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Biografie Erich Honecker
In jungen Jahren keinesfalls der Musterkommunist

Die Biografie " Erich Honecker: Das Leben davor" widmet sich der Jugendzeit des späteren DDR-Staatschefs. Mit unvoreingenommenem Blick zeichnet Autor Martin Sabrow die wichtigsten Stationen im frühen Leben des überzeugten Kommunisten nach: von der Internationalen Lenin-Schule in Moskau bis hin zu seinem Gefängnisaufenthalt in Brandenburg.

Von Henry Bernhard |
    Erich Honecker bei einem Spaziergang in Chile 1993
    In seiner Jugend war Erich Honecker stürmisch und mutig. (afp/Martin Thomas)
    Erich Honecker: "Wir grüßen aus tiefstem Herzen das Neue, unsere strahlende, freudige Zukunft. Es lebe die Deutsche Demokratische Republik, ihr Präsident Wilhelm Pieck und ihre Regierung zu einer friedlichen Welt!"
    Er war kein großer Redner. Erich Honecker ist 37 Jahre alt, als er die FDJ, die Freie Deutsche Jugend, der er vorsteht, auf die DDR und deren Präsidenten einschwört. Dies geschieht am 11. Oktober 1949 – vier Tage nach Gründung der DDR. 200.000 Blauhemden mit Fahnen und Fackeln marschieren in Berlin, Unter den Linden an der Regierung und am gerade ernannten Präsidenten Wilhelm Pieck vorbei.
    Weder Schurken- noch Heldengeschichte
    Honecker war kein großer Redner, aber er war dennoch mal ein anderer als der alterslose sphinxenhafte SED-Funktionär, der dem Ostbürger 30 Jahre lang auf gerahmten Fotos in Amtsstuben, Schulen, Kasernen, Gefängnissen mit schmalen, zusammengepressten Lippen süßlich entgegen lächelte. Auch Erich Honecker war einmal jung, stürmisch, mutig. Dieser Jugendzeit widmet sich Martin Sabrows hervorragend recherchiertes und glänzend geschriebenes Buch. Aber weder als Schurken- noch als Heldengeschichte.
    Martin Sabrow: "Ich will nicht in die Falle laufen, dass ich jetzt eine kohärente Biografie gegen seine inkonsistente Ich-Erzählung biete. Und das geht am Ende sogar soweit, dass ich in der Summe zusammenfasse, wie man sein Leben lesen kann: Nämlich als die Geschichte eines Versagens, eines Scheiterns, einer Verblendung, einer Illusion, die zu nichts führte. Und man kann sie genauso gut anders lesen. Als eine bei allen Schattierungen und Scharten doch heroische Geschichte eines Menschen, der sein Leben in die Schanze schlägt, um dem, was er sein Volk nennt, nützlich zu sein, das ihn bespuckt, als er ins Zuchthaus abgeführt wird.
    Sabrows Biographie umfasst Honeckers wohlbehütete Kindheit und Jugend im Saarland, dessen Erfolg als talentierter, wortgewandter Nachwuchsführer des kommunistischen Jugendverbandes in seiner Heimat. Sie zeigt Honecker als 1930 über ein Jahr in Moskau geschulten Kader, der danach aus dem noch bis 1935 unter französischer Verwaltung stehendem Saarland an die Ruhr geschickt wird, um dort im Untergrund die kommunistische Jugend zu führen.
    Unvoreingenommener Blick des Autors
    Sie schildert den hoffnungsvollen, aber desaströs gescheiterten Kampf der Kommunistischen Partei im Saarland gegen den Anschluss an das Reich. Auch viele andere Biografien flicht Sabrow immer wieder ein, ohne Honecker auch nur einen einzigen Moment aus den Augen zu verlieren. Besonders angenehm ist des Autors unvoreingenommener, neugieriger und empathischer Blick.
    "Als Mensch mit seinen Gefühlen, seinen Regungen, auch seinem kommunikativen Verhalten wird er aus den Akten wenig deutlich, am ehesten noch aus den Zeitzeugenberichten der 80er, 70er Jahre, die sich an den Honecker Erich in Wiebelskirchen zurückerinnern. Und dort ist er vor allem ein fröhlicher, überzeugender Politiker und offenbar auch Redner, ganz erstaunlicher Weise! Ich wiederum habe ihn gelesen als Womanizer, als jemand, der auf andere Menschen und auf Frauen von erheblicher Anziehungskraft war."
