"Meine Eltern waren nicht die Personen, die gesagt haben, Du schaffst das nicht. Das kannst Du nicht. Die standen immer hinter mir. Die wussten nicht, wie sie mir helfen konnten",
erinnert sich Gilzem Karagülmez. Heute studiert die 23-jährige Sport und Mathematik für das Lehramt an der Uni Duisburg/Essen. In ihrem Entschluss bestärkt und beraten hat sie Suat Yilmaz, Deutschlands erster Talentscout von der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. Dessen berufliches wie persönliches Credo lautet:
"Wir glauben, dass jeder Mensch Talent hat. Wir wissen aber, dass die Entfaltung von Talenten mit Herkunft zu tun hat. Und diesen Faktor wollen wir ein Stück weit neutralisieren, indem wir länger hinschauen, genauer hinschauen."
Ein Modell, das auch die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze überzeugt hat. Vor allem nachdem sie die ersten Schülerinnen und Schüler kennengelernt hat, ...
" ...die in diesem Talentscouting entdeckt worden sind. Und dann ist sehr schnell der Entschluss gereift: Da müssen wir was machen, das müssen wir verbreiten, das müssen wir für mehr Leute zugänglich machen."
"Das sind oft ganz fantastische Leistungen"
Um begabte Jugendliche aus Nichtakademiker- und Migrantenfamilien auf dem Weg zu einem Studium zu unterstützen, hat das Wissenschaftsministerium ein landesweites Talentscouting-Programm aufgelegt. Daran beteiligt sind die zentrale Anlaufstelle der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und sechs weitere Hochschulen. In einer zweiten Phase ab 2017 können, so Wissenschaftsministerin Schulze, weitere Hochschulen mit einsteigen.
"Yilmaz und sein Team haben ja das Talentscouting jetzt schon eine ganze Zeit lang betrieben. Und deswegen sollen sie den anderen Hochschulen helfen, individuelle Konzepte zu entwickeln."
Gut 32 Millionen Euro investiert das Land NRW bis 2020 in das Programm, das auf mehr Bildungsgerechtigkeit abzielt und soziale Schieflagen ausgleichen soll. Schließlich beträgt der Anteil von Studierenden aus Nichtakademiker-Familien nur 23 Prozent, aus Akademiker-Familien dagegen 77 Prozent. Ein seit Jahren fast zementiertes Verhältnis, an dem sich für Wissenschaftsministerin Schulze etwas ändern muss. Durch individuelle Talentförderung.
"Das sind oft ganz fantastische Leistungen, die die jungen Leute erbringen, die sich selber aber gar nicht so wertschätzen und gar nicht so als etwas Besonderes empfinden. Und wenn dann nicht Eltern oder Umfeld da ist, die sagen: 'Mensch, das ist Klasse, bleib da dran, mach es' und die motivieren, dann müssen eben andere helfen. Und Talentscouts sind da genau der richtige Weg."
Doch Talente passen in keine Schablone. Für die individuelle Förderung an den beteiligten Hochschulen gibt es, betont Svenja Schulze, außer Geld darum keine weiteren Vorgaben. Auch nicht bei der Auswahl der insgesamt 30 Mitarbeiter. Hier komme es auf entsprechende Qualifikation und Persönlichkeit an.
"Und jede Hochschule muss da für sich einen Weg finden. Jede hat da auch unterschiedliche Zielgruppen im Blick und muss dann auch genau gucken, was passt jetzt zu der Hochschule und zu der Struktur."
Ob die unterstützten Jugendlichen aus Zuwandererfamilien stammen oder nicht, das spielt auch keine entscheidende Rolle ...
" ...weil diejenigen, die wir im Blick haben, die sind die dritte Generation zum Beispiel hier. Die wollen nicht als Türke, als Russe oder sonst was bezeichnet werden, sondern es ist ein Programm für diejenigen, die Schwierigkeiten haben, mit den Hochschulen in Kontakt zu kommen. Die unsicher sind, die ihre eigenen Stärken nicht richtig einschätzen können. Die wollen wir gewinnen."
So wie Gilzem Karagülmez, die in einer multikultureller gewordenen deutschen Gesellschaft ihren Bildungsweg durch Talentscout-Förderung gefunden hat. Ihr persönlicher Scout, Suat Yilmaz, hat sie und andere auch während des Studiums begleitet. Auch das gehört zu dem Programm, mit dem Nordrhein-Westfalen eine Vorreiterrolle übernimmt und von dem sich Wissenschaftsministerin Schulze mehr Bildungsgerechtigkeit für Begabte verspricht.
"Nordrhein-Westfalen ist das erste Land, was sich mit Talentscouting in dieser Form beschäftigt. Nämlich auf der einen Seite Talentscouts in die Fläche zu bringen und auf der anderen Seite, das auch wissenschaftlich zu begleiten. Beides ist absolut notwendig. Und ich bin fest davon überzeugt, dass nach dem doppelten Abiturjahrgang und mit sinkenden Studierendenzahlen das auf jeden Fall ein Thema sein wird."