zu Hause viel alleine sind oder man sich nicht so um sie kümmert, hier in der Schule, durch die lange Betreuung pro Tag und die etwas persönlichere, dann auch sich etwas zu Hause fühlen. Das merkt man zum Beispiel auch daran, dass sie sehr viel Kontakt über persönliche Probleme suchen und auch immer wieder kommen, wenn sie eigentlich entlassen sind. Die kommen uns häufig besuchen.
Die Schülerin Berivan bestätigt das:
Man sieht sich ja wirklich zum Teil bis zu neun Stunden oder so, und dann wächst man einfach mit den Lehren und mit den Schülern, mit dem ganzen Haus einfach zusammen, man fühlt sich hier wohl, man kennt dann auch alles in- und auswendig. Wenn’s mir schlecht geht zu Hause oder so, bin ich einfach froh, hier in der Schule sein zu können. Das ist dann nicht mehr dieses typische Lehrer-Schüler-Verhältnis. Da ist ein bisschen mehr dran. Man kann sich denen viel einfacher anvertrauen. Vielleicht weil man die jeden Tag so lange sieht und weil man die so lange kennt.
Das Bild, das Pädagogin und Schülerin von ihrer Schule entwerfen, macht eines klar: Als Betreuungseinrichtung hat die IGS Linden einen hohen Wert. Auch das ist ja schon früher ein Argument für Ganztagsschulen gewesen: Kindern von Alleinerziehenden und von berufstätigen Eltern bieten sie eine wertvolle Alternative für den Nachmittag. Im übrigen sprechen sich auch viele Eltern für die Einrichtung von mehr Ganztagsschulen aus: Der Anteil liegt im Allgemeinen zwischen 50 und 75 Prozent.
Eines ist klar: In der gegenwärtigen Debatte zählen weniger die sozialpolitischen als die bildungspolitischen Argumente. Ob und wieweit die Ganztagsschulen das Bildungsniveau in Deutschland erhöhen könnten und werden, ist allerdings nach wie vor umstritten. Konservative Kritiker befürchten, die Fokussierung auf den Ausbau von Ganztagsschulen werde dazu führen, dass man vom eigentlichen Problem ablenke – der zum Teil mangelhaften Unterrichtsqualität. Mehr Lernzeit bei gleichbleibender Ineffizienz nütze niemandem, lautet der Vorwurf. Verlässliche Untersuchungen, die Halbtagsschulen und Ganztagsschulen unter diesem Gesichtspunkt vergleichen, gibt es bislang nicht. Es komme sehr darauf an, wie die einzelne Schule die politischen Vorgaben umsetze, sagt Bildungsforscher Heinz Günter Holtappels. Er plädiert dafür, auch beim Nachmittagsunterricht auf hochwertige Angebote zu setzen:
Wir können Ganztagsschule nicht einfach nur mit Spiel und Freizeit gestalten. Wir brauchen eben auch andere qualitativ hoch entwickelte Angebote, in der musischen Erziehung beispielsweise, auch im sozialen Lernen, wir brauchen also in jedem Fall Fachkräfte und wir brauchen auch ein Konzept, was ein festes Personal ermöglicht. Und das ist ja in den Investitionen nicht enthalten. Das heißt, hier werden also Sachmittel gefördert, nicht aber die Personalmittel. Die müssen die Länder selbst bereitstellen.
Das ist möglicherweise der Punkt, der die ehrgeizigen Zielsetzungen des Bundes Makulatur werden lässt. Gute Ganztagsschulen sind teuer. Wie viel teurer als Halbtagsschulen, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Ein Konzept, das nicht nur auf Betreuung, sondern auch auf ein pädagogisch sinnvolles Nachmittagsangebot setzt, ist mit zusätzlichen Kosten von mindestens 30 Prozent verbunden. Den mit Abstand größten Posten, die Personalmittel, müssen auch in Zukunft die Länder allein aufbringen. Und so sehr man die gut gemeinte Einmischung des Bundes in das Feld der Schulpolitik auch nachvollziehen kann – das Entscheidende muß auf Seiten der Länder geschehen. Heinz Günter Holtappels hofft, dass das Förderprogramm des Bundes nicht nur zu mehr Ganztagsschulen führt, sondern auch zu einem Wettbewerb um die besten Konzepte. Insgesamt aber blickt er eher skeptisch in die Zukunft.
