"Im frühen 19. Jahrhundert gab es schon Diskussionen darüber, ob das Ballooning der Spinnen auf elektrischen Feldern beruht. Es könnte sein, dass elektrostatische Kräfte die Spinnen in die Luft heben. Andere sahen den Wind als Ursache. Die Wind-Hypothese setzte sich schließlich durch."
Erica Morley ist Biologin an der University of Bristol. Sie erforscht, wie elektrische Felder auf Insekten wirken. Solche Felder sind in der Natur allgegenwärtig. Man stelle sich nur ein Gewitter mit Blitzen vor. Sie zeigen, dass Boden und höhere Luftschichten unterschiedlich geladen sind.
Bei schönem Wetter sind die in der Natur herrschenden elektrischen Felder schwächer. Aber jeder Baum, jede Pflanze ist davon umgeben. In den vergangenen Jahren konnte Erica Morley zeigen, dass Bienen und Hummeln elektrische Felder spüren können und sich daran orientieren.
Spinnen erkennen elektrische Felder
Warum also sollten nicht auch Spinnen diese Felder nutzen? Sie machte zusammen mit Kollegen ein Experiment.
"Wir bauten eine geschlossene, winddichte Box mit einer Metallplatte am Boden und einer an der Decke. Dann legten wir an den Platten eine Spannung an, um ein elektrisches Feld zu erzeugen. Wir nutzten null Volt als Kontrolle – ohne ein elektrisches Feld. Mit einer leicht höheren Spannung simulierten wir Feldstärken wie an einem bewölkten Tag, und eine noch höhere Spannung ergab Bedingungen wie bei einem nahenden Gewitter."
In die Mitte der Box platzierte Erica Morley einen Pappstreifen als Startrampe für die Spinnen. Würden die Tiere auf Veränderungen des elektrischen Feldes reagieren? Und das taten sie!
Spinnen nutzen elektrische Antriebskraft
Je stärker das elektrische Feld, desto häufiger nahmen die Spinnen die typische Körperhaltung mit hoch aufgerecktem Hinterleib an, mit der sie sich auf das Ballooning vorbereiten. Schließlich stießen sie Spinnfäden aus, stiegen auf und schwebten in der windstillen Kammer in der Luft.
Die Spinnfäden werden dabei offensichtlich von elektrostatischen Kräften gehalten, ähnlich einem Luftballon, der, über trockene Haare gerieben, scheinbar magische Kräfte entwickelt. Erica Morley fand auch heraus, wie Spinnen die elektrischen Felder spüren können.
"Spinnen haben sehr empfindliche Sinneshaare auf ihrem Körper und den Beinen. Ich habe gemessen, wie diese Haare auf elektrische Felder reagieren. Sie werden elektrostatisch ausgelenkt. Deshalb denken wir, dass diese Sinneshaare als Rezeptoren für elektrische Felder dienen."
Jetzt stellt sich die Frage, ob der alte Disput um die treibende Kraft hinter dem Ballooning der Spinnen damit beigelegt ist. Ist es der Wind, oder sind es doch elektrostatische Kräfte, die hier maßgeblich am Werke sind?
Kein Entweder-oder
Erica Morley propagiert eine Theorie, die beides miteinander verbindet.
"Beide Wege sind für sich allein genommen schon ausreichend: Spinnen können durch elektrische Felder in die Luft gelangen, aber das geht eindeutig auch mit Wind. Ich nehme an, dass die Spinnen beides benötigen und auch nutzen. Es wird an allen Tagen leichte Luftbewegungen geben, und genauso gibt es in der Natur immer elektrische Felder. Biologie ist komplex, da gibt es kein entweder oder. Es sollte also beides zutreffen."
Wie groß eine Spinne sein darf, um durch elektrostatische Kräfte in der Luft gehalten werden zu können, hat die Forscherin noch nicht ermittelt. Biologen haben aber schon einen Zentimeter große Krabbenspinnen beim Ballooning beobachtet. Spinnen sind übrigens nicht die Einzigen, die das Ballooning beherrschen.
Auch manche Raupen und Spinnmilben nutzen den Fadenflug zur Ausbreitung. Ob sie ebenfalls ein Gespür für die elektrostatischen Kräfte der Natur besitzen, das ist eine der nächsten Forschungfragen von Erica Morley.
Auch manche Raupen und Spinnmilben nutzen den Fadenflug zur Ausbreitung. Ob sie ebenfalls ein Gespür für die elektrostatischen Kräfte der Natur besitzen, das ist eine der nächsten Forschungfragen von Erica Morley.