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Bildungsbaustelle auf ungarisch

In Ungarn hat eine öffentliche Diskussion um Bildung und Wissenschaft begonnen. Streitpunkt ist dabei insbesondere das Bolognasystem. Die einen wollen es reformieren, die anderen warnen genau davor - und die neue Regierung versucht sich an einer Hochschulreform.

Von Anat Kalman |
    Selbst an der traditionsreichen Budapester Eötvös-Loránd-Universität läuft vieles schon lange nicht mehr so, wie es eigentlich laufen sollte: zu hohe Studiengebühren, ein halb eingeführtes, schlecht durchdachtes Bolognasystem, Qualifikationskriterien, die von der Wirtschaft infrage gestellt werden und die Aussicht auf viel zu schlecht bezahlte Jobs. Das führt zur immer mehr Studienabbrüchen und mittlerweile geht jeder 7. Ungarische Hochschulabsolvent ins Ausland - wie die 22-jährige Jurastudentin Véra Tóth erklärt:

    "Natürlich will jeder, der kann, weg. Wer als Student im Westen jobbt, lebt dort besser, als hier. Wer als Ungar mit einem westlichen Diplom zurückkehrt, findet besser bezahlte Stellen. Auf der anderen Seite verdiene ich weder als Jurist, noch als Lehrer, noch als Professor genug, um davon normal leben zu können. Man bekommt lächerliche 400 bis 800 Euro netto pro Monat."

    Eben darum kündigte die im April dieses Jahres neu gewählte christlich-konservative Fidesz-Regierung an: Bildung, Wissenschaft und Kultur sollen wieder stärker gefördert werden. Eigens dafür eingerichtet wurde ein Superministerium – das sogenannte Humanministerium, das alle drei Bereiche umfasst. Und die ersten Gesetze einer breit angelegten Hochschulreform wurden bereits vor der Sommerpause verabschiedet. Punkt eins der Reform: Ab 2011 gibt es wieder mehr Geld - statt 0,5 Prozent wie bisher, sollen ab 1 bis 1,3 Prozent des BIP nur in die Bildung fließen - erklärt Rózsa Hoffmann, die Staatssekretärin für Bildung und Hochschule:

    "Das Geld dafür wollen wir zum Teil von den privaten Fachhochschulen nehmen. Die wurden bisher staatlich unterstützt. In Ungarn gibt es 47 Fachhochschulen, davon sind nur 13 staatlich. Wenn wir hier klug rationalisieren, können wir das Geld anderweitig einsetzen."

    Auch Lehrer und Hochschullehrer sollen ab 2011 besser bezahlt werden und begabte Abiturienten aus sozial schwachen Familien können ab sofort einen Studiengebührenerlass beantragen. Trotzdem hat Rózsa Hoffman eine strengere Prüfungsordnung durchgesetzt. Denn, so meint sie, die Universitäten haben in den letzten Jahren wahllos alle Studienbewerber aufgenommen, weil sie auf die Studiengebühren angewiesen waren. Das führte dazu, dass viele Studienanwärter sich in Fächer einschrieben, die ihnen letztlich gar nicht entsprachen. Rózsa Hoffman sieht hier einen der Gründe dafür, dass in Ungarn mittlerweile jeder Vierte die Universität ohne Diplom verlässt.

    Hoffmann: "Diese Verschlechterung wollen wir stoppen. Wir brauchen nicht so viele Studierende. Die Universitäten werden von jetzt an wieder mehr subventioniert und wir wollen, dass sie wieder richtig auswählen und differenziert benoten."

    Denn jahrelang wurden Professoren aufgefordert, nur sehr gute und gute Noten zu geben, um so die Studierenden an den Universitäten zu halten. Das wichtigste Reformvorhaben der neuen ungarischen Regierung steht jedoch noch an: eine Veränderung des Bolognasystems. Das wird seit Langem von Vertretern der Wissenschaft und der Wirtschaft gefordert - erklärt Zoltán Dubéczi, der Chef der ungarischen Rektorenkonferenz:

    "Es ist klar: Eine dreijährige Grundausbildung für eine Fachausbildung auf Hochschulniveau und für eine praktische Ausbildung - das ist nicht in allen Fächern machbar. Zum Beispiel die Ingenieursausbildung benötigt ein anderes System, die Ausbildung der Pädagogen und einige geisteswissenschaftliche Fächer, wie die Ethnologie oder Sprachwissenschaften. Und das muss jetzt einfach verändert werden."

    Die neue ungarische Regierung hat die Wirtschafts- und Hochschulverbände nun aufgefordert, ihre Erfahrungen mit den ersten Bachelor-Abgängern zu sammeln, um danach zu entscheiden, in welchen Fachbereichen eine Reform des Bolognasystems notwendig sein wird. Doch es gibt auch kritische Stimmen – wie die von Koloman Brenner, dem Prodekan der Philosophischen Fakultät Budapest. Er warnt: Ungarn solle sich vom gesamteuropäischen Hochschulkonzept nicht zu sehr entfernen. Bevor man überhaupt etwas verändert, sollte das 2006 eingeführte Bolognasystem erst einmal konsolidiert werden:

    "Ich meine, dass die neue Regierung hier in diesem Bereich zu einer sehr großen Vorsicht gemahnt ist. Man hat jetzt die allerersten Absolventen in den neuen Masterjahrgängen. Die Wirtschaft, die Arbeitgeber können mit diesem Diplom noch nicht so richtig etwas anfangen. Da ist die Regierung in meinen Augen eher gefragt, gemeinsam mit den Hochschulen Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Also es ist sehr verfrüht, ganz große Veränderungen in diesem System einzuführen."

    Die Universitäten selbst erhoffen jedoch auch eine andere Verteilung der Forschungsgelder. Sie fordern eine direkte staatliche Finanzierung ihrer Forschungsprojekte. Denn immer noch muss jedes einzelne Projekt bei der Akademie der Wissenschaften eingereicht werden, die dann bestimmt, was davon subventioniert wird. Ob die jetzige Regierung auf diese Forderung eingehen wird, steht noch aus. Doch immerhin: Die öffentlichen Diskussionen um Bildung und Wissenschaft haben begonnen.