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Bildungspolitik
"Investitionsoffensive ins Bildungssystem - jetzt!"

"Heute nicht in Bildung zu investieren, kostet morgen noch mehr Geld", sagte Sebastian Gallander von der Vodafone-Stiftung im Dlf. Die Achillesferse des deutschen Bildungssystems sei Chancenungleichheit. Die Vodafone-Stiftung hat nun einen Zehn-Punkte-Katalog für die Bildungspolitik zusammengestellt.

Sebastian Gallander im Gespräch mit Kate Maleike |
    Schüler sitzen im Unterricht an einer Berliner Schule
    Schüler, die durch bessere Bildungschancen später höher qualifizierte Jobs haben, belasten die Sozialsysteme nicht, weil sie weder Arbeitslosengeld noch Sozialhilfe beziehen, so Sebastian Gallander. (Imago/ Gerhard Leber)
    Kate Maleike: Welche Rolle wird das Thema Bildung bei den Bundestagswahlen spielen, wenn in etwas mehr als sechs Wochen die Kreuzchen gemacht werden? Diese Frage treibt gerade viele Bildungsverbände um, aber auch die Parteien. Forderungen werden aufgestellt, immer in der Hoffnung, dass dieses so wichtige Zukunftsthema auch die Priorität im künftigen Regierungshandeln bekommt, die es im Wahlkampf auf den Plakaten ja gern mal hat. Bildung in Deutschland chancengerechter zu gestalten, das gehört zu diesen Aufgaben, und eine der Stiftungen, die sich auf diesem Feld engagiert, ist die Vodafone-Stiftung. Sie hat heute einen Zehn-Punkte-Katalog herausgebracht, in dem zentrale Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis zusammengestellt sind, die zeigen, wie man bessere Bildungschancen in Deutschland schaffen könnte. Stiftungsgeschäftsführer Sebastian Gallander ist am Telefon. Guten Tag!
    Sebastian Gallander: Hallo, Frau Maleike!
    Maleike: Wie wollen Sie denn diese Liste jetzt verstanden wissen? Als Ermahnung an die Politik?
    Gallander: Wir haben als Stiftung den Vorteil, dass wir eben nicht im hektischen und kurzatmigen Tagesgeschäft der Politik sind, sondern mal einen Schritt zurücktreten können und gucken, was sind denn eigentlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die es bereits gibt: Was weiß man, was wirkt, um die Bildungschancen zu verbessern? Und deswegen haben wir das jetzt einfach noch mal als kleine Serviceleistung für die Politik zusammengestellt und geliefert, damit man - egal welche Koalition am Ende nach der Wahl regieren wird - sich dieses Themas beherzt annehmen kann, um gemeinsam mit den Ländern, die ja auch für die Bildung mit zuständig sind, die Bildungschancen in Deutschland zu verbessern.
    "Chancengerechtigkeit ist die Achillesferse des Bildungssystems"
    Maleike: Befürchten Sie denn, dass die Parteien oder eben auch die Regierungen - das sind ja die Bildungspolitiker, die das schon zum Teil sehr lange machen - nicht das richtige Fachwissen auf dem Tisch liegen haben?
    Gallander: Es gibt natürlich sehr viele sehr gute Vorschläge, die immer mal wieder hervorgeholt werden. Aber die Politik ist halt eben doch sehr getrieben im Tagesgeschäft, und dann gehen manche Dinge einmal unter, und deswegen haben wir einfach mal alles zusammengestellt, was man jetzt eben schon weiß und was man anwenden kann, noch mal als kleine Unterstützung. Denn es ist eine schwierige Aufgabe, es ist ein sehr unübersichtliches Feld, und es gibt viele Akteure, die mitreden wollen, und deswegen haben wir einmal gesagt, wir, die frei sind von parteipolitischen oder ideologischen Vorüberlegungen, stellen einfach mal ganz klar die Fakten zusammen, was man jetzt tun kann, und konzentrieren uns dabei vor allem auf das Thema Chancengerechtigkeit, denn das ist nach wie vor die Achillesferse des deutschen Bildungssystems. Das hat die letzte PISA-Studie gezeigt oder auch der letzte große nationale Bildungsbericht. Die Chancen sind ungleich verteilt, und das Bildungssystem gleicht das nicht aus, sondern verschärft es manchmal auch noch.
    Gallander: "Das Verhältnis von Lehrern und Eltern ist gut"
    Maleike: Ich gehe jetzt mal konkret in Ihre Zehn-Punkte-Liste, und die Eltern sind Punkt eins. Da steht "Eltern fördern". An Punkt zwei sagen Sie "Lehrer besser fördern" und an Punkt drei "Schüler richtig motivieren".
