Michael Böddeker: Lehrmaterial für den Schulunterricht, das von großen Unternehmen kommt, Lern-Hardware oder -Software von Google oder Apple, und Kooperationen und Sponsorings zwischen Schulen und Firmen – alles einerseits ganz praktisch für Schulen. Besonders dann, wenn sie selbst wenig Geld haben. Aber andererseits auch potenziell problematisch, denn so kann die Wirtschaft zu stark Einfluss nehmen auf junge Schülerinnen und Schüler. Genau das befürchtet zumindest die Organisation LobbyControl, und die hat gerade einen offenen Brief an die nordrhein-westfälische Landesregierung geschrieben. Nachdem das Schulministerium lange bei den Grünen lag, ist dort jetzt Yvonne Gebauer von der FDP Bildungsministerin. Autor der Stellungnahme an das Ministerium ist Fabian Kaske von LobbyControl. Guten Tag!
Fabian Kaske: Guten Tag!
Böddeker: Tja, was ist denn Ihre größte Befürchtung für den Schulunterricht in Nordrhein-Westfalen?
Kaske: Wir haben drei Kritikpunkte, die wir wichtig finden: Auf der einen Seite kritisieren wir die stiftungsfinanzierten Leuchtturmprojekte, in die die FDP-Landesministerin plant, auf der anderen Seite sind es die Praxislehrer, wo Laien als Unterrichtende eingesetzt werden sollen, und als Drittes die Einführung oder die geplante Einführung des Fachs Wirtschaft.
"Wenn einzelne Schulen von Stiftungen Geld bekommen, geraten sie sehr schnell in eine Abhängigkeit"
Böddeker: Also einige Punkte. Lassen Sie uns das mal sortieren der Reihe nach. Vielleicht zunächst die Quereinsteiger: Leute mit Praxiserfahrung in die Schulen zu holen kann ja auch Vorteile haben, plus man kann sich regional vernetzen. Also was befürchten Sie da konkret?
Kaske: Im Gegensatz zu den Seiteneinsteigern oder Quereinsteigern, die es jetzt schon gibt, ist nur eine temporäre Beschäftigung in der Schule gedacht. Das heißt, die jetzigen Quereinsteiger haben eine Ausbildungszeit von zwei Jahren, in denen sie nur Teilzeit im Unterricht sind und die andere Zeit zur Ausbildung gedacht ist. Bei einer temporären Beschäftigung ist nicht davon auszugehen, dass eine solche Qualifizierung in dem Maße wirklich vonstattengehen kann. Dementsprechend haben wir die Befürchtung, dass es einfach relativ schlecht qualifizierte Menschen sein werden, und auf der anderen Seite gibt es auch schon Gespräche mit Wirtschaftsverbänden, wo geplant ist, Leute zu rekrutieren. Dann ist natürlich die Frage, wer kommt da, wo kommen die gut qualifizierten Leute her, sind das Leute vielleicht sogar aus Unternehmen, die eine Zeit lang in Schulen arbeiten. Das sehen wir als sehr problematisch an.
Böddeker: Dann haben Sie noch die Bildungsstiftungen angesprochen, die auch Geld geben sollen. Es gibt ja andererseits auch viele gute Projekte von gemeinnützigen Stiftungen, für mehr Bildungsgerechtigkeit zum Beispiel. Welche Umstände müssen denn für Sie erfüllt sein, damit so eine Kooperation vielleicht doch in Ordnung ist oder Geld anzunehmen von so einer Bildungsstiftung?
Kaske: Ich glaube, auf einer ministerialen Seite wäre es vielleicht noch diskutabel, aber wenn einzelne Schulen von Stiftungen Geld bekommen, geraten sie sehr schnell in eine Abhängigkeit und können dann natürlich nur mit dem Geld auch noch gut arbeiten. Die Drohung, dass das Geld weg ist, steht natürlich dann immer im Raum.
Böddeker: Dann haben Sie noch das neue Schulfach Wirtschaft angesprochen, das laut Koalitionsvertrag an allen weiterführenden Schulen eingeführt werden soll. Mehr über Wirtschaft zu lernen klingt ja erst mal positiv. Wo ist für Sie der Nachteil?
Kaske: Wir haben in Nordrhein-Westfalen das Fach Sozialwissenschaften, wo Wirtschaft zusammen mit Politik und Soziologie unterrichtet wird, wo man Wirtschaft oder ökonomische Bildung umfassend begreift, wo man sozusagen nicht Politik ausblendet aus der Wirtschaft. Die meisten Schülerinnen und Schüler werden später Arbeitnehmerinnen sein, das heißt Gewerkschaften, Arbeitnehmervertretung sind wichtige Bestandteile und auch eher politische Bestandteile, wo man davon ausgehen kann, dass sie in einem neuen Fach Wirtschaft, was nicht mit Politik verkoppelt ist, eher wenig Resonanz finden.
Kaske: Sehen, dass es eine deutliche Professionalisierung gibt
Böddeker: Das heißt, Sie befürchten, es könnte zu wirtschaftsnah sein und Dinge aus der Wirtschaft zu positiv darstellen?
Kaske: Nicht zu positiv darstellen, sondern dass es einseitig Unternehmensinteressen repräsentiert.
Böddeker: Man könnte es jetzt auch genau anders herum sehen: Zum Beispiel hat ein Experte vom Zentrum für ökonomische Bildung der Uni Siegen in der "Rheinischen Post" gesagt, durch ein Schulfach Wirtschaft kommen die Unternehmen viel weniger in die Schulen, weil dadurch frei erhältliche Unterrichtsmaterialien aus der Wirtschaft nicht mehr gebraucht werden. Stattdessen gebe es dann vom Land geprüfte Schulbücher und Lehrpläne. Könnte das auch eintreten?
Kaske: Es ist jetzt schon so, dass die Erfahrungen zeigen, dass im Schulfach Wirtschaft, in Baden-Württemberg zum Beispiel, direkt Unternehmensstiftungen angefangen haben, Unterrichtsmaterialien auch zu produzieren. Da zeigt sich, dass das nicht passiert, sondern dass es eher als Einfallstor gesehen wird, wo man dann jetzt direkt noch mal mehr Einfluss nehmen kann.
Böddeker: LobbyControl gibt es ja inzwischen schon länger – seit 2005. Wie ist denn die Lage insgesamt? Beobachten Sie insgesamt einen zunehmenden Einfluss der Wirtschaft auf die Schulen?
Kaske: Das ist schwer zu sagen auf die einzelnen Schulen runtergebrochen, weil natürlich: Sie haben sehr viele Schulen in Deutschland, und das ist schwierig zu sagen. Was wir aber sehen, dass es eine deutliche Professionalisierung gibt. Also es gibt Marketingagenturen, die sich speziell auf Schulen spezialisieren. Es gibt Vereine und Kooperationsstellen, die speziell auf Kooperation zwischen Unternehmen und Schulen setzen, die zum Teil auch angegliedert sind an Schulämter. Also da findet einfach eine Professionalisierung statt.
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