Stefan Heinlein: "Trick or Treat", "Süßes oder Saures". Heute Abend in der Dämmerung sind die Geister los. Monster, Hexen und andere Schauergestalten ziehen durch die Straßen, klingeln an Türen und fordern Süßigkeiten. Halloween - noch bis vor wenigen Jahren war dieses Spukspektakel in Deutschland völlig unbekannt. Doch dank geschickter Marketingstrategien hat sich der vor allem in den USA populäre Brauch auch hierzulande etabliert. Kostüme, Masken und jede Menge Deko, ein gigantisches Geschäft für viele Branchen. Auch die Kürbisbauern verdienen kräftig mit. Für die beiden christlichen Kirchen ist dieser Spuk kein Spaß. Sie fürchten um ihre beiden Feiertage, den evangelischen Reformationstag heute und das katholische Hochfest Allerheiligen morgen. Vor allem bei vielen Jugendlichen hat das Gruselfest Halloween jedoch den christlichen Feiertagen längst den Rang abgelaufen.
Am Telefon nun. Guten Morgen!
Bischöfin Margot Käßmann: Guten Morgen!
Heinlein: Finden Sie auch Halloween ganz einfach schrecklich?
Käßmann: Offen gestanden finde ich es auch ziemlich schrecklich, aber ich kann natürlich verstehen, dass so was populär ist in so einer Zeit, in der auf einmal Hexenkulte neu entdeckt werden, das Gruseln, Harry Potter ganz oben ansteht. Aber es ist natürlich ein Trauerspiel für mich, dass im Land der Reformation, wo Weltgeschichte geschrieben wurde, Menschen überhaupt nicht mehr wissen, was da geschehen ist vor fast 500 Jahren.
Heinlein: Macht Ihnen das Geisterfest Angst?
Käßmann: Das Interessante ist ja, dass die Reformation gerade die Angst ausgetrieben hat und gesagt hat, Gott sagt den Lebenssinn zu, du brauchst gar keine Angst haben, schon gar nicht vor irgendwelchen Geistern, und auch keine Angst vor Gott. Dass so ein Kult jetzt mit viel Geld der Werbeindustrie bei uns implantiert wird und ja eigentlich total inhaltsleer ist - worum geht es da? -, das finde ich schon zum Teil erschreckend, dass man sagt, wir müssen uns entscheiden, hier etwas zu setzen, wo wir den Konsum anregen können, und das hat tatsächlich geklappt.
Heinlein: Also Halloween ganz einfach das Produkt einer erfolgreichen Marketingstrategie?
Käßmann: So sehe ich das auf jeden Fall.
Heinlein: Warum sind denn hohle Kürbisse so viel attraktiver als der kluge Kopf Martin Luther?
Käßmann: Ich denke ja, dass man das beides überhaupt nicht vergleichen kann. Wer an Martin Luther denkt wird aufgefordert, selbst nachzudenken, in der Bibel einmal selbst nachzulesen, die eigene Freiheit wahrzunehmen, sich eine eigene Meinung zu bilden zu großen religiösen, aber ja auch zu großen gesellschaftspolitischen Fragen. Das ist natürlich ein bisschen anstrengender, als etwa um einen Kürbis herumzutanzen. Ich denke, das lässt sich überhaupt nicht vergleichen. Da ist Tiefgang gefragt und der eigene Mensch mit seiner Verantwortung.
Heinlein: Ist Halloween vor diesem Hintergrund auch der Ausdruck einer Spaßgesellschaft, Hauptsache ein cooles Event, das Laune macht, und man will gar nicht nachdenken?
Käßmann: Das denke ich schon. Viele sprechen ja inzwischen von einer Karnevalisierung der deutschen Gesellschaft. Das ist tatsächlich so. Es muss Spaß machen, ein Gag sein und möglichst kommt nach Halloween dann ganz schnell irgendwie eine Glühweinparty und bloß nicht im November auch noch die stillen Tage Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag, Totensonntag wahrnehmen. Es ist schon der Versuch, abzulenken von den ernsten Fragen des Lebens.
Heinlein: Wie wird man nun die Geister wieder los?
Käßmann: Wir werden Halloween nicht total los werden können. Ich denke, das wird noch eine ganze Weile so laufen. Aber es wird sich meines Erachtens irgendwann auch totlaufen. Andererseits müssen wir als Kirchen auch ein bisschen kreativ sein, sage ich mal. Wir haben jetzt eine schöne Ralley beispielsweise in Schulen, die Spuren der Reformation in der Stadt entdecken. Ich denke, wenn jemand in Wittenberg nicht weiß, was da geschehen ist, dann ist das ein Trauerspiel. - Etwas auch mit einem Augenzwinkern das aufzunehmen, zu sagen "Hallo Luther" statt "Halloween", haben wir eine Aktion hier begonnen, und kreative Formen des Reformationsfestes zu feiern aufgenommen. Ich muss allerdings sagen, dass der Gottesdienstbesuch am Reformationstag gut ist. Wir versuchen eben, daran zu erinnern, was das damals bedeutet hat. Ich wünsche mir, dass das einerseits bei den Christen natürlich so ist, gerade bei den evangelischen Christen, dass sie sich auf Luther beziehen, aber dass im Land doch auch diese Kulturleistung Luthers gesehen wird. Er hat die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt, er hat die Fürsten aufgefordert, Schulen zu gründen für Mädchen und Jungen. Das war eine Bildungsbewegung ja auch.
