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Billigprodukte im Black Friday Sale
"Niemand wird ausgebeutet, alle profitieren"

Durch den Black Friday könnten sich Menschen etwas leisten, die sonst weniger Geld hätten, sagte Wirtschaftsethiker Christoph Lütge im Dlf. Die Vorstellung, man beute für die günstigen Preise Arbeiter in Asien aus, sei "einfach kompletter Humbug". Die produzierenden Länder würden davon sogar profitieren.

Christoph Lütge im Gespräch mit Christiane Kaess |
Eine shoppende Frau geht am 24.11.2017, dem Black Friday, in Hamburg am Schaufenster eines Geschäfts entlang.
Auch in Deutschland gibt es seit einigen Jahren den Black Friday (dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt)
Christiane Kaess: Professor Christoph Lütge ist Ökonom und Philosoph an der Technischen Universität München, Arbeitsschwerpunkt Wirtschaftsethik. Guten Morgen, Herr Lütge!
Christoph Lütge: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Gehen Sie heute schoppen?
Lütge: Ich werde wahrscheinlich etwas online einkaufen und ich werde sicherlich auch heute mal in die Stadt gehen, um was zu kaufen. Am Freitag hat man ja etwas mehr Zeit als in der Woche.
Kaess: Für Sie ist es nachvollziehbar, dass so viele Menschen den Black Friday für Schnäppchen nutzen?
Lütge: Eigentlich muss ich sagen, wenn man sich damit näher beschäftigt, stellt sich für mich jetzt die Frage, worin eigentlich das moralische Problem bestehen soll. Es wird immer gerne so schnell auf den Kapitalismus und auf den Konsumwahn eingeschlagen. Aber wenn wir uns das mal genau ansehen: Geht es nicht eigentlich darum, dass sich auch mal Leute etwas leisten können, die vielleicht weniger Geld haben? – Die, die viel Geld haben, die können sich ständig alles leisten. Aber hier gibt es vielleicht die Möglichkeit, auch gerade mal teure Produkte für weniger Geld zu erwerben, und ich finde, das ist absolut ethisch wertvoll.
Kaess: Es ist allerdings schon ein extremer Kaufrausch, der da teilweise ausbricht.
Lütge: Was ist damit gemeint? Was meinen Sie mit Kaufrausch? Die Leute kaufen doch sonst auch. Jetzt wird an einem Tag oder an mehreren Tagen mehr und konzentriert gekauft. Aber das hätte sich sonst vielleicht anders geteilt, beziehungsweise werden eben auch Überkapazitäten abgebaut. Und wie gesagt, es können sich Leute etwas leisten, die das sonst vielleicht nicht können.
"Das ist Teil einer längerfristigen Kalkulation"
Kaess: Wie ist das denn ökonomisch möglich, dass Geschäfte bei extremen Rabatten immer noch ein gutes Geschäft machen?
Lütge: Das ist ja das ökonomische oder betriebswirtschaftliche Einmaleins. Es ist ja klar, dass das Teil einer längerfristigen Kalkulation ist, bei der zum Beispiel Restbestände noch abgebaut werden müssen. Und da werden Rabatte gewährt. Das geht in die Gesamtkalkulation der Kosten ein. Es ist doch klar, dass man nicht alles zu dem Preis verkauft, den man ursprünglich mal gefordert hat.
Kaess: Aber das heißt auch, Herr Lütge, die Gewinnmarge bei Artikeln, die ist enorm?
Lütge: Das kommt natürlich auf den Artikel an. Das ist unterschiedlich, richtig. Das kann man jetzt so pauschal nicht sagen. Aber bei manchen sind die Margen schon größer, das ist richtig.
Kaess: Und können die kleineren Händler da überhaupt mithalten?
Lütge: Auch diese Frage ist sehr pauschal. Im vorigen Beitrag wurde ja besonders noch mal darauf hingewiesen, dass es für den stationären Handel ein Vorteil sein kann, und da geht es ja häufig gerade um die kleineren Händler. Die könnten gerade einen Vorteil davon haben, dass mehr Menschen vor Ort in die Geschäfte gehen und vielleicht weniger bei Amazon kaufen. Ich glaube, das ist sogar ein großer Vorteil dann für diese kleineren Händler, denn ich meine, das muss man ganz klar konstatieren: Der Trend zum Online-Handel ist ungebremst und der wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Es wird immer schwieriger sein, die Kunden tatsächlich in die Geschäfte zu locken, übrigens auch bei Phänomenen wie dem Ladenschluss, den wir ja zum Teil in Deutschland immer noch haben.
Kaess: Das heißt aber auch auf der anderen Seite, dass den kleinen Geschäften durch den Black Friday das Weihnachtsgeschäft verloren gehen könnte?
Lütge: Das sind gar nicht ethische Fragen. Das sind ganz simple betriebswirtschaftliche Fragen. Kann ich wirklich mit dem Weihnachtsgeschäft, wo ich zu normalen Preisen was verkaufe, mache ich das mit diesem Black Friday Sale kaputt, oder verbessere ich das damit, hole ich vielleicht mehr Kunden rein? Das ist, glaube ich, eine ganz simple betriebswirtschaftliche Kalkulation, die auch im Risiko des Unternehmers liegt, und das ist aus meiner Sicht noch gar keine ethische Frage.
"Das ist einfach kompletter Unsinn"
Kaess: Wer zahlt denn am Ende den Preis für die Dumping-Preise? Sind das die Arbeiterinnen und die Arbeiter, die zum Beispiel in Asien die Billigproduktion mit extrem niedrigen Löhnen möglich machen?
Lütge: Über solche Argumente muss ich mich wirklich lustig machen. Das ist einfach kompletter Unsinn. Das muss ich einfach mal ganz klar so sagen. Sie haben vorhin über Gewinnmargen gesprochen. Bezogen auf die Löhne in Asien ist eine Riesen-Gewinnmarge drin. Das liegt alles im Risiko des Unternehmers. Das ist nichts, was auf irgendwelche Arbeiter in Asien oder in anderen Regionen der Welt abgewälzt wird, wo übrigens auch mittlerweile die Löhne deutlich gestiegen sind. Diese Vorstellung von manchen Leuten hier in Deutschland, wir beuten hier irgendwelche Leute in Asien aus, das ist einfach kompletter Humbug.
Kaess: Wie kommen denn diese niedrigen Preise sonst zustande?
Lütge: Ich habe es ja nun mehrfach versucht zu sagen. Das ist Teil einer ganz normalen betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Es ist doch nicht so, dass man sagt, der Preis setzt sich zusammen in einer objektiven Kalkulation: So und so sind die Kosten für die Arbeit und so und so sind die Kosten für die Rohstoffe. Das ist Marxismus, das ist auf dem Stand der Ökonomie des 19. Jahrhunderts. Da ist ein großer Spielraum drin und der kann sich unterschiedlich zusammensetzen. Ich verkaufe zu bestimmten Zeiten zu unterschiedlichen Preisen. Ich verkaufe an unterschiedlichen Standorten. Ich habe für den Vertriebsweg unterschiedliche Kosten. Ich habe fürs Marketing unterschiedliche Kosten. Das ist eine komplexe Kalkulation, und die kann man nicht so einfach reduzieren.
"Die haben die großen Vorteile davon"
Kaess: Dann sagen Sie aber, Herr Lütge, um das noch mal klarzumachen, mit Billigprodukten aus Asien zum Beispiel – das ist ja immer das Paradebeispiel, das dort herangezogen wird -, da gibt es überhaupt kein Problem?
Lütge: Es gibt damit grundsätzlich überhaupt kein Problem. Natürlich nicht! Dieser Slogan von Billigprodukten aus Asien – wissen Sie, ich erinnere mich, dass der schon in den 80ern gebraucht wurde. Damals war es Hongkong, damals war es zum Teil auch Japan, galt als Billigprodukte. Dann war es mal China, dann war es Taiwan, dann war es irgendwann Vietnam. Jetzt ist es vielleicht Birma demnächst. Das ist ein viel zu vereinfachender Slogan, an dem nichts dran ist, an dem niemand ausgebeutet wird am Ende, sondern an dem alle profitieren, und die Länder selbst sogar am meisten. Die haben sich seitdem massiv entwickelt. Die haben die großen Vorteile davon und wir haben letztlich die günstigen Produkte, und zwar gerade davon profitieren diejenigen, die weniger Geld haben. Das ist eine Win-Win-Situation, das ist völlig klar.
Kaess: Aber, Herr Lütge, wir können ja auch nicht so tun, als hätten wir überhaupt keine Diskussion über die Arbeitsbedingungen vor Ort, die zum Teil inhuman und katastrophal sind.
Lütge: Erstens ist das völlig pauschal und so nicht richtig. Und zweitens: Was ändert der Black Friday Sale daran, bitte?
Kaess: Dass er das Ganze noch mal anheizt.
Lütge: Da muss ich Ihnen einfach sagen, wenn Sie mir nicht glauben, dann gucken Sie heute mal in die "taz".
Kaess: Es geht nicht darum, was ich glaube, Herr Lütge; es geht um den Austausch von Argumenten.
Lütge: Wollen Sie mich ausreden lassen oder nicht?
Kaess: Ja, natürlich!
"Das liegt in der Verantwortung des Verbrauchers"
Lütge: Wenn Sie in die "taz" gucken, da ist heute ein ganz klarer Artikel drin von einer ganz anderen Perspektive, die sagt, ich kann diese ganze Kapitalismuskritik nicht mehr hören. Die Leute mit weniger Geld haben unglaublich viel davon. Die Leute mit viel Geld, die können sich das jederzeit leisten. Wenn wir sagen wollen, wir wollen nicht in Asien produzieren, sondern wir wollen zum Beispiel nur in Deutschland produzieren, ja, dann können sich nur Leute mit viel Geld das leisten und nicht die anderen, und ich glaube nicht, dass das ethisch gut ist.
Kaess: Der Punkt ist angekommen. Sagen Sie uns zum Schluss noch: Wie gefährlich ist das Ganze eventuell für Verbraucher, weil mittlerweile auch immer mehr vor Fake Shops zum Beispiel gerade im Internet gewarnt wird?
Lütge: Ja, das liegt in der Verantwortung des Verbrauchers. Wenn der Verbraucher sich das kaufen will, ist das sein oder ihr Problem.
Kaess: Ihr Aufruf für heute, man sollte ein bisschen genauer hinschauen?
Lütge: Das sollte man grundsätzlich. Ich rate dazu, keine Fake-Produkte zu kaufen, es sei denn man will das. Wo ist das moralische Problem? Wenn jemand sich eine falsche Rolex oder so kauft – dessen Problem! Vielleicht trägt er die gerne. Ich sehe überhaupt nicht, wo das Problem besteht, und ich rate dazu, heute zu kaufen wie man will.
Kaess: Das Problem ist für den Verbraucher, eventuell das erkennen zu können, und wir haben ja keinerlei Regeln, die das offenlegen würden.
Lütge: Ja, das ist der deutsche Regulierungswahn. Warum glauben Sie, dass der Staat das besser kann? Glauben wir wirklich, dass die staatlichen Regeln das Problem beseitigen? Diesen Glauben an den Staat habe ich definitiv nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.