    Gallander: Genau. Das ist dem geschuldet, dass die meisten bildungspolitischen Debatten in Deutschland in den letzten Jahren um Strukturfragen kreisen. G8, G9 beispielsweise beim Abitur, oder große Klassen versus kleine Klassen. Aber ganz wesentlich sind doch die Menschen, die die Kinder und Jugendlichen auf ihrem Bildungsweg begleiten. Und da haben Eltern nun mal einen sehr großen Einfluss, und auch das haben unsere Umfragen gezeigt: Sie wünschen sich mehr Unterstützung dabei, wie sie ihren Kindern am besten auf ihrem Bildungsweg helfen können. Und - das ist die überraschende Erkenntnis, sie vertrauen ganz besonders den Lehrern. Es kann also gar nicht davon die Rede sein, wie oft das Vorurteil ist, dass es sozusagen ein schlechtes Verhältnis gibt zwischen Eltern und Lehrern.
    Natürlich gibt es auch die Helikoptereltern, aber ein großer Teil der Eltern über alle sozialen Schichten hinweg vertraut den Lehrern als Ratgebern auch, was die Schulzeit und den Bildungsweg der Kinder angeht. Aber die Lehrer sind natürlich vor allem mit dem Unterricht beschäftigt. Sie können nicht auch noch ihre knappe Zeit auf die sogenannte Elternarbeit verwenden. Deswegen müssen die dafür mehr Zeit bekommen und mehr Unterstützung.
    Motivationsanreize durch ein "dynamisches Selbstbild"
    Das andere, was Sie angesprochen haben, ist die Motivation der Schüler. Auch hier gibt es ein paar Erkenntnisse aus der Verhaltenswissenschaft, die man einsetzen kann, um die Schüler richtig zu motivieren, und die auch oft gar nicht etwas kosten. Zum Beispiel unterscheidet man in der Verhaltenswissenschaft zwischen einem starren Selbstbild und einem dynamischen Selbstbild. Das starre Selbstbild sagt beispielsweise, ich kann ja eh kein Mathe, das ist einfach so. Das dynamische Selbstbild ist eher so, dass das Gehirn wie ein Muskel ist, den man trainieren kann und dass man sich dadurch weiterentwickelt. Und das kann man ganz leicht fördern, indem man die Kinder dafür lobt, wie sehr sie sich angestrengt haben. Also nicht nur das Ergebnis der Arbeit belohnen und benoten, sondern auch sie loben, dass sie sich durch große Anstrengungen ein bisschen verbessert haben. Das fördert über lange Sicht dann eben so ein Selbstbild, dass man sich besser weiterentwickeln kann. Und das sind so kleine Dinge, durch die man aber vielleicht eine große Wirkung erhalten kann. Aber natürlich darf man auch nicht davon ablenken, dass natürlich die Lehrer mehr Unterstützung brauchen. Also mehr Lehrerstellen und mehr Zeit beispielsweise für Weiterbildung oder auch Zeit, um die Eltern zu unterstützen.
    "Heute nicht in Bildung zu investieren, kostet morgen noch mehr Geld"
    Maleike: Das wäre jetzt genau meine Frage gewesen: An welchen Punkten fordern Sie dann, dass die Politik aktiv wird? Das sind ja alles sehr individuelle Dinge, die sehr wichtig sind und die Sie auch belegen können durch Ihre Umfragen, die sich aber wahrscheinlich schwer strukturell dann auch schaffen lassen.
    Gallander: Was wir natürlich immer brauchen, ist eine stärkere Investition in die Menschen, die im Bildungssystem arbeiten. Das heißt also, wir müssen die ...
    Maleike: Also mehr Lehrer sowieso, sagen Sie?
    Gallander: Ja. Auch, damit die Lehrer mehr Zeit haben für eben diese vielfältiger und schwieriger werdende Aufgabe. Und alle gehen immer her und fordern mehr von den Lehrern. Aber man muss eben auch die Lehrer unterstützen, indem man sie eben entlastet durch mehr Kollegen und mehr Stellen, dass sie diese ganzen Aufgaben bewältigen können. Das kostet natürlich heute viel Geld. Aber heute nicht in Bildung zu investieren, kostet morgen noch mehr Geld. Denn man darf ja auch nicht vergessen: Die Kinder und Jugendlichen, die heute durch bessere Bildungschancen morgen höher qualifizierte Jobs haben, belasten die Sozialsysteme nicht, weil sie eben kein Arbeitslosengeld und keine Sozialhilfe bekommen, sondern sie zahlen selbst Steuern und kaufen mehr ein, kurbeln die Wirtschaft an. Also, wenn es jemals einen guten Zeitpunkt gegeben hat für eine Investitionsoffensive ins Bildungssystem, dann jetzt. Denn jetzt geht es der Wirtschaft und auch den Staatskassen so gut wie schon lange nicht mehr.
    Maleike: Sebastian Gallander von der Vodafone-Stiftung. Danke schön für das Gespräch. Die Stiftung hat heute einen Zehn-Punkte-Katalog vorgestellt, wie man Bildungschancen in Deutschland verbessern könnte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Anmerkung der Redaktion: Der Vorspann des Beitrags wurde klarer formuliert, um den Eindruck zu vermeiden, die Vorschläge der Vodafone-Stiftung richteten sich nur an die Bundespolitik.