Man hat auf Bundesseite Pech gehabt, dass man mit dieser Finanzspritze in eine Situation hineinkommt, wo die Länder und Kommunen so gut wie pleite sind und nicht selbst in der Lage sind, hier Entsprechendes aufzustocken, damit dieses Programm auch wirksam wird. Das ist sicherlich ne Ungleichzeitigkeit, die man vielleicht auch in diesem Ausmaß nicht voraussehen konnte – man sieht das ja bei den Sozialkürzungen, dass man da doch schärfer eingreifen musste, als es geplant war. Also auch hier sehe ich schwarz – wir werden sehr lange brauchen, um ein gutes Ganztagsschulsystem zu bekommen. Wir werden dann allerdings uns auch bescheiden müssen und entsprechende Lernergebnisse haben im Vergleich mit dem Ausland. Ich glaube, dass wir bei der nächsten Pisa-Studie nicht besser abschneiden.
10 000 zusätzliche Ganztagsschulen können nicht mehr als ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem international konkurrenzfähigen Bildungssystem sein. Darüber ist man sich auch in Berlin im Klaren. Trotz der zähen Verhandlungen mit den Bundesändern will das Bundesbildungsministerium allerdings auch weiterhin in ausgewählten Bereichen der Schulpolitik Akzente setzen. Schon für den Herbst sind Gespräche über die Förderung frühkindlichen Lesens und eine verbesserte Integration von Immigrantenkindern geplant. Dass der Bund in den nächsten Jahren noch einmal eine Summe von vier Milliarden Euro locker machen könnte, wird dabei aber niemand ernsthaft erwarten.
Felix, 5. Klasse, und Berivan, 9. Klasse. Die beiden gehen gern zur Schule. Und das liegt unter anderem daran, dass sie eine Ganztagsschule besuchen, die ihnen mit einem breiten Angebot an Arbeitsgemeinschaften und Freizeitaktivitäten viele Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Die Integrierte Gesamtschule in Hannover-Linden, kurz IGS Linden, arbeitet schon seit vielen Jahren als Ganztagsbetrieb - ein Modell, das in Deutschland lange Zeit die große Ausnahme war, aber jüngst von der Bildungspolitik wiederentdeckt wurde.
Wir haben vorgegeben, dass die Schüler zwischen 8 Uhr 15 und 16 Uhr 15 Unterricht haben. Das sind insgesamt neun Stunden. Davon ist eine Stunde Mittagspause. Das heißt: reiner Unterricht sind acht Stunden. Das haben wir dann gestaffelt vom fünften Jahrgang aufwärts - zunächst nur zwei lange Nachmittage in den fünften und sechsten Klassen, im siebten und achten kommt dann ein dritter Nachmittag dazu, im neunten bleibt das so, und im zehnten haben die Schüler dann vier Nachmittage pflichtgemäß Unterricht bis viertel nach vier.
Die Lehrerin Marianne Papst organisiert an der IGS Linden die Freizeitangebote. Die nutzen die Schüler vor allem während der Mittagspause, aber auch nach dem regulären Unterricht.
Es gibt Platz zum Toben und Ballspielen, für Billard oder Tischfußball, aber auch einfach nur zum Ausruhen und Quatschen. Im Computerraum können Schüler über Mittag im Internet surfen oder Schreibarbeiten erledigen. Unter den zahlreichen Arbeitsgemeinschaften erfreuen sich Akrobatik und Clownerie besonderer Beliebtheit.
