Dürfen Forscher Krankheitserreger gefährlicher machen? Diese Frage beschäftigte 2012 die interessierte Öffentlichkeit. Es ging um H5N1, eine Vogelgrippe. Gleich zwei Laboratorien wollten herausfinden, ob H5N1 das Potenzial besitzt, sich auch zwischen Menschen effektiv auszubreiten. Also mutierten sie den Erreger und es gelang ihnen tatsächlich, H5N1 Varianten zu erzeugen, die sich über die Luft verbreiten. Erkenntnis: H5N1 kann theoretisch eine Pandemie auszulösen. Risiko: In Labor existierte nun tatsächlich ein solches Pandemievirus. Damals wurden die Experimente unterbrochen, die Veröffentlichung lange hinausgezögert. Die Bundesregierung forderte den Deutschen Ethikrat auf, zum Thema Biosicherheit Stellung zu nehmen. Heute stellte er seine Position vor, DLF- Redakteur Volkart Wildermuth war dabei.
Ralf Krauter: Ist das Thema denn noch aktuell? Die Experimente laufen ja schon längst weiter.
Volkart Wildermuth: Gerade deshalb ist die Stellungnahme wichtig. Es wird auch unter Infektionsforschern nach wie vor kontrovers diskutiert, wie mit solchen Versuchen umgegangen werden soll. Es gibt zwar Richtlinien, hierzulande etwa von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, da steht drin, dass die Wissenschaftler natürlich genau zwischen den Risiken und dem Nutzen abwägen sollten, aber diese Empfehlungen sind doch recht allgemein. Dem Deutschen Ethikrat ist das zu wenig. Er fordert, solche Experimente von einem neuen Gremium begutachten, vielleicht sogar kontrollieren zu lassen.
Risiko Terrorismus
Krauter: Um welche Art von Experimente geht es?
Wildermuth: Da unterscheidet der Ethikrat zwei Kategorien. Einmal Versuche, die mehr oder weniger direkt von Terroristen für Anschläge genutzt werden könnten. Das nennt man Englisch DURC, das steht für Dual Use Research of Concern. Dazu gehören etwa Experimente, die Erreger gefährlicher machen, also wie im Fall der H5N1-Experimente. Andere Beispiel wären die Übertragung von Antibiotikaresistenzen auf problematische Bakterien oder das Wiederauferstehenlassen vergangener Erreger, wie das 2005 mit der spanischen Grippe gemacht worden ist. Theoretisch ermöglicht das noch junge Gebiet der synthetischen Biologie die Konstruktion ganz neuer Keime und die Hirnforscher könnten Stoffe entwickeln, die das Nervensystem außer Gefecht setzen. Aber neben dieses DURC Experiment gibt es noch einen breiten Bereich de Forschung, der auf längere Sicht missbraucht werden könnte. Das ist die Kategorie der Dual-Use-Forschung allgemein. Etwa Methoden zur Vernebelung von Wirkstoffen. Die können dann nicht nur in Asthmasprays eingesetzt werden, sondern auch, um Bakteriensporen zu verbreiten. In die gleiche Kategorie fallen auch mathematische Modelle zur Erregerausbreitung, mit denen Terroristen optimale Punkte zur Aussetzung von Keimen bestimmen könnten.
Krauter: Das ist ja ein ganz weites Feld, lässt sich das den regeln?
Wildermuth: Sicher nicht im Einzelfall, der Deutsche Ethikrat regt deshalb an, dass die deutschen Forscher selbst hier einen einheitlichen Kodex entwickeln. Da sind die DFG und die Nationale Akademie Leopoldina auch gerade dabei. Dieser Kodex muss dann auch in die Studienpläne aufgenommen werden. Bislang denken die meisten Forscher gar nicht darüber nach, ob ihre Experimente auf irgendeine Art missbraucht werden können. Das muss dringend geändert werden, so der Ethikrat. Das ist die wichtigste Basis für Sicherheit. Da gibt es wie gesagt auch einen breiten Konsens in der Forschung.
Krauter: Und wie sieht es mit der Arbeit an extrem gefährlichen Erregern aus. Gibt es denn da bislang keine Kontrollen?
Wildermuth: Gerade der Umgang mit hochinfektiösen Erregern ist in Deutschland vielfältig geregelt. Aber da geht immer die Sicherheit im Normalbetrieb im Vordergrund. Das heißt, die Bestimmungen sollen dafür sorgen, dass sich die Labormitarbeiter nicht anstecken und dass die Erreger das Labor auch nicht verlassen. Ob jemand mit den Experimenten auch missbrauchen könnte, sei es ein Terrorist oder ein Staat, das spielt keine Rolle. Es gibt zwar strenge Ausfuhrbestimmungen, aber das eigentliche Produkt der Wissenschaft, die Daten, die Informationen, die sind eigentlich nicht geregelt.
Eingriff in die Forschungsfreiheit?
Krauter: Und was will der Ethikrat nun anders machen?
Wildermuth: Für den Bereich der DURC-Experimente mit konkretem Missbrauchspotenzial fordert der Deutsche Ethikrat die Einrichtung einer Kommission, aus Forschern, Sicherheitsexperten und auch aus Vertretern der Zivilgesellschaft. Diese Kommission würde dann mit den Forschern den Nutzen und die Risiken ihrer geplanten Experimente diskutieren und dann eine Empfehlung abgeben und im Zweifelsfall auch vorschlagen, wie sich die Experimente am besten entschärfen lassen oder festlegen, dass nicht alles Details veröffentlicht werden. Ein Teil der Mitglieder des Deutschen Ethikrats fordert sogar, Versuche, die Erreger gefährlicher machen, gar nicht zu machen.
Krauter: Da höre ich die Forscher schon klagen: noch mehr Bürokratie, Eingriff in die Forschungsfreiheit und so weiter.
Wildermuth: Da ist natürlich was dran. Der Ethikrat schätzt aber, dass es im Jahr in Deutschland weniger als zehn problematische Versuche gibt, also ist der Eingriff begrenzt. Die Forscher stöhnen zwar immer gerne über die Bürokratie, etwa bei der Genehmigung von Tierversuchen oder bei gentechnischen Experimenten. Aber nach meinem Eindruck ist das nur am Anfang ein Problem, wenn eine Bestimmung neu ist, danach entwickelt sich schnell eine Routine. Und gerade am Anfang würde eine solche Pflicht, die Experimente unter dem Missbrauchsaspekt noch einmal neu zu überdenken, viel dazu beitragen, das Thema überhaupt auf die Tagesordnung zu setzten. Denn das ist am Ende die wichtigste Vorsorge, dass Wissenschaftler schon bei der Planung der Experimente diese Form der Risiken im Blick haben.