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Bildungsurlaub im Stadion

Bildungsurlaube haben nicht nur den Zweck, Mitarbeitern Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die später im Betrieb von Nutzen sind. Auch kulturelle und politische Themen können im Bildungsurlaub vermittelt werden. Kai Toss hat einen Tag lang die Teilnehmer des Seminars "Vom Arbeitersport zum profitablen Investment. Schalke 04, Borussia und andere Akteure im Fußballgeschäft" begleitet. Seine Geschichte beginnt im Bildungswerk des DGB in Hattingen.

29.05.2004
    Mein Name ist Stefan Brackmann. Ich komme aus Salzgitter, bin da im VW-Werk tätig als Industriemechaniker. Fußball bedeutet für mich: FC Schalke! Ich liebe den Verein FC Schalke. Ich versuche auch, regelmäßig in die Arena zu fahren und die Mannschaft zu unterstützen, auch auswärts natürlich!

    Mein Name ist Thomas Doller. Ich lebe in Marburg und bin Beamter in der Kreisverwaltung in Gießen und Fußball bedeutet für mich Unterhaltung und Entspannung und ich bin seit vielen, vielen Jahren, seit 30 Jahren, Borussia Dortmund Fan.

    Ich heiße Gero Tietz, bin Krankenpfleger und komme aus Duisburg. Ich bin schon immer MSV-Fan und gehe auch gerne ins Stadion, tolle Atmosphäre - manchmal.


    Drei von 17 Männern und einer Frau, die in Hattingen Bildungsurlaub machen. Fußballbegeistert sind sie alle. Wissensdurstig auch. Zum Beispiel:

    In erster Linie natürlich die Arena-Besichtigung. Als ich das gelesen habe, wollte ich unbedingt an dem Seminar teilnehmen. Und Hintergründe vom S04, was da so abgeht, was der FC-Schalke auch wirtschaftlich so in Gelsenkirchen is. Das ist einfach interessant mal zu wissen und zu sehen.
    Zunächst jedoch: Theorie. Ben Hur, Wagenrennen im Circus Maximus - Erläuterungen von Dozent Karl Heinz Griga

    Es gab Gladiatorenkämpfe...
    ...Es gab aber auch mit Schiffen , mit Wasser Kämpfe. Es gab Tierhatzen und es wurde auch Theater gespielt. In dem Sinne also eine multifunktionale Veranstaltungsstätte.
    Die sind heute nicht so gewaltsam wie früher. Das ist der entscheidende Unterschied.


    Nicken in der Runde. Manfred Brackmann, Schlosser bei VW und ausgewiesener Schalkefan in blau weißem Klubdress widerspricht.

    Heute geht man zum Fußball, wo es nicht mehr so brutal ist. Aber im Grunde wünscht man sich doch, dass der Gegner platt gemacht wird, fertig gemacht wird. Grätsch doch rein, so ne, und früher hat man halt geschrien: Schlag ihm den Schädel ab oder so.

    Dozent Karl Heinz Griga über die Teilnehmer des Seminars:

    Da kommt ein großer Teil aus den traditionellen Industriebereichen, also Industriearbeiter, die z.B bei VW arbeiten. Wir haben hier auch ne grpße Gruppe von Hafenarbeitern in Hamburg, der Rest sind Berufe, die sich im Durchschnitt der Dienstleistungsgesellschaft wider finden. Aber wir haben hier als Gewerkschafter immer noch ganz traditionell den Arbeiter aus den Industriebetrieben vertreten.

    Nur wenige verweigern sich dem Bildungsanspruch, eine Gruppe dreier Männer kommt schon morgens mit einer Alkoholfahne in den Seminarraum. Die anderen: Durchweg aufgeschlossen.

    Das didaktische Ziel ist es, die gesellschaftliche Realität in der Bundesrepublik reflektieren zu können, sich selber wieder zu verorten, wo stehe ich an der Stelle zu diesem Thema, wie verhalte mich? Jetzt bei dem Seminar geht es stark um das Verhältnis Sport und Politik. Und wie verhalte ich mich in der Masse, wie habe ich das einzuordnen, was ich selber im Fußballstadion immer wieder erlebe, wie habe ich mich mit meiner Fankultur zu verstehen. Vielleicht das auch kritisch hinterfragen.

