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Birgit Lahann
"...Wir werden auch durch die braune Scheiße kommen."

Wie verhielten sich Deutschlands Schriftsteller zur nationalsozialistischen Tyrannei? Hanns Johst applaudierte, Gerhart Hauptmann schwieg, Ulrich Boschwitz klagte an. Birgit Lahann skizziert in Fallbeispielen das geistige Szenarium am Tiefpunkt deutscher Geschichte.

Von Michael Kuhlmann |
    Collage. Buchcover: Birgit Lahann: "Wir sind durchs Rote Meer gekommen, wir werden auch durch die braune Scheiße kommen. Schriftsteller in Zeiten des Faschismus", Dietz Verlag. Hintergrundbild: Passanten vor einer zerstörten Fensterfront eines jüdischen Geschäfts in Berlin nach der Reichspogromnacht 1938.
    Es war kein wirtliches Land für europäisch orientierte Denker - jenes Deutschland in der NS-Zeit, von dem Birgit Lahann erzählt. (Dietz Verlag / picture alliance/Keystone)
    Am 3. Juli 1922, einem hellen Sommerabend, unternimmt der jüdische Publizist Maximilian Harden einen Gang durch Berlin-Grunewald. Da hört er hinter sich ein paar leise, hastige Schritte, dann wird ihm mit Wucht eine Eisenstange auf den Kopf geschlagen. Als Harden schon am Boden liegt, schlägt der Mann weiter zu, achtmal insgesamt. Mit knapper Not entgeht Harden dem Tod. Der Prozess gegen den Täter gerät zur Justiz-Farce: die Richter fassen den Angeklagten mit Samthandschuhen an. Maximilian Harden erlebt den Prozess als Nebenkläger - am letzten Tag ergreift er das Wort. Kurt Tucholsky verfolgt das Geschehen:
    "Es sprach unser letzter Europäer von Ruf. Es sprach ein Mann, mit dem noch einmal eine verklungene Welt aufstand, der Repräsentant einer fast verschollenen Epoche. Einer, der noch an Recht, an fair play, an Sitte und Anstand auch im Kampf der Meinungen glaubte. Über die Köpfe dieser Kleinbürger hinweg, die da um ihn herumsaßen, sprach einer, der die Sprache der Welt, nicht die Sprache dieses Deutschlands redete."
    Es war kein wirtliches Land für solch westlich orientierte Denker - jenes Deutschland zwischen 1914 und 1945, von dem Birgit Lahann in ihrem Buch erzählt. Allerdings - viele Schriftsteller kamen mit den Nazis gut zurecht. Ernst von Salomon und andere hatten ihnen das Terrain bereitet. Gerhart Hauptmann äußerte kein regimekritisches Wort. Und Hanns Johst schrieb an Heinrich Himmler, man möge doch Thomas Mann einmal für eine Weile ins KZ Dachau stecken. Da war Mann zu seinem Glück bereits in der Schweiz.
    Benn contra Mann - Bronnen contra Remarque
    Ins Auge fallen einst progressive Autoren, die sich zutiefst gewandelt hatten: vielfach waren es Karrieristen oder notorisch Zukurzgekommene. Arnolt Bronnen hatte 1922 mit Bertold Brecht zusammengearbeitet. 1930 aber war es Bronnen, der die berüchtigten weißen Mäuse laufenließ, als Nazis die Kinopremiere der Remarque-Verfilmung "Im Westen nichts Neues" störten. Auch Gottfried Benn mutierte nach Beginn der Diktatur flugs zum überzeugten Nazi. Klaus Mann warf Benn das 1933 in einem Brief aus dem französischen Exil vor.
    Doch Benn rechtfertigte sich noch 1950 in seiner Autobiographie "Doppelleben". Denn, so Birgit Lahann:
    "Er wollte dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wird - wollte sehen, wie ein Volk zum Phönix wird, ohne Gott, ohne Mitleid, das wollte der entfesselte Benn erleben. In seinem Doppelleben sieht er sich als Opfer."
    Die Zeichnung zeigt ein Porträt des deutschen Schriftstellers Gottfried Benn (1886-1956).
    Skizze des deutschen Schriftstellers Gottfried Benn (1886-1956). (picture-alliance / dpa / Bifab)
    Es war nicht die einzige Kontroverse zwischen Exilierten und Daheimgebliebenen. Walter Hasenclever beobachtete in seinem Roman "Irrtum und Leidenschaft" messerscharf kritisch, wie sich seine Schriftstellerkollegen zum Regime verhielten. Und Ulrich Boschwitz erzählte in "Der Reisende", wie ein jüdischer Kaufmann nach dem Novemberpogrom 1938 vor den braunen Häschern flüchtete: per Bahn kreuz und quer durch Deutschland - in atemloser Furcht.
    "Ulrich Boschwitz zeigt seinen Lesern, was er, ein 23-jähriger Emigrant, in Paris gewusst hat, was so viele Deutsche am Tatort gesehen und nicht gewusst haben wollen. Boschwitz weiß, wie die Juden geplündert wurden, er kennt die Raubzüge der Nazimeute, die in den Novembertagen ihren niedersten Instinkten freien Lauf ließen."
    Die Innere Emigration - ein Zeichen des Opportunismus?
    In Birgit Lahanns Buch geht es auch um die innere Emigration, am Beispiel Erich Kästners. Der atmete mit vielen Kollegen auf, als die Diktatur niedergerungen war. Allerdings hörte er bald darauf Radio: Dort erklärten die Sieger, eigentlich sei es Sache der Deutschen gewesen, der Tyrannei entgegenzutreten.
    "Das kränkt den Autor, der jahrelang schikaniert wurde, der Publikationsverbot hatte, von der Gestapo verhört wurde. [...] Da findet Kästner den Vorwurf der Sieger sehr zweideutig. Wer habe denn mit Hitler paktiert, als der Henker längst alle Karten offen auf den Tisch gelegt hatte?"
    Das geistige Klima einer finsteren Epoche
    Auch in diesem Sinne macht Birgit Lahanns Buch die ganze Zerrissenheit der Epoche deutlich. Freilich kommen nicht alle bedeutenden Schriftsteller zur Sprache: Alfred Döblin fehlt, und auch Lion Feuchtwanger, der schon 1930 in seinem Schlüsselroman "Erfolg" ein Portrait Hitlers gezeichnet hatte. Wer eine systematisch aufbereitete Geschichte der deutschen Literatur in der nationalsozialistischen Epoche erwartet, wird hier nicht fündig. Die Stärke des Buches liegt aber darin, wie griffig und eindringlich es seine Fallstudien auffächert und damit das Klima einer finsteren Epoche lebendig macht, in der es schon lange vor 1933 geistig kalt geworden war.
    Birgit Lahann: "Wir sind durchs Rote Meer gekommen, wir werden auch durch die braune Scheiße kommen. Schriftsteller in Zeiten des Faschismus",
    Dietz Verlag, 310 Seiten, 24,00 Euro.