Eine Kita in Berlin-Neukölln. Aische möchte ihren richtigen Namen nicht im Radio hören. Sie hat drei Kinder, zwei davon gehen zur Schule. Aische ist verheiratet und bekommt Hartz IV. Deswegen haben sie und ihre Kinder Recht auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket – zum Beispiel pro Schuljahr 100 Euro für Schulmaterial: "Wenn man gutes Schulmaterial kaufen will, muss man drüber zahlen. 20 bis 30 Euro. Kommt auch drauf an, was die Schule verlangt."
Vor gut acht Jahren wurde das Bildungs- und Teilhabepaket beschlossen. Seitdem können Schulen Geld beantragen, damit arme Schüler nichts zahlen müssen für Klassenfahrten, Schulessen oder Nachhilfe. Das scheint gut zu klappen, sagen Sozialverbände und auch Aische, die Mutter aus Neukölln: "Ich finde es sehr schön und bin dankbar dafür."
30 Prozent für die Verteilung des Geldes
Viele Leistungen müssen Eltern jedoch selber beantragen, etwa Geld für Schulmaterial oder Musikunterricht. Und das klappt nicht so gut. "Es ist eines der schlechtesten Gesetze, die ich kenne", sagt Maria Lingens von der Arbeiterwohlfahrt AWO, einem Verein, der sich um arme Menschen kümmert. "Weil das Geld nur sehr bürokratisch bei den Betroffenen ankommt und weil über 30 Prozent der Mittel in den Verwaltungsaufwand gehen. Und das, finde ich, ist einfach ganz schlecht gemacht."
30 Prozent des Geldes für die Verteilung des Geldes? Wie hoch sind die Verwaltungskosten? "Hierzu liegen keine Daten vor", schreibt die Bundesregierung im Mai als Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion. In dem 30-seitigen Schreiben offenbart die Bundesregierung peinliche Ahnungslosigkeit über die Wirkung ihres Gesetzes: Wie viele Anträge wurden gestellt? "Keine Erkenntnisse." Wie viele Menschen hätten Anspruch? Hierzu "liegen der Bundesregierung Keine Erkenntnisse vor".
Der Kinder-Experte der oppositionellen FDP im Bundestag, Matthias Seestern-Pauly, findet das Bildungs- und Teilhabepaket zwar im Kern gut. "Es ist aber schon so, dass an vielen Stellen die Mittel nicht ankommen."
Schwieriger Antrag
Das sei durchaus beabsichtigt, sagt Frank Steger vom evangelischen Verein "Berliner Arbeitslosenzentrum". Der Staat habe sich bewusst dafür entschieden, Geld für Schulmaterial, Freizeitaktivitäten und Klassenfahrten aus dem Hartz-IV-Satz für Kinder herauszunehmen: "Eine Berücksichtigung hätte zu einer deutlichen Erhöhung der entsprechenden Hartz-IV-Sätze geführt. So wird die Erhöhung – und damit auch das Paket – nur wirksam auf Antrag. Das heißt, faktisch kommt nicht jedes Kind in den Genuss des Pakets. Der Staat spart auf diese Weise Mittel ein – völlig unzulässig, wie ich finde."
Dazu kommt, dass das Bildungs-Geld für die Kinder sehr schwer zu beantragen ist, sagt Aische, die Mutter in der Neuköllner Kita, die Hartz IV bekommt: "Ist ein bisschen kompliziert, ganz ehrlich. Wer nicht gut Deutsch versteht und nicht gut schreiben kann, es ist wirklich ein schwerer Antrag."
Zuständig sind zudem – je nach Kommune - oft mehrere Ämter, die oft auch nicht sehr hilfreich seien. "Das Jobcenter hat mir gar nicht gesagt, dass man diese 70 Euro und die 30 Euro beantragen kann. Wenn man jetzt nicht hier und hier nachfragt, erhält man leider diese Infos vom Amt gar nicht."
Dabei würden Hartz-IV-Empfänger noch vergleichsweise gut über die möglichen Hilfen für ihre informiert, sagt FDP-Politiker Seestern-Pauly, einfach weil sie oft Kontakt zu Behörden hätten. Neben Hartz-IV-Empfängern können nämlich noch drei weitere Gruppen unter Umständen Geld für ihre Kinder beantragen: Sozialhilfe-Empfänger, Asylbewerber und besonders arme Menschen, die Wohngeld oder einen Zuschlag aufs Kindergeld bekommen, den Kinderzuschlag. Das Problem: 70 Prozent derer, die diesen Kinderzuschlag beantragen können, beantragen ihn nicht und bekommen daher auch kein Bildungs-Geld aus dem Teilhabepaket, sagt FDP-Mann Seestern-Pauly und rechnet vor, dies führe dazu, dass bis 380.000 Familien und ihre Kinder leer ausgehen - obwohl sie Anspruch hätten. FPD-Politiker Seestern-Pauly fordert daher, die Hilfen automatisch auszuzahlen, wenn jemand berechtigt ist: "Und zum zweiten brauchen wir ganz klar mehr Transparenz bei der Zuständigkeit. Ich muss als Betroffener wissen, wer für mich eigentlich zuständig ist."