Jörg Münchenberg: Schon lange kritisieren Experten den Wettbewerbsnachteil der Bahn, beispielsweise gegenüber dem Verkehrsträger Flugzeug. Denn die Fluglinien müssen keine Mineralölsteuer für Kerosin bezahlen. In den Bahntickets stecken dagegen auch Kosten für Mehrwertsteuer, Brennstoffsteuer und Stromsteuer.
Immerhin: Im Nahverkehr gilt schon der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent. Das soll jetzt aber auch für Fahrkarten für den Fernverkehr gelten, so der doch überraschende Vorstoß von Andreas Scheuer via "Bild"-Zeitung.
Zugehört hat die Obfrau der SPD im Bundestags-Verkehrsausschuss, Kirsten Lühmann. Frau Lühmann, ich grüße Sie!
Kirsten Lühmann: Hallo, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Frau Lühmann, ist das nicht eine gute Idee, dass Scheuer jetzt einen gravierenden Wettbewerbsnachteil der Bahn aus dem Weg räumen will?
Lühmann: Irgendwie ist das schon klar geworden, dass das keine neue Idee ist. Auch die SPD hat in ihrem Bahn-Gipfel 2017 das Ganze diskutiert und hat auch in ihrem Papier festgelegt, dass wir bei der ganzen Frage der Abgaben uns das ernsthaft angucken müssen, wenn wir die Bahn attraktiver machen wollen.
Münchenberg: Hat Scheuer eigentlich jetzt diesen Vorstoß mit den Sozialdemokraten abgestimmt?
Lühmann: Herr Scheuer macht in der letzten Zeit mehrere Vorstöße, indem er einen Teil seiner Arbeit über die "Bild"-Zeitung in die Öffentlichkeit bringt. Insofern Ihre Antwort: Nein!
Es ist sein gutes Recht als Minister, Vorschläge zu machen. Was mich so ein bisschen irritiert ist: In Ihrem Bericht wurde auch angesprochen, es gibt das Klima-Kabinett, und dieses Klima-Kabinett muss ein Konzept vorlegen. Und ein Konzept ist nicht etwas, was ich einmal so in den Raum werfe, sondern ein Konzept muss sämtliche Maßnahmen bündeln und dazu führen, dass wir unsere Verpflichtungen im Klimaschutz-Plan einhalten. Und dazu helfen nicht einzelne Vorstöße, sondern da muss man sich anschauen, was wir insgesamt machen können, um entsprechend CO2 zu sparen. Da kann dies ein Vorschlag sein, aber er wird uns allein nicht retten.
"Ich erwarte jetzt vom Minister, dass er seine Arbeit macht"
Münchenberg: Frau Lühmann, da höre ich jetzt ein bisschen heraus: Mit der Abstimmung ist es in diesem Klima-Kabinett offenbar nicht weit her.
Lühmann: Nein! Das Klima-Kabinett stimmt sich natürlich ab. Sie hatten ja gefragt, ob er das mit der Politik abgestimmt hat, und das muss er nicht. Er ist ein Minister, er kann solche Vorschläge machen. Er muss natürlich dann damit rechnen, dass diese Vorschläge im politischen Raum auch kontrovers diskutiert werden.
Münchenberg: Dann frage ich es anders. Würden Sie sich eine engere und bessere Abstimmung wünschen zwischen Verkehrsminister und der Politik?
Lühmann: Ich wünsche mir vom Verkehrsminister, dass er uns ein Konzept vorlegt, weil in der Vergangenheit hat er eine Kommission beauftragt, ihm Vorschläge zu machen. Teile der Vorschläge haben ihm nicht gefallen, das hat er dann auch via "Bild"-Zeitung kundgetan und hat damit die Arbeit dieser Kommission nicht mehr ergebnisoffen gesteuert.
Das Ergebnis dieser Kommission liegt vor. Wir erwarten, ich erwarte jetzt vom Minister, dass er seine Arbeit macht und einen vernünftigen Maßnahmenplan vorlegt, der die Gesamt-Einsparverpflichtung im Verkehrsbereich umfasst.