Wir haben also einen schuleigenen Zirkus, der sich inzwischen aufgrund des Engagements eines Kollegen sehr erweitert hat. Wir haben jetzt als AG einen Zirkus, aber unserer Schule ist ein zirkuspädagogisches Zentrum angeschlossen, das sich selbst finanziert, also ein Verein, in dem Mitarbeiter da sind, die nicht Lehrer dieser Schule sind, sondern speziell nur dafür eingestellt sind. Und dieses zirkuspädagogische Zentrum bietet natürlich nicht nur für unsere Schule AGs an, sondern die bieten Kurse, Projekte, also ganz viel an. Das ist eine eigene Organisation. Nur für uns ist es gut, dass sie hier sind, weil sie natürlich zusammen mit der Schule vieles machen. Da können Klassen hingehen und Zirkusprojekte machen, es läuft dreimal die Woche eine AG für Zirkus – kein Schulfest ist für uns vorzustellen, ohne dass der Zirkus in Erscheinung tritt.
Die IGS Linden in Hannover ist eine Ganztagsschule, wie sie vielen Bildungspolitikern inzwischen als wünschenswert vorschwebt: Die Stundenpläne folgen einem ausgereiften pädagogischen Konzept, die Schule ist räumlich gut ausgestattet und durch zahlreiche Aktivitäten in den Stadtteil eingebunden. Dafür engagieren sich neben den Lehrern auch vier Sozialpädagogen. Sind solche Ganztagsschulen besser als Halbtagsschulen? Der Bildungsforscher Heinz Günter Holtappels vom Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigen. Er hält die Ganztagsschule für eine Organisationsform, die sich im internationalen Vergleich der Industrieländer im Grunde längst als zeitgemäß und zweckmäßig durchgesetzt hat.
Zunächst mal ist die Ganztagsschule in den meisten Industrieländern, in den mit Deutschland vergleichbaren Ländern, ausgebaut. Es ist die normale Schulform im Ausland. Wir haben nur wenige Länder in Europa, die wie in Deutschland im Wesentlichen nur die Halbtagsschule haben.
Die Halbtagsschule hat nach Holtappels’ Meinung strukturelle Nachteile. Das gelte gerade auch im Hinblick auf die Ergebnisse der Pisa-Studie, die auffallend große Unterschiede zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Schülern in Deutschland zu Tage gefördert hatte.
Wir haben im Prinzip einen sehr engen Unterrichtsvormittag, in dem Kinder in der Schule sind. Was darüber hinaus mit dem Lernen passiert, entzieht sich meistens dem schulischen Zugriff, weil in den Elternhäusern ja auch unterschiedlich gefördert wird, unterschiedlich auf Hausaufgaben und auf Lernen geachtet wird. Das heißt, Ganztagsschule ist im Prinzip auch immer ein Weg zu mehr Chancengleichheit, weil alle Kinder und Jugendlichen besser gefördert werden können in einem Mehr an Lernzeit. Das heißt, man hat auch mehr Zeit, etwas zu verstehen, etwas zu begreifen, etwas Neues zu lernen. Man ist nicht angewiesen auf den engen Stundenplan. Hinzu kommt, dass in der Ganztagsschule auch soziale Lernziele vorherrschen, das heißt, dort wird auch gelernt, miteinander umzugehen, Hilfestellung, gegenseitige Unterstützung, Solidarität, Einfühlungsvermögen, das sind alles wichtige soziale Kompetenzen, die Kinder und Jugendliche auch später im Beruf brauchen.
