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Billiges Heroin
New York als Drogen-Supermarkt

Heroin ist heute extrem billig. Und es ist zur Ersatzdroge geworden: Millionen US-Amerikaner sind von Schmerztabletten auf Opioid-Basis abhängig - und weil die Pillen deutlich teurer sind als ein Päckchen Heroin, steigen die Süchtigen auf die Spritze um.

Von Thomas Schmidt |
    New York 2014 ist ein Drogensupermarkt: Nie zuvor in der Geschichte war soviel Stoff auf der Straße, nie war er so billig und nie so tödlich: Zwischen 2010 und 2012 schoss die Zahl der Überdosis-Opfer um 84 Prozent in die Höhe:
    Mexiko als Drogenlieferant
    In den letzten Jahren sei das Heroin-Angebot in New York um 400 Prozent gestiegen, eingeschmuggelt hauptsächlich aus Mexiko, erzählt der Drogenfahnder James Hunt. Keine Stadt in den USA, sagt er, sei für das kriminelle Geschäft mit der Sucht besser geeignet.
    Es sei zur Drehscheibe geworden, weil der größte Markt auch die größten Dealer angezogen habe. Es ist das zweite Mal in seiner Geschichte, dass New York von einer Herion-Epidemie erfasst wird: Schon Mitte der 1960er Jahre galt die Metropole in den USA als Drogen-Moloch, aber die Welt wurde erst darauf aufmerksam, als neben tausenden namenlosen Opfern plötzlich Idole der damals erwachenden Rock-Generation an der Nadel zugrunde gingen:
    "Heroin wurde im Unterhaltungsgeschäft und in Künstlerkreisen sehr populär - und es gab Tote: Janis Joplin, Jimmy Hendrix, Jim Morrison - alle wegen Heroin."
    Damals erlangte das Chelsea Hotel in der 23. Straße in Manhattan einen traurigen Ruf - viele der berühmten Toten hatten hier vorübergehend Quartier bezogen, 1978 sollte Sex-Pistols-Bassist Sid Vicious hier im Drogenrausch seine Freundin Nancy Spungen erstechen, vier Monate danach starb auch er an einer Überdosis. Die Kriminalitäts-Statistik von New York sprach damals von 40.000 Herion-Abhängigen in der Stadt, jedes Jahr kämen bis zu 9.000 hinzu. Zahlen, die auch die Politik alarmierten: US-Präsident Richard Nixon erklärte den Drogen-Missbrauch zum Staatsfeind Nummer Eins und rief zum totalen Krieg auf.
    Tatsächlich zeichnete sich in den folgenden Jahren eine Entspannung an der Drogenfront ab: War Heroin 1972 noch für 95 Prozent der Süchtigen der wichtigste Stoff, sank diese Ziffer bis 1978 auf 46 Prozent. Ein Erfolg, aber kein Sieg über den Staatsfeind Nummer Eins: Neue Drogen und Substanzen kamen auf den Markt: Phencyclidin, PCP oder "Engelsstaub" genannt - und Kokain:
    "Es wurde zur Modedroge, es hatte nicht das gleiche Stigma wie Heroin, weil man es schnupfen konnte und nicht spritzen musste, es galt deshalb als sauberer."
    Koks war in den 1990er-Jahren billiger als Heroin
    Und Koks war vergleichsweise billig: In den 1990er Jahren hatte das Kilo einen Marktwert zwischen 30.000 und 50.000 Dollar, die gleiche Menge Heroin kostete bis zu 150.000 Dollar. Der Stoff kam zu den Dealern aus Kolumbien auf den gleichen Wegen wie zuvor das Heroin, aber die Kartelle erkannten bald, dass auf dem Markt New York durchaus Platz für beide Drogen ist. Also verschenkten sie Heroin, so hoch konzentriert, dass es wie Kokain geschnupft werden konnte, und sobald die Sucht ausreichend neue Opfer gefunden hatte, überschwemmten sie die Stadt mit einem Massenangebot. Mit dem Einstieg der Kolumbianer beginnt die Ära das Billigheroins in New York: Eine Dosis von einem Zehntelgramm kostet heute zwischen 5 und 12 Dollar. Aber die aktuelle neue Welle der Heroin-Epidemie ist nicht nur auf niedrige Preis zurückzuführen: Viele Heroinabhängige leiden heute unter einer Sucht, die ihnen der Arzt verschrieben hat:
    "Der Grund für den erneuten Anstieg beim Heroin-Konsum ist eine Epidemie von Menschen, die von Opiaten abhängig sind."
