Fabian Elsäßer: Von Bestenlisten kann man halten, was man will, aber immerhin sagen sie etwas darüber aus, was sich gerade gut verkauft oder im Fall von Kritiker-Bestenlisten etwas über Mehrheitsmeinungen, und das nicht ganz unbedeutende und unabhängige American Film Institute hat mal eine Liste der größten Filmschauspielerinnen des 20. Jahrhunderts erstellt, und unter den ersten vier ist neben Katharine Hepburn, Bette Davis und Audrey Hepburn Ingrid Bergman. Schon ihr Auftritt in "Casablanca", der macht sie unsterblich, aber da haben wir noch nicht über die drei Oscars gesprochen für "Das Haus der Lady Alquist", "Anastasia" und "Mord im Orient-Express", auch nicht über ihre Arbeiten mit Hitchcock, Jean Renoir oder Roberto Rossellini, mit dem sie ja auch verheiratet war. Ingrid Bergman starb 1982 im Alter von 67 Jahren an Krebs in London. Ihr Berufsleben war faszinierend und erfolgreich, ihr privates nicht immer glücklich. Das ist natürlich ein gefundener Stoff für Biografen, aber es hat sehr lange keine gegeben – 20 Jahre, um genau zu sein, und vor allem noch keine, die von einem europäischen Autoren geschrieben worden ist, und das hat nun der Journalist und Filmwissenschaftler Thilo Wydra getan. "Ingrid Bergman: Ein Leben" ist gewaltige 752 Seiten stark, und Thilo Wydra ist jetzt bei uns im "Corso"-Gespräch. Willkommen!
Thilo Wydra: Schönen guten Tag!
"Sie ist ja hälftig deutsch, die andere Hälfte ist schwedisch"
Elsäßer: Sie hatten erstmals Zugang zum Privatarchiv von Ingrid Bergmans Tochter Isabella Rossellini und haben da unzählige Briefe und Bilder begutachten können. Sie haben auch mit allen vier Kindern gesprochen. Was haben Sie Neues herausgefunden, denn so schlecht dokumentiert war das Leben Ingrid Bergmans ja auch bisher nicht.
Wydra: Das war eigentlich sehr viel, was ich da Neues erfahren habe. Also es geht eigentlich los mit ihrer deutschen Familiengeschichte. Sie ist ja hälftig deutsch, die andere Hälfte ist schwedisch. Sie hat eine deutsche Mutter gehabt, Friedl Adler, die aus Hamburg stammte. Ingrid Bergman hat fließend Deutsch geschrieben, gesprochen bis an ihr Lebensende. Sie hat zwei Filme in Deutschland gedreht, "Angst" 1954 von Roberto Rossellini und "Die vier Gesellen" 1938 im Nazi-Vorkriegsdeutschland, und das ist ein wenig in Vergessenheit geraten. Diese beiden deutschen Filme kennen auch nur wenige Menschen und überhaupt, dass sie eigentlich eine hälftig deutsche Familiengeschichte hat, dass sie jeden Sommer in ihrer Kindheit, in ihrer Jugend in Hamburg verbracht hat. Das wurde auch von früheren US-Biografen, vielleicht aus historischen Gründen, etwas stiefmütterlich behandelt.
Elsäßer: Was sich für mich dann immer wie so ein roter Faden durchzieht, da entsteht das Bild einer Frau, für die an erster Stelle vor eigentlich allem anderen erst mal die Arbeit steht. Was sagt das so aus Ihrer Sicht über das Verständnis, das Ingrid Bergman so von der Rolle der Frau, von sich selber hatte?
Wydra: Na ja, Ingrid Bergman war eine sehr freie, moderne Frau. Ich würde durchaus das Wort emanzipiert benutzen. Sie war, ohne dass sie dieses Wort überhaupt kannte, eine frühemanzipierte Frau. Ich habe auch mit ihrer ältesten Tochter Pia Lindström sehr ausführliche Gespräche darüber gehabt, und sie meinte, ach, weißt du, sie wusste nicht mal, was das Wort bedeutet, aber natürlich, sie war ein Freigeist, eine ganz unabhängige Person, die sich nicht hat vorschreiben lassen, was sie zu tun hat. Sie hat sich nicht an Normen oder Konventionen angepasst, und mit welchem Kind man auch immer redet, heute, viele Jahre später, wenn man sie fragt, was war das Wichtigste im Leben deiner Mutter, kommt wie aus der Pistole geschossen das Wort "work", und ich persönlich führe das darauf zurück, dass sie eine sehr schwierige Kindheit und Jugend hatte. Ihre Eltern sind früh gestorben, Friedel Adler und ihr schwedischer Vater Justus Bergmann. Sie ist als Vollwaise großgeworden, ist zwischen Hamburg und Stockholm hin- und hergereicht worden und war früh auf sich selbst gestellt und hat sich immer mehr in sich selbst zurückgezogen und hat Rollen gespielt.