Argumente dieser Art sind es, die nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler bei der Pisa-Studie auch die SPD-geführte Bundesregierung auf den Plan rufen. Im Koalitionsvertrag vom Herbst 2002 kündigt sie die Schaffung von 10 000 zusätzlichen Ganztagsschulen an. Ende des Jahres werden dann konkrete Pläne für das milliardenschwere Förderprogramm bekannt. Vor allem aus CDU-regierten Bundesländern ist scharfer Protest gegen die vermeintliche Einmischung in ihre Zuständigkeiten zu hören. Von "Almosen des Bundes" spricht die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier, während ihre Kollegin Annette Schavan aus Baden-Württemberg die vorgesehenen vier Milliarden Euro als "jämmerlich und realitätsfern" geißelt.
Dennoch kommen Bund und Länder nach zähen Verhandlungen zu einer Einigung über Ablauf und Modalitäten des Programms. Im Mai 2003 stellt Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn die "Verwaltungsvereinbarung zum Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung" vor. Das Papier sichert den Ländern insgesamt vier Milliarden Euro zu, verteilt auf einen Zeitraum bis zum Jahr 2007. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Schulen mit Unterstützung des Bundes ihren Ganztagsbetrieb aufnehmen. Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, sieht das Projekt jetzt nach dem Ende verfassungsrechtlicher Grabenkämpfe auf einem guten Weg.
Es ist ja so, dass alle Bundesländer in unterschiedlicher Weise, mit unterschiedlichen Konzepten Ganztagsschulprogramme vorbereitet haben, zum Teil, bevor der Bund mit seiner Initiative an die Öffentlichkeit getreten ist, zum Teil ermuntert, vielleicht auch etwas forciert und stärker unter Druck geraten nach dem Angebot des Bundes – ich nenne etwa Nordrhein-Westfalen, ich nenne aber auch Baden-Württemberg oder Bayern. Es ist Gott sei dank ja jetzt keine Frage mehr von Parteikonflikten bundesweit, sondern sowohl SPD-geführte wie CDU-geführte Bundesländer bereiten solche Ganztagsschulprogramme vor. Sie müssen wissen, dass ja auch der Weg zur Verwaltungsvereinbarung ein lange dauernder, ein quälender war, und wir sind erst einmal froh, dass diese Phase verlassen worden ist, und jetzt die Länder erst einmal selbst entscheiden, wie schnell und in welchem Umfang sie von dem Angebot des Bundes Gebrauch machen.
Das klingt vielversprechend. Doch wie immer steckt der Teufel im Detail. Allein die Frage, wie viele Ganztagsschulen es in Deutschland derzeit gibt, bringt den Fachmann ins Grübeln und den Statistiker zur Verzweiflung. Alle bisherigen Zählungen sind dadurch beeinträchtigt, dass die Länder Ganztagsschulen unterschiedlich definieren – zum Teil bekommen auch solche Schulen dieses Etikett, in denen sich der Ganztagsunterricht darauf beschränkt, dass die örtliche Musikschule dort an zwei Nachmittagen in der Woche ein paar Kurse abhält. Vermutlich liegt die Zahl der Ganztagsschulen, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen, zwischen 1500 und 2000, davon sind allerdings etwa ein Drittel Sonderschulen. In jedem Fall beträgt der Anteil an der Gesamtversorgung deutlich weniger als fünf Prozent. Was wird das Investitionsprogramm des Bundes ändern? Der Bildungsforscher Heinz Günter Holtappels glaubt zwar daran, dass sich in den nächsten Jahren einiges bewegen wird, aber er befürchtet, dass der Zug nicht immer in die richtige Richtung fährt:
Es wird den Ausbau sicher entscheidend voranbringen, aber man darf nicht verkennen, dass die Bedingungen ja sehr, sehr weich gesetzt sind. Die Länder haben ja selbst darauf gedrängt. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesministerin hier härter gewesen wäre und hätte stärker auch konzeptionelle pädagogische Bedingungen zur Voraussetzung gemacht. Dieses war aber sicherlich politisch einfach nicht durchsetzbar. Das muss man so sehen, denn die Länder haben ja bereits schon zum Teil ausgebaute Strukturen, es gibt auch Länder, die haben noch fast gar nichts im Ganztagsschulbereich. Aber einige Länder möchten natürlich diese Strukturen ausbauen und nicht etwas völlig Neues schaffen.
