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Biokraftstoff aus Pflanzen gefährdet Nahrungsmittelproduktion

In einigen Jahren soll ein erheblicher Anteil der Auto-Treibstoffe nicht mehr aus Erdöl hergestellt werden, sondern aus Pflanzen. Die Europäische Union wird sich voraussichtlich in den nächsten Tagen ein Ziel von 10 Prozent an Treibstoffverbrauch setzen. Es ist allerdings fraglich, ob die Felder der Welt wirklich so viel hergeben, ohne dass die Ernährung der Menschen darunter leidet. Neue Studien zu diesem Thema bestätigen die Zweifler.

Von Mirjam Stöckel |
    Zehn Prozent Biokraftstoffanteil in europäischen Tanks - das klingt als Ziel erstmal schön grün und umweltfreundlich. Deshalb hat die EU-Kommission im Januar eine Richtlinie vorgeschlagen, wonach die 10-Prozent-Quote im Jahr 2020 für alle 27 Mitgliedsstaaten Pflicht werden soll.
    Dafür allerdings braucht Europa deutlich mehr Energiepflanzen wie Zuckerrohr, Mais und Raps – und ein großer Teil davon müsste dann auf Feldern in Entwicklungs- und Schwellenländern angebaut werden. Und genau das bereitet Tim Rice von der Nichtregierungsorganisation Action Aid große Sorgen:

    "Es gibt da zwei Probleme. Erstens, was die Umwelt betrifft: Es werden viele natürliche Lebensräume zerstört und die biologische Vielfalt geht verloren, wenn man die großen Monokulturen anlegt für den Anbau von Agrotreibstoff-Pflanzen. Und zweitens: Agrotreibstoffe verschlimmern den Hunger noch. Und diese beiden Probleme werden nicht gelöst, solange wir weiter an den Agrotreibstoffen festhalten."

    Die internationale Organisation Action Aid kämpft weltweit gegen Armut. Und ihre neue Studie über den Energiepflanzenanbau in Brasilien, Guatemala, Ghana und Mosambik beispielsweise zeigt: Die stetig wachsende Nachfrage der US-Amerikaner und Europäer nach Biotreibstoffen verdrängt schon heute kleine Bauern von ihrem Land.
    In ihrer Heimat sei sogar extra ein neues Biokraftstoff-Ministerium gegründet worden, um von dem Boom wirtschaftlich zu profitieren, berichtet Fatou Mbaye von Action Aid Senegal. Der große Profit lockt die Regierung des armen Landes – zu Lasten der Lebensmittelversorgung für die Menschen:

    Die Regierung ist dabei, Verträge auszuhandeln mit europäischen Investoren – und weist ihnen beachtliche Flächen im Südosten des Landes zu, zum Beispiel im Nambetal. Dort hat sie mehr als 10 000 Hektar Land an ausländische Investoren vergeben.

    Land, das künftig Biotreibstoffe liefert statt Nahrung. Und das, obwohl Senegal schon heute 60 Prozent der Lebensmittel einführen muss. Und wenn die EU ernst macht mit ihrer verpflichtenden 10-Prozent-Quote für Biotreibstoff im Jahr 2020, dann werden noch mehr Wälder abgeholzt für riesige Energiepflanzenplantagen, fürchtet Fatou Mbaye – eine Gefahr für die traditionelle Lebensgrundlage der Senegalesen. Denn viele sind beispielsweise auf Feuerholz und Früchte aus dem Wald angewiesen.

    Gerodete Wälder und weniger Fläche zum Nahrungsmittelanbau – davor warnt auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen in seinem jetzt veröffentlichten Gutachten. Agrotreibstoffe vom Feld lehnen die Wissenschaftler ab – und sie fordern die Politik ausdrücklich auf, globale Rahmenbedingungen festzulegen, um zu verhindern, dass der Anbau von Energiepflanzen den Hunger weltweit noch verschlimmert.

    Und dennoch: In Brüssel gehen die Verhandlungen über die neue Agrotreibstoff-Richtlinie jetzt in die heiße Phase: Aller Voraussicht nach werden die 27 EU-Staaten und das Europaparlament am 10-Prozent-Biokraftstoff-Ziel festhalten und es in den nächsten Tagen definitiv beschließen. Auch wenn das nicht allen Europaabgeordneten gefällt – wie der Grünen Rebecca Harms:

    "Die 10-Prozent-Quote der EU ist schlecht, hat negative Auswirkungen auf die Umwelt, das Klima und auf die Arbeitsbedingungen für Menschen in den Entwicklungsländern. Wenn dieses Ziel - obwohl der Skeptizismus in Brüssel wächst – nicht gekippt werden kann, ist das Mindeste, was wir erreichen müssen, eine grundsätzliche Überprüfungsklausel in einigen Jahren."

    Auf den Prüfstand käme die europäische Biotreibstoff-Politik nach aktuellen Plänen aber frühestens 2014 wieder. Menschen wie Fatou Mbaye aus dem Senegal bleibt bis dahin nur: Hoffen, dass die eigene Regierung ihren bisherigen Kurs korrigiert und weniger Flächen an die europäischen Biotreibstoff-Hersteller abtritt – damit nicht noch mehr Land für den Nahrungsanbau verloren geht.