Wenn man als Matabele-Ameise auf dem Schlachtfeld ein oder zwei Beine einbüßt, darf man darauf vertrauen, dass einen Sanitäter zurück in die Kolonie schleppen. Und wenn man eine Termite mitschleift, die sich im eigenen Leib verbissen hat, warten schon Chirurgen im Nest, die schneiden das lästige Anhängsel wenn möglich wieder ab.
So weit, so spektakulär! Doch jetzt berichtet der Verhaltens- und Tropenbiologe Erik Frank von weiteren verblüffenden Beobachtungen aus dem Reich der afrikanischen Ameisenart. In einem Fachartikel, den er zusammen mit Fachkollegen an der Universität Würzburg verfasst hat. Demnach haben die Termitenjäger medizinisch noch mehr drauf:
"Was wir da beobachtet haben, und das konnte ich das erste Mal auch nicht wirklich glauben, war, dass die Ameisen, die ein Bein verloren haben, intensiv an der Wunde von ihren Kameradinnen geleckt wurden, also behandelt wurden. Wundbehandlung durch andere Individuen, also keine Eigenbehandlung, ist im Insektenreich komplett unbekannt. [Das] ist das erste Mal, dass das beobachtet wird. Praktisch die erste Studie, die das macht."
Geleckte Wunden infizieren sich seltener
Die ganze Geschichte ist also noch verrückter! Sanitäter retten Verletzte. Chirurgen entfernen hinderliche Termitenköpfe. Und dann auch noch Wundärzte, die sich bemühen, Infektionen zu verhindern. Denn darum geht es offensichtlich, wie Erik Frank bei seinen Untersuchungen in einer Forschungsstation in der Elfenbeinküste herausfand: Werden ihre Wunden ausgeleckt, überleben verstümmelte Ameisen fast immer. Ohne eine solche Versorgung aber sterben neun von zehn Tieren:
"Was schon mal darauf hindeutet, dass diese Wundbehandlung extrem wichtig ist für das Überleben dieser verletzten Ameisen. Das bedeutet, dass die Behandlung wahrscheinlich eine Infektion der Wunde verhindert. Entweder rein prophylaktisch, durch eine Säuberung der Wunde ähnlich wie wir das auch bei unseren Wunden machen, wenn wir uns verletzen. Wir versuchen die Erde, den Dreck, zu entfernen, und dadurch verringert man schon die Chance einer Infektion. Es könnte aber auch sein, dass es eine wirklich medizinische Behandlung ist, mit Antibiotika oder anderen Substanzen. Das können wir noch nicht sagen."
Das ist es aber, was die Sache besonders spannend macht!
"Man kennt es schon von anderen Ameisenarten, dass sie antimikrobielle Substanzen in ihrem Giftstachel haben, also in ihrem Gift. Und auch teilweise in manchen Drüsen im Kopf, mit denen sie sich auch gegenseitig säubern."
Das Interesse an Ameisenmedizin wächst
Für die Ameisenmedizin, wenn man sie so nennen möchte, interessierten sich auch andere Forschergruppen immer mehr, sagt der Biologe und spricht vom Phänomen der "sozialen Immunität" unter staatenbildenden Insekten:
"Das ist praktisch das Immunsystem eines sozialen Organismus, der Kolonie der Ameise. [Das] ist ein sehr schnell wachsendes Gebiet gerade im Moment, weil es halt eben von Interesse ist, besser zu verstehen, wie sie Infektionen bekämpft. Es gibt auch viele Leute, die daran arbeiten, die Antibiotika, die diese Ameisen produzieren, sich genauer anzugucken."
Erik Frank will das auch selbst weiter untersuchen. Inzwischen forscht der Tropenbiologe zwar an der Universität Lausanne in der Schweiz. Seine Feldstudien an den Matabele-Ameisen in der afrikanischen Savanne setzt er aber fort. Und im Herbst plant er einen Forschungstrip nach Ecuador. Denn am Amazonas lebt eine bestimmte Art von Treiberameisen. Auch sie unternimmt riskante Raubzüge. Und auch bei ihr kann sich Frank vorstellen, dass sie eine ähnliche medizinische Notfallversorgung etabliert hat - möglicherweise inklusive Wundheilung mit Hilfe natürlicher Antibiotika:
"In Zukunft könnte uns diese Beobachtung helfen, vielleicht sogar neue Antibiotika zu finden. Und da wir wissen, dass die Tiere dazu in der Lage sind, vor allem Ameisen, [könnten wir] auch vielleicht andere Arten finden, die das zeigen, die vielleicht noch besser darin sind, die Wunden zu versorgen."