Welche Ganztagsschulen Geld bekommen und welche nicht, darauf hat der Bund nur einen begrenzten Einfluss. Die Verwaltungsvereinbarung spricht sehr allgemein von einem "pädagogischen Konzept" als Voraussetzung. Was man von Seiten des Bundes erwartet, erläutert Wolf-Michael Catenhusen:
Also der Bund erwartet nicht selbst ein pädagogisches Konzept nach unseren Vorstellungen, aber wir erwarten, dass für jede Maßnahme ein pädagogisches Konzept der zuständigen Behörde des Landes vorgelegt wird. Und eins muss klar sein: die Fortführung einer klassischen Halbtagsschule mit angepappter Übermittagsbetreuung, die wird durch Bundesmittel nicht finanziert werden.
Jenseits dieser Minimalforderung gibt es sehr verschiedenartige Modelle von Ganztagsschulen: Manche arbeiten vor allem mit außerschulischen Anbietern wie Sportvereinen und Musikschulen zusammen, andere setzen auf Hausaufgabenbetreuung und Fördermaßnahmen am Nachmittag, wieder andere verteilen den Unterricht gleichmäßig über den kompletten Schultag. Heinz Günter Holtappels befürchtet, dass über das Investitionsprogramm des Bundes auch solche Ganztagsschulmodelle gefördert werden, die unter pädagogischen Gesichtspunkten weniger sinnvoll sind.
Es gibt Länder, die haben gar keine Ganztagsschule, auch nicht im Schulgesetz – Thüringen ist so ein Beispiel – die arbeiten mit Jugendarbeit in der Schule. Das ist gar nicht mal so ein schlechter Ansatz, es hilft nur relativ wenig, wenn wir an die Notwendigkeit von Förderung denken oder an Maßnahmen, wo wir die didaktische Kompetenz der Lehrkräfte auch brauchen.
Wie würde die Ganztagsschule also im Idealfall aussehen?
Ein Mehr an Zeit muss auch der Entwicklung der Lernkultur zu Gute kommen. Das heißt, Unterricht anders zu machen in neuen und anderen Lernformen, die längst existieren, die längst erprobt sind, für die man aber meistens auch ein Stück mehr Zeit braucht, zum Beispiel Erkundungen, Projekte, in denen wichtige Schlüsselqualifikationen auch vermittelt werden an Kinder und Jugendliche, und es gibt natürlich auch die Möglichkeit, mit außerschulischen Partnern zu kooperieren, an andere Lernorte zu gehen, um stärker handlungsorientiert zu lernen, um authentische Begegnungen zu haben. Hiermit kann man meistens auch Schülerinnen und Schüler erreichen, die ansonsten Probleme haben mit dem Lernen.
Als Vorreiter in Sachen Ganztagsschule gilt unter Experten das Bundesland Rheinland-Pfalz. Schon vor der Initiative des Bundes hat man dort begonnen, das Land mit einem Netz von Ganztagsschulen zu überziehen, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllen: Sie garantieren an mindestens vier Tagen in der Woche ein Ganztagsangebot von 8 bis 16 Uhr, und sie verfügen über bestimmte pädagogische Merkmale wie Förderunterricht, Hausaufgabenbetreuung, Freizeitaktivitäten und themenbezogene Projekte. Bis zum Jahr 2006 sollen 300 Schulen dieses Typs entstehen – jede fünfte allgemeinbildende Schule in Rheinland-Pfalz ist dann mit einem Ganztagsangebot ausgestattet.