Heinlein: Sind der Reformationstag und andere christliche Feiertage ganz einfach zu kopflastig für die Menschen? Muss die Kirche vielmehr die Emotionen der Menschen ansprechen, damit diese Feiertage wieder ins Bewusstsein rücken?
Käßmann: Ich denke, da müssen wir eine gute Balance finden. Auf der einen Seite können wir uns nicht anbiedern und sagen, wir machen irgendwie jetzt Christentum light, damit es leichter zu schlucken ist. Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass Menschen mit Herzen, Mund und Händen, mit allen Sinnen ihren Glauben leben wollen und nicht nur mit dem Kopf und dem Hören. Da lassen sich die Kirchen, denke ich, schon einiges einfallen. Für die reformatorische Bewegung ist die Musik ganz entscheidend und viele Menschen werden gerade auch durch Musik religiös bewegt. Unsere Klöster verzeichnen neue Nachfrage nach Zeiten der Stille, das Schweigen lernen, und ich nehme mal die Pilgerbewegung, die ja gut ökumenisch sich etabliert hat in Deutschland. Pilgern, auch Wandern mit Gott sozusagen, angelerntes Gehen mit einem Bibelvers im Gespräch über Gott und die Welt, das wird sehr angenommen.
Heinlein: Frau Käßmann, muss man vielleicht klar machen, dass Glauben auch Spaß machen kann?
Käßmann: Ich bin sehr dafür, weil ich denke, Glauben kann Spaß machen. Das ist eine Form von Lebensfreude, die allerdings tiefgründiger ist, denke ich, als ein kurzfristiger Halloween-Gag. Aber Martin Luther hat selber mal gesagt, das Evangelium kann nur mit Humor gepredigt werden. Das ist mir jedenfalls sehr wichtig. Griesgrämige Christen, das wäre für mich ein Widerspruch in sich selbst.
Heinlein: Sind die Katholiken da geschickter, Frau Käßmann? Karneval ist ja etwa durchaus integriert in den katholischen Festtagskalender.
Käßmann: Das ist sicher in der Tradition immer so gewesen, dass man gesagt hat, die Katholiken sind sinnlicher in ihrer Art zu feiern, die Protestanten sind so kopflastig. Ich glaube, da hat sich aber auch in dieser Art und Weise ökumenisch einiges entwickelt. In den katholischen Gottesdiensten gibt es inzwischen gute und interessante Predigten und in den evangelischen Kirchen hat sich die Spiritualität, also den Glauben mit allen Sinnen wahrnehmen, doch durchaus entwickelt und die Gottesdienste haben sich verändert. Das sind keine Veranstaltungen, wo sie etwas in 45 Minuten abhocken und gar nicht beteiligt sind, sondern ich erlebe viele fröhliche Gemeinden, die gemeinsam singen, feiern, beten und das auch so wahrnehmen.
Heinlein: Der Reformationstag - wir haben es in dem Beitrag gehört - ist nur in den fünf neuen Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag. Ist das auch ein Grund, warum dieser Tag in weiten Teilen der Gesellschaft weitgehend ignoriert wird?
Käßmann: Zum einen hätte ich den Reformationstag natürlich gerne als Feiertag, aber wir haben eben in dem Beitrag ja gehört: wenn es ein Feiertag ist, heißt es noch nicht, dass die Menschen wissen, was am Reformationstag geschehen ist. Mir ist wesentlich lieber, viele werden informiert darüber, was Reformation bedeutet, dass die Freiheit des Menschen vor Gott, das Gott vertrauen das Leben bestimmt. Ob es dann ein Feiertag ist oder nicht, ist dann letzten Endes zweitrangig.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, Margot Käßmann. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Käßmann: Auf Wiederhören!
Hinweis: Mehr zum Reformationstag finden Sie auf der Web-Seite der Evangelischen Kirche Deutschlands
Am Telefon nun. Guten Morgen!
Bischöfin Margot Käßmann: Guten Morgen!
Heinlein: Finden Sie auch Halloween ganz einfach schrecklich?
Käßmann: Offen gestanden finde ich es auch ziemlich schrecklich, aber ich kann natürlich verstehen, dass so was populär ist in so einer Zeit, in der auf einmal Hexenkulte neu entdeckt werden, das Gruseln, Harry Potter ganz oben ansteht. Aber es ist natürlich ein Trauerspiel für mich, dass im Land der Reformation, wo Weltgeschichte geschrieben wurde, Menschen überhaupt nicht mehr wissen, was da geschehen ist vor fast 500 Jahren.
Heinlein: Macht Ihnen das Geisterfest Angst?
