Christine Heuer: Angela Merkel kommt nicht zur Ministerpräsidentenkonferenz. Die Bundeskanzlerin nimmt in Washington an der Trauerfeier für den verstorbenen US-Präsidenten George Bush Senior teil. Aber die Länderchefs sind alle dabei in Berlin. Sie haben viel zu besprechen, vor allem ihre Haltung zur Grundgesetzänderung für den Digitalpakt für Schulen. Die ist ja heftig umstritten. Wichtige Länder wie Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg fürchten zu viel Einfluss aus Berlin. Wir wollen das Thema vertiefen mit Heinz-Peter Meidinger. Er ist Philologe und er ist Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Die grundsätzliche Frage vielleicht mal ganz zu Beginn. Brauchen die Schulen mehr Geld?
Heinz-Peter Meidinger: Die kann ich uneingeschränkt mit Ja beantworten. Wir haben tatsächlich in fast allen Ländern an zahlreichen Schulen keinerlei ausreichende Bedingungen, um im digitalen Zeitalter mitzuhalten. Das heißt, es fehlen Breitbandanschlüsse, es fehlt an professioneller Wartung der Geräte, es fehlt übrigens auch an Lehrerfortbildung.
Heuer: Spielt es für Sie eine Rolle, ob das Geld, das Sie dann brauchen, ob das vom Bund kommt oder von den Ländern?
Meidinger: Grundsätzlich einmal nicht, wobei ich schon sagen würde, mir wäre es deutlich lieber, wenn Lehrerfortbildung in Länderhand wäre, weil die Länder natürlich dann am besten wissen, was Lehrkräfte angepasst an die jeweiligen Lehrpläne dann auch brauchen.
Heuer: Sie verstehen, dass manche Ministerpräsidenten sich sorgen, dass der Bund da auch dann in die Schulpolitik, in Ihre Schulpolitik reinregiert?
Meidinger: Das ist richtig. Wir haben ja bis vor zwei Wochen immer geredet über diese Formulierung im Koalitionsvertrag, wo es hieß, wir erweitern auf gemäßigte Weise die Möglichkeit des Bundes, in Schulen zu investieren. Und dann durch den Bundestagsbeschluss hat sich ja einiges geändert. Das heißt, die Länder sind überrumpelt worden. Man hat sowohl diese Finanzierungspflicht hineingeschrieben mit 50 Prozent, wobei die erst nach der Zeit des Digitalpakts gilt, als auch mit deutlicher Erweiterung, die es beispielsweise dem Bund auch ermöglichen würde, in Personal zu investieren, beispielsweise auch in Lehrkräfte.
"Trauerspiel seit zweieinhalb Jahren"
Heuer: Ist es nicht normal, Herr Meidinger, dass wer das Geld gibt, dass der dann auch ein bisschen mitsprechen will und darf?
Meidinger: Das ist richtig. Ich muss sagen: Wenn wir so eine wichtige Geschichte haben - das ist ja ein Trauerspiel seit zweieinhalb Jahren; seit zweieinhalb Jahren haben wir diese Ankündigung des Digitalpakts – und wenn wir wissen, dass für die dafür nötige Grundgesetzänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bund und Ländern notwendig ist, dann würde ich mir eigentlich als Bürger wünschen, dass diese beiden Institutionen, Bund und Länder, im Vorfeld sich abstimmen. Aber da scheint einiges schiefgelaufen zu sein.
Heuer: Ja, den Eindruck muss man haben. Deshalb wird ja auch so gestritten. Aber in der Sache ist das nicht vielleicht sogar ganz gut, wenn der Bund da mal mitspricht, damit auch diese Digitalausstattung der Schulen in Deutschland vielleicht mal ein bisschen einheitlicher passiert?
Meidinger: Wir sind ja vom Deutschen Lehrerverband auf keinen Fall dagegen, dass der Bund sich hier an den Kosten beteiligt und dass er natürlich insgesamt, was jetzt Sachkosten betrifft, da auch ein Mitspracherecht hat. Allerdings ist die jetzt vom Bundestag beschlossene Ermächtigungsklausel, sage ich mal, diese Änderung des Grundgesetzes, 104c und 104b, deutlich weitergehender. Da, muss man schon sagen, verstehe ich manche Länder, die sagen, da wird an den Festen des Bildungsföderalismus gerüttelt.
"Bund könnte Einfluss auf die Lehrpläne nehmen"
Heuer: Mit welchen Gefahren denn? Was befürchten Sie?
Meidinger: Es wäre zum Beispiel vorstellbar, dass der Bund eigene Lehrer-Fortbildungsinstitute macht, dass er Einfluss nimmt auf die Lehrpläne, was Digitalisierung betrifft, dass er beispielsweise dann auch eigenes Personal beschäftigt, was Systemadministratoren betrifft, die ihm dann auch weisungsgebunden sind. Das sind natürlich alles Dinge, wo ich verstehe, dass die Länder sagen, Bildungshoheit ist eigentlich die letzte Kernkompetenz der Länder, da wollen wir nicht ran.
