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Bildungsökonom Dohmen über Schulen
"Wir haben digitale Entwicklungen schlichtweg verpennt"

Die fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpakt seien nicht wenig, aber auch nicht ausreichend, um Schulen zukunftsfest zu machen, so der Bildungsökonom Dieter Dohmen im Dlf. Ein weiteres Hindernis bilde die Bürokratie: Fast zwei Jahre nach seinem Beschluss sei erst ein Bruchteil der Mitteln abgerufen worden.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Kate Maleike |
Ein Mädchen sitzt lustlos vor ihren Hausaufgaben (gestellte Szene).
Ganz alleine lernen ist schwer: Online-Unterricht mit Ansprache durch Lehrer bieten nur die wenigsten Schulen regelmäßig (picture alliance / dpa / Mascha Brichta)
Die Corona-Pandemie hat die digitalen Defizite an deutschen Schulen noch einmal deutlich in den Fokus gerückt. Der im Jahr 2018 verabschiedete Digitlapkat hat noch keine große Wirkung geziegt. Doch die Digitalisierung der Schulen ist nicht die einzige Baustelle der deutschen Bildungspolitik: Die Zahl der Ausbildungsplätze geht seit Jahren zurück, immer mehr Jugendlich "haben de facto keine Perspektive", sagte der Bildungsökonom Dieter Dohmen. Im Gespräch mit dem Dlf erläuterte der Direktor Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS), das sich seit vielen Jahren mit internationalen Bildungsförderungsmaßnahmen und deren Auswirkungen beschäftigt, wo Deutschland jetzt Prioritäten bei der Bildungsförderung setzen muss.
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Dieter Dohmen: Ein ganz konkretes Erfordernis ist, dass die Schulen im Bereich der Digitalisierung deutlich besser ausgestattet werden. Hier gibt es zwar den Digitalpakt, der 2019 beschlossen worden ist – wir sind jetzt fast zwei Jahre später –, und trotz allem sind nur wenige Hundert Millionen Euro bisher verausgabt worden, das kommt noch alles nicht richtig in die Gänge. Wir haben auch weitere Programme aufgelegt, aber auch dort dauert es einfach viel zu lange, bevor die Gelder in den Schulen ankommen. Und dann gibt es natürlich noch die Grundthematiken: Lehrerausbildung, Lehrerqualifizierung und Fortbildung, aber auch marode Schulgebäude und, und, und.
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Schwerfällige Bürokratie

Kate Maleike: Jetzt haben Sie den Digitalpakt angesprochen – liegt da zu wenig Geld drin?Weil bislang hören wir, die kommen nur schleppend an, weil die Bürokratiemaßnahmen so schwierig sind, also könnte man ja sagen, da liegt genug Geld drin, aber es kommt einfach nicht schnell gut an.
Dohmen: Einerseits fünf Milliarden Euro plus weitere Maßnahmen ist sicherlich nicht wenig, aber auch gleichzeitig nicht ausreichend, um die Schulen wirklich zukunftsfest zu machen und richtig auszustatten, insofern wäre mehr wünschenswert, aber das Zweite ist – Sie haben es angesprochen – Thema Bürokratie. Wir sind jetzt quasi fast zwei Jahre, nachdem der Digitalpakt beschlossen worden ist, trotzdem sind bisher vielleicht 250 Millionen abgerufen worden beziehungsweise bewilligt worden, und wir haben in den Schulen die digitalen Entwicklungen schlichtweg verpennt.

Folgekosten von 15 bis Milliarden Euro pro Jahr

Maleike: Wir haben aber auch einiges möglich gemacht in den letzten Monaten - denken wir positiv jetzt im neuen Jahr - also Bürokratie abbauen, damit die Gelder schneller fließen. Sie haben gesagt, das Geld, was da drin liegt, das sind ja fünf Milliarden Euro, das reicht nicht. Wie viel müsste drin liegen?
Dohmen: Es kommt drauf an, welche Ausstattung man haben will, aber das hängt ja dann immer davon ab, welche Qualität bei den Laptops oder Smartphones, WLAN und, und, und, Softwarepakete liegen dahinter. Das ist ja keine einmalige Investition alleine, sondern Sie müssen technisch auf dem Stand bleiben, das heißt, Sie haben Folgekosten, die schnell im Bereich von 15 bis 20 Milliarden Euro pro Jahr liegen, die im Moment in dem ganzen Digitalpakt ja noch nicht mal richtig eingepreist sind.
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EU als Treiber der Weiterbildung

Maleike: Da könnten ja zusätzliche Gelder aus Brüssel helfen. Wissen wir denn, was im Bildungsbereich in Deutschland noch mitgerechnet werden könnte?
Dohmen: Die Zahlen, die ich habe, sind unvollständig. Ich gehe davon aus, dass es mehrere Milliarden Euro in der Gesamtsumme sein werden. Zuletzt wurden ja noch mal 200 Millionen zusätzlich zu den bereits an anderer Stelle beschlossenen Maßnahmen benannt. Das ist alles gut und wichtig und ist ein zentraler Baustein für den Ausbau der Bildungsfinanzierung in Deutschland. Ich glaube, man muss auch im Hinterkopf haben, dass die EU bereits in den vergangenen Jahren ein zentraler Treiber beispielsweise in der Weiterbildung war. Ohne die ESF-Finanzierung wären viele Finanzierungsmodelle in der Weiterbildung in Deutschland überhaupt nicht möglich gewesen. Und wir müssen uns ja auch damit beschäftigen, dass wir – Stichwort: junge Generation, Corona – viele junge Menschen haben, die keinen Ausbildungsplatz kriegen und das zum Teil schon seit Jahren oder Jahrzehnten Maßnahmen sind. Insofern ist das Geld immer unzureichend, um alles zu bedienen, was bedient werden müsste, die Frage ist, welche Prioritäten.
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Jedes Jahr 350.000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz

Maleike: Sie haben gesagt, die Ausstattung der Digitalisierung in den Schulen hat Priorität, kommen wir zur Jugendarbeitslosigkeit, da läuft ja bei uns in Deutschland auch ein Programm. Die Bundesregierung hat eine Ausbildungsprämie laufen, um Betriebe weiter sozusagen bei Ausbildungen zu unterstützen. Reicht das aus Ihrer Sicht?
Dohmen: Auch das reicht nur bedingt. Wir haben dieses Jahr 10 Prozent weniger Ausbildungsplätze als im vergangenen Jahr, und wir müssen uns vor Augen führen, dass wir bereits in den vergangenen Jahren rund 100.000 Ausbildungsplätze weniger hatten als vor noch zehn Jahren. Unsere Prognose geht davon aus, dass sich das in den kommenden Jahren möglicherweise fortsetzt, sprich, wir im Jahr 2030 bei nur noch 420-, 430-, 440.000 Ausbildungsplätzen sind. Um das in eine Größenordnung zu setzen: Jedes Jahr gehen derzeit 350.000 Jugendliche in das sogenannte Übergangssystem, das heißt, sie haben keinen Ausbildungsplatz gefunden und haben zwar dadurch leicht bessere Chancen, aber große Teile der Jugendlichen haben de facto keine Perspektive, und das nicht erst seit Corona, sondern bereits seit teilweise 10, 15, 20 Jahren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.