Briefe zensieren oder Telefone abhören, waren nicht nur bei der Stasi üblich. Diese Methoden wurden auch in der Bundesrepublik nach 1945 praktiziert. Wie umfassend das passierte, und wie immens das Ausmaß war, zeigt nun der Freiburger Historiker Josef Foschepoth. Er durfte erstmals überhaupt geheime Akten der Bundesregierung zur Post- und Telefonüberwachung einsehen, die bislang unter Verschluss gehalten wurden. Was er zutage gefördert hat, könnte die Geschichte der Bundesrepublik ein klein wenig umschreiben, meint unser Rezensent Philipp Schnee, denn hier wurde am Rande des Verfassungsbruchs agiert. "Überwachtes Deutschland" heißt der Titel des Buches, das soeben erschienen ist. Und damit diese Überwachung auch erfolgreich sein konnte, war so einiges nötig:
Zur Grundausstattung gehörten ein Dampferzeuger, ein Bügeleisen, ein Fotoapparat, ein Blitzgerät, ein Koffer und ein Dienstwagen. Ferner verfügte jede Überwachungsstelle über eine Dunkelkammer und einen Panzerschrank.
Nein, dies ist keine Schilderung aus dem Film "Das Leben der Anderen", es geht hier nicht um die DDR. Der Freiburger Historiker Foschepoth zitiert hier vielmehr aus Akten des demokratischen und freiheitlichen Nachkriegs-Deutschlands: der Bundesrepublik. Überwacht jedoch wurde auch hier. Nicht nur marginal, sondern massiv und – wie der Historiker anhand bisher geheimer, im Bundesarchiv lagernder Akten belegt - hart am Rande des Verfassungsbruchs. Foschepoth resummiert:
"Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden jährlich Millionen von Postsendungen kontrolliert, geöffnet, beschlagnahmt, vernichtet oder zurück in den Postverkehr gegeben. Ebenso wurden Millionen von Telefongesprächen abgehört, Fernschreiben und Telegramme abgeschrieben und von den Besatzungsmächten und späteren Alliierten, aber auch von den Westdeutschen selbst zu nachrichtendienstlichen beziehungsweise strafrechtlichen Zwecken ausgewertet und genutzt."
Millionenfache Schnüffelei im demokratischen Westdeutschland? Um das zu erklären muss der Freiburger Historiker in seinem Buch "Überwachtes Deutschland" die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik in Erinnerung rufen: Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Konrad Adenauer ein, der erste Kanzler der Bundesrepublik. Der Rheinländer trieb die Einbindung der BRD ins westliche Bündnissystem voran, er kämpfte für ihre Souveränität. Was bisher aber kaum bekannt war: Adenauer zahlte für diese Souveränität einen hohen Preis. Denn die Siegermächte wollten keineswegs auf alle Sonderrechte, die sogenannten Vorbehaltsrechte verzichten. Dazu gehörten so bekannte, wie etwa das Recht, Truppen in Westdeutschland zu stationieren, aber eben auch eher unbekannte wie der Geheimdienstvorbehalt oder der Überwachungsvorbehalt.
Letztere erlaubten den Alliierten auch weiterhin, am Grundgesetz vorbei tief in die Grundrechte einzugreifen. Um zu vermeiden, dass die deutsche Öffentlichkeit von diesen brisanten Zugeständnissen erfuhr, verhinderte Adenauer, dass der Überwachungsvorbehalt im offiziellen Vertragstext des "Deutschlandvertrages" von 1955 auftauchte. Er schlug ein einseitiges Schreiben der Noch-Besatzungsmächte an die deutsche Bundesregierung vor, das diese Rechte festschreiben sollten:
"Ich habe die Geheimprotokolle gesehen und sehe dann, wie Adenauer Wort für Wort den Text dieses Briefes mit den Alliierten abstimmt. Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wirkt also mit den fremden Mächten an einer Umgehung der Verfassung aktiv mit, die dauerhaft das erlaubt, was die Verfassung nicht erlaubt."
Nämlich die Überwachung der Telefone, der Briefe, der Pakete in der Bundesrepublik ohne gesetzliche Regelung – eine solche erfolgte erst 13 Jahre später, zusammen mit den umstrittenen Notstandsgesetzen von 1968. Die Souveränität der Bundesrepublik, so das Fazit des Historikers, wurde vom ersten Kanzler durch Verfassungsbruch erkauft. Die Besatzungsmächte, die Briten und Franzosen, allen voran aber die USA nutzten diese ihnen eingeräumten Rechte über ihre Geheimdienste, der deutsche Staat bot Amtshilfe.
