Michael Böddeker: Die Digitalisierung lässt sich inzwischen nicht mehr ignorieren. Wenn zum Beispiel Mark Zuckerberg in Brüssel über Facebook spricht, dann ist das überall ein Thema. Aber Lehrerin oder Lehrer werden, das geht anscheinend auch, ohne dass man etwas über die Digitalisierung lernt. Also zum Beispiel darüber, wie sich digitale Medien im Unterricht nutzen lassen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie aus dem Projekt Monitor Lehrerbildung von mehreren Stiftungen und dem Stifterverband. Autorin ist Bianca Brinkmann vom Centrum für Hochschulentwicklung. Guten Tag!
Bianca Brinkmann: Guten Tag!
Böddeker: Wenn man in Deutschland auf Lehramt studiert, wie groß ist denn dann die Wahrscheinlichkeit, dass man etwas lernt über den Umgang mit digitalen Medien im Unterricht?
Brinkmann: Ja, das zentrale Ergebnis unserer Studie ist dahingehend, dass Lehrangebote, in denen Lehramtsstudierende Kompetenzen zum Umgang mit digitalen Medien erwerben können, in der Regel noch kein verpflichtender Bestandteil des Lehramtsstudiums sind. Das ist im Moment noch sehr fächerabhängig, ob ich darauf als Student gut vorbereitet werde oder nicht. Je nach Fach ist das sehr, sehr unterschiedlich, und etwa die Hälfte der Universitäten bieten aktuell verpflichtende Lehrveranstaltungen in einzelnen Fächern an. In allen Fächern ist das tatsächlich im Moment nur selten der Fall.
"Wenn ich es nicht unbedingt möchte, muss ich es nicht machen"
Böddeker: Das heißt, die andere Hälfte könnte auch, wenn sie sich nicht dafür interessiert, drum herumkommen um digitale Lernmedien?
Brinkmann: Ja, ganz genau, das ließe sich dann daraus folgern. Da ist es so, dass diese Angebote dann häufig im Wahlpflichtbereich angesiedelt sind oder im individuellen Ergänzungsbereich und somit sozusagen der persönlichen Schwerpunktsetzung der Studierenden unterliegen. Wenn ich es also nicht unbedingt machen möchte, dann muss ich es auch nicht machen.
"Probleme relativ flächendeckend"
Böddeker: Ist das überall so oder gibt es da auch Unterschiede von Bundesland zu Bundesland?
Brinkmann: Tatsächlich sind die Probleme, wenn wir sie so nennen wollen, relativ flächendeckend. Wir können jetzt auf Basis unserer Studie nicht sagen, dass es Bundesländer gibt, in denen das sehr viel besser funktioniert als in anderen Bundesländern. Die Probleme sind relativ ähnlich überall, sodass wir da nicht wirklich eine Folgerung draus ziehen könnten.
"Digitale Medien bieten hervorragendes Potenzial"
Böddeker: Jetzt könnte man ja sagen, es hat ja bisher auch ohne geklappt. Also warum ist es denn aus Ihrer Sicht wichtig, etwas über Digitalisierung zu lernen?
Brinkmann Na ja, es gibt vielfältige Gründe dafür und ich will einfach mal zwei nennen: Ein ganz zentraler Grund, der, glaube ich, auch wirklich Konsens ist, ist der, dass natürlich die Schule als zentralen Auftrag hat, die Schülerinnen und Schüler auf die Digitalisierung vorzubereiten und auf die Teilhabe an einer zunehmend digitalisierten Welt. Das heißt, sie darf natürlich selbst kein Paralleluniversum darstellen, in dem diese Medien dann überhaupt nicht vorkommen, aus den Klassenzimmern verbannt werden schlimmstenfalls. Das ist also ein ganz allgemeiner Grund, Schule kann sich davon nicht freimachen von diesem Auftrag. Und ein anderer Grund ist eben auch, dass wir natürlich mit vielfältigen pädagogischen Herausforderungen konfrontiert sind aktuell. Ich nenne da nur zum Beispiel die Inklusion, die individuelle Förderung auch von geflüchteten Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, und da bieten digitale Medien natürlich hervorragendes Potenzial, diese Themen auch anzugehen.
Zielmarke 2021: "sehr ambitioniert"
Böddeker: Und tatsächlich haben sich das ja auch viele Bildungspolitiker als Ziel gesetzt. Die Kultusminister der Länder, die haben sogar eine Strategie formuliert. Bildung in der digitalen Welt heißt die. Und demnach sollten in den kommenden Jahren alle Schülerinnen und Schüler etwas lernen über grundlegende Fähigkeiten, die man in der digitalen Welt heute braucht, und auch eine digitale Lernumgebung und Internetzugang sollten flächendeckend kommen. Angesichts Ihrer Ergebnisse zur Ausbildung von Lehrern, kann das überhaupt klappen?
