Neue Bücher über Franz Josef Strauß - will die überhaupt noch jemand lesen? Der Poltergeist aus Bayern ist bald 20 Jahre tot, die heranwachsende Generation kennt ihn nicht, das Leben des Übervaters der CSU ist vor und nach seinem Tod 1988 ausgeleuchtet worden wie kaum ein anderes Politikerleben in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zum Vorschein kam dabei immer zweierlei: Unerschrockenheit und visionäre Weitsicht, aber auch Bedenkenlosigkeit und ein latenter Hang zur Speziwirtschaft, wie man in Bayern sagt. Immer wieder verblüffte Strauß durch seine Ignoranz und dem lockeren Umgang mit der Wahrheit, wenn er bei Fehltritten ertappt worden war. Sein wohl größter war die Spiegel-Affäre 1962:
"Ich wusste nicht, was kommt, ich wusste nicht, wann es kommt, ich wusste nicht, gegen wen es kommt und so weiter."
Für Bayern hat Strauß zweifellos viel getan, hat seine oft geschmähten Kontakte zur Industrie genutzt, um aus dem armen Agrarland einen properen High-Tech-Standort zu machen. Details zahlreicher Affären, zum Teil erst nach seinem Tod aufgedeckt, verdüstern jedoch längst das Bild des treu sorgenden Landesvaters und haben auch seinen Sohn Max ins Unglück gestürzt. Das aber kann man alles in den Archiven nachlesen und auch in der schon 1998 erschienenen Biografie des Journalisten Wolfram Bickerich, dem das legendäre Archiv des Magazins Spiegel zur Verfügung stand. Das Buch verkaufte sich nicht besonders gut.
Die Autoren der ganz neuen Strauß-Bücher haben sich zumindest äußerlich der Marktlage und der Erkenntnis angepasst, dass Neues über Strauß über ihn selbst hinaus gehen und auch sein Umfeld erfassen müsse. "Strauß - Aufstieg und Fall einer Familie", heißt denn auch der Titel des Filmemachers Werner Biermann im Rowohlt-Verlag Berlin, und unter dem gleichen Konzerndach von Holtzbrinck erschien bei Scherz "Strauß - Die Biographie einer Familie" des Journalisten Thomas Schuler, der zuvor schon in ähnlicher Machart die Verlegerfamilie Mohn beschrieben hatte. Um eine Politikerfamilie zum Gegenstand einer Beschreibung zu machen, müssen ihre Mitglieder etwas hergeben, eine besondere, über die Verwandtschaft hinaus gehende Funktion für das Familienoberhaupt haben. Doch die Strauß-Gattin Marianne ist seit 22 Jahren tot, die drei Kinder reden gar nicht oder nur sehr zögerlich.
So ist die vermeintliche Strauß-Saga schnell erzählt: Ehefrau Marianne, aus wohlhabenden Verhältnissen, hält ihrem Mann zeitlebens den Rücken frei, artikuliert ihren Kummer über den nicht immer liebevollen, rastlosen Ehemann höchstens gegenüber Freundinnen und stirbt früh bei einem Autounfall. Die drei Kinder Franz Georg, Max und Monika wachsen im Schatten des Übervaters auf, zusammengeschweißt durch terroristische Bedrohungen und Kampagnen, denen er ausgesetzt ist und bleiben nicht ohne Narben. "Wie die Eisbären" hätten sie zusammen gehalten, erzählt Monika Hohlmeier, die auch über kindliche Depressionen berichtet. Als die drei aus dem Schatten des Vaters treten müssen, weil er nicht mehr da ist, scheitern zwei von ihnen. Monika Hohlmeier bringt es immerhin zur bayerischen Schulministerin, überreizt aber in einer Affäre und muss zurücktreten. Max Strauß, der nach Aussage seines Anwalts unter dem Eindruck seines Vaters nie das Fliegen, sondern nur das Flattern gelernt hat, gerät auf Abwege und vor Gericht, wo er demnächst gegen eine Gefängnisstrafe kämpfen muss. Nur Franz Georg findet in das unauffällige Leben eines Geschäftsmanns.
