Es ist zur Zeit kaum möglich, ihn nicht wahrzunehmen. Markus Söder im Interview, Markus Söder bei der Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin, Markus Söder nach der CSU-Vorstandssitzung – er ist dauerpräsent. Wer aber ist dieser Mann? Klar, bayerischer Ministerpräsident, CSU-Chef - aber was leitet ihn, was macht ihn aus?
Genau dieser Frage nimmt sich Anna Clauß in ihrem Buch an: "Ich habe vor Jahren schon mal ein CSU-Präsidiums-Mitglied gefragt: Wie unterscheidet sich eigentlich der Politiker Markus Söder vom Menschen Markus Söder? Und da bekam ich als Antwort: Ich kenn' den Menschen Markus Söder nicht. Seitdem bin ich so fasziniert davon das rauszufinden, dem Menschen Markus Söder nah zu kommen und nicht nur seine Politik zu beschreiben", sagt die Autorin zum Ansatz ihres Buches.
Um dem zu folgen, hangelt sie sich nicht chronologisch an Söders Biographie entlang, die Stationen seines Lebens streut sie wie nebenbei mit ein. Stattdessen schaut Clauß vor allem auf den aktuellen Söder, wie er agiert und welche Motivation dahinter steckt – beschreibt das meist sehr bildlich mithilfe von kurzen Szenen, zum Beispiel wenn es um sein Handeln in der Corona-Krise geht.
"Vor zwei Dingen fürchte sich der Ministerpräsident, sagt einer aus dem CSU-Parteivorstand, der Söder schon lange kennt: Krankheit und Kontrollverlust. Mitarbeiter, die hustend zur Arbeit erscheinen, schicke der Chef umgehend nach Hause – schon vor Ausbruch der Pandemie."
Bierzelt-tauglich aber nicht gesellig
Die Kontrolle behalten - genau das scheint es zu sein, was Söder in den vergangenen Monaten zu einem der beliebtesten Politiker der Landes gemacht hat. Anna Clauß zeichnet nach, wie und mit welchen Mitteln Markus Söder seine jetzige Position erreicht hat, obwohl viele ihn genau dort nicht sehen wollten. Auch ein Fingerzeig in Richtung Kanzlerkandidatur?
Sie erzählt die Geschichte von einem, der ehrgeizig aber nicht immer beliebt war, von einem, der um sechs Uhr morgens schon "SMS-bereit" ist und genau weiß, wie Inszenierung geht. Den Unvermeidlichen nennt Clauß ihn auch in ihrem Buch.
Anna Clauß ist langjährige Bayern-Korrespondentin des "Spiegel", kennt die CSU, ihre Akteure und das Bundesland, das untrennbar mit den Christsozialen verbunden ist: "Wer Markus Söder verstehen will, muss die Provinz verstehen können."
Clauß weiß auch, dass es für bayerische Politiker und Politikerinnen einen Platz gibt, wo sich zeigt, was sie können. Das Bierzelt: "Wenn Markus Söder eine Zauberkraft besitzt, dann die, ein voll besetztes bayerisches Bierzelt in eine Steinzeithöhle zu verwandeln. In deren Mitte ein warmes Lagerfeuer lodert, an dem die Ureinwohner enger zusammenrücken. Söder ist ein fulminanter Festzeltredner", schreibt die Autorin und zeigt gleichzeitig auf, dass das nur die Oberfläche ist.
Sie hat Söder genau beobachtet und lenkt den Fokus auf eine weitere Perspektive von Söders Bierzelt-Auftritten. "Geselligkeit, wohl in keinem anderen Bundesland demonstrativer zelebriert als in Bayern, geht Söder vollkommen ab. Nur selten sah man ihn im Anschluss an seine Festzeltauftritte verweilen im Bad der Menge oder an der Bierbank der Lokalprominenz. Schnell hetzt Söder weiter zum nächsten Termin."
Söder scheut das Risiko und behält gern die Kontrolle
Clauß' Buch lebt vom diesem genauen Hinschauen. Immer wieder zeigt sie den Lesern und Leserinnen einen Markus Söder, den man nicht auf dem Fernsehbildschirm zu sehen bekommen. So beschreibt sie einen Mann, bei dem wenig dem Zufall geschuldet ist – der ungern Risiken eingeht. Und der genau weiß, wie er sich in Szene zu setzen hat – und seien es nur vermeintliche Kleinigkeiten:
"Im CSU-Fanshop gib es Kaffeetassen, Jutebeutel, Meterstäbe und sogar ein Kofferschloss mit Söders Namen darauf zu kaufen. Die Mund-Nasen-Bedeckung im Stil der bayerischen Flagge kostet 3,41 Euro. Der Parteivorsitzende Markus Söder allerdings trägt eine Sonderanfertigung. Die Rauten auf seiner Maske sind größer."
An anderer Stelle beschreibt Clauß, welchen Trick sich Söder einfallen lassen habe, damit sich die vielen Interviews, die er pro Woche gibt, nicht unnötig in die Länge zögen: "Journalisten platziert er auf Mobiliar, das einst von Franz Josef Strauß weich gesessen wurde. Die mintgrün bezogene Sitzgarnitur aus geschwungenem Erlenwurzelholz im Gesprächszimmer der Staatskanzlei ist nicht nur höllisch unbequem, sie passt auch optisch nicht zu den hellen Buchenholzdielen des vermutlich irgendwann in den neunziger Jahren mit viel Glas, Grau und Türkis renovierten Panoramaraums."
Es sind diese kleinen Pointen, die gar keiner weiteren Erklärung bedürfen, mit denen es Clauß schafft, ein stimmiges Bild von Söder zu zeichnen. Auch von Seiten, die man ihm nicht zugetraut hätte – so lernen die Leser und Leserinnen einen CSU-Chef kennen, dessen, wie Clauß schreibt, Kritikfähigkeit man nicht unterschätzen dürfe. Der nach eigener Aussage versucht alles zu reflektieren.
Verschiedene Perspektiven auf den Macht-Menschen
Clauß schont Söder aber auch nicht, zum Beispiel wenn es um den Umgang mit Parteifreunden geht, um seine neue vermeintliche Teamfähigkeit oder um seine neue Liebe zum Klimaschutz: "Was der angebliche Ökoengel lieber verschweigt, ist sein jahrelanges Engagement für den Bau einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen. Sein Veto gegen den Bau eines dritten Nationalparks in Bayern. Und sein Engagement für den Bau eines Skiliftes – mitten durch ein Naturschutzgebiet im Allgäu."
Die letzte Biographie über Markus Söder haben Männer geschrieben. Schreibt eine Frau nun anders über den CSU-Chef? Es sei jedenfalls Zeit geworden, dass mehr Frauen auf Markus Söder schauen, sagt Clauß. Sie habe in dem Buch, halb bewusst, halb unbewusst, nur Frauen interviewt. Dazu zählen politische Begleiterinnen von Söders Karriere, wie Ilse Aigner oder Christa Stewens, aber auch Journalistinnen, die nicht die Politik, sondern den Menschen Söder beobachten, wie die ehemalige Chefredakteurin der Bunten, Patricia Riekel.
Auf diese Weise Art und Weise könne man mal einen neuen, frischen Blick auf diesen Macht-Mann werfen, "weil Frauen in aller Regel nicht so wahnsinnig fasziniert sind von dieser Macht, die dieser Mann ausstrahlt, sondern die schon wissen wollen, wie tickt dieser Typ als Mensch und das hat mich eben auch immer interessiert, und die Frage versuche ich zu beantworten."
Hat sie diese Antwort gefunden? Ja, sagt Clauß. Auch wenn sie den Lesern und Leserinnen nichts vorgeben und Interpretationsspielraum lassen will. Für sie sei Söder ist im Kern ein Klassenstreber, "der sich am meisten über die Eins im Zeugnis freut, wenn die anderen nur Dreien haben. Er ist sehr ehrgeizig, sehr zielstrebig, sehr flink im Kopf, aber eben auch sehr von oben herab und er will immer gewinnen und gönnt anderen den Erfolg nicht."
Trifft das nun auch zu, wenn es um die Kanzlerkandidatur der Union geht, über die wohl im März entschieden werden wird? Und könnte er dann sogar möglicherweise Kanzler werden? Vorstellen kann sie es sich eigentlich nicht, sagt Clauß: "Aber, es ist eben so, Markus Söder war immer der Unvermeidliche und gerade weil immer alle gesagt haben, das kann eigentlich nicht sein, dass der sich am Ende durchsetzt, genau deshalb hat er sich am Ende meistens doch durchgesetzt."
Egal, wie es ausgeht, Söder wird weiter eine Rolle auch auf Bundesebene spielen und Clauß' Buch hilft, diesen Mann und sein Handeln etwas mehr zu verstehen.
Anna Clauß: "Söder. Die andere Biographie"
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. 175 Seiten, 20 Euro.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. 175 Seiten, 20 Euro.