Heuer: Herr Meidinger, aber ich verstehe es nicht. Was wäre denn so schlimm daran?
Meidinger: Das ist einfach eine Frage des Bundesstaatsprinzips. Wenn wir der Auffassung sind, dass der Bund die Bildung machen soll, dann müssten wir grundsätzlich das Grundgesetz ändern. Dann müssten wir ans Bundesstaatsprinzip, ans Föderalismusprinzip heran. Da gibt es allerdings ganz hohe verfassungsrechtliche Hürden. Das ist nämlich eigentlich geschützt.
Heuer: Aber für die Schulen wäre es doch egal.
Meidinger: Ich glaube, die bisherige Formulierung, die hätte genügt. Leider haben da im Bund einige gemeint, sie könnten da generell den Bildungszentralismus einführen, und jetzt haben wir aufgrund dieser Grundsatzdebatte diese Malaise. Das ist schade, dass wegen ganz praktischer Notwendigkeiten jetzt eine Grundsatzdebatte eröffnet wird, die leider alles ausbremst, was wir bisher vereinbart hatten.
"Einseitige Fixierung jetzt auf die rein technische Seite"
Heuer: Herr Meidinger, dann lassen Sie uns noch mal ein bisschen in die Praxis gucken. Was vor allem brauchen die Schulen denn, wenn wir über den Digitalpakt sprechen? Tablets für jeden Schüler?
Meidinger: Mit Sicherheit brauchen wir auch deutlich mehr und natürlich auch modernisierte Endgeräte. Die angesprochenen Tablets, Computer, gegebenenfalls auch kleinere Geräte, beispielsweise auch iPads beziehungsweise Smartphones, mit denen man ja auch im Unterricht, weil sie so handlich sind, gut arbeiten kann. Auf der anderen Seite brauchen wir erst mal die Infrastruktur, das heißt Breitbandanschlüsse, damit dann auch wirklich in den Computerräumen schnell gearbeitet werden kann. Inzwischen ist es ja teilweise so, wenn 30 Schüler mit dem Computer arbeiten, das Netz schon fast blockiert, weil die Anschlüsse noch steinzeitlich sind.
Heuer: Wieviel besser wird denn der Unterricht durch diese Technik?
Meidinger: Ich sage immer, schlechter Unterricht wird nicht besser durch Tablets, aber guter kann profitieren. Das heißt, man muss immer den pädagogischen Mehrwert sehen, und der ist durchaus da, wenn man diese Möglichkeiten nutzt, beispielsweise im Geographieunterricht dann wirklich direkt zugreift, beispielsweise auf Google Maps direkt recherchieren kann beziehungsweise auch die Vernetzung in der Schule zwischen den Schülern, Arbeitsgruppen, Projekte. Das ist natürlich bei der Digitalisierung alles viel leichter möglich.
Heuer: Sie begrüßen diese Entwicklung durchgängig. Oder haben Sie da vielleicht auch die Sorge, dass an mancher Stelle vielleicht auch Lehrinhalte oder Lernverfahren zu kurz kommen, die sich bewährt haben?
Meidinger: In der Diskussion haben wir tatsächlich eine sehr einseitige Fixierung jetzt auf die rein technische Seite. Der pädagogische Mehrwert, auch die Lehrerfortbildung kommt in der Diskussion etwas zu kurz. Ich glaube, es muss beides Hand in Hand gehen, technische Ausstattung und natürlich dann auch die pädagogisch-fachliche Umsetzung. Da müssen wir auch noch viel, viel mehr tun.
"Weniger Emotionalisierung, mehr Konzentration auf die Sache"
Heuer: Damit die Lehrer auf den Stand kommen, auf dem die Schüler schon sind?
Meidinger: Na ja, das ist ein gängiges Argument, wobei man sagen muss, die Kompetenz des Lehrers liegt natürlich darin, dass er diese Technik nutzt, um Lehrinhalte zu vermitteln. Dass Lehrer niemals wahrscheinlich mithalten können mit Schülern, was die neueste Handy-Generation und die neuesten Apps betrifft, da, glaube ich, sind wir uns einig. Aber das ist nicht unbedingt das, was man für digitalen Unterricht braucht.
Heuer: Herr Meidinger, die Politik streitet sich. Sie haben sich da positioniert in diesem Streit, in unserem Gespräch gerade. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten an die Bildungspolitik in Bund und Ländern, was würden Sie sich wünschen?
Meidinger: Konzentration wirklich jetzt wieder mal auf die Sache. Diese ganzen Grundsatzauseinandersetzungen, auch diese Emotionalisierung, die jetzt stattfindet, schwarze Peter Spiel hin und her, das bringt gar nichts, sondern wirklich auf die Schulen schauen. Und dann würde ich mir wünschen, vielleicht dann schnell im Vermittlungsausschuss eine Einigung zu bekommen, die vielleicht nicht so weit weg ist vom ursprünglichen Vorschlag der Koalition.
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