Viel mehr Familiengeschichte ist da nicht, eine frühe und eine späte Freundin von FJS noch. Das alles hat die Politikerlaufbahn von Strauß kaum beeinflusst. Letztlich geht es dann doch nur um ihn, "den Boss", wie Mitarbeiter Strauß nannten. Hätte die Familie von seinen Zielen abweichende Wünsche gehabt, er hätte wohl kaum auf sie gehört. So jedenfalls äußerte sich seine Ehefrau Marianne zur Frage, ob sie ihm geraten hätte, 1980 zum Bundeskanzler zu kandidieren. Er hatte gar nicht gefragt. Wer sich, wie Thomas Schuler, allzu sehr an die anderen Familienmitglieder und deren Lebensumstände klammert, gerät leicht ins Belanglose.
Werner Biermann dagegen, der sich mit subtilen, nicht dem gängigen Muster folgenden Strauß-Filmen schon viel Binnensicht verschafft hatte, hält sich mit dem Marketing-Trick der Familien-Saga nicht lange auf, sondern erzählt bündig und spannend, was wichtig war am Leben von Strauß. Nicht, dass er dabei viel Neues zu Tage gefördert hätte, dazu waren schon zu viele Spurensucher vor ihm am Werk. Doch wie er dieses Leben erzählt, nüchtern, nur selten kommentierend, die Fakten zur politischen Bedeutung und zur Beschädigung der politischen Kultur durch Strauß für sich sprechen lassend, sie bisweilen neu bewertend, rechtfertigt den Aufwand und das Lesen.
Man muss nicht allen Einschätzungen Biermanns folgen. So übernimmt er bisweilen CSU-Terminologie, wenn er etwa vom "Hamburger Kartell" gegen Strauß schreibt und Spiegel und Zeit meint. Dass Strauß weitaus öfter widerlegt wurde als die Hamburger, dass Affären aufgeklärt werden müssen, dass der Spiegel das Opfer von Strauß war, muss man sich eben dazu denken. Biermanns Buch fehlt aber jeder Rechtfertigungseifer. Er schreibt, Strauß habe einen fast dynastischen Machtanspruch gehabt, verschweigt aber nicht, dass er damit gescheitert ist. Zuletzt war er eben doch nur ein bayerischer Ministerpräsident. Biermann zeigt Strauß nicht eindimensional, wie er sich den Menschen zu Lebzeiten eingeprägt hat oder ihnen durch verkürzende Medien eingeprägt wurde, weil er kaum einer Rauferei oder einem zwielichtigen Dienst für Freunde aus dem Weg gegangen ist. Erst im Alter hat sich Strauß selbstkritisch definiert: Man gehört vielen Welten an, deren Gegensätze man in sich verbindet, und bezahlt dies damit, dass man keiner dieser Welten ganz angehört.
Doch auch die bunte, keineswegs unpolitische Darstellung Schulers wird ihre Leser finden, weil sie ihnen die Hauptperson und sein Umfeld emotional näher bringt, auch wenn nicht jedes Detail aufhebenswert erscheint. Gerade im ländlichen Süden der Republik ist Strauß nicht nur ein verstorbener Politiker, sondern eine nahezu heiligmäßig verehrte Kultfigur, eine Art Robin Hood der Politik. Im manchem Haus hängt immer noch als Votivtafel: "Franz Josef, hilf". Die Verehrung resultiert aus den alten Wurzeln der CSU-Vorläufer als Partei der Unterdrückten. Strauß ist noch heute für sie ein Rebell gegen "die da oben", womit inzwischen die Norddeutschen und die Großkapitalisten gemeint sind - obwohl er mit denen recht gut konnte. Seine dunklen Seiten, die auch im Prozess gegen Sohn Max durchschimmern, werden von diesem Anhang als Propaganda abgetan - mit der fast zärtlichen Redewendung "A Hund war er schon", was soviel heißt, dass er eben ein ganzer Kerl gewesen sei. Ganz so unkritisch sieht das Schuler nicht. Er meint immerhin, Strauß sei der Auffassung gewesen, "man müsse notfalls Gesetze missachten, um die Demokratie zu schützen". Etwas absurd liest sich die Formulierung, Strauß sei "um des Friedens willen" bereit gewesen, "mit dem Atomtod zu drohen". Wem dieser Frieden dann noch genützt hätte, schreibt er nicht.
Wichtiges Datum sowohl für Biermann als auch für Schuler ist die Spiegelaffäre von 1962, die nicht nur den ersten Absturz von Strauß begründet, sondern auch eine bis zum Tod im Jahr 1988 währende Hassliebe zwischen dem Politiker und dem Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Strauß kämpft vergebens gegen seine Kritiker, die ihn der Lüge zeihen. Bald darauf sitzt er mit eben diesen Gegnern in einer Regierung, als Finanzminister Plisch neben dem Wirtschaftsminister Plum, Karl Schiller von den Sozialdemokraten. Biermanns Schilderung der Abläufe macht deutlich, wie in einem Politiker die Hybris wachsen muss, der nach Belieben fallengelassen oder resozialisiert und mit Ministerwürden ausgestattet wird.
Ein glänzendes Kapitel gelingt Biermann mit der Wiedergabe des Versuchs von Strauß, 1980 Bundeskanzler zu werden und den Sozialdemokraten Helmut Schmidt zu stürzen. Viel zu früh, schon 1979, wird er von seinen Knappen Fritz Zimmermann und Edmund Stoiber auf den Schild gehoben, ist mehr als ein Jahr den wütenden Angriffen der Strauß-Gegner ausgesetzt. Schmidt und Strauß, die persönlich ganz gut miteinander können, schenken sich öffentlich nichts:
"(Strauß) Helmut Schmidt hat vieles getan, um den Schatten Moskaus über Europa länger zu machen. Und seine verhängnisvolle Aussage, dass wir am Abgrund eines Krieges stünden, zeugt ebenso von seiner totalen Unkenntnis der politischen Lage, wie von der Unkontrolliertheit seiner politischen Methoden."
"(Schmidt) Ja, der hat seine Zunge nicht im Zaum. Er kann sich nicht beherrschen. Das läuft mit ihm davon. Wenn er zum Beispiel sagt, ich sei reif für die Nervenheilanstalt, dann kann ich nur sagen: Ausgerechnet der muss das sagen. Wenn er mir Verantwortungslosigkeit vorwirft oder Größenwahn oder Skrupellosigkeit, kann ich nur sagen: ausgerechnet der!"
Strauß macht die Erfahrung, die 2002 auch Stoiber macht: Die Neugier, die ihnen außerhalb Bayerns entgegengebracht wird, bedeutet noch kein Votum. Volle Zelte, leere Stimmzettel im Norden. Von dieser Niederlage erholt sich Strauß nicht mehr, sein gelegentliches, meist folgenloses Rumoren von München aus gegen Helmut Kohl rührt von dieser immer schmerzenden Wunde her. Selbst beim Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, will sich Strauß von Kohl abheben. Der "alte Kommunistenfresser" - so Biermann - empfängt den DDR-Chef wie das Oberhaupt eines souveränen Staates, was Kohl vermieden hat:
"Leider ist Ihre Zeit, Herr Staatsratsvorsitzender, Herr Generalsekretär, sehr knapp bemessen. Gerne hätte ich Ihnen einen Ausschnitt der landschaftlichen Schönheiten, des kulturellen Reichtums, der wissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Kraft Bayerns gezeigt und die Möglichkeit geboten, den Charakter dieses Landes und seiner Menschen kennenzulernen: rauh, aber gutmütig."
Die letzten Jahre von Strauß, die Abkehr seiner Nachfolger von ihm bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Nimbus beschäftigen die Autoren weniger, obwohl die Beschreibung des Prozesses einer Regionalpartei wie der CSU sich nach Bedarf immer wieder zu verpuppen und zu häuten, ein interessantes Unterfangen wäre. Das Fazit der beiden Autoren ist ähnlich, es kann nur wenig originell ausfallen, weil es gesicherte Erkenntnis nahezu aller ist, die sich mit Strauß befasst haben: Franz Josef Strauß hätte auch heute keine Mehrheit hinter sich, denn was er durch Intelligenz, Natürlichkeit und Ehrlichkeit gewann, das zerstörte er mit Polarisierung, Polterei, Spezidemokratie und Rechthaberei, lautet der Befund von Thomas Schuler.
Mit dem Tod von Strauß 1988, breit und dramatisch geschildert, so, als hätte er sich gestern ereignet, beginnen beide Bücher. Ein unfreiwilliges Indiz dafür, dass diese Spezies von Politikern zwar noch für Bücher, nicht aber für Wahlprogramme und Regierungserklärungen gut ist. Ob das gut oder schade ist, kann der Leser selbst entscheiden, das Grundlagenmaterial dazu wird ihm von Biermann und Schuler geliefert.