Andere Länder wie Baden-Württemberg agieren sehr viel zurückhaltender. Hier entstehen vor allem in sozialen Brennpunkten neue Ganztagsschulen – mit der durchaus nachvollziehbaren Begründung, dass eine umfassende pädagogische Betreuung die Bildungschancen einer benachteiligten Klientel verbessere. Aber – könnte man fragen - haben nicht auch andere Schüler einen Anspruch auf die bestmögliche Förderung? Dürfen nicht auch Gymnasiasten die Schule als Lebens- und Lernort erleben, wie es in den Leitlinien des Landes Rheinland-Pfalz heißt?
Was diese Formulierungen in der Realität bedeuten, sieht man beispielsweise in der Mensa der Integrierten Gesamtschule in Hannover-Linden. Hier können sich Lehrer und Schüler nicht nur eines von drei Menüs auswählen, die Kantine ist auch von unschätzbarer Bedeutung für Begegnungen und persönlichen Austausch. Dass die milliardenschwere Finanzspritze des Bundes schon mal als "Suppenküchen-Programm" verspottet worden ist, kann man hier gar nicht so richtig verstehen. Für Lehrerin Marianne Papst ist gerade die Suppenküche beinahe so etwas wie der Mittelpunkt der Schule.
Wir gehen selber in die Mensa, da trifft man sich mittags und unterhält sich. Die informellen Gespräche sind oft ertragreicher, als wenn man sich zu ner Sitzung trifft. Man trifft auch so Leute, die man nicht so durch den Unterricht trifft. Man trifft die Techniker da, man trifft die Schüler, mit denen man vielleicht mal nen Wort nebenher reden möchte. Unser Anliegen ist, für die Schüler auch Ansprechpartner zu sein.
Und das, so Marianne Papst, sei oft dringend nötig:
Wir haben im Laufe der Zeit das immer wieder festgestellt, dass Schüler, dass sie in der Schule auch das finden, oft, was sie zu Hause nicht haben. Dass also Schüler, die zu Hause viel alleine sind oder man sich nicht so um sie kümmert, hier in der Schule, durch die lange Betreuung pro Tag und die etwas persönlichere, dann auch sich etwas zu Hause fühlen. Das merkt man zum Beispiel auch daran, dass sie sehr viel Kontakt über persönliche Probleme suchen und auch immer wieder kommen, wenn sie eigentlich entlassen sind. Die kommen uns häufig besuchen.
Die Schülerin Berivan bestätigt das:
Man sieht sich ja wirklich zum Teil bis zu neun Stunden oder so, und dann wächst man einfach mit den Lehren und mit den Schülern, mit dem ganzen Haus einfach zusammen, man fühlt sich hier wohl, man kennt dann auch alles in- und auswendig. Wenn’s mir schlecht geht zu Hause oder so, bin ich einfach froh, hier in der Schule sein zu können. Das ist dann nicht mehr dieses typische Lehrer-Schüler-Verhältnis. Da ist ein bisschen mehr dran. Man kann sich denen viel einfacher anvertrauen. Vielleicht weil man die jeden Tag so lange sieht und weil man die so lange kennt.
Das Bild, das Pädagogin und Schülerin von ihrer Schule entwerfen, macht eines klar: Als Betreuungseinrichtung hat die IGS Linden einen hohen Wert. Auch das ist ja schon früher ein Argument für Ganztagsschulen gewesen: Kindern von Alleinerziehenden und von berufstätigen Eltern bieten sie eine wertvolle Alternative für den Nachmittag. Im übrigen sprechen sich auch viele Eltern für die Einrichtung von mehr Ganztagsschulen aus: Der Anteil liegt im Allgemeinen zwischen 50 und 75 Prozent.