Käßmann: Das Interessante ist ja, dass die Reformation gerade die Angst ausgetrieben hat und gesagt hat, Gott sagt den Lebenssinn zu, du brauchst gar keine Angst haben, schon gar nicht vor irgendwelchen Geistern, und auch keine Angst vor Gott. Dass so ein Kult jetzt mit viel Geld der Werbeindustrie bei uns implantiert wird und ja eigentlich total inhaltsleer ist - worum geht es da? -, das finde ich schon zum Teil erschreckend, dass man sagt, wir müssen uns entscheiden, hier etwas zu setzen, wo wir den Konsum anregen können, und das hat tatsächlich geklappt.
Heinlein: Also Halloween ganz einfach das Produkt einer erfolgreichen Marketingstrategie?
Käßmann: So sehe ich das auf jeden Fall.
Heinlein: Warum sind denn hohle Kürbisse so viel attraktiver als der kluge Kopf Martin Luther?
Käßmann: Ich denke ja, dass man das beides überhaupt nicht vergleichen kann. Wer an Martin Luther denkt wird aufgefordert, selbst nachzudenken, in der Bibel einmal selbst nachzulesen, die eigene Freiheit wahrzunehmen, sich eine eigene Meinung zu bilden zu großen religiösen, aber ja auch zu großen gesellschaftspolitischen Fragen. Das ist natürlich ein bisschen anstrengender, als etwa um einen Kürbis herumzutanzen. Ich denke, das lässt sich überhaupt nicht vergleichen. Da ist Tiefgang gefragt und der eigene Mensch mit seiner Verantwortung.
Heinlein: Ist Halloween vor diesem Hintergrund auch der Ausdruck einer Spaßgesellschaft, Hauptsache ein cooles Event, das Laune macht, und man will gar nicht nachdenken?
Käßmann: Das denke ich schon. Viele sprechen ja inzwischen von einer Karnevalisierung der deutschen Gesellschaft. Das ist tatsächlich so. Es muss Spaß machen, ein Gag sein und möglichst kommt nach Halloween dann ganz schnell irgendwie eine Glühweinparty und bloß nicht im November auch noch die stillen Tage Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag, Totensonntag wahrnehmen. Es ist schon der Versuch, abzulenken von den ernsten Fragen des Lebens.
Heinlein: Wie wird man nun die Geister wieder los?
Käßmann: Wir werden Halloween nicht total los werden können. Ich denke, das wird noch eine ganze Weile so laufen. Aber es wird sich meines Erachtens irgendwann auch totlaufen. Andererseits müssen wir als Kirchen auch ein bisschen kreativ sein, sage ich mal. Wir haben jetzt eine schöne Ralley beispielsweise in Schulen, die Spuren der Reformation in der Stadt entdecken. Ich denke, wenn jemand in Wittenberg nicht weiß, was da geschehen ist, dann ist das ein Trauerspiel. - Etwas auch mit einem Augenzwinkern das aufzunehmen, zu sagen "Hallo Luther" statt "Halloween", haben wir eine Aktion hier begonnen, und kreative Formen des Reformationsfestes zu feiern aufgenommen. Ich muss allerdings sagen, dass der Gottesdienstbesuch am Reformationstag gut ist. Wir versuchen eben, daran zu erinnern, was das damals bedeutet hat. Ich wünsche mir, dass das einerseits bei den Christen natürlich so ist, gerade bei den evangelischen Christen, dass sie sich auf Luther beziehen, aber dass im Land doch auch diese Kulturleistung Luthers gesehen wird. Er hat die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt, er hat die Fürsten aufgefordert, Schulen zu gründen für Mädchen und Jungen. Das war eine Bildungsbewegung ja auch.
Heinlein: Sind der Reformationstag und andere christliche Feiertage ganz einfach zu kopflastig für die Menschen? Muss die Kirche vielmehr die Emotionen der Menschen ansprechen, damit diese Feiertage wieder ins Bewusstsein rücken?
Käßmann: Ich denke, da müssen wir eine gute Balance finden. Auf der einen Seite können wir uns nicht anbiedern und sagen, wir machen irgendwie jetzt Christentum light, damit es leichter zu schlucken ist. Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass Menschen mit Herzen, Mund und Händen, mit allen Sinnen ihren Glauben leben wollen und nicht nur mit dem Kopf und dem Hören. Da lassen sich die Kirchen, denke ich, schon einiges einfallen. Für die reformatorische Bewegung ist die Musik ganz entscheidend und viele Menschen werden gerade auch durch Musik religiös bewegt. Unsere Klöster verzeichnen neue Nachfrage nach Zeiten der Stille, das Schweigen lernen, und ich nehme mal die Pilgerbewegung, die ja gut ökumenisch sich etabliert hat in Deutschland. Pilgern, auch Wandern mit Gott sozusagen, angelerntes Gehen mit einem Bibelvers im Gespräch über Gott und die Welt, das wird sehr angenommen.
Heinlein: Frau Käßmann, muss man vielleicht klar machen, dass Glauben auch Spaß machen kann?
Käßmann: Ich bin sehr dafür, weil ich denke, Glauben kann Spaß machen. Das ist eine Form von Lebensfreude, die allerdings tiefgründiger ist, denke ich, als ein kurzfristiger Halloween-Gag. