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Biografien für Kinder

Biografien sind in! Ob Politiker oder Models, Schauspieler oder historische Personen, der Markt für Erwachsene ist so breit wie der Rücken der Gesellschaft. Und auch für Kinder und Jugendliche gibt es jedes Jahr viele neue biografische Titel.

Von Sylvia Schwab |
    Deren Protagonisten sehen naturgemäß etwas anders aus und haben – im Gegensatz zu ihren "erwachsenen Kollegen" - alle längst bewiesen, dass sie es auch wirklich wert sind, aufgeschrieben zu werden.

    Werner Völker, Goethekenner und -Liebhaber, Privatgelehrter und Autor einer Biografie über Hermann, den Cherusker, hat gerade sein viertes Goethebuch veröffentlicht: ein Porträt des Künstlers als junger Mann. "Wohin es geht. Der junge Goethe" heißt es und ist für Leser ab 13 gedacht. Werner Völker meint:

    "Das Spannende an der Biografie finde ich bis heute noch, als Leser und als Autor, ich muss ja sehr viel lesen, um mir ein Bild zu machen, ich lese gerne auch fachfremde Sachen – das Spannende ist, völlig neu in ein Leben einzusteigen, möglicherweise Vorurteile über Bord zu werfen, neue Erkenntnisse hinzuzugewinnen. Und da gibt es kein besseres Mittel, in so eine Zeit einzusteigen und sich ein authentisches Bild zu machen als die Biografie."

    Werner Völkers Begeisterung reißt mit. Der Goethebiograf steht damit auch absolut nicht allein! Kinder und Jugendliche lieben Helden aller Art: Caesar und Alexander der Große, James Cook und Magellan, Ghandi und Martin Luther King, Sophie Scholl oder Florence Nightingale! Dass da nicht immer nur – in Anführungszeichen – "richtige" Biografien dabei sind, besonders für die kleineren Leser, ist klar. Und dass auch viele Erwachsene sich gerne in biografische Titel für Jugendliche - speziell über Wissenschaftler - vertiefen, ist ebenso klar. Denn da begreifen sie endlich, was sie in der Schule nie verstanden haben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

    Aber was ist überhaupt eine – wieder in Anführungszeichen – "richtige Biografie"? Eine Frage, die schon der alte Goethe beantwortet hat mit einer Beschreibung, die noch heute gültig ist. Ihre Hauptaufgabe sei ...

    "... den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abspiegelt."

    Und wie könnte oder sollte so eine Biografie heute geschrieben sein? Nun wieder Goethebiograf Werner Völker:

    "Eine Formel könnte lauten, damit es auch interessant wird, für den Leser interessant wird: Wie beschreibe ich mit Kritik, mit Anteilnahme, unter Vermeidung von zu viel Nähe, wie es abgelaufen sein könnte."

    Es – das Leben. Denn der Begriff "Biografie" kommt vom griechischen bios – das Leben und graphein – schreiben.

    Fischen wir also in der Flut von Lebensbeschreibungen für Kinder und junge Erwachsene. Fünf Titel tauchen da auf, ihre Protagonisten bzw. Helden sind Napoleon Bonaparte, Janusz Korczak, Max Frisch, der junge Goethe und – last, but not least – eine Frau: Frida Kahlo. Bei den Autoren sind dagegen die Frauen in der Überzahl: drei zu zwei!

    Susanne Rebscher: "Napoleon Bonaparte" (Loewe)
    "Europa gegen Ende des 18.Jahrhunderts: eine Zeit mächtiger Herrscher und großer geschichtlicher Veränderungen. Der Hof des französischen Königs Ludwig XVI. ist Vorbild für alle anderen europäischen Königshäuser. Dort spricht man Französisch und trägt die Pariser Mode."

    "Den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen" - dass diese Forderung auch heute noch gilt, zeigt zum Beispiel Susanne Rebschers Buch über Napoleon Bonaparte für Kinder ab acht Jahren.

    Es beginnt mit einer Darstellung der politischen Situation in Europa, zoomt sich nach Frankreich und Korsika, stellt die Familie Buonaparte (!) vor und dann erst den zweitältesten Sohn Napoleone (!). Dessen Leben - von der Ausbildung in Paris bis zur Ernennung zum General, seine Entwicklung zum großen Feldherrn und Kaiser, seine Reformen und die Kriege gegen Preußen und Russland, schließlich die Verbannung - sein Leben bettet. Susanne Rebscher in ein erstaunlich informatives Porträt seiner Zeit ein. Auf wenigen Seiten entsteht jeweils ein Bild des Absolutismus, der Französischen Revolution, der Wissenschaften und der Abläufe am kaiserlichen Hof. Dazu ein kritisches Porträt des großen Mannes:

    "Napoleons Streben nach Macht und Größe erscheint immer maßloser und ohne Vernunft. Als England 1810 eine Wirtschaftskrise erlebt, glaubt er, bald sogar seinen Erzfeind bezwungen zu haben und damit Herrscher über fast ganz Europa zu sein. Bleibt 'nur' noch Russland."

    Susanne Rebschers 32-seitiges Napoleon-Buch berichtet mehr, als dass es erzählt. Aber nicht streng, sondern sehr entspannt, es zieht seine Leser mit rhetorischen Fragen in eine Art Dialog. Ein schönes Beispiel dafür, wie vielfältig Biografien aussehen können: Als Untergattung ursprünglich der Geschichtsschreibung ist das biografische Erzählen ja irgendwo zwischen Dokumentation und Fiktion angesiedelt, zwischen Sachbuch und Literatur. Werner Völker:

    "Lassen Sie uns so sagen, dass biografisches Schreiben zugleich Nähe und Ferne bedingt. Ferne möchte ich gerne ersetzen durch eine kritische Instanz. Wenn ich dem behandelten Subjekt – ich sage jetzt nicht: Objekt – zu nahe bin, es vielleicht sogar verehre, wird leicht ein Hagiografie daraus. Und das möchten wir nicht."

    Eine Hagiografie hat Susanne Rebscher nun wirklich nicht geschrieben, vielmehr nimmt sie – wie in ihrem erfolgreichen Band über Leonardo – eine Haltung ein, die zwischen Neugierde und Sachkenntnis changiert.

    Äußerst üppig ist die Ausstattung des Bandes. Er kommt wie ein alter Foliant daher, großformatig, schwer, aus scheinbar abgegriffenem Leder, mit Goldprägung und dicken kartonierten Seiten, die wie antikes Pergament aussehen. Hierauf nimmt der Text – locker verteilt – nur etwa die Hälfte des Raumes ein. Die andere Hälfte gehört den Illustrationen, wobei dieser Begriff einen falschen Eindruck weckt.

    Denn der Ideenreichtum des Layouts und der Ausstattung ist einfach frappierend und für Kinder ganz sicherlich der große Hit! Neben den üblichen zeitgenössischen Gemälden und Landkarten, Porträts und Karikaturen fordert ein ganzes Arsenal an Gimmicks zum Mitmachen auf: aufklappbare Zeittafeln und Türen, eingeklebte Fahnen, Briefe oder Heftchen, Schiebetafeln und Texte in Geheimschrift samt Entschlüsselungstabelle. Spielerisch können Kinder sich hier die Welt Napoleons erobern, können lesen und blättern, studieren und fummeln. Susanne Rebschers Napoleonporträt bietet eine gewitzte Mischung aus Spaß und sachlich-solider Information.

    Tomek Bogacki: "Janusz Korczak" (Knesebeck Verlag)
    "An einem regnerischen Tag im Jahr 1889 streifte ein Junge durch die Straßen der Altstadt von Warschau in Polen. Die Menschen, die er sah, waren sehr arm, und alle schienen sie sehr hungrig zu sein. Viele von ihnen waren in Lumpen gehüllte Kinder, die kein Zuhause hatten. Der Junge wünschte sich, er könnte irgendetwas tun, um ihnen zu helfen."

    Stellen wir uns eine imaginäre Biografien-Skala mit den extremen Polen "sachlich-distanziert" am einen Ende und "persönlich-nah" am anderen Ende vor! Auf ihr läge Tomek Bogackis Bilderbuch über Janusz Korczak auf der gegenüberliegenden Seite von Susanne Rebschers Napoleon-Buch. Und das aus vielen Gründen. Schon sein Untertitel "Ein Held der Kinder" verrät Bewunderung, und in seinen persönlichen Anmerkungen am Ende des Buches erzählt der Autor von seinen ersten Begegnungen mit Korczak in den Erzählungen seiner Großmutter. Der jüdische Schriftsteller, Arzt, Waisenhausleiter und Pädagoge, der seine Waisenkinder ins KZ begleitete, machte damals einen tiefen Eindruck auf ihn und wurde vielleicht sogar eine Art Vorbild.

    Womit sich automatisch die Frage ergibt: Haben Biografen nicht – neben der persönlichen Zuneigung zu ihrer Figur – immer auch die Absicht, ihren jungen Lesern Vorbilder anzubieten? Mehr oder weniger deutlich? Werner Völker meint dazu:

    "Sie können eine ganz Menge bieten. Ob Vorbilder – weiß ich nicht. Das lasse ich dahingestellt sein. Kritische Durchdringung einer Zeit, einer Person, das Wachsen mit einer Person. Möglicherweise auch eine Enttäuschung, dass ich mir diese Person ganz anders vorgestellt habe, als sie nun kritisch beleuchtet wird."

    Diese Gefahr besteht nun wirklich nicht im Fall von Bogackis Bilderbuch über Janusz Korczak. Zum einen, weil die meisten Acht- bis Zehnjährigen, für die der Band gedacht ist, wahrscheinlich noch nie von Korczak gehört haben. Aber auch, weil in fast jedem Satz die große Sympathie des Autors zu spüren ist.

    "Am 6.August 1942 wurde Korczak befohlen, die Kinder zum Bahnhof zu bringen. In einer stillen Prozession führte er sie aus dem Ghetto hinaus. Schaulustigen fiel auf, wie würdevoll und gelassen sich die Kinder verhielten. Sie verstanden nicht so recht, dass sie sich deshalb so friedlich auf den Weg machten, weil Janusz Korczak bei ihnen war ..."

    Ein Bilderbuch über Judenverfolgung und das armselige Leben im Waisenhaus, über Getto und KZ – ist das für Achtjährige zumutbar? Ja! Diese Frage ist längst von unzähligen Kinderbüchern beantwortet worden. Und auch Tomek Bogackis Porträt - eine "richtige" Biografie kann man das Buch nicht nennen – zeigt, dass es auch darauf ankommt, wie ein Autor erzählt, nicht nur was.

    Die Geschichte bricht mit dem Auszug der Kinder aus dem Getto ab. Trotzdem strahlt sie eine fast magische Zuversicht aus; das Gefühl der jüdischen Kinder, von ihrem Heimleiter geliebt und beschützt zu werden, überträgt sich unmittelbar auf die kleinen Leser. Und schließlich haben wir es mit einem wunderbar behutsamen Bilderbuch zu tun, dessen Bilder in warmen Tönen gehalten sind. Manchmal wirken sie düster, ab und zu sogar bedrohlich. Aber: Es sind Bilder, auf denen der Mann mit dem großen Kopf und der kleinen Brille wie ein Fels in der Brandung steht, stark und sicher.

    Ingeborg Gleichauf: "Max Frisch" (Hanser)
    "Max Frisch, der Schüler. Schüchtern oder ein Großmaul. Auf jeden Fall fantasiebegabt. Als er im Gymnasium ist, lernt er das Theater kennen, zum Glück, muss man sagen. Hier kann sich seine Vorstellungskraft austoben. Dass Leute überhaupt überlegen, ob es sich lohnt, Geld für einen Theaterabend auszugeben, kann er nicht nachvollziehen. Er ist überzeugt, dass dort auf der Bühne das wahre Leben zu finden ist."

    Ingeborg Gleichaufs Biografie über Max Frisch trägt den schönen, spielerischen Titel "Jetzt nicht die Wut verlieren". Frischs guter Freund Peter Bichsel stellte diese Aufforderung bei der Totenfeier im April 1991 in den Raum. Diese neue Frisch-Biografie steht – man glaubt es kaum – konkurrenzlos da. Denn greifbar ist ansonsten nur noch Volker Hages faktenreiche Einführung in Max Frischs Leben und Werk in der Reihe "Rowohlts Monographien" - mehr eine Materialiensammlung mit vielen Bildern und Dokumenten als eine Biografie.

    Diese Leerstelle nutzte die Autorin für eine sehr engagierte Darstellung von Max Frischs Leben und Werk, Persönlichkeit und Wirkung. Eine Darstellung, die vom Verlag für Jugendliche ab 13 Jahren empfohlen, aber zusätzlich im Katalog der Erwachsenenbücher angekündigt wird. Und das ist gut so, denn 13-jährige wird die ambitioniert angelegte Biografie mit ihren 250 Seiten, Lebenslauf und Literaturliste, Personen- und Werkregister eher überfordern. Doch "ambitioniert" heißt nicht: wissenschaftlich hochgestochen oder kompliziert geschrieben.

    "Er baut seine Sätze sorgfältig, geht zärtlich um mit den Worten, wie der Maurer, dem er bei der Arbeit zuschaut, mit dem Stein. Was er vor allem erfährt in dieser Zeit: dass er alt ist. Und indem er zugibt, dass er sich diese Erfahrung verschweigt, spricht er davon."

    Sorgfältig, zärtlich geht auch Ingeborg Gleichauf mit den Worten um, liebevoll-lakonisch nähert sie sich Max Frisch an. Sie stellt ihn "in seine Zeitverhältnisse", von der Kindheit bis zu den letzten Arbeiten, vom Studium der Architektur bis zu späten Freundschaften. Ihre Quellen: Interviews und Gespräche mit Zeitzeugen, seine Romane und Tagebücher. Mit berechtigtem Misstrauen begegnet Ingeborg Gleichauf den Äußerungen von Max Frisch über sein eigenes Leben. Denn auch er probierte Geschichten an wie Kleider, hielt nicht viel von Zahlen und Fakten und versteckte dafür Wesentliches in seinen Romanen.

    Ihr Ziel: seine wichtigsten Lebensthemen herauszuarbeiten, seine literarische Entwicklung nach zu zeichnen und dem Leser die Gelegenheit zu geben, mit ihm Freundschaft zu schließen. Diesem Ziel kommt sie auf bemerkenswerte Weise nah. Denn sie steckt Frisch in keine Schublade und nähert sich ihm vorsichtig, ja umsichtig an. In einfühlsamen und zugleich einprägsamen Sätzen, in einer klangvollen, rhythmischen Prosa. Max Frisch hätte seine Freude gehabt an dieser freundschaftlichen Biografie

    Maren Gottschalk: "Frieda Kahlo" (Beltz & Gelberg)
    "Es war der Auftritt einer aztekischen Göttin ... Oder vielleicht sahen wir die spanische Mutter Erde ... Die Bänder, die Schleifen, die Röcke, die raschelnden Unterkleider, die Spitzen, die mondartige Frisur, die ihr Gesicht wie die Flügel eines dunklen Schmetterlings erschloss: Frida Kahlo, die uns allen zeigte, dass ihre unendliche Vielfältigkeit weder durch Leiden verdorrt noch durch Krankheit verkümmert war."

    Die Schilderung des mexikanischen Schriftstellers Carlos Fuentes ist legendär. Sie unter anderem hat dazu beigetragen, dass Frida Kahlo in den vergangenen Jahrzehnten fast zur Pop-Ikone wurde. Ihre Bilder erzielen – wenn sie denn überhaupt noch auf dem Kunstmarkt landen – Preise in Millionenhöhe.

    Das bedeutet, wir kennen Frida Kahlo wie vielleicht keine zweite Künstlerin. Wir haben ein Bild von ihr, oder vielmehr: Wir haben viele Bilder von ihr. Denn ein Drittel ihrer Gemälde waren Selbstporträts.
    Um eine neue Frida-Kahlo-Biografie zu schreiben, braucht man deswegen zuerst einmal Mut. Und dann neue Kenntnisse beziehungsweise Gesichtspunkte, die frühere Autoren nicht besaßen. Maren Gottschalk besitzt beides. Ihrer Lebensgeschichte der Frida Kahlo hat sie den poetischen Titel "Die Farben meine Seele" gegeben. Der fängt den Leser ein und hält ihn fest.

    "Ich kann grundsätzlich einen Titel nicht am Reißbrett entwickeln. Ich kann auch nicht ein Team dransetzen, Brainstorming – kann etwas werden, wird aber meistens nichts. Der Titel kommt plötzlich, der Titel – behaupte ich mal – steckt im Buch schon drin."

    "Die Farben meiner Seele" - in diesem Titel schwingt schon mit, wie Maren Gottschalk Frida Kahlo sieht: als Künstlerin, als sehr empfindsame und zugleich selbstbewusste Frau. Sorgfältig und lebendig, mit vielen originellen Zitaten, interessanten Porträts und Rekursen auf die Geschichte und Politik Mexikos erzählt die Autorin deren Leben. Die bekannten Stationen ziehen am Leser vorüber: viele frühe Verletzungen bis hin zu dem grauenvollen Unfall, der die Künstlerin zeitlebens unter schrecklichen Schmerzen leiden ließ. Die Ehe mit Diego Rivera, die Krisen, die Geliebten, die Scheidung, die Geldsorgen und der frühe Tod kurz nach dem 47.Geburtstag.

    Maren Gottschalk malt das differenzierte Bild einer Frau, die sehr apart war, frühreif, intelligent und vielseitig begabt, zugleich aber ängstlich, voller Sehnsüchte und immer darauf aus, sich zu verkleiden und neu zu erfinden: in Kostümen, in Briefen, in Beziehungen, im Sex. Und in ihrer Kunst:

    "Die Malerin zeigt sich in dieser Zeit immer wieder als 'Schmerzensfrau', gepeinigt, verletzt, bedroht. So auch auf dem 'Selbstbildnis mit abgeschnittenem Haar' von 1940. Schon einmal, als Riveras Affäre mit Christina Kahlo ans Licht gekommen war, hatte die Malerin sich die langen Haare abgeschnitten, jetzt vollzieht sie diesen Schritt erneut."

    Maren Gottschalk greift in ihrer Biografie nicht nur auf die bekannten Quellen zurück. Sie lässt sich vor allem auf die Sprache der Künstlerin selbst ein: auf ihre Bilder. Ihr Ziel: Etiketten abzureißen und Klischees kritisch zu hinterfragen. So entdeckt sie hinter dem Bild der von Männern enttäuschten und von ihrer Krankheit zerstörten Schmerzensfrau, das von der feministisch orientierten Forschung gerne propagiert wurde, die lebensbejahende, lebenshungrige Genießerin, die sich bis kurz vor ihrem Tod fast alles nahm, was sie wollte. Außerdem zeigt sie anhand neuer kunsthistorischer Erkenntnisse, dass Frida Kahlo nicht die eigenbrötlerische Autodidaktin war, zu der sie sich gerne stilisierte, sondern die Kunst der europäischen Avantgarde durchaus kannte.

    Voller Achtung erzählt Maren Gottschalk von Frida Kahlo, aber auch mit kritischer Distanz, sachlich und mit warmem Mitgefühl. Man spürt unmittelbar, dass da eine Autorin am Werk ist, die als Hörfunkjournalistin viel für Hörer schreibt: unkompliziert, direkt und schnörkellos. Wenn sie Zugeständnisse an ihr junges Publikum macht – das Buch ist für Leser ab 14 Jahren empfohlen – dann nur darin, dass sie kaum Kenntnisse voraussetzt, sondern alle wichtigen politischen oder sozialen Zusammenhänge erklärt. Anmerkungen und Quellenverzeichnis eingeschlossen. Und das werden ihr mit Sicherheit auch ältere Leser danken!

    Werner Völker: "Wohin es geht" - Der junge Goethe. (dtv)
    "Hier also wohnte sie, die Familie Goethe. Ein beinahe idyllisches Frankfurt noch, Mitte des 18. Jahrhunderts, verglichen mit dem Imponiergehabe heutiger Zeit, wenn es sich auch nach und nach zu einem umtriebigen Verkehrsknotenpunkt entwickelte und immerhin schon etwa 40.000 Einwohner zählte. ((Dazu kamen umliegende Dörfer, die zu Frankfurt gehörten mit etwa 5000 Einwohnern und etwa 3000 Juden, die zusammengepfercht, rechtlos und unterdrückt am östlichen Stadtrand unter ganz entsetzlichen Bedingungen hausten.))"

    Werner Völkers Biografie des jungen Goethe - ihr sprechender Titel: "Wohin es geht" - beginnt mit einer Beschreibung der Stadt Frankfurt. Kenntnisreich stellt der Autor sie vor mit ihren Bewohnern und Gassen, von der Straßenbeleuchtung bis zur wirtschaftlichen und politischen Situation. Minutiös erforscht und erzählt er das Umfeld von Goethes Leben und Werk bis zum Jahr 1772, in dem der Dichter 23 Jahre alt wird. Die Kinderzeit, die Studienjahre in Leipzig, die Straßburger Zeit als junger Jurist und Dichter, schließlich die Monate am Reichskammergericht in Wetzlar bis hin zur Abreise nach Weimar – Werner Völker hat eine immense Menge von Daten, Fakten und Erkenntnissen zusammengetragen. Und er berichtet von den in dieser Zeit sich entwickelnden Fähigkeiten Goethes, seinen Freundschaften und Liebesbeziehungen, Reisen, beruflichen und dichterischen Versuchen und Erfolgen bis hin zum Werther. Völkers ehrgeiziges Ziel: neue Akzente und Bewertungen zu setzen in der Biografie eines Mannes, über den wahrscheinlich so viel geschrieben wurde wie über keinen zweiten Deutschen. Als Autor mehrerer Bücher über Goethe ist er sich klar darüber, wie stark der Einfluss eines Biografen auf die Rezeption sein kann:

    "Er ist ganz sicher ein Vermittler, er hat eine gewisse Verantwortung, er kann den Leser auch auf Abwege führen, wenn er ... schönfärberisch darstellt oder abwiegelt. Er muss schon ein bisschen bohren, und die Autobiografie, die muss man besonders sorgfältig analysieren. Man muss Zeitzeugen befragen, leben sie nicht mehr, wie im Fall Goethe, muss ich nachforschen."

    Das hat Werner Völker getan, ungeheuer fleißig und genau, wobei er Goethes stilisiertes Selbstbild in seiner Autobiografie "Dichtung und Wahrheit" kritisch hinterfragt und zu neuen Deutungen kommt. Vor allem der weitverbreiteten Schwarz-Weiß-Malerei über Vater und Mutter Goethe bietet er die Stirn, verteidigt den Vater gegenüber dem Sohn und anderen Biografen als weitaus weniger streng und sparsam. Dafür entdeckt er das Verhältnis zur Mutter als weniger liebevoll und dankbar vonseiten des Sohnes.

    Als Wissenschaftler und Erzähler zugleich hält Völker sich einerseits ganz eng an die Quellen, zitiert, begründet und argumentiert voller Sachkenntnis. Andererseits leitet er den Leser - ansprechend im doppelten Sinn - mit leiser Ironie und in vielen kleinen und großen Exkursen durch das Labyrinth der Forschungsergebnisse und den umfangreichen Anhang. Dass da der eine oder andere Dialog erfunden, Episoden nachgestellt und Szenen dramatisiert werden, erhöht das Vergnügen beim Lesen des über dreihundert Seiten starken Textes. Er ist für – wie der Autor sagt – Leser von 16 bis 94, wobei die älteren mit Sicherheit mehr Interesse haben an dieser akribischen Darstellung als die jungen.

    Wie vielfältig biografisches Schreiben für Kinder und Jugendliche aussehen kann, das zeigen die vorgestellten Bücher über Napoleon und Janusz Korczak, Max Frisch, Frida Kahlo und den jungen Goethe. Die Begeisterung der Autoren für ihre Figuren und deren Sache und natürlich die Qualität der Texte und Illustrationen sind ungewöhnlich. Der junge – oder vielleicht auch erwachsene – Leser wird, wenn er ein Buch zugeschlagen hat, den Menschen, von dem es erzählt, im Gedächtnis behalten - und sich vielleicht weiter für ihn interessieren. Auch dann, wenn er das eine oder andere nicht ganz verstanden hat, weil ein Autor oder eine Autorin die Latte etwas höher hängt:

    "Aber: Nicht aus Überheblichkeit, sondern ich denke, der Leser kann mit diesem Text auch wachsen. Er kann etwas lernen, er muss sich natürlich auf so einen Text einlassen. Er muss dem Autor folgen ... Und wenn er ein bisschen davon begreift, was ein Autor sich für eine entsetzliche Mühe macht, bis das Buch mal steht, dann wird er ihm vielleicht – wenn es dann auch spannend ist oder humorvoll – wird er ihm hoffentlich auch gerne folgen."



    Die besprochenen Bücher:
    Tomek Bogacki: "Janusz Korczak" (Knesebeck Verlag)
    Ingeborg Gleichauf: "Max Frisch" (Hanser)
    Maren Gottschalk: "Frieda Kahlo" (Beltz & Gelberg)
    Susanne Rebscher: "Napoleon Bonaparte" (Loewe)
    Werner Völker: "Der junge Goethe" (dtv)