    Leichtfertig werden Schmerzmittel verschrieben
    Dr. Andrew Kolodny ist der ärztliche Leiter von Phoenix House, einer auf Heroinabhängige spezialisierten Entzugsklinik in New York. Er beklagt, dass Kollegen zu leichtfertig schwere Schmerzmittel verschreiben: Selbst bei milden Beschwerden wie Rücken- oder Kopfschmerzen würden Präparate wie Oxycodon oder Hydrocodon verordnet - Medikamente, die eine ähnliche chemische Struktur haben wie Heroin. Obwohl schon seit den 1920er Jahren bekannt ist, dass diese Schmerzmittel zu Abhängigkeit und damit zum Missbrauch führen, wird in vielen Praxen - sagt Dr. Kolodny - noch immer viel zu schnell zum Rezeptblock gegriffen wird:
    "Das heißt, mit anderen Worten: Der wichtigste Schritt ist, Allgemeinmediziner und Zahnärzte zu mehr Vorsicht beim Verschreiben zu bewegen."
    Es ist aber nicht nur Leichtfertigkeit allein: Ärzte beliefern den kriminellen Drogenmarkt mit Pillen oder Rezepten, Verschreibungen werden gefälscht, Apotheken ausgeraubt. Die Folgen sind fatal:
    "Niemand hat mit Heroin angefangen: Es waren Schmerzmittel, Pillen - die bringen dich auf den Weg."
    Bewußt zu Drogenabhängigen gemacht
    Danielle ist diesen Weg gegangen. Heute ist sie clean, aber auch sie haben Schmerztabletten an die Nadel gebracht: Heroin war leichter zu beziehen und viel billiger, als die verschreibungspflichtigen Pillen. Das heißt, im Umkehrschluss: Viele Süchtige hätten nie zum Heroin gegriffen, wenn sie nicht zuvor die eigenen Ärzte - in der Regel unbewusst - zu Drogenabhängigen gemacht hätten:
    "Das wichtigste, was wir folglich in erster Linie tun müssen, ist, es gar nicht erst zur Tablettenabhängigkeit kommen zu lassen."
    Lebenslange Therapie für Drogensüchtige
    Es ist eine schwere Aufgabe: Ärzte genießen ein hohes Ansehen in der Gesellschaft, Patienten vertrauen ihnen oder verdrängen die Anzeichen ihrer Abhängigkeit mit der Ausrede: Es ist alles in Ordnung, diese Pillen habe ich ja von meinem Doktor bekommen. Und selbst wenn der Tablettenkonsum zur Sucht geworden ist, glauben viele, sie hätten die Sache im Griff und könnten jederzeit aufhören. Eine oftmals tödliche Illusion, sagt Drogenfahnder James Hunt:
    "Die Leute reden sich ein, sie kontrollieren die Droge, dabei haben sie unbewusst längst vor der Droge kapituliert: Egal, wie entschlossen oder stark man auch sein mag - am Ende siegen die Opiate."
    Einmal süchtig, wird man die Abhängigkeit nie mehr los - wer aufhört, Heroin zu spritzen braucht, ähnlich wie Diabetiker, eine lebenslange Therapie, eine Heilung gibt es dennoch nicht. Rund 670.000 US-Bürger gelten als Heroinkonsumenten, 350.000 sind gegenwärtig wegen ihrer Heroinsucht in Behandlung, aber die Zahlen der Drogenfahndung stellen ihnen eine düstere Prognose aus: Die Rückfallquote ist hoch, und damit das Risiko des Drogentods durch eine Überdosis.