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Biografie von Timo Blunck
Sex, Drugs und Dave Gahan am Bügelbrett

Timo Blunck war zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle Bassist bei Palais Schaumburg. Nun hat er einen wilden Roman über sein Leben geschrieben. "Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?" dreht sich um Drogen und Therapie, die Liebe zur Musik sowie eine rührende Begegnung mit Depeche Mode.

Von Jenni Zylka |
    Timo Blunck mit Bass - bei einem Konzert der Gruppe "Palais Schaumburg" 1982 in Hamburg.
    Timo Blunck mit Bass - bei einem Konzert der Gruppe "Palais Schaumburg" 1982 in Hamburg. (Imago/Future Images)
    Song: "Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern? Ich erinnere mich nur dunkel an ein Bild / Die Uhr fließt von der Wand, uns guckt ein Zebra zu / Das Bett steht in einem purpurroten See / Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?"
    "Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?" Diese selbstredend nicht nur rhetorische Frage stellt der Musiker Timo Blunck auch als Titel seines Debütromans und der gleichzeitig erscheinenden CD. Die Antwort dazu ist vielschichtig: In einer lebendig fließenden, präsenten Sprache erzählt der Hamburger von musikalischen und sexuellen Initialzündungen, von seinen Erlebnissen als Bassist mit der dadaistischen Neue-Deutsche-Welle-Band Palais Schaumburg, von Konzerten, Partys, Drogen. Denn das musste anscheinend einfach mal raus.
    Timo Blunck: "Das Buch hab ich für mich geschrieben. Ich hab dieses Buch angefangen, da hab ich noch nicht mal drüber nachgedacht, dass es auch veröffentlich werden könnte. Das war schon eine therapeutische Maßnahme."
    Das Herz therapieren
    Therapiert wird vor allem das Herz des Autors. Denn eine lange, leidenschaftliche Affäre, aus der drei jetzt erwachsene Söhne entstammen - einer davon ein Beutekind - zieht sich wie ein blutrotes Band durch das Leben des 55-Jährigen. Sophia, so heißt sie im Buch, ist halb Cherokee, charismatisch, neurotisch und hat den Mann nachhaltig beeindruckt.
    Timo Blunck: "Ich liebe diese Frau noch immer. Das wird sich auch nicht ändern. Ich glaube aber, dass ich mit diesem Zustand besser zurechtkomme. Ich hab sie eben tatsächlich aus meinem Leben rausgeschrieben."
    Formal erzählt der Autor, dessen literarisches Alter Ego "T-Bone Schröder" heißt, seine Geschichte dem Gegenüber einer imaginären Therapeutin. Und die googelt aufgrund der spannenden Musikbezüge immer wieder nach, über wen ihr Patient denn gerade spricht. Denn auch das ist Bluncks Buch: eine pittoreske Anekdotensammlung mit 80er-Jahre-Popmusik-Sprengseln. Sogar Depeche Mode kommen vor, besser gesagt ihre Freundinnen, die sich bei einem gemeinsamen Auftritt von Palais Schaumburg und Depeche Mode 1982 in London rührend um die ramponierten Outfits der Deutschen sorgten:
    "'You poor babys, wir kümmern uns um Euch. Wir haben eine Dusche in der Garderobe, (ihr dürft die) die dürft ihr gern benutzen.' Wir duschen, ziehen uns unsere zerknitterten Sachen wieder an. 'Oh my god, so wollt ihr auf die Bühne gehen? Das geht ja gar nicht. Dave, mach' das Bügeleisen an. Diese Jungs brauchen Hilfe.' Dave Gahan stellt sich widerstandslos ans Bügelbrett, fängt an, unsere Hemden zu bügeln. Mein Jackett ist an der Schulter aufgerissen, die größte Freundin, ihr Haar hat einen Hauch von Lila, nimmt es mir ab, reicht es weiter an Martin Gore. 'Marty, be a darling, keiner weiß besser mit Nadel und Faden umzugehen als du. Hilf dem armen Jungen.' Gehorsam nimmt Martin Gore meine Jacke auf den Schoß, fädelt ein und beginnt sie zu flicken. 'Fletch, mach' den Jungen einen Tee.' Andrew Fletcher schmeißt den Tauchsieder in die Kanne. 'Vince – haben wir noch Kekse?'"
    Song: "Das ist die autobiografische, nicht autorisierte Biografie, die im Detail nicht allzu sklavische, denn mit der Wahrheit hatt ich’s noch nie."
    Expliziter und deutlich-derber Sex
    Durch alle etwaigen fiktionalen Übertreibungen und Zuspitzungen in Buch- und Songtexten hindurch klingt bei Timo Blunck eine tiefe Liebe - zur Musik, zu einer Frau, zum Exzess – zum Leben selber. So mäandern die nicht chronologischen Storys, einer emotionalen Dramaturgie folgend, durch die Jahrzehnte. Der im Titel angesprochene Sex wird dabei genauso explizit und deutlich-derb beschrieben, wie die restlichen Erfahrungen. Denn prüde oder zurückhaltend ist Bluncks Alter Ego nicht.
    Song: "Ohne dich kann ich mich nicht mehr selbst befriedigen mit x-beliebigen Fantasien / Ohne Dich ist für mich auch der größte Gruppen-Pop nur ein Zwischenstopp, ein Sieg auf Knien."
    Inzwischen ist Blunck seit Jahren erfolgreicher Betreiber einer Agentur für Werbemusik. Gemeinsam mit dem Musiker, Journalisten und Kulturbetreiber Detlef Diederichsen spielt er aber nebenbei noch immer bei der Hamburger NDW-Band der ersten Stunde: Die Zimmermänner. Den Spagat zwischen diesen Welten sieht er pragmatisch:
    Timo Blunck: "Wenn man glaubt, man könnte sich musikalisch in der Werbung verwirklichen, dann ist man da falsch, da ist man Auftragskomponist, da arbeitet man für andere."
    Persönlich verwirklicht, für sich selbst und für alle Menschen, die je ungesund verliebt waren, hat sich Blunck ja außerdem soeben in seinem Buch. Und das könnte eventuell eine Weile vorhalten.