Kurz vor dem Wochenende machte Gastgeber China bekannt, womit Insider schon gerechnet hatten: Die im kommenden Oktober geplante UN-Konferenz zum Schutz der Artenvielfalt wird Corona-bedingt zum größten Teil auf das Jahr 2022 verschoben. Am 11. Oktober soll es aber einen Online-Teil mit Eröffnungsreden geben.
Ziel des Gipfels im Rahmen der gleichnamigen UN-Konvention "Convention on Biological Diversity" (CBD), ist ein internationales Abkommen, mit dem der dramatische Verlust von Arten und ihrem Lebensraum gebremst werden soll. Ein erster Entwurf sieht vor, bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der Landflächen und der Meeresfläche unter einen Mindestschutz zu stellen.
Friedrich Wulf betreut für die im Forum Umwelt und Entwicklung zusammengeschlossenen deutschen und Schweizer Nichtregierungsorganisationen die Konferenzvorbereitung. Mit Blick auf die Player, die dem Abkommen zustimmen müssen, sagte er im Dlf: "Innerhalb der Verhandlungen markiert die Bolsonaro-Regierung sehr stark den starken Mann und hebelt bisher gesetzte stille Vereinbarungen aus." Die Bolsonaro-Regierung scheine möglichst viel Geld aus dem Abkommen herauskriegen zu wollen. Es gehe ihr in erster Linie nicht um die Bewahrung der Biodiversität. Was die USA betrifft, wünsche man sich immer, sie würden der Konvention endlich beitreten.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Jule Reimer:Wie realistisch ist eine Einigung über dieses Abkommen?
Friedrich Wulf: Ja. Entscheidend ist, dass der politische Wille dazu da ist, das zu verändern. Das betrifft das gesamte Abkommen, und das 30-Prozent-Ziel, was Sie erwähnen, ist ja nur ein Baustein aus dem ganzen, was natürlich uns aus Naturschutzsicht naheliegt. Es kann realistisch sein, ja, aber es geht nicht nur um die Fläche - das ist ganz entscheidend -, sondern diese Gebiete müssen auch ihre Funktion erfüllen, und da liegt einiges im Argen.
Reimer: Wenn da einiges im Argen liegt, was heißt das dann konkret? Wo sind die entscheidenden inhaltlichen Knackpunkte?
Wulf: Es braucht im europäischen Raum vor allen Dingen besseres Management der Gebiete, dass sie ihren Zweck erfüllen, und ein international ganz wichtiger Punkt ist, dass die Menschenrechte adäquat berücksichtigt werden, dass man nicht eine Käseglocke von der Regierung darüberstülpt, die Leute, die dort seit vielen Jahrzehnten, Jahrhunderten leben, aus den Gebieten mit Gewalt herausschmeißt und ihnen die Nahrungsgrundlagen raubt. Das darf nicht mehr stattfinden.
"Landwirte müssen für die Leistungen, die sie erbringen, um die Biodiversität zu erhalten, adäquat entschädigt werden"
Reimer: Blicken wir erst mal auf den europäischen Raum. Was meinen Sie konkret?
Wulf: Das heißt, dass Gebiete entsprechend bewirtschaftet werden müssen, damit sie ihre Schutzgebietsziele erreichen.
Reimer: Aber bei 30 Prozent geschützter Fläche bekommen die meisten Land- und Forstbesitzer hierzulande einen Schock. Was bedeutet Schutz? Welche Form von Schutzstatus fordern Sie da?
Wulf: Es wird vor allem darum gehen, Gebiete, die jetzt einen Wert haben, zu sichern, dass sie auch künftig ihren Wert behalten, und das muss man im Einvernehmen, im Dialog und auch dort, wo nötig, unter Entschädigung der entsprechenden Landwirte machen.
Reimer: Setzen Sie in dem Fall auch bei der europäischen Agrarreform an?
Wulf: Ganz klar ja! Die europäische Agrarreform muss maßgeblich dazu beitragen, dass die Landwirte für die Leistungen, die sie erbringen, um die Biodiversität zu erhalten, adäquat entschädigt werden und dass das für sie wirtschaftlich eine gangbare Option ist.
Reimer: Der Bezug auf die ärmeren Länder – Sie haben bereits formuliert, dass dort Schutzstatus ganz schnell bedeutet, dass Ansässige, auch viele Indigene vertrieben werden.