Brinkmann: Na ja, also die Zielmarke, die die Länder dort in dieser Strategie genannt haben, ist ja das Jahr 2021. Das sind jetzt also noch gut drei Jahre von jetzt an. Das ist natürlich sehr ambitioniert, vor allem, wenn man bedenkt, dass natürlich die Ausbildung von Lehrkräften relativ lange dauert, wir haben da Regelstudienzeiten von neun bis zehn Semestern, also vier bis fünf Jahre. Das heißt, man kann eigentlich nicht von jetzt auf gleich erwarten, dass sich das eben schnell ändert. Nichtsdestotrotz braucht es natürlich ambitionierte Ziele, weil sonst kommt ja auch nichts in Bewegung, und ich denke, da sind wir im Moment, selbst wenn unsere Ergebnisse noch zeigen, dass das eben noch nicht unbedingt flächendeckend in allen Fächern der Fall ist, trotzdem auf einem guten Weg. Ob das Jahr 2021 eben zu erreichen ist, das wird sich zeigen, das ist natürlich schwer abzuschätzen.
Hohe Nachfrage nach Fortbildungsangeboten
Böddeker: Was kann man dann also tun, abgesehen davon, dass die Lehrerausbildung sich vielleicht verändern könnte. Müsste man die Lehrer und Lehrerinnen, die jetzt schon da sind, nachschulen oder müssen die sich das irgendwie selbst aneignen?
Brinkmann: Ja, auf jeden Fall. Im Moment liegt da natürlich die Hauptlast bei der Qualifikation der Lehrkräfte auf der Fort- und Weiterbildung. Also auf der Weiterbildung bereits berufstätiger Lehrkräfte, die jetzt natürlich möglichst schnell diesen Wandel bereits in den Klassenzimmern gestalten müssen. Das Lehramtsstudium ist dann natürlich in die Zukunft gerichtet. Das heißt, im Moment konzentriert sich vieles natürlich auf die derzeitige Schulpraxis. Was dort möglich ist, da zeigen unsere Ergebnisse, dass es also in allen Ländern Fortbildungsangebote gibt, die also angeboten sind in diesem Bereich, und die werden auch sehr, sehr gut angenommen. Da besteht eine hohe Nachfrage, aber das ist auch klar, weil natürlich Lehrkräfte, die jetzt seit 20 Jahren bereits im Schuldienst arbeiten, diese Grundlagen in ihrer Ausbildung natürlich nicht vermittelt bekommen haben und entsprechend jetzt eben wirklich auch ganz weit vorne noch mal anfangen müssen.
Datenschutz, rechtliche Fragen, wie funktionieren Algorithmen
Böddeker: Andersherum gedacht: Diejenigen, die jetzt in der Ausbildung sind zum Lehrer, und dann bald als Referendare in den Klassen stehen, die sind ja auch relativ jung. Kann man da nicht davon ausgehen, dass die auch ohnehin schon in ihrem Leben mit Smartphones und dem Internet umgehen gelernt haben?
Brinkmann: Ja, also den persönlichen Umgang, denke ich, da kann man auf jeden Fall davon ausgehen, dass sie da versiert sind und natürlich das Handy zum privaten Gebrauch nutzen oder auch das Tablet. Es sind aber natürlich pädagogische Fragestellungen dahinter, die man jetzt nicht einfach aus dem Alltagsgeschehen und dem Alltagsgebrauch so kennt. Dazu gehören natürlich so Fragestellungen, was sind die Gefahren mit digitalen Medien, wofür muss ich meine Schülerinnen und Schüler vielleicht sensibilisieren, Datenschutzfragen, rechtliche Fragen, wie funktionieren Algorithmen, was passiert mit meinen Daten. Das sind natürlich Fragen, die, glaube ich, der Einzelne auch nicht unbedingt für sich so beantworten kann, und die müssen natürlich gelehrt werden und die müssen Gegenstand der Ausbildung sein. Da kann man, denke ich, nicht davon ausgehen, einfach nur weil man das Gerät bedienen kann und Apps nutzen kann, dass man dann eben auch in diesen Kompetenzfragen wirklich auch versiert ist.
Böddeker: In der Ausbildung von Lehrkräften ist der Einsatz digitaler Medien im Unterricht bisher kein großes Thema. Das besagt eine neue Studie. Darüber haben wir mit der Autorin gesprochen, Bianca Brinkmann vom Centrum für Hochschulentwicklung, vielen Dank!
Brinkmann: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.