Nach ungefähr 70 Seiten hat sich Ingeborg Gleichauf befreit. Von der eigenen Angst, doch nicht mehr als Spekulatives zu äußern und davor, sich in der Deutung und Interpretation zu verlieren. Dieser innere Befreiungsschlag wirkt sich auch auf Gleichaufs Schreibstil aus, der sich nach einem Drittel des Buchs von einer Formulierungsschlitterpartie zu einem selbstbewussten Ton hin entwickelt. Die Freiburger Sachbuchautorin Gleichauf hat ihren Weg, ihren Zugang zum literarisch schwergewichtigen Liebespaar Ingeborg Bachmann und Max Frisch gefunden und legt dem Leser eine Spur. In ihrem Buch "Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit" betrachtet Gleichauf die vierjährige Beziehung des Schriftstellerpaares, die von 1958 bis 1962 reichte, sowohl aus einem persönlichen als auch aus einem wissenschaftlichen Interesse heraus.
Ihr Buch eröffnet eine Perspektive auf die Beziehung eines geschiedenen Mannes zu einer jüngeren Frau. Beide stehen im damaligen Rampenlicht des Literaturbetriebs. Beide können unterschiedlicher nicht sein. Er, der die Ordnung liebt, sich aber von dem sowohl inneren als auch äußeren Chaos seiner Schriftstellerkollegin angezogen fühlt und versucht, mit ihrem Temperament und ihrer Sicht auf die Welt klarzukommen. Sowohl in Ingeborg Bachmanns Werk als auch in dem Max Frischs wird das Thema der Liebe als literarisches Konstrukt und als Kunstform immer wieder verhandelt. Doch dies bedeutet nicht, dass die Umsetzung der Liebe innerhalb eines realen Kontextes wie einer Beziehung auch funktioniert. Das zeigt Ingeborg Gleichaufs Aufarbeitung. Dieses Buch schreiben zu wollen und sich damit auf riskantes Terrain zu begeben, stand für Gleichauf schon lange fest.
"Das hat mich immer gejuckt. Als ich damals diese Frisch-Biografie geschrieben habe, die ja wirklich für Jugendliche geschrieben wurde, das hat damals der Verlag Nagel & Kimche nur völlig falsch kommuniziert. Und da hatte ich da einige Verrisse. Und irgendwo stand auch, die Beziehung Bachmann/Frisch, darüber habe ich viel zu wenig gesagt. Aber das ist ganz klar, wenn ich ein Buch für Jugendliche schreibe, ist das einfach ein zu komplexes Thema. Und das hat mich geärgert, natürlich. Und dann hat es mich noch umso mehr gereizt. Und dann habe ich mir gesagt, ich mache das jetzt einfach. Und es war natürlich auch ein Kampf. Das hört sich jetzt pathetisch an, es hat mich auch selbst an die Grenzen gebracht das Thema, weil ich immer Angst hatte, dem nicht gerecht zu werden. Und ich habe eigentlich auch zwei Bücher geschrieben. Das erste, das war thematisch nur anhand der Werke. Damit war ich nicht zufrieden, damit war der Verlag nicht zufrieden. Dann habe ich noch mal angefangen. Und dann gab es diese Chronologie."
Darin eingebettet liegt die erste Begegnung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch im Juli 1958 in einem Pariser Café. Max Frisch, der ein großer Bewunderer Ingeborg Bachmanns schriftstellerischer Arbeit ist, verliebt sich alsbald in seine österreichische Kollegin und ist sehr davon angetan, diese Autorin mit dem roten Lippenstift leibhaftig vor sich zu haben. Ingeborg Bachmann selbst reagiert verhaltener. Die gescheiterte Beziehung zu Paul Celan lässt sie nicht los. Nur allmählich wird aus ihrer anfänglichen Faszination für Max Frisch auch ein Verliebtheitsgefühl. Ingeborg Gleichauf beschreibt diese ersten Momente mit literarischem Ton, so als ob man einen Liebesroman läse. Dabei erscheint die weibliche Protagonistin als die Unnahbare, die selten lacht, aber ihre Rolle in der Öffentlichkeit genauso gut spielt, wie Max Frisch die seine. Beide verbindet ein Gefühl der Komplizenschaft miteinander. Ihre gemeinsame Begegnung und die sich daraus ergebende Beziehung eröffnen neue Möglichkeiten.
"Ich denke, mit Frisch hat sie vor allem den Versuch verhandelt, doch noch wie so eine bürgerliche Existenz zu führen. In einer Wohnung gemeinsam mit ihm zu wohnen, den Alltag zu gestalten. Ich denke, das war wirklich ein Versuch, ein Versuch, der gescheitert ist, aber ein Versuch, der für sie irgendwann einmal unternommen werden musste. So etwas hatte er einfach noch nie erlebt, weil er vor dieser Zeit auch kein großes Interesse gezeigt hatte, sich mit Schriftstellerinnen/Schriftstellern zu umgeben, geschweige denn, eine Beziehung mit einer Schriftstellerin einzugehen. Das hat ihn gereizt."
Ingeborg Gleichauf schildert die vierjährige Beziehung zwischen Bachmann und Frisch chronologisch; bis zum Bruch im Jahr 1962. Die Chronologie dieser Schriftstellerliebe unterteilt Gleichauf in acht Kapitel, die beispielsweise die Titel "Bett und Tisch" oder "Ausflüge ins Unbeschwerte" tragen und von etlichen Versuchen des Zusammenlebens erzählen. Auffällig ist, dass dem beziehungsinitialen Kapitel "Erste Begegnung" allerhand Jahreszahlen beigefügt sind, die auf diverse Werkveröffentlichungen beider Schriftsteller oder Ereignisse des damaligen literarischen Lebens Bezug nehmen und das Auge des Lesers immer wieder hin- und herspringen lassen. Anscheinend fühlte sich Ingeborg Gleichauf dazu angehalten, besonders zu Beginn ihres Buches kein Detail auszulassen.
"Mit der Chronologie, das war für mich das schwierigste. Weil ich auch so wenig an Chronologie glaube. Und weil ich denke, gerade bei der Beziehung, dass schon am Anfang alles da war. Das hat sich nur ausgefaltet."
Löst sich Ingeborg Gleichauf von Jahreszahlen, entfaltet sie ihre große Stärke. Das zeigt sich sowohl in der nachvollziehbaren psychologischen Deutung der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch als auch in Gleichaufs - wenn auch nicht ganz neuer - These, dass die Liebesbeziehung Bachmann/Frisch eine notwendige gewesen sei, da sie über die eigentliche Dauer der Liaison hinaus auf die nachfolgenden Werke Einfluss genommen habe.
Ingeborg Gleichaufs Buch versteht sich nicht als Dokumentation, sondern als Weg der Annäherung, der sehr spannend sein kann. So vergleicht die Autorin beispielsweise die Ortswahrnehmungen beider Schriftsteller miteinander. Wie erleben sie ihre gemeinsamen Aufenthalts- beziehungsweise Wohnorte? Warum fühlt sich Ingeborg Bachmann in Zürich und Uetikon nicht wohl? Was bedeutet ihr hingegen Rom und wie begegnet Max Frisch der italienischen Hauptstadt, in der das Paar ab 1960 wohnt? Beide lieben die Stadt, treten ihr jedoch auf unterschiedliche Art und Weise gegenüber.
Ingeborg Gleichauf sieht in Max Frisch den Wanderer, der sich das neue Terrain mit staunendem Blick erläuft und andere mit seiner Euphorie anstecken möchte. Ingeborg Bachmann hingegen spaziert wie eine Flaneurin durch die Metropolen, in deren Dickicht sie Geheimnissen auf der Spur ist. Der unterschiedliche Umgang mit solchen Alltagserfahrungen schlägt sich bei beiden auch im literarischen Werk nieder:
"Ich habe es so herausgearbeitet, dass es für Frisch so war, dass er erst Erfahrungen machen muss. Und um die verstehbar zu machen, schreibt er. Ingeborg Bachmann ist eigentlich vom Schreiben ausgegangen. Sie wusste schreibend vieles schon, was sie lebend dann nachholen musste. Und das ist diese ganz innige Beziehung bei beiden zwischen Leben und Schreiben, aber auf ganz unterschiedliche Weise. Und das hat mich fasziniert, das finde ich faszinierend."
Vieles, was Ingeborg Gleichauf über die Beziehung Bachmann/Frisch berichtet, bleibt Spekulation. Daher stehen Schilderungen über mögliche Gefühlszustände, wie die gegenseitige Eifersucht oder das Genervtsein im Konjunktiv.
"Es sind die Vorstellungen, die sich im Laufe des Schreibens bei mir entwickelt haben. Und es ist auch eine Liebesbeziehung, die stark aus dem Utopischen heraus gelebt wurde. Es gab bei beiden utopische Vorstellungen von dem, was sie in dieser Liebe leben wollten. Und insofern kommt es dann immer wieder zu diesem Konjunktiv. Und das ist aber auch das Spannende an dieser Liebesbeziehung. Eine Liebesbeziehung, die keinen Konjunktiv hat, ist eine langweilige Liebesbeziehung."
Ingeborg Gleichaufs Buch über Max Frisch und Ingeborg Bachmann entwirft ein interessantes und vielschichtiges Beziehungsbild. Gleichaufs Blick stellt einen von vielen Betrachtungsmöglichkeiten dar. Vielleicht ist es auch ein Glück, das bisher kein einziges Foto aufgetaucht ist, das Ingeborg Bachmann zusammen mit Max Frisch zeigt. So kann sich der Leser mit Gleichaufs Band ein eigenes machen.