Wulf: Wir sind ja global mit unseren Partnern im Kontakt. Das ist ja wirklich ein globales Netzwerk, das zu diesen Themen arbeitet. Wir wissen einfach durch diverse Studien, dass in Zentralafrika zum Beispiel wirklich große Teile des Urwaldes unter Schutz gestellt werden, ohne dass man in irgendeiner Form mit den Leuten, die dort seit Generationen leben, in Kontakt tritt. Dann werden diese Leute teilweise aus diesen Gebieten vertrieben, müssen schauen, dass sie die nachhaltige Nutzung des Urwaldes durch Subsistenzernte von Jägern und Sammlern nicht mehr als Grundlage haben, und sie verelenden und werden mit Gewalt herausgetrieben.
Es gibt Vergewaltigungen, es gibt ganz schreckliche Sachverhalte, weil die Regierung das mit der Käseglocke von oben macht, und das darf so nicht weitergehen. So kommt man nicht weiter. Oft ist es auch so, dass die Indigenen erst dazu beigetragen haben, dass die Biodiversität noch weiter dort existieren kann, weil sie andere, viel schädlichere Nutzungen ferngehalten haben.
Brasilien gehört zu den schwierigen Playern
Reimer: Ein wesentlicher Streitpunkt in der Vergangenheit war ja immer im Rahmen der CBD, wem gehören die genetischen Ressourcen. Die Artenvielfalt, die ja auch medizinisch oder technisch in jeder Hinsicht genutzt werden kann, im Amazonas, gehört die der brasilianischen Regierung, gehört das Wissen darum den indigenen Völkern. Auch im Rahmen des Schutzes der Meere stellt sich die Frage, wem gehört der Genpool der Meere auf hoher See. Wie kann man solche Konflikte lösen? Gehört der Genpool der ganzen Menschheit oder zuständigen Ländern? Wie läuft das?
Wulf: Rein juristisch ist in der Biodiversitätskonvention als drittes Ziel festgelegt, dass man Mechanismen hat, um den Hütern der Biodiversität, eben den Indigenen in den betreffenden Ländern eine Entschädigung, eine Kompensation, einen Anteil, einen Benefit gibt, dass sie diese Flächen und auch die Ressourcen anderen zur Verfügung stellen. Das ist der grundlegende Mechanismus, der auch im Nagoya-Protokoll festgehalten ist. Es besteht jetzt die Gefahr, dass der durch digitale Techniken untergraben wird, indem man die genetischen Informationen digital weitergibt. Da umgeht man diese Vereinbarung. Es besteht dann keine Möglichkeit und kein Agreement mehr, diesen Indigenen irgendeinen Benefit zu geben, und das setzt letztlich das ganze Abkommen, die ganze Einigung unter große Gefahr.
Reimer: Haben wir nicht schon eine Einigung zu dem Thema Access and Benefit Sharing?
Wulf: Ja, die gibt es zu dem physischen Access and Benefit Sharing, wenn Sie irgendwie aus Südafrika die Wurzel Umckaloabo von einer Geranienart in Deutschland nutzen, da zahlt dann der deutsche Pharmaproduzent an die einheimischen Völker in Südafrika eine Entschädigungsleistung. Ja, das findet statt.
Wenn Sie aber jetzt die Informationen aus dieser Wurzel nicht physisch weitergeben, sondern irgendwo über gentechnische Verfahren aufschlüsseln und digital weitergeben, gilt dieses Abkommen nicht mehr.
Reimer: Wer sind die schwierigen Player bei den Einigungen? Ich könnte mir vorstellen, dass Brasilien unter Bolsonaro noch selbstbewusster geworden ist, nationalistischer in der Nutzung, in der Bestimmung über den Amazonas. Auf der anderen Seite hat die US-Regierung niemals die UN-Biodiversitätskonvention ratifiziert.
Wulf: Ja! Das sind natürlich zwei der schwierigen Themen, ganz klar, und innerhalb der Verhandlungen markiert die Bolsonaro-Regierung sehr stark den starken Mann und hebelt bisher gesetzte stille Vereinbarungen aus. Die kommen immer mit überraschenden Beiträgen und das wird es tatsächlich schwierig machen. Das Interesse der Bolsonaro-Regierung scheint wirklich das zu sein, möglichst viel Geld aus dem Abkommen herauszukriegen und nicht die Bewahrung der Biodiversität in erster Linie.
Was die USA betrifft: Man wünscht sich immer, sie würden der Konvention endlich beitreten. Die USA ist da nicht an die Weisungen gebunden und ein Punkt, den sie zum Beispiel machen, ist ganz viele Arten horten im Botanischen Garten von Saint Louis, ohne sich an die geltenden Regeln zu halten. Stichwort, was ich gerade gesagt habe: Nagoya-Protokoll. Das ist eine sehr ungünstige Situation, dass die USA als wichtiges großes Land und als einziges großes Land nicht Teil der Biodiversitätskonvention ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.