Michael Stiller über: Werner Biermann. Strauß. Aufstieg und Fall einer Familie. Rowohlt Verlag Berlin, 320 Seiten, 19 Euro und 90 Cent sowie über Thomas Schuler: Strauß. Die Biographie einer Familie, erschienen im Scherz Verlag Frankfurt am Main, 381 Seiten, ebenfalls zum Preis von 19 Euro 90.
"Ich wusste nicht, was kommt, ich wusste nicht, wann es kommt, ich wusste nicht, gegen wen es kommt und so weiter."
Für Bayern hat Strauß zweifellos viel getan, hat seine oft geschmähten Kontakte zur Industrie genutzt, um aus dem armen Agrarland einen properen High-Tech-Standort zu machen. Details zahlreicher Affären, zum Teil erst nach seinem Tod aufgedeckt, verdüstern jedoch längst das Bild des treu sorgenden Landesvaters und haben auch seinen Sohn Max ins Unglück gestürzt. Das aber kann man alles in den Archiven nachlesen und auch in der schon 1998 erschienenen Biografie des Journalisten Wolfram Bickerich, dem das legendäre Archiv des Magazins Spiegel zur Verfügung stand. Das Buch verkaufte sich nicht besonders gut.
Die Autoren der ganz neuen Strauß-Bücher haben sich zumindest äußerlich der Marktlage und der Erkenntnis angepasst, dass Neues über Strauß über ihn selbst hinaus gehen und auch sein Umfeld erfassen müsse. "Strauß - Aufstieg und Fall einer Familie", heißt denn auch der Titel des Filmemachers Werner Biermann im Rowohlt-Verlag Berlin, und unter dem gleichen Konzerndach von Holtzbrinck erschien bei Scherz "Strauß - Die Biographie einer Familie" des Journalisten Thomas Schuler, der zuvor schon in ähnlicher Machart die Verlegerfamilie Mohn beschrieben hatte. Um eine Politikerfamilie zum Gegenstand einer Beschreibung zu machen, müssen ihre Mitglieder etwas hergeben, eine besondere, über die Verwandtschaft hinaus gehende Funktion für das Familienoberhaupt haben. Doch die Strauß-Gattin Marianne ist seit 22 Jahren tot, die drei Kinder reden gar nicht oder nur sehr zögerlich.
So ist die vermeintliche Strauß-Saga schnell erzählt: Ehefrau Marianne, aus wohlhabenden Verhältnissen, hält ihrem Mann zeitlebens den Rücken frei, artikuliert ihren Kummer über den nicht immer liebevollen, rastlosen Ehemann höchstens gegenüber Freundinnen und stirbt früh bei einem Autounfall. Die drei Kinder Franz Georg, Max und Monika wachsen im Schatten des Übervaters auf, zusammengeschweißt durch terroristische Bedrohungen und Kampagnen, denen er ausgesetzt ist und bleiben nicht ohne Narben. "Wie die Eisbären" hätten sie zusammen gehalten, erzählt Monika Hohlmeier, die auch über kindliche Depressionen berichtet. Als die drei aus dem Schatten des Vaters treten müssen, weil er nicht mehr da ist, scheitern zwei von ihnen. Monika Hohlmeier bringt es immerhin zur bayerischen Schulministerin, überreizt aber in einer Affäre und muss zurücktreten. Max Strauß, der nach Aussage seines Anwalts unter dem Eindruck seines Vaters nie das Fliegen, sondern nur das Flattern gelernt hat, gerät auf Abwege und vor Gericht, wo er demnächst gegen eine Gefängnisstrafe kämpfen muss. Nur Franz Georg findet in das unauffällige Leben eines Geschäftsmanns.
Viel mehr Familiengeschichte ist da nicht, eine frühe und eine späte Freundin von FJS noch. Das alles hat die Politikerlaufbahn von Strauß kaum beeinflusst. Letztlich geht es dann doch nur um ihn, "den Boss", wie Mitarbeiter Strauß nannten. Hätte die Familie von seinen Zielen abweichende Wünsche gehabt, er hätte wohl kaum auf sie gehört. So jedenfalls äußerte sich seine Ehefrau Marianne zur Frage, ob sie ihm geraten hätte, 1980 zum Bundeskanzler zu kandidieren. Er hatte gar nicht gefragt. Wer sich, wie Thomas Schuler, allzu sehr an die anderen Familienmitglieder und deren Lebensumstände klammert, gerät leicht ins Belanglose.
Werner Biermann dagegen, der sich mit subtilen, nicht dem gängigen Muster folgenden Strauß-Filmen schon viel Binnensicht verschafft hatte, hält sich mit dem Marketing-Trick der Familien-Saga nicht lange auf, sondern erzählt bündig und spannend, was wichtig war am Leben von Strauß. Nicht, dass er dabei viel Neues zu Tage gefördert hätte, dazu waren schon zu viele Spurensucher vor ihm am Werk. Doch wie er dieses Leben erzählt, nüchtern, nur selten kommentierend, die Fakten zur politischen Bedeutung und zur Beschädigung der politischen Kultur durch Strauß für sich sprechen lassend, sie bisweilen neu bewertend, rechtfertigt den Aufwand und das Lesen.
Man muss nicht allen Einschätzungen Biermanns folgen. So übernimmt er bisweilen CSU-Terminologie, wenn er etwa vom "Hamburger Kartell" gegen Strauß schreibt und Spiegel und Zeit meint. Dass Strauß weitaus öfter widerlegt wurde als die Hamburger, dass Affären aufgeklärt werden müssen, dass der Spiegel das Opfer von Strauß war, muss man sich eben dazu denken. Biermanns Buch fehlt aber jeder Rechtfertigungseifer. Er schreibt, Strauß habe einen fast dynastischen Machtanspruch gehabt, verschweigt aber nicht, dass er damit gescheitert ist. Zuletzt war er eben doch nur ein bayerischer Ministerpräsident. Biermann zeigt Strauß nicht eindimensional, wie er sich den Menschen zu Lebzeiten eingeprägt hat oder ihnen durch verkürzende Medien eingeprägt wurde, weil er kaum einer Rauferei oder einem zwielichtigen Dienst für Freunde aus dem Weg gegangen ist. Erst im Alter hat sich Strauß selbstkritisch definiert: Man gehört vielen Welten an, deren Gegensätze man in sich verbindet, und bezahlt dies damit, dass man keiner dieser Welten ganz angehört.
Doch auch die bunte, keineswegs unpolitische Darstellung Schulers wird ihre Leser finden, weil sie ihnen die Hauptperson und sein Umfeld emotional näher bringt, auch wenn nicht jedes Detail aufhebenswert erscheint. Gerade im ländlichen Süden der Republik ist Strauß nicht nur ein verstorbener Politiker, sondern eine nahezu heiligmäßig verehrte Kultfigur, eine Art Robin Hood der Politik. Im manchem Haus hängt immer noch als Votivtafel: "Franz Josef, hilf". Die Verehrung resultiert aus den alten Wurzeln der CSU-Vorläufer als Partei der Unterdrückten. Strauß ist noch heute für sie ein Rebell gegen "die da oben", womit inzwischen die Norddeutschen und die Großkapitalisten gemeint sind - obwohl er mit denen recht gut konnte. Seine dunklen Seiten, die auch im Prozess gegen Sohn Max durchschimmern, werden von diesem Anhang als Propaganda abgetan - mit der fast zärtlichen Redewendung "A Hund war er schon", was soviel heißt, dass er eben ein ganzer Kerl gewesen sei. Ganz so unkritisch sieht das Schuler nicht. Er meint immerhin, Strauß sei der Auffassung gewesen, "man müsse notfalls Gesetze missachten, um die Demokratie zu schützen". Etwas absurd liest sich die Formulierung, Strauß sei "um des Friedens willen" bereit gewesen, "mit dem Atomtod zu drohen". Wem dieser Frieden dann noch genützt hätte, schreibt er nicht.
Wichtiges Datum sowohl für Biermann als auch für Schuler ist die Spiegelaffäre von 1962, die nicht nur den ersten Absturz von Strauß begründet, sondern auch eine bis zum Tod im Jahr 1988 währende Hassliebe zwischen dem Politiker und dem Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Strauß kämpft vergebens gegen seine Kritiker, die ihn der Lüge zeihen. Bald darauf sitzt er mit eben diesen Gegnern in einer Regierung, als Finanzminister Plisch neben dem Wirtschaftsminister Plum, Karl Schiller von den Sozialdemokraten. Biermanns Schilderung der Abläufe macht deutlich, wie in einem Politiker die Hybris wachsen muss, der nach Belieben fallengelassen oder resozialisiert und mit Ministerwürden ausgestattet wird.
Ein glänzendes Kapitel gelingt Biermann mit der Wiedergabe des Versuchs von Strauß, 1980 Bundeskanzler zu werden und den Sozialdemokraten Helmut Schmidt zu stürzen. Viel zu früh, schon 1979, wird er von seinen Knappen Fritz Zimmermann und Edmund Stoiber auf den Schild gehoben, ist mehr als ein Jahr den wütenden Angriffen der Strauß-Gegner ausgesetzt. Schmidt und Strauß, die persönlich ganz gut miteinander können, schenken sich öffentlich nichts:
"(Strauß) Helmut Schmidt hat vieles getan, um den Schatten Moskaus über Europa länger zu machen. Und seine verhängnisvolle Aussage, dass wir am Abgrund eines Krieges stünden, zeugt ebenso von seiner totalen Unkenntnis der politischen Lage, wie von der Unkontrolliertheit seiner politischen Methoden."
"(Schmidt) Ja, der hat seine Zunge nicht im Zaum. Er kann sich nicht beherrschen. Das läuft mit ihm davon. Wenn er zum Beispiel sagt, ich sei reif für die Nervenheilanstalt, dann kann ich nur sagen: Ausgerechnet der muss das sagen. Wenn er mir Verantwortungslosigkeit vorwirft oder Größenwahn oder Skrupellosigkeit, kann ich nur sagen: ausgerechnet der!"
Strauß macht die Erfahrung, die 2002 auch Stoiber macht: Die Neugier, die ihnen außerhalb Bayerns entgegengebracht wird, bedeutet noch kein Votum. Volle Zelte, leere Stimmzettel im Norden. Von dieser Niederlage erholt sich Strauß nicht mehr, sein gelegentliches, meist folgenloses Rumoren von München aus gegen Helmut Kohl rührt von dieser immer schmerzenden Wunde her. Selbst beim Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, will sich Strauß von Kohl abheben. Der "alte Kommunistenfresser" - so Biermann - empfängt den DDR-Chef wie das Oberhaupt eines souveränen Staates, was Kohl vermieden hat:
"Leider ist Ihre Zeit, Herr Staatsratsvorsitzender, Herr Generalsekretär, sehr knapp bemessen. Gerne hätte ich Ihnen einen Ausschnitt der landschaftlichen Schönheiten, des kulturellen Reichtums, der wissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Kraft Bayerns gezeigt und die Möglichkeit geboten, den Charakter dieses Landes und seiner Menschen kennenzulernen: rauh, aber gutmütig."
Die letzten Jahre von Strauß, die Abkehr seiner Nachfolger von ihm bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Nimbus beschäftigen die Autoren weniger, obwohl die Beschreibung des Prozesses einer Regionalpartei wie der CSU sich nach Bedarf immer wieder zu verpuppen und zu häuten, ein interessantes Unterfangen wäre. Das Fazit der beiden Autoren ist ähnlich, es kann nur wenig originell ausfallen, weil es gesicherte Erkenntnis nahezu aller ist, die sich mit Strauß befasst haben: Franz Josef Strauß hätte auch heute keine Mehrheit hinter sich, denn was er durch Intelligenz, Natürlichkeit und Ehrlichkeit gewann, das zerstörte er mit Polarisierung, Polterei, Spezidemokratie und Rechthaberei, lautet der Befund von Thomas Schuler.
Mit dem Tod von Strauß 1988, breit und dramatisch geschildert, so, als hätte er sich gestern ereignet, beginnen beide Bücher. Ein unfreiwilliges Indiz dafür, dass diese Spezies von Politikern zwar noch für Bücher, nicht aber für Wahlprogramme und Regierungserklärungen gut ist. Ob das gut oder schade ist, kann der Leser selbst entscheiden, das Grundlagenmaterial dazu wird ihm von Biermann und Schuler geliefert.
Michael Stiller über: Werner Biermann. Strauß. Aufstieg und Fall einer Familie. Rowohlt Verlag Berlin, 320 Seiten, 19 Euro und 90 Cent sowie über Thomas Schuler: Strauß. Die Biographie einer Familie, erschienen im Scherz Verlag Frankfurt am Main, 381 Seiten, ebenfalls zum Preis von 19 Euro 90.