Münchenberg: Frau Lühmann, nun gibt es natürlich auch eine finanztechnische Seite dieses Vorschlages. Denn wenn der Steuersatz gesenkt wird, von 19 auf sieben Prozent, dann hieße das ja auch, der Finanzminister hat weniger Einnahmen. Da geht es ja angeblich um rund 400 Millionen Euro. Dem wird doch Herr Scholz kaum so einfach zustimmen.
Lühmann: Das ist richtig. Wenn wir das als isolierte Maßnahme machen, ist das natürlich sehr schwierig. Die Frage ist: Wie finanzieren wir das? Aber diese Maßnahme muss ja eingebettet werden in den Gesamt-Klimaschutzplan, und wir werden im Bereich Eisenbahn noch deutlich andere Ausgaben zu schultern haben, zum Beispiel, was die Digitalisierung angeht, zum Beispiel, was die Elektrifizierung von Schienen angeht. Nur im Gesamtpaket werden wir dann den Erfolg einer entsprechenden CO2-Reduzierung haben.
Und es sind ja auch noch andere Vorschläge da, was Elektromobilität angeht, was synthetische Kraftstoffe angeht, und es ist ja auch mal in den Raum geworfen worden, was machen wir denn eigentlich mit einem allgemeinen Tempolimit, das, ohne dass wir einen Cent dafür ausgeben müssten, uns ja mehr als eine Millionen Tonnen CO2 einsparen würde.
Es geht jetzt nicht um die Frage, wieviel kostet diese einzelne Maßnahme, sondern es wird um die Frage gehen, was kostet das gesamte Paket und wie finanzieren wir das - übrigens auch im Vergleich mit den Paketen, die die anderen Minister im Klimaschutz-Kabinett, zum Beispiel der Wohnungsbauminister, noch vorlegen müssen.
"Preistechnisch ist das einfach noch zu unattraktiv gegenüber dem Auto"
Münchenberg: Aber das hieße doch schon auch, dass Sie damit rechnen, insgesamt wird das, was der Finanzminister jetzt für die Bahn bereitstellen müsste, eher noch mehr. Denn es geht ja auch da um Investitionen in neue Züge, in Personal, in Infrastruktur. Aber wenn man so eine Maßnahme jetzt wie die Tickets im Fernverkehr noch dazurechnet, wird es eher noch mehr.
Lühmann: Personal und Züge ist Sache der Deutschen Bahn. Der Steuerzahler ist zuständig für die Infrastruktur, für das Schienennetz. Und ja, da gibt es noch diverse Dinge, die wir noch lösen müssen. Zum Beispiel sind ja schon im Haushalt 2020 eine Milliarde Euro zusätzlich für die neue sogenannte Leistungs-Finanzierungsvereinbarung zur Verfügung gestellt worden, die sich um den Erhalt des Schienennetzes kümmert. Insofern ist es klar, dass wir da noch Geld brauchen.
Aber noch mal: Die gesamten finanziellen Mittel müssen eingebettet sein in eine Gesamtstrategie, den Verkehr betreffend, aber auch andere Bereiche, wie zum Beispiel die Industrie oder das Wohnen betreffend. Dann wird man sich unterhalten, wie man diese Gesamtsumme finanziert.
Münchenberg: Frau Lühmann, interessant fand ich auch die Begründung des Verkehrsministers. Er hat gesagt, die Bahn solle noch attraktiver werden. Da ist jetzt von 150 Millionen Fahrgästen die Rede. Das Problem ist doch aber schon heute: Die Züge sind ja alle schon überfüllt.
Lühmann: Viele Züge sind überfüllt, noch nicht alle, und darum versucht die Bahn ja mit dem sehr erfolgreichen Super-Sparpreis, dass Sie mit 19 Euro durch die Republik fahren können, Menschen in nicht so überfüllte Züge zu bekommen und das attraktiv zu machen. Insofern gibt es da durchaus noch Reserven, insbesondere für Menschen, die flexibel sind und nicht einen bestimmten Zug nehmen müssen, sondern auch zwei früher oder einen später nehmen können.