Aber auch die Bundesregierung selbst ordnete Überwachung an, getrieben von der antikommunistischen Stimmung der Zeit, und vom Propagandakrieg, der zwischen den beiden deutschen Staaten tobte. Um diese Überwachung irgendwie, trotz Grundrechtsverletzung, auf halbwegs legale Beine zu stellen, übte man sich in vielen juristischen Verrenkungen und Tricks, wie Foschepoth detailgenau anhand der Geheimakten schildert:
"Und so wurden die, ich sage es jetzt mal deutlich, die Postbeamten gezwungen, etwas das grundgesetzlich untersagt war, auf Anweisung des zuständigen Ministers durchzuführen. Da waren die Postbeamten dran, da waren die Eisenbahnbeamten dran, da waren die Zollbeamten beteiligt, da waren die Staatsanwälte beteiligt und die Richter."
Das heißt: Ohne ein explizites Gesetz konnte in der BRD nicht einfach der Geheimdienst für eine derartige Überwachung instrumentalisiert werden. Vielmehr wurden die Postbeamten über die sogenannte "Treuepflicht" gegenüber dem Staat gezwungen, verdächtige Sendungen auszusieben. Da man aber zur Öffnung der Post keine rechtliche Handhabe hatte, wurde die verdächtige Post an den Zoll weitergeleitet. Die Zollbestimmungen boten die rechtliche Krücke zum Eingriff ins Briefgeheimnis: "Denn es könnten ja"– so zitiert Foschepoth aus einer Quelle die kühn konstruierte Argumentation - "Diamanten oder Kokain versteckt" sein. Wenn man nun bei diesen Warenkontrollen "zufällig" auf verdächtiges Material stieß, konnte dies natürlich an die Staatsanwaltschaften weitergegeben werden. LKW-weise wurde, als Folge diese Verfahrens, in Gefängnissen die beanstandete Post aus der DDR geschreddert.
Zumeist handelte es sich um Propagandabroschüren und Zeitungen staatlicher Stellen, aber auch 6000 bis 8000 private Briefe wurden pro Monat einfach vernichtet. Jahrelang war niemand daran interessiert, diese massiven Eingriff in die Grundrechte der Bundesbürger auf gesetzlichem Wege zu regeln. Erst ab 1968 gab es ein Gesetz, das in einigen Ausnahmefällen die Verletzung des Brief- und Fernmeldegeheimnisses legalisierte. Wie viel "Überwachungsstaat" steckte nun in der guten, alten Bundesrepublik?
So richtig beantwortet wird diese Frage, die sich beim Lesen geradezu aufdrängt, nicht. Wer aus welchen Gründen überwacht wurde, ob vor allem Propagandamaterial aus dem Osten abgefangen wurde oder ob es auch die "Gesinnungsschnüffelei" in Omas Brief an den Enkel gab, wirklich Aufklärung gibt das Buch hier nicht. Hier hätte man sich mehr plastische Exempel gewünscht. Doch diese Schwäche des Buches ist auch der Quellenlage geschuldet. Foschepoth gelangte mit einer Sondergenehmigung an die Geheimakten der Ministerien, die die Verwaltungsabläufe schildern.
Die wirklich operativen Quellen, die Akten des BND, des MAD und des Verfassungsschutzes, sie blieben für den Historiker weiterhin unzugänglich. Foschepoth zielt mit seinem Werk ohnehin weniger auf einen "Gruselkabinett-Effekt". Ein brutaler Überwachungsstaat namens BRD – das ist nicht seine These.
Viel wichtiger ist es ihm, die Debatte um die Geschichte der Bundesrepublik wieder zu weiten, auch "Parallelitäten" in der Entwicklung der BRD und DDR zu entdecken. Zuletzt hatte sich die These von der "geglückten Demokratie" durchgesetzt, es wurde allein die Erfolgsgeschichte Westdeutschlands geschrieben. An diesem Hochglanz-Lack kratzt Foschepoth, und es gelingt ihm, einige rostige Stellen aufzuzeigen.