    Nach der Theorie folgt die Praxis. Dichtes Programm, Besuch der des Schalke-Museums, der Arena auf Schalke, dem Vorgängerstadion "Glückauf-Kampfbahn und ein Gespräch mit einem Fanclub-Funktionär.

    Die Fahrt zur Schalker Arena wollen wir nutzen, dass wir euch noch was über das Ruhrgebiet erzählen, über die Veränderung des Ruhrgebiets in den vergangenen Jahrzehnten.

    Eine geballte Ladung Infos schallt aus dem Lautsprecher während der Fahrt nach Gelsenkirchen. Die Historie des Ruhrgebietes, Folgen des Strukturwandels, schwer verdauliche Kost. Bald ist die Bildungsreisegesellschaft am ersten Ziel, dem Schalke-Museum.

    "Um welche Fragen sollen sie sich denn hier im Museum kümmern?" - "Das lese ich mir gerade durch. Hab noch nicht drauf geguckt. Zum Beispiel hier: Bitte überprüft, ob die Zeit des Nationalsozialismus in ihrer Bedeutung für die Vereinsgeschichte zum Thema der Ausstellung gemacht wird. Ja, muss man sehen, den ein oder anderen Artikel durchlesen und dann die Fragen beantworten."

    Interessanter ist es da, sich vor der Kopie des einst von Schalke gewonnenen DFB- und des UEFA-Pokals fotografieren zu lassen. Dann: Die ersten zögerlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Schalke und die NS-Zeit.

    Ich denke mal, das Thema wird auch etwas unter den Tisch gekehrt. Denn einige Schalker - hat man vermutet - haben doch wohl mit den Nazis sympathisiert. Das will aber kein Mensch mehr wissen. "Hätten sie erwartet, dass man das hier im Museum nach so langer Zeit doch mal thematisieren könnte?" " Nein. Dafür ist alles zu lange her. Man sollte das jetzt vergessen und - aus, vorbei. Nicht noch schmutzige Wäsche waschen gegenüber einigen hoch verdienten Spielern aus diesen Jahren.

    Es folgt: Eine Führung durch die Katakomben der Schalke-Arena.

    Es gibt von diesen Tankräumen vier Stück hier im Stadion. In diesen Tankräumen befinden sich insgesamt 52 Tanks mit einem Fassungsvermögen von je 1.000 Litern. D.h. also bei einer Veranstaltung sind 52.000 Liter Bier in der Arena. Ein Tankraum befindet sich da hinten. Ich würde sagen, da gehen wir hin und schauen mal rein.

    Und Geschichtsstunde mit Werner Naruhn, der die Teilnehmer über die Glückauf-Kampfbahn in Schalke führt. Er erzählt, dass die Nazis einmal befohlen hätten, dass Schalke gegen Rapid Wien verlieren müsse, weil es politisch opportun war. Am Liebsten aber erzählt er von Ernst. Ernst Kuczorra, der Schalker Legende schlechthin. Über jenen Trainer Anfang der 60er Jahre, der nur vier Tage im Amt war. Der Grund: Es war ein Betrüger, ohne Trainer-Erfahrungen.

    Da sagt der Ernst, sacht auf einmal: Hömma, wenn der einmal, einmal schon in seinem Leben trainiert hat, dann könnt ihr mir in die Schuhe kacken (lacht). Der sprach immer deutlich, der Ernst. Und vier Tage später stellte sich heraus, das der keinen Trainerschein hatte. Und Ernst hatte mal wieder Recht.

    Fußball und die Verknüpfungen mit Politik und Wirtschaft, historische Exkurse. Muss das Wissen der Bildungsurlaube den Betrieben zugute kommen? Dozent Karl Heinz Griga:

    Nein, die muss keinen Nutzen bringen. Die Weiterbildungsgesetze sind ja so formuliert, dass sich der Einzelne kulturell, politisch und beruflich weiter bilden kann. Und das hier ist ne gesellschaftspolitische Bildung. Da gibt es keinen beruflichen Nutzen daraus zu ziehen.
    Einige Chefs haben beim Antrag der Teilnehmer die Nasen gerümpft. Probleme, den Bildungsurlaub durchzusetzen hatte aber nur einer aus der Gruppe. Doch:

    Da möcht ich nichts zu sagen. Mein Chef ist dagegen.