    Sabrow präsentiert in seinem Text mit literarischer Qualität einen fleißigen Jungfunktionär, der bereits in seiner Jugendzeit ein fest gefügtes Weltbild hat, das ihn mitunter blind, aber auch standhaft gemacht hat. Geprägt wurde es maßgeblich auf der Internationalen Lenin-Schule in Moskau, einer stalinistischen Kaderschmiede der Kommunistischen Internationale.
    Buchzitat: "Was die Parteischule vor allem vermittelte, war nicht Wissen, sondern Gläubigkeit. Der unvorbereitete Kontakt mit dem anderen Gesicht des Zentrums des Weltkommunismus hätte Honeckers Weltbild erschüttern können. Doch in der Begegnung von Idee und Wirklichkeit siegte die Idee; aber sie siegte, ohne die Wirklichkeit zu leugnen, und eben das machte ihre Macht aus.
    Trotz seines Enthusiasmus' und des alles überstrahlenden Bewusstseins, im Land seiner Träume zu sein, entging Honecker keineswegs die allgegenwärtige Armut auf der Straße. Er sah es, und er sah es doch nicht. In der Sinnwelt des Lenin-Schülers Honecker klagte das sichtbare Elend der Gegenwart allein die Fehler der Vergangenheit an und rechtfertigte damit auch den härtesten Weg in eine bessere Zukunft."
    Neuer Blick auf Honeckers Haftzeit
    Ein besonderes Verdienst von Sabrows Biografie ist das Licht, das sie in Honeckers Haftzeit von 1935 bis 1945 in Brandenburg bringt. Gerüchte und Legenden hatten im Kontrast zur parteioffiziellen Hagiografie über Jahrzehnte einen nicht ganz koscheren Honecker skizziert. Mit aufwendiger Recherche und Wertung aller Befunde rückt Sabrow gerade: Honecker hat vermutlich niemanden verraten; er ist kurz vor Kriegsende aus der Haft geflohen und wieder zurückgekehrt, weil es draußen gefährlicher war als drinnen.
    Sabrow zeigt auch hier, dass Erich Honecker keinesfalls der Musterkommunist war, dem eine Karriere in der DDR vorgezeichnet war: Honecker gehörte eben nicht zu Ulbrichts Exil-Truppe, die 1945 durch Schulung und mörderische Terror-Auslese diszipliniert und stalinhörig nach Deutschland kam; Er hatte Gnadengesuche gestellt und wollte sich als guter Deutscher an der Front bewähren. Die Tragik des Erich Honecker war außerdem, dass sein Weltbild und sein Wertehimmel mit seiner Verhaftung im Alter von 24 Jahren quasi für fast 10 Jahre eingefroren wurden.
    Buchzitat: "Honeckers politischer Zielkatalog, der sich mit Frieden, Obdach, Nahrung und Arbeit umreißen lässt, änderte sich nie, und er formulierte ihn 1990 nicht anders, als er es 1930 getan hatte. Dies mag erklären helfen, dass Honecker in der finalen Krise des von ihm verkörperten Staats zu formelhaften Bekenntnissen aus der Zeit August Bebels flüchtete."
    Erich Honecker: "Den Sozialismus – so sagt man bei uns immer – halten weder Ochs noch Esel auf."
    Biografie setzt Maßstäbe
    Für Sabrow qualifizierte gerade diese Starrsinnigkeit Honecker als Führungsfigur für die Spätphase der DDR, als ohnehin alles verloren war. Insgesamt aber hält sich der Autor mit biografischen Kausalitäten oder gar Zwangläufigkeiten wohltuend zurück. Sabrow psychologisiert nicht, legt seine Quellen und deren Glaubwürdigkeit offen, benennt genau, wo er weiß, wo er vermutet, wo er spekuliert. Es ist dem Autor zu wünschen, dass er die Zeit findet, diese Maßstäbe setzende Jugendbiografie in einem weiteren Werk fortzusetzen.
    Martin Sabrow: "Erich Honecker: Das Leben davor- 1912-1945"
    Verlag C.H. Beck, München 2016, 623 Seiten, 27,95 €.