"Es ist einfach sehr, sehr schwierig, hinter die Kulissen zu blicken"
Elsäßer: Ihr wohl berühmtestes Zitat lautet, "ich bereue nichts, was ich im Leben getan haben, ich bereue nur, was ich nicht getan habe", aber glauben Sie nicht, dass sie doch etwas bereut hat, dass sie zum Beispiel auf die erste Tochter wenig Rücksicht genommen hat, als sie dann mit Roberto Rossellini die USA verlassen hat in den 50ern?
Wydra: Na ja, das ist vielleicht ein Teil der Ambivalenz von Ingrid Bergman. Es gibt ein schönes Zitat von 1980, also zwei Jahre vor ihrem Tod, als sie in London in einer Liveshow auftritt und sagte, "there is no bitterness in me", also "ich habe überhaupt keine Bitterkeit in mir", und tatsächlich, sie bereut nichts, was sie getan hat. Es ist einfach sehr, sehr schwierig, da, sage ich mal, hinter die Kulissen zu blicken. Ich habe das versucht mit diesen vier Kindern in Gesprächen, und diese vier Kinder haben alle ein vollkommen anderes Bild von ihrer Mutter. Also Isabella Rossellini verklärt ihre Mama, wie sie dann in gestrecktem Italienisch sagt, sie verklärt auch Roberto Rossellini, ihren Vater, aber Pia Lindström beispielsweise, die Erstgeborene, die eben ihre Mutter acht lange Jahre nicht gesehen hat, verklärt sie überhaupt gar nicht, sondern sagt heute – und sie ist fast 80 – mit ganz klarer Erinnerung und wirklich mit Tränen in den Augen, "you know, we all suffered constant absence", "wir haben also eigentlich nur unter ihrer Abwesenheit gelitten", und das erzählt natürlich auch etwas über diese Frau.
Wir haben noch länger mit Thilo Wydra gesprochen -
hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Elsäßer: Sie haben sehr stark die Selbstbestimmtheit Ingrid Bergmans jetzt hervorgehoben, aber Sie zitieren in Ihrem Buch ja auch aus einem Interview mit der berühmten Orianna Fallaci, der Ingrid Bergman immer gesagt hat, eigentlich sei sie abseits des Berufslebens eher schüchtern, jeder könne ihr dreinreden.
Wydra: Ja, das ist eben diese Tiefambivalenz oder vielleicht kann man sogar sagen Zerrissenheit, dass sie privat – sie war ja dreimal verheiratet, mit Peter Lindström, mit Roberto Rossellini und am Schluss mit dem großen Theaterproduzenten Lars Schmidt –, dass sie privat sich wirklich von allen etwas hat sagen lassen müssen, dass sie sehr scheu, sehr schüchtern, sehr introvertiert war, sehr melancholisch, auch sehr schwermütig, und sobald es um die Arbeit ging, um ihre work, war sie selbstbestimmt, war sie unabhängig, war sie regelrecht determiniert und hat sich von nichts und niemandem hereinreden lassen. Sie hat sogar in jungen Jahren dem großen Hollywood-Produzenten David O. Selznick gesagt, "an meinen Zähnen wird nichts gemacht, an meiner Nase wird nichts gemacht, an meinen Augenbrauen wird nichts gemacht, so wie ihr es bei allen anderen gemacht habt, sonst besteige ich gleich den nächsten Dampfer und schippere von New York nach Stockholm zurück".
Bergmann und Rossellini
Elsäßer: Da gibt es ja auch einen ganz interessanten Vorfall, wo das beides zusammenkommt, das Private und das Berufliche. Das könnte ja vielleicht ihr größter Triumph gewesen sein, wenn man es mal so sieht, nämlich als sie 1956 in Paris die Theaterpremiere spielte von "Thé et sympathie", und zwar auf Französisch das erste Mal, und Roberto Rossellini, mit dem sie, glaube ich, schon nicht mehr zusammen war, ihr da vorher im Grunde versucht hat, ganz schlechte Stimmung zu machen.
Wydra: Ja, das war in Paris, und Roberto Rossellini stand in der Garderobe, sprach nur Italienisch mit ihr. Man muss sich vorstellen, eine Frau, die Schwedisch und Deutsch als Vater- und Muttersprache hat, sonst immer in Englisch gedreht hat und in Italienisch, muss jetzt erstmals auf die Bühne, tout Paris ist im Saal, und sie muss Französisch sprechen, und Roberto Rossellini spricht nur Italienisch mit ihr und sagt, "du, in zehn Minuten bist du sowieso zurück, weil alles, was du hier machst, taugt ohne mich sowieso überhaupt rein gar nichts", und sie tritt auf, und es ist ein voller Abend, und nach zwei Stunden gibt es 15 Minuten standing ovations.
Elsäßer: Ingrid-Bergman-Biograf Thilo Wydra heute im "Corso"-Gespräch. Über andere Triumphe und Niederlagen von Ingrid Bergman und unter anderem auch über die Frage, ob die Frau, die in fünf verschiedenen Ländern gelebt hat, überhaupt so etwas wie eine Heimat gehabt hat, auch darüber habe ich mich mit ihm unterhalten, und das können Sie alles nachhören in der Langfassung dieses "Corso"-Gesprächs, zu finden wie immer auf unserer Homepage www.deutschlandfunk.de/corso.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.