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Bildung trotz Corona-Pandemie
Grundschulleiter: Jede Schule muss eigene Lösungen finden

Statt pauschaler Vorschriften wie der diskutierten Maskenpflicht für Grundschüler hält Schulleiter Mario Michel mehr Autonomie für Schulen in der Coronakrise für nötig. So könnten Lösungen gefunden werden für die einzelne Grundschule vor Ort, sagte er im Dlf. Basis müssten gleiche Informationen sein.

Mario Michel im Gespräch mit Thekla Jahn |
"Bitte Mundschutz tragen" steht am Eingang zu einer Grundschule in Berlin-Friedrichshain
Die Mundschutzpflicht an Grundschulen ist - zumindest im Unterricht - umstritten (picture alliance/ dpa/ Annette Riedl)
Der Gesundheitsschutz in Schulen ist seit Monaten Dauerthema. Auch bei den Bund-Länder-Gespräche über eventuelle Verschärfungen der Corona-Maßnahmen sollten neue Beschlüsse dazu fallen, doch dann wurden sie vorerst ausgeklammert. Zu groß war der Unmut mancher Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen über das, was als Beschlussvorlage vorab bekannt wurde, nämlich: Mund-Nasen-Schutz für alle Schülerinnen und Schüler und geteilte Klassen.
Die Beschlüsse wurden vertagt, die Länder sollen Vorschläge erarbeiten, wie sie die Ansteckungsrisiken an Schulen reduzieren wollen. Mario Michel, Vorsitzender der Landesgruppe Hessen des Grundschulverbandes und Schulleiter in Kirchhain, plädiert für individuelle Lösungen und runde Tische mit der Schulleitung, der Elternvertretung, dem Schulamt und dem Gesundheitsamt vor Ort. Allerdings seien dafür häufig nicht die Ressourcen vorhanden.
Children wearing masks are seen in Sanaa, Yemen, March 15, 2020. YEMEN-SANAA-COVID-19 nieyunpeng
Maskenpflicht in Grundschulen
Die Tröpfcheninfektion sei gerade bei nah beieinander sitzenden Schülern relevant, sagte die Virologin Melanie Brinkmann im Dlf. Daher sollten auch Grundschüler – zumindest ab der 3. Klasse – Masken gegen Infektionen tragen.
Thekla Jahn: Herr Michel, geteilte Klassen und Maskenpflicht im Unterricht für Grundschulen, das ginge an der Schulrealität vorbei, oder was sagen Sie?
Mario Michel: Dem möchte ich zustimmen. Aktuell ist es mit Sicherheit so, dass unsere räumliche und personelle Ausstattung es kaum zulassen würde, die Gruppen zu teilen. Man müsste bedenken, dass wenn ich eine Klasse teile, trotzdem die andere Hälfte ja in irgendeiner Art und Weise betreut werden muss, damit Eltern ihrer Arbeit nachgehen können, und das alles innerhalb einer Schule zu bewerkstelligen, glaube ich, ist fast unmöglich. Von daher ist im Grundschulbereich eine Teilung sehr, sehr schwer umzusetzen.
Ganztägig Masken für Erstklässler "nicht förderlich"
Jahn: Und die Maskenpflicht wahrscheinlich auch.
Michel: Die Maskenpflicht – ich kann verstehen, warum man darüber diskutiert, ich glaube aber, dass es Lösungen vor Ort geben muss, wo gerade ein Erstklässler oder ein Kind in der Vorklasse nicht von morgens 7:30 Uhr bis weit in den Nachmittag noch die Maske tragen muss. Ich glaube nicht, dass das förderlich ist.
Jahn: Wie findet denn an Ihrer Grundschule im Moment der Unterricht statt?
Michel: Ziel bei uns jetzt in der Grundschule ist es, einfach klassenhomogene Gruppen zu bilden, das heißt an einem Beispiel: Ein Kind, was in der ersten Klasse, in der 1A ist, kommt morgens um 7:30 Uhr in die Schule, bleibt den ganzen Tag in seinem Klassenverband, auch selbst wenn es in die Betreuung beziehungsweise in den Ganztag im Anschluss des Unterrichts geht, einfach aufgrund der Tatsache, dass ich dadurch zumindest keine Mischung der einzelnen Klassen untereinander habe.
"Es kann nicht über jede Schule gleich entschieden werden"
Jahn: Welche Lösungen würden Sie sich denn für Ihre Schule wünschen?
Michel: Ich glaube, dass Sie das richtig formuliert haben, Ihre Schule, und damit sind wir eigentlich bei dem Grundproblem aus meiner Sicht: Es wäre wichtiger an der Stelle, unter der Beteiligung von Lehrkräften, den Schulleitungen, Eltern und auch dem Landkreis beziehungsweise den verschiedenen Schulträgern eine Lösung zu finden für die einzelne Grundschule vor Ort.
Es kann nicht über jede einzelne Grundschule gleich entschieden werden, weil die Voraussetzungen dann doch von Ort zu Ort so unterschiedlich sind. Wünschen grundsätzlich würde ich mir, dass einfach klar ist, dass wichtig für unsere tagtägliche Arbeit als Schulleitung einheitliche Regelungen schon in irgendeiner Art und Weise sind. Das heißt, gerade was die Gesundheitsämter betrifft, dass wir einfach eine Information haben, die bei mir an der Schule genauso gilt wie an einer Schule im Odenwald oder in einer Schule in Kassel, sodass wir als Schule, Schulgemeinde Entscheidungen auf gleichen Informationen treffen können.
"Aufpassen, dass Autonomie nicht zu Hilflosigkeit führt"
Jahn: Das heißt, die Bund-Länder-Beschlüsse zu Maßnahmen an den Schulen, die ja auf kommenden Montag vertagt wurden, da würden Sie auch als Wunsch platzieren wollen an die politischen Entscheider, dass Sie mehr Autonomie haben zu entscheiden an Ihrer Schule.
Michel: Ja, Autonomie, man muss aber aufpassen, dass diese Autonomie nicht zu einer Hilflosigkeit von Schulleitungen führt. Wichtig ist, dass Entscheidungen, die dann Schulleitungen treffen können, in Absprache eben mit diesen Gremien basierend entschieden werden auf gleichen Informationen, die allen zur Verfügung stehen. Nur dann bin ich als Schulleitung eben nicht in so einem Gefühl von Unsicherheit, sondern ich weiß, das sind Informationen, die gelten hier, die gelten da, die gelten dort, und aufgrund dieser Informationen entscheide ich mit meiner Schulgemeinde, welches Vorgehen an meiner Schule das sinnvolle ist.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Jahn: So ein bisschen höre ich aus Ihrer Antwort heraus, dass die Schulleitungen sich ein bisschen alleine gelassen fühlen derzeit und auch ein bisschen unsicher, weil sie entscheiden müssen.
Michel: Die Problematik ist jetzt durch die letzten Verordnungen und Verfügungen so einfach aufgetreten, dass dann doch immer wieder geswitcht wird – einmal entscheidet das Gesundheitsamt, dann hat das Kultusministerium doch noch mal das letzte Wort –, aber letzten Endes sind wir diejenigen, die in der Praxis Tag für Tag – wir sagen immer so schön – an der Front stehen und für diese Entscheidung geradestehen müssen. Da ist es schon gut, eine gewisse Rückendeckung zu haben, um einfach dann Entscheidungen zu treffen und diese dann mit gutem Gewissen treffen zu können.
"Ressouren nicht da"
Jahn: Sie sind im Grundschulverband Vorsitzender der Landesgruppe Hessen, wie könnte die Blaupause für einen Entscheidungsweg aussehen, der die jeweiligen Situationen an den einzelnen Schulen berücksichtigt?
Michel: Im Prinzip wäre es notwendig, dass es sogenannte runde Tische geben müsste mit der Schulleitung vor Ort, mit den Elternvertretungen vor Ort, mit dem Schulträger und mit dem Schulamt und letzten Endes mit dem Gesundheitsamt. Diese Parteien müssten an einen Tisch, und es müsste geguckt werden, wie ist die Situation jetzt vor Ort, wie sind die Voraussetzungen, wie ist die Entwicklung vor Ort, und aufgrund dieser Daten muss man dann gemeinsam eine Entscheidung treffen, wie der Grundschulunterricht in Zukunft stattfinden soll.
Jahn: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich das so darstellen wird nächsten Montag, wenn die Bund-Länder-Beschlüsse getroffen werden?
Michel: Leider nicht wirklich groß. Das liegt einfach daran, dass im Moment, egal in welche Institution ich gucke, ob das Schule ist, ob es das Gesundheitsamt ist, einfach die Ressourcen gar nicht da sind, um einen kleinen Landkreis mit, sage ich mal, 30 Grundschulen wirklich mit solchen runden Tischen abfertigen zu können. Das ist das, wo ich das größte Problem drin sehe, dass gar nicht genug Personal da ist, um diese Absprachen vor Ort tätigen zu können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.