"Also für heute habe ich etwas zusammengestellt, das ist OER-Material, zum Thema: Wie britisch, wie englisch fühlen sich die verschiedenen Einwanderer-Gruppen."
Hans-Jürgen Constabel ist Englisch-Lehrer am Lessing-Gymnasium in Berlin. Er hat sich vom britischen Amt für Statistik Daten geladen und für seine Schüler Arbeitsmaterialien entworfen. Das Lessing-Gymnasium liegt im Wedding, einem Bezirk mit vielen sozialen Problemen und armen Familien.
"OER ist in gewisser Weise gerade in so einer Situation schon eine Möglichkeit die Schüler dennoch mit aktuellen Materialien, kostengünstig, ergänzend zum Schulbuch, das muss ich wirklich sagen, zu bedienen. Das heißt, es kann ein Beitrag dazu sein, Bildungsgefälle innerhalb eines Landes, einer Stadt zu korrigieren, weil auch die dann Zugang zu vernünftigen Materialien finden."
In der Praxis viele Hürden
Doch die Idee der Offenen Bildungsmaterialien stößt in der Praxis an viele Hürden, auch bei überzeugten Lehrern wie Hans-Jürgen Constabel. Denn nach der Idee müsste Hans-Jürgen Constabel nicht nur Primärquellen aus dem Netz laden und für seine Schüler aufbereiten. Er müsste das Material auf einen Server laden und vorher so herrichten, dass andere Lehrer es sofort verstehen und übernehmen können:
"Aber dann zu überprüfen, ob ich Material verwende, die möglicherweise gegen Copyright verstoßen - mache ich fast nie, ist einfach zu viel. Methodisch-didaktische Kommentare schreiben, mache ich auch nicht, weil mir sind die Methoden klar. Ganz ehrlich, das würde ich nur dann machen, wenn ich was dafür kriege. Nicht Geld, sondern Stunden, Zeit."
Diese Forderung deckt sich mit Erkenntnissen des "Praxisrahmen Open Educational Ressources", den die Wikimedia Stiftung für freies Wissen mit 600.000 Euro vom Bundesforschungsministerium erstellt hat. In Workshops mit 250 Fachleuten aus Schulen, Verlagen, Ministerien und Universitäten sollte geklärt werden: Wie kann OER in Deutschland vorangebracht werden?
"Und das kann eben auf einer institutionellen Ebene durch Anreizsystem geschaffen werden wie zum Beispiel durch Gratifikationen für Lehrende im Sinne von Zeitkontingenten, die man hat zur OER-Erstellung", sagt die Projektleiterin Elly Köpf von der Wikimedia Stiftung.
Weiterer Zeitaufwand für Lehrkräfte
Weil oftmals ist es gerade der Aspekt der Materialaufarbeitung, der einem Lehrenden noch oben drauf geladen wird und wenn man da jetzt einfach sagt, jetzt mach OER, ohne das entsprechend zu belohnen oder einen Gegenwert zu finden, wird es schwierig.
Deswegen hat der Berliner Lehrer Hans-Jürgen Constabel zwei Stunden in der Woche bekommen, um seine Arbeitsmaterialien publikationsfähig zu machen. Doch zwei Wochenstunden sind zu wenig, sagt er, um alles ins Netz stellen zu können. Und dann kommt gleich das nächste Problem: Andere Lehrer müssen sein Arbeitsmaterial auch finden.
"Also im Prinzip gibt es eine gute Anlaufadresse, das ist die Zentral für Unterrichtsmedien."
Auf ZUM.de, einem unübersichtlichen OER-Portal, sucht Hans-Jürgen Constabel mal nach Material zum Thema "Migration". Eine Handvoll Links tauchen auf, verweisen jedoch nur auf Zeitungsartikel.
"Dass ich eine vollständig aufbereitete, mit einem methodisch-didaktischen Überbau versehene Materialsammlung finde, das kommt vor, aber relativ selten."
Der "Praxisrahmen OER" fordert daher, das Erstellen, Publizieren und Finden offener Unterrichtsmaterialien müsse einheitlicher und einfacher werden:
"In einer schönen Welt würde man sich jetzt Arbeitsblätter wünschen, wo man die Inhalte per Drag and Drop reinzieht und die Lizenzierung ist gleich mit dabei und zack, ich drucks aus und habs fertig."
Kultur des Teilens soll gefördert werden
Erste Projekte in dieser Richtung entstünden, sagt die Projektleiterin Elly Köpf von der Wikimedia Stiftung. Der Praxisrahmen OER fordert zudem, unter Lehrenden eine Kultur des Teilens zu fördern, um das Rad nicht laufend neu zu erfinden.
Dazu könne beitragen eine Weiterbildungs-Offensive für "Digitales Lernen", bei der auch rechtliche und technische Fragen geklärt werden.
Doch ein simples Seminar reich nicht aus:
"Man muss sich Beratungsstrukturen überlegen, so die Leute in der Praxis hinkommen können und ihre Fragen stellen können, weil das ist nachher das, was ich brauche, wenn ich zu Hause sitze, es ist 23 Uhr und ich habe eine Frage und dann brauche ich eine Antwort darauf. Das ist nicht mit einer zweitägigen Schulung getan."