Eines ist klar: In der gegenwärtigen Debatte zählen weniger die sozialpolitischen als die bildungspolitischen Argumente. Ob und wieweit die Ganztagsschulen das Bildungsniveau in Deutschland erhöhen könnten und werden, ist allerdings nach wie vor umstritten. Konservative Kritiker befürchten, die Fokussierung auf den Ausbau von Ganztagsschulen werde dazu führen, dass man vom eigentlichen Problem ablenke – der zum Teil mangelhaften Unterrichtsqualität. Mehr Lernzeit bei gleichbleibender Ineffizienz nütze niemandem, lautet der Vorwurf. Verlässliche Untersuchungen, die Halbtagsschulen und Ganztagsschulen unter diesem Gesichtspunkt vergleichen, gibt es bislang nicht. Es komme sehr darauf an, wie die einzelne Schule die politischen Vorgaben umsetze, sagt Bildungsforscher Heinz Günter Holtappels. Er plädiert dafür, auch beim Nachmittagsunterricht auf hochwertige Angebote zu setzen:
Wir können Ganztagsschule nicht einfach nur mit Spiel und Freizeit gestalten. Wir brauchen eben auch andere qualitativ hoch entwickelte Angebote, in der musischen Erziehung beispielsweise, auch im sozialen Lernen, wir brauchen also in jedem Fall Fachkräfte und wir brauchen auch ein Konzept, was ein festes Personal ermöglicht. Und das ist ja in den Investitionen nicht enthalten. Das heißt, hier werden also Sachmittel gefördert, nicht aber die Personalmittel. Die müssen die Länder selbst bereitstellen.
Das ist möglicherweise der Punkt, der die ehrgeizigen Zielsetzungen des Bundes Makulatur werden lässt. Gute Ganztagsschulen sind teuer. Wie viel teurer als Halbtagsschulen, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Ein Konzept, das nicht nur auf Betreuung, sondern auch auf ein pädagogisch sinnvolles Nachmittagsangebot setzt, ist mit zusätzlichen Kosten von mindestens 30 Prozent verbunden. Den mit Abstand größten Posten, die Personalmittel, müssen auch in Zukunft die Länder allein aufbringen. Und so sehr man die gut gemeinte Einmischung des Bundes in das Feld der Schulpolitik auch nachvollziehen kann – das Entscheidende muß auf Seiten der Länder geschehen. Heinz Günter Holtappels hofft, dass das Förderprogramm des Bundes nicht nur zu mehr Ganztagsschulen führt, sondern auch zu einem Wettbewerb um die besten Konzepte. Insgesamt aber blickt er eher skeptisch in die Zukunft.
Man hat auf Bundesseite Pech gehabt, dass man mit dieser Finanzspritze in eine Situation hineinkommt, wo die Länder und Kommunen so gut wie pleite sind und nicht selbst in der Lage sind, hier Entsprechendes aufzustocken, damit dieses Programm auch wirksam wird. Das ist sicherlich ne Ungleichzeitigkeit, die man vielleicht auch in diesem Ausmaß nicht voraussehen konnte – man sieht das ja bei den Sozialkürzungen, dass man da doch schärfer eingreifen musste, als es geplant war. Also auch hier sehe ich schwarz – wir werden sehr lange brauchen, um ein gutes Ganztagsschulsystem zu bekommen. Wir werden dann allerdings uns auch bescheiden müssen und entsprechende Lernergebnisse haben im Vergleich mit dem Ausland. Ich glaube, dass wir bei der nächsten Pisa-Studie nicht besser abschneiden.
10 000 zusätzliche Ganztagsschulen können nicht mehr als ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem international konkurrenzfähigen Bildungssystem sein. Darüber ist man sich auch in Berlin im Klaren. Trotz der zähen Verhandlungen mit den Bundesändern will das Bundesbildungsministerium allerdings auch weiterhin in ausgewählten Bereichen der Schulpolitik Akzente setzen. Schon für den Herbst sind Gespräche über die Förderung frühkindlichen Lesens und eine verbesserte Integration von Immigrantenkindern geplant. Dass der Bund in den nächsten Jahren noch einmal eine Summe von vier Milliarden Euro locker machen könnte, wird dabei aber niemand ernsthaft erwarten.