Aber grundsätzlich hat der Minister Recht. Darum hat die SPD das ja auch in ihr Papier reingeschrieben. Grundsätzlich ist es so, dass viele Menschen, wenn sie vor der Entscheidung stehen, kurzfristig, ich fahre irgendwo hin, nehme ich das Auto oder nehme die Bahn, und Sie gucken sich den Preis an, den regulären Preis, oder vielleicht einen Preis mit Zugbindung, dass das einfach noch zu unattraktiv gegenüber dem Auto ist.
"Da reicht nicht eine einzige Maßnahme"
Münchenberg: Auf der anderen Seite aber hat die Bahn ja bei ihrer letzten Bilanz-Pressekonferenz gesagt, dass man vielleicht schon dieses Jahr ohnehin die 150 Millionen Fahrgäste erreichen werde. Also stellt sich schon die Frage: Wir haben gerade im Fernverkehr das Problem der Überfüllung. Was bringt dann so eine Steuererleichterung noch, wenn die Bahn für manche Menschen allein wegen ihrer Qualität quasi nicht ansprechend genug ist?
Lühmann: Das ist richtig. Darum finde ich es hier schwierig, dass man so eine Maßnahme einfach in den politischen Raum reinschmeißt, ohne Flankierung. Wir haben immer gesagt, die Bahn muss zuverlässiger werden. Die Pünktlichkeit muss steigen. Und mit dem Deutschlandtakt hat die Bundesregierung ja auch gesagt, sie will das Angebot erhöhen, sie will auf den Hauptstrecken einen Halb-Stunden-Takt einführen, auf anderen Strecken einen Stunden-Takt. Damit hätten wir dann - als Zeithorizont wird 2030 angegeben - deutlich mehr Verkehre und könnten sehr viel mehr auf die Schiene lenken.
Kurzfristig in diesem Jahr, glaube ich, sieht es sehr gut aus. Gerade diese Super-Sparpreise haben eine Menge Menschen auf die Schiene gelockt. Aber wenn wir das mittelfristig und langfristig sehen und unsere Klimaschutz-Ziele erreichen, müssen noch mehr Menschen die Alternative Auto oder Flugzeug stehen lassen und die Bahn benutzen.
Dazu braucht es ein abgestimmtes Maßnahmenpaket. Da reicht nicht eine einzige Maßnahme, Mehrwertsteuer reduzieren, sondern da brauchen wir auch Sachen - ich wiederhole mich - in Fragen Pünktlichkeit, in Fragen Zuverlässigkeit, in Fragen, wie kriegen wir mehr Züge auf die Schiene.
Münchenberg: Noch ein Punkt. Scheuer hat in dem Interview ja auch gesagt, die Steuerentlastung für die Bahn, das sei letztlich eine überzeugende Alternative zu Verboten und Tempolimits, um den klimafreundlichen Verkehr zu fördern. Ich vermute mal, das teilen Sie nicht?
Lühmann: Richtig. Das teile ich nicht, da wir insgesamt im Verkehr jedes Jahr zehn Millionen Tonnen CO2 einsparen müssen - zehn Millionen Tonnen CO2. Und das werden wir nicht mit einer einzigen oder zwei kleinen Maßnahmen und Anreizen schaffen. Da braucht es einen vernünftigen Plan und auch einen realistischen Plan. Es nützt mir nichts, wenn ich hier irgendwelche Wolkenkuckucksheime mache und Minderungsziele festschreibe, die in der Realität gar nicht erreichbar sind. Denn in der Realität werden wir unsere Strafzahlungen leisten nach dem, was wir verbraucht haben, und nicht, was wir uns wünschen zu verbrauchen. Dazu braucht es einen abgestimmten Plan.
Ob es dazu auch Verbote benötigt, wobei ich wiederhole mich: Ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen würde uns keinen Cent kosten und würde uns sehr viel Steuergelder sparen. Ob das erforderlich ist, müssen wir im Rahmen eines Planes anschauen. Das mache ich nicht isoliert, genauso wenig wie wir isoliert über Steuervergünstigungen reden werden.
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