Der Name ist etwas missverständlich: "Biologika" sind keine Naturheilmittel, sondern Medikamente, die aus lebenden menschlichen oder tierischen Zellen in einem aufwendigen gentechnischen Verfahren hergestellt werden. Sie sollen gezielt in das menschliche Immunsystem eingreifen. Es gibt – je nach Bauweise – verschiedene Biologika-Gruppen, am häufigsten sind es "Antikörper". Die wirken vor allem bei Autoimmunerkrankungen, wo das Abwehrsystem seine entzündungsfördernden Botenstoffe fälschlicherweise gegen gesunde Zellen losschickt, erklärt Professor Rieke Alten, Leiterin der Rheumatologie in der Schlossparkklinik Berlin:
"Die Antikörper unterdrücken eben die vermehrte Produktion von solchen Entzündungsstoffen und die damit überschießende Immunreaktionen, und durch diese Unterdrückung kommt diese Immunreaktion zur Ruhe. Natürlich nur, solange man diese Antikörper gibt. Wir würden natürlich gern Antikörper haben, die auf Dauer wirken, aber das haben wir noch nicht."
Durchbruch bei der Behandlung einiger Krebsleiden
Das heißt, Biologika muss man unter Umständen ein Leben lang nehmen, genauer gesagt spritzen. Denn es sind Eiweißstoffe, die im Magen oder Darm zerstört werden würden. Trotzdem war die Einführung der Biologika ein Durchbruch bei einigen Krebsleiden, bei Morbus Crohn und Schuppenflechte, vor allem aber bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, wie Susan Kamisch:
"Ich habe das Rheuma seit ungefähr sechs Jahren, bin lange damit unbehandelt rumgelaufen, gravierend beeinträchtigt hat mich das in meinem Berufsalltag, ich bin Krankenschwester von Beruf und hab eine extreme Morgensteifigkeit der Finger gehabt, also, ich konnte die Zahnbürste nicht mehr umfassen, die Haarbürste nicht greifen, alles fiel mir aus der Hand. Das hat sich dann im Laufe des Tages zwar gebessert, aber ich konnte halt in meinem Beruf auch früh erstmal keinen Stift halten, und Blutdruckmanschette aufpumpen, so was ging gar nicht mehr."
Zuerst bekam sie die "Rheuma-Basistherapie", in der Regel ist das Kortison beziehungsweise Methotrexat, ein Mittel aus der Krebstherapie, das die Immunabwehr unterdrückt. Aber die Wirkung ließ bald nach,
"...so dass ich dann dazu noch ein Biologikum bekam, und das spritze ich jetzt eben auch schon seit drei oder vier Jahren, alle 14 Tage, subkutan, unter die Haut, und seitdem bin ich total beschwerdefrei."
"...so dass ich dann dazu noch ein Biologikum bekam, und das spritze ich jetzt eben auch schon seit drei oder vier Jahren, alle 14 Tage, subkutan, unter die Haut, und seitdem bin ich total beschwerdefrei."
Eingriff in das Immunsystem ist risikant
Wenn Patienten auf Biologika ansprechen, bringen diese oft große und schnelle Erfolge. Aber sie dürfen nicht jedem verordnet werden. Die Ärzte müssen strengen Leitlinien folgen, sagt Rieke Alten:
"Es ist angezeigt, ein Biologikum zu verordnen, wenn die Krankheit mit den herkömmlichen Basistherapeutika nicht in die Remission, also in die Ruhe gebracht werden kann."
Ein Grund: Biologika sind sehr teuer, aber noch wichtiger: Mit Medikamenten in das Immunsystem einzugreifen, ist auch riskant. Deshalb müssen vorab bestimmte Untersuchungen gemacht werden:
"Test auf Tuberkulose, Test auf Hepatitis, Röntgenthorax und Laborteste, und wenn nun zum Beispiel dieser Test auf eine durchgemachte oder latente Tuberkulose positiv ist, was wir immer wieder sehen, dann müssen wir auch hier bestimmten Richtlinien folgen."
Konkret heißt das, die betroffenen Patienten müssen zuerst längere Zeit mit Antibiotika behandelt werden, um "keine schlafenden Hunde zu wecken".
Unter der Biologikatherapie sind Patienten generell besonders anfällig für Infektionen: Entzündungen an der Einstichstelle, grippeähnliche Symptome am "Spritzentag", häufiger Schnupfen, Husten, Hautausschläge ...
"In aller Regel treten die Infektionen in den ersten Monaten der Therapie auf, nachher flacht sich das so ein bisschen ab, wir wissen aber mittlerweile, dass man hier nicht nur die Biologika anschuldigen kann, sondern letztlich ist es immer die Kortisontherapie, die exponentiell das Risiko für Infektionen verstärkt."
Unterdrückte Immunabwehr erfordert besondere Vorsicht
Deshalb versucht man bei Rheuma-Patienten zum Beispiel, die zusätzliche Kortisongabe so schnell wie möglich zu beenden. Mit dem erhöhten Infektionsrisiko lernen die Patienten aber auch selbst umzugehen, erzählt Susan Kamisch:
"Zum Beispiel, wenn invasive Eingriffe, also Operationen, anstehen, oder wenn man Infekte hat im Körper, dann soll man auf jeden Fall pausieren, weil ja die Immunabwehr eh schon runtergesetzt ist durch das Biologikum, dann den Infekt noch darauf, und wenn man dann weiterspritzen würde, würde man so immunsuprimiert, wie man schon ist, am Boden sein, und sich überhaupt nicht erholen von der ganzen Erkältungs- oder Operationsgeschichte."
In den Anfangsjahren wurde auch über ein erhöhtes Krebsrisiko der Biologikatherapie diskutiert, erinnert sich Professor Alten:
"Da gab’s auch namhafte Publikationen, all diese Bedenken sind aber durch die nachfolgenden Publikationen in den nachfolgenden Jahren ausgeräumt. Unter Biologika kein erhöhtes Tumorrisiko. Das Gegenteil ist partiell der Fall, Patienten mit einer unkontrollierten rheumatioden Arthritis haben ein deutlich erhöhtes Lymphomrisiko zum Beispiel, und wenn die rheumatoide Arthritis erfolgreich und gut behandelt ist, dann begibt sich dieses Lymphomrisiko wieder in den Bereich normaler vergleichbarer Altersgruppen."
Behandlungskosten versus Nutzen
Eine gravierende Nebenwirkung haben die Biologika allerdings auf das Gesundheitssystem: Sie sind sündteuer. Die Rheumatologin rechnet jedoch dagegen:
"Wir können ja die Jahrestherapiekosten mal so kurz beziffern, das ist nicht unter 20.000 in aller Regel, aber wir haben zum Beispiel in den letzten Jahren gesehen, dass die Zeiten an Krankenhausaufenthalten, die Zeiten an Arbeitsausfällen, die Zeiten an Frühberentung drastisch zurückgegangen sind."
Außerdem kommen nach jetzt 20 Jahren immer mehr günstigere Nachahmerpräparate auf den Markt, die "Biosimilars" genannt werden. Denn solche gentechnisch hergestellten Medikamente aus lebenden Zellen können nur ähnlich und nie 100prozentig gleich sein.
"Es müssen natürlich bestimmte Studien angefertigt werden, in denen man zeigen kann, dass dieses Präparat, mit dem Originalpräparat in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit vergleichbar ist. Dass es keinen Nachteil gegenüber dem Originalpräparat gibt, und alle Präparate, die eine europäische Zulassung diesbezüglich erhalten, auf die kann man sich eigentlich verlassen."