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Biolebensmittel-Lieferservice
Boom in der Coronakrise

Ein Lieferservice für Lebensmittel aus biologischem Anbau in Norddeutschland floriert - nicht trotz, sondern aufgrund der Coronakrise. Um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Nachfrage angestiegen - ähnlich wie auch bei früheren Krankheitswellen wie BSE oder EHEC.

Von Johannes Kulms |
Die Hände einer Frau mit einer Biokiste mit Obst und Gemüse.
Die Lebensmittelversorgung sei sicher, so Dirk Lehmann, Inhaber eines Lieferservice für Bio-Lebensmittel (imago / Thomas Trutschel)
Dirk Lehmann steht in einer riesigen Halle am Stadtrand von Bad Oldesloe. Kühl ist es hier drin, das Licht ist gedimmt.
Seit 1995 führt Lehmann einen Lieferservice für Bio-Lebensmittel, die von Landwirten aus Norddeutschland stammen. Sein Betrieb ist im Laufe der Zeit immer weiter gewachsen. Hier, in der 20.000-Einwohnerstadt Bad Oldesloe nördlich von Hamburg, hat er vor zweieinhalb Jahren neue Lagerstätten errichtet.
Das Sortiment umfasst mittlerweile an die 5.500 Produkte. In den umliegenden Regalen und Kühlräumen schlummern Nudeln, Äpfel, Fleischwaren, Käse, Brotaufstriche und Getränkekästen. Ein kleines Bio-Imperium? Der 61-Jährige schüttelt den Kopf.
"Na ja, Imperium ist ein bisschen überzogen aber das ist schon nicht schlecht!"
Jede Krise hat neue Kunden gebracht
Zu Beginn der 80er Jahre war alles noch eine Nummer kleiner. Lehmann trug noch nicht die Verantwortung für 48 Beschäftigte, als er damals in Hamburg einen Bioladen eröffnete.
"Ja, also damals waren wir noch richtige Ökospinner. Und die haben uns wirklich komisch angeguckt. Aber als Tschernobyl kam, hat sich dann der Umsatz von einen auf den anderen Tag verdoppelt. Und heute sind wir einfach im Mainstream angekommen."
Später folgten weitere Krisen, die die Lebensmittelbranche durcheinanderwirbelte: BSE, das Darmbakterium EHEC, Schweinepest. Jede Krise habe ihm neue Kunden gebracht. Doch die Corona-Pandemie ist auch für Dirk Lehmann eine völlig neue Dimension.
"Also, wie in der ersten Zeit die Leute wirklich panisch auf uns zu kamen und dachte, sie kriegen nie wieder was zu essen – das ist auch eine neue Qualität!"
Klopapier gestrichen, weil es zu viel Platz wegnimmt
Lehmann und seine Beschäftigten wurden überrollt. Um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Nachfrage bei ihm angestiegen.
Nicht alles lief am Anfang glatt, häufiger gingen die falschen Produkte auf die Reise, manche Zustellung klappte nicht. Doch die meisten Leute hätten dafür Verständnis gehabt. Trotzdem gibt es jetzt erst einmal einen Aufnahmestopp für neue Interessenten. 6.000 Personen umfasst der jetzige Kundenstamm, doch nur 2.800 könnten pro Woche beliefert werden.
Lehmann hatte gleich mehrfach Glück. Denn zum einen hatte er durch die neuen Hallen in Bad Oldesloe noch räumliche Kapazitäten. Andererseits hatte er noch im Februar hunderte grüne Plastikkisten gekauft, die er jetzt unbedingt für die
Und wenige Tage, bevor die Pandemie Schleswig-Holstein erreichte, trafen in Bad Oldesloe zwei neue Transporter ein. Lehmann hat jetzt zwölf solcher weißer Kühlwagen, die jeden Tag in Schleswig-Holstein unterwegs sind und die Produkte ausliefern. Klopapier hat er inzwischen gestrichen, weil das zu viel Platz in den Laderäumen der Fahrzeuge wegnimmt.
"Und genauso haben wir Probleme mit Wasser. Wasser liefern wir auch nur noch begrenzt aus, weil es gibt wertvollere Produkte. Also, Wasser kann auch der Getränkehandel nebenan verkaufen."
Lehmann hat Menschen am Telefon erlebt, die wegen des gestrichenen Klopapiers in Tränen ausbrachen. Andere ärgerten sich, weil es plötzlich einen Engpass bei ihrem Lieblings-Olivenöl gab und sie sich mit einer der zehn anderen Marken begnügen mussten. Und dann gab es die Stammkundin, die Hackfleisch geordert hatte.
"Und normalerweise kommt unsere Lieferung 16 bis 18 Uhr. Und dann kam die Lieferung um 20:30, da hatten die schon Abendbrot gegessen. Und daraufhin hat die das Hackfleisch in den Müll geschmissen. Und wollte es auch noch gutgeschrieben haben."
"Wir merken, dass ein Umdenken stattgefunden hat"
Dabei sei doch eines klar: Die Lebensmittelversorgung sei sicher, niemand in Deutschland müsse Angst haben, dass es morgen kein Essen mehr gebe, sagt Lehmann. Er sieht etwas müde aus. Tatsächlich waren auch für ihn die letzten drei Wochen sehr anstrengend. Dabei sagt Lehmann, dass er eigentlich gerne Krisenmanager sei.
"Also, ich habe jetzt am Wochenende gemerkt, ich muss deutlich ruhiger treten. Sonst breche ich hier irgendwann zusammen. Und das habe ich seit heute gemacht. Heute bin ich erst um sieben Uhr aufgestanden ..."
"Statt?"
"Statt die letzte Zeit immer um vier. Um vier ohne Wecker und dann ging das hier los."
An diesem Mittag ist es gerade still in der Kühlhalle. Doch ansonsten herrscht hier fast durchgängig Betrieb. Morgens um vier Uhr kommen Lehmanns erste Mitarbeiter, nachts um ein Uhr gehen die letzten nach Hause. Acht neue Stellen hat er in den letzten Wochen durch den neuen Boom geschaffen. Der Biowaren-Lieferant ist überzeugt, dass auch nach einem Abflauen der Corona-Krise die hohe Nachfrage anhält.
"Also, es gibt ja immer einige Unbelehrbare, denen ist das alles Wurst. Aber wir merken schon, dass wie die Leute uns gegenübertreten, dankbar sind, dass wir das überhaupt ihnen vorbeibringen. Daran merkt man schon, dass da ein Umdenken stattgefunden hat. Das hat schon stattgefunden und da wird viel von bleiben. Es ist ja nun mal so, unsere Welt ist in Aufruhr, da bewegt sich was."
Das hier war nicht die letzte Krise, ist Lehmann sicher. Der Kapitalismus stoße insgesamt gerade an seine Grenzen.
"Wir müssen umdenken! Sonst funktioniert das ist hier alles nicht mehr."