"Dann taucht die Frage auf: 'Was war das eigentlich nun so für eine Demokratie?' Sechzig Jahr nach Bestehen der Bundesrepublik muss diese bundesrepublikanische Entwicklung unbedingt an ihren eigenen Normen und Werten der Verfassung, denn das ist das entscheidend Neue gewesen, überprüft werden. Und dann stellen wir fest, dass Demokratie eine große Herausforderung ist, die immer wieder in Gefahren ist."
Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland: Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 378 Seiten, 34, 99 Euro, ISBN: 978-3-525-30041-1
Zur Grundausstattung gehörten ein Dampferzeuger, ein Bügeleisen, ein Fotoapparat, ein Blitzgerät, ein Koffer und ein Dienstwagen. Ferner verfügte jede Überwachungsstelle über eine Dunkelkammer und einen Panzerschrank.
Nein, dies ist keine Schilderung aus dem Film "Das Leben der Anderen", es geht hier nicht um die DDR. Der Freiburger Historiker Foschepoth zitiert hier vielmehr aus Akten des demokratischen und freiheitlichen Nachkriegs-Deutschlands: der Bundesrepublik. Überwacht jedoch wurde auch hier. Nicht nur marginal, sondern massiv und – wie der Historiker anhand bisher geheimer, im Bundesarchiv lagernder Akten belegt - hart am Rande des Verfassungsbruchs. Foschepoth resummiert:
"Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden jährlich Millionen von Postsendungen kontrolliert, geöffnet, beschlagnahmt, vernichtet oder zurück in den Postverkehr gegeben. Ebenso wurden Millionen von Telefongesprächen abgehört, Fernschreiben und Telegramme abgeschrieben und von den Besatzungsmächten und späteren Alliierten, aber auch von den Westdeutschen selbst zu nachrichtendienstlichen beziehungsweise strafrechtlichen Zwecken ausgewertet und genutzt."
Millionenfache Schnüffelei im demokratischen Westdeutschland? Um das zu erklären muss der Freiburger Historiker in seinem Buch "Überwachtes Deutschland" die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik in Erinnerung rufen: Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Konrad Adenauer ein, der erste Kanzler der Bundesrepublik. Der Rheinländer trieb die Einbindung der BRD ins westliche Bündnissystem voran, er kämpfte für ihre Souveränität. Was bisher aber kaum bekannt war: Adenauer zahlte für diese Souveränität einen hohen Preis. Denn die Siegermächte wollten keineswegs auf alle Sonderrechte, die sogenannten Vorbehaltsrechte verzichten. Dazu gehörten so bekannte, wie etwa das Recht, Truppen in Westdeutschland zu stationieren, aber eben auch eher unbekannte wie der Geheimdienstvorbehalt oder der Überwachungsvorbehalt.
Letztere erlaubten den Alliierten auch weiterhin, am Grundgesetz vorbei tief in die Grundrechte einzugreifen. Um zu vermeiden, dass die deutsche Öffentlichkeit von diesen brisanten Zugeständnissen erfuhr, verhinderte Adenauer, dass der Überwachungsvorbehalt im offiziellen Vertragstext des "Deutschlandvertrages" von 1955 auftauchte. Er schlug ein einseitiges Schreiben der Noch-Besatzungsmächte an die deutsche Bundesregierung vor, das diese Rechte festschreiben sollten:
"Ich habe die Geheimprotokolle gesehen und sehe dann, wie Adenauer Wort für Wort den Text dieses Briefes mit den Alliierten abstimmt. Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wirkt also mit den fremden Mächten an einer Umgehung der Verfassung aktiv mit, die dauerhaft das erlaubt, was die Verfassung nicht erlaubt."
Nämlich die Überwachung der Telefone, der Briefe, der Pakete in der Bundesrepublik ohne gesetzliche Regelung – eine solche erfolgte erst 13 Jahre später, zusammen mit den umstrittenen Notstandsgesetzen von 1968. Die Souveränität der Bundesrepublik, so das Fazit des Historikers, wurde vom ersten Kanzler durch Verfassungsbruch erkauft. Die Besatzungsmächte, die Briten und Franzosen, allen voran aber die USA nutzten diese ihnen eingeräumten Rechte über ihre Geheimdienste, der deutsche Staat bot Amtshilfe.
Aber auch die Bundesregierung selbst ordnete Überwachung an, getrieben von der antikommunistischen Stimmung der Zeit, und vom Propagandakrieg, der zwischen den beiden deutschen Staaten tobte. Um diese Überwachung irgendwie, trotz Grundrechtsverletzung, auf halbwegs legale Beine zu stellen, übte man sich in vielen juristischen Verrenkungen und Tricks, wie Foschepoth detailgenau anhand der Geheimakten schildert:
"Und so wurden die, ich sage es jetzt mal deutlich, die Postbeamten gezwungen, etwas das grundgesetzlich untersagt war, auf Anweisung des zuständigen Ministers durchzuführen. Da waren die Postbeamten dran, da waren die Eisenbahnbeamten dran, da waren die Zollbeamten beteiligt, da waren die Staatsanwälte beteiligt und die Richter."
Das heißt: Ohne ein explizites Gesetz konnte in der BRD nicht einfach der Geheimdienst für eine derartige Überwachung instrumentalisiert werden. Vielmehr wurden die Postbeamten über die sogenannte "Treuepflicht" gegenüber dem Staat gezwungen, verdächtige Sendungen auszusieben. Da man aber zur Öffnung der Post keine rechtliche Handhabe hatte, wurde die verdächtige Post an den Zoll weitergeleitet. Die Zollbestimmungen boten die rechtliche Krücke zum Eingriff ins Briefgeheimnis: "Denn es könnten ja"– so zitiert Foschepoth aus einer Quelle die kühn konstruierte Argumentation - "Diamanten oder Kokain versteckt" sein. Wenn man nun bei diesen Warenkontrollen "zufällig" auf verdächtiges Material stieß, konnte dies natürlich an die Staatsanwaltschaften weitergegeben werden. LKW-weise wurde, als Folge diese Verfahrens, in Gefängnissen die beanstandete Post aus der DDR geschreddert.
Zumeist handelte es sich um Propagandabroschüren und Zeitungen staatlicher Stellen, aber auch 6000 bis 8000 private Briefe wurden pro Monat einfach vernichtet. Jahrelang war niemand daran interessiert, diese massiven Eingriff in die Grundrechte der Bundesbürger auf gesetzlichem Wege zu regeln. Erst ab 1968 gab es ein Gesetz, das in einigen Ausnahmefällen die Verletzung des Brief- und Fernmeldegeheimnisses legalisierte. Wie viel "Überwachungsstaat" steckte nun in der guten, alten Bundesrepublik?
So richtig beantwortet wird diese Frage, die sich beim Lesen geradezu aufdrängt, nicht. Wer aus welchen Gründen überwacht wurde, ob vor allem Propagandamaterial aus dem Osten abgefangen wurde oder ob es auch die "Gesinnungsschnüffelei" in Omas Brief an den Enkel gab, wirklich Aufklärung gibt das Buch hier nicht. Hier hätte man sich mehr plastische Exempel gewünscht. Doch diese Schwäche des Buches ist auch der Quellenlage geschuldet. Foschepoth gelangte mit einer Sondergenehmigung an die Geheimakten der Ministerien, die die Verwaltungsabläufe schildern.
Die wirklich operativen Quellen, die Akten des BND, des MAD und des Verfassungsschutzes, sie blieben für den Historiker weiterhin unzugänglich. Foschepoth zielt mit seinem Werk ohnehin weniger auf einen "Gruselkabinett-Effekt". Ein brutaler Überwachungsstaat namens BRD – das ist nicht seine These.
Viel wichtiger ist es ihm, die Debatte um die Geschichte der Bundesrepublik wieder zu weiten, auch "Parallelitäten" in der Entwicklung der BRD und DDR zu entdecken. Zuletzt hatte sich die These von der "geglückten Demokratie" durchgesetzt, es wurde allein die Erfolgsgeschichte Westdeutschlands geschrieben. An diesem Hochglanz-Lack kratzt Foschepoth, und es gelingt ihm, einige rostige Stellen aufzuzeigen.
"Dann taucht die Frage auf: 'Was war das eigentlich nun so für eine Demokratie?' Sechzig Jahr nach Bestehen der Bundesrepublik muss diese bundesrepublikanische Entwicklung unbedingt an ihren eigenen Normen und Werten der Verfassung, denn das ist das entscheidend Neue gewesen, überprüft werden. Und dann stellen wir fest, dass Demokratie eine große Herausforderung ist, die immer wieder in Gefahren ist."
Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland: Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 378 Seiten, 34, 99 Euro, ISBN: 978-3-525-30041-1