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Bio-Logging
"Wir wollen alle Daten von Tieren zusammenschalten"

Drohende Nahrungsknappheit erkennen, Vogelgrippe beobachten oder endlich den Wirt von Ebola finden - der Durchbruch des sogenannten Bio-Logging stehe kurz bevor, sagte Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut in Rudolfzell im Dlf. In der Raumstation ISS sollen diese Daten global zusammen getragen werden.

Martin Wikelski im Gespräch mit Lennart Pyritz |
    Kegelrobben werden in die Ostsee freigelassen, nachdem sie "besendert" worden sind
    Kegelrobben werden in die Ostsee freigelassen, nachdem sie "besendert" worden sind (dpa / PAP / EPA / Adam Warzawa)
    Lennart Pyritz: Haie, Fledermäuse oder Erdferkel: Mittlerweile werden Verhalten und Körper-Funktionen unterschiedlichster Arten mit Hilfe angehefteter Mini-Sender oder implantierter Daten-Logger erfasst. Welche neuen Möglichkeiten und Chancen bietet dieses High-Tech am Tier der Wissenschaft? Darüber haben hunderte Forscher von Montag bis heute auf dem Internationalen Bio-Logging-Symposium in Konstanz diskutiert. Einer dessen Organisatoren ist Prof. Martin Wikelski, Leiter des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell. Ich konnte gestern in einer Kaffeepause der Tagung mit ihm telefonieren. Und ich habe ihn zuerst gefragt, welche technischen Gerätschaften und Methoden der Begriff Bio-Logging eigentlich umfasst?
    Martin Wikelski: Bio-Logging umfasst alles, was auf einem Tier mitschwimmen, -fliegen oder -laufen kann. Ein elektronisches Aufzeichnungsgerät, das alles das, was das Tier macht, aufzeichnet und im Idealfall auch an uns weiterschickt. Das schließt auch physiologische Daten mit ein, wir bekommen zum Beispiel Herzraten, Blutdruck, Körpertemperatur, Gesundheitszustand, das können auch die Wellen des Gehirns sein, wo man sieht, ob das Tier schläft oder wach ist. Und muss natürlich alles so funktionieren, dass es das Tier nicht beeinflusst, denn wir wollen das richtige, natürliche Verhalten des Tiers mitbekommen.
    "Das ist der wirklich große Durchbruch"
    Pyritz: Mehrere Hundert Wissenschaftler haben jetzt auf dem Bio-Logging-Symposium neue Methoden und Ergebnisse aus Wildtierstudien vorgestellt. Welche davon sind Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben oder haben die größte Relevanz für Ihr Forschungsgebiet? Können Sie da zwei, drei Beispiele nennen?
    Wikelski: Also, ich glaube, das Wichtigste ist, dass ganz kleine Sender, die global ausgelesen werden können, jetzt demnächst verfügbar sein werden. Das ist von der deutschen Luft- und Raumfahrtagentur gesponsert, in Zusammenarbeit mit den Russen, mit der russischen Raumfahrtbehörde geht es demnächst hoch auf die internationale Raumstation. Damit werden wir dann zum ersten Mal wirklich weltweit auch kleine Vögel, Singvögel besendern können, wir können Wale, Thunfische uns anschauen oder eben Flughunde in Afrika, um den Wirt von Ebola zu finden. Ich glaube, das ist der wirklich große Durchbruch. Und es gibt natürlich viele kleine Fragen, wo man das dann hernehmen kann. Man kann das zum Beispiel dann natürlich auch auf ein großes Tier machen, als Ohrmarke, bei einem jungen Tiger zum Beispiel, den man das ganze Leben durch verfolgt. Solche Sachen sind, glaube ich, das Spannendste, was gerade kommt.
    Projektstart: April oder Mai nächsten Jahres
    Pyritz: Das Zukunftsprojekt, was Sie jetzt erwähnt haben, heißt ja ICARUS. Dabei sollen Daten besenderter Tiere über eine Antenne auf der ISS empfangen und weitergeleitet werden. Wann wird es konkret damit losgehen? Da war ja ursprünglich einmal der Start für 2015 vorgesehen.
    Wikelski: Genau. Leider ist ICARUS das Schicksal aller Satellitenprojekte zugestoßen, Verzögerungen, es ist eine Rakete explodiert, die Entwicklung hat etwas länger gedauert. Aber wir haben jetzt in zwei Wochen den Start des Computers, wir haben dann im Januar das Training der Kosmonauten, wir brauchen einen Vierstunden-Space-Walk, in dem die Kosmonauten die Antenne dann anbringen. Und das wird leider erst ungefähr im April oder Mai nächstes Jahr sein. Aber ab dann geht es los, wir haben aber vorher schon die Sender am Laufen, das heißt, die kommen bei uns schon auf Amseln und andere Tiere, um lokal diese Informationen zu bekommen.
    "Was wollen uns die Tiere damit sagen?"
    Pyritz: Mit der gerade laufenden Tagung rufen Sie auch die Bio-Logging-Dekade aus. Was hat es damit auf sich, was steckt dahinter?
    Wikelski: Ja, wir wollen jetzt weltweit einen Zusammenschluss der Wissenschaftler, die sich ums Leben kümmern, also ums Leben draußen auf der Welt. Wir wollen alle Daten von Tieren zusammenschalten, wir wollen sehen, was die Tiere uns damit sagen, übers Leben auf der Erde. Das heißt, wir haben jetzt zum ersten Mal demnächst eben dann ein weltweites Netz von intelligenten Sensoren, die praktisch als Kanarienvogel in der Mine oder als globaler Spürhund für uns diese Daten liefern, um den Menschen was zu sagen, aber eben auch andersherum, dass wir eben die Tiere schützen in den Gegenden, wo wir jetzt noch gar nicht wissen, dass sie sterben.
    "Wo steckt denn Ebola, wenn wir es nicht finden"
    Pyritz: Können Sie das noch ein bisschen mit Leben füllen? Inwiefern können Mini-Logger und Sender an Haien oder Zugvögeln oder Fledermäusen unser Wissen und unsere Sicht auf die Welt in Zukunft verändern? Sie haben eben schon mal angedeutet, dass es auch in Bezug auf Krankheitsausbreitung Auswirkung haben könnte.
    Wikelski: Genau. Die Sender sind in vielerlei Hinsicht wichtig, zum Beispiel kann man die Nahrungsversorgung sicherstellen, indem unsere Störche im Sahel uns anzeigen, wo Wanderheuschrecken hochkommen, dann kann man da die Leute entsprechend warnen. Wir können Krankheiten beobachten wie zum Beispiel die Vogelgrippe, wir können aber auch zum Beispiel die Flughunde, die selber nicht Ebola übertragen, als unsere Spürhunde hernehmen, die fliegen in jeden Winkel Afrikas und zeigen uns an durch ihre Antikörper im Blut – die haben mit Ebola, mit dem Wirt Berührung –, wo steckt denn Ebola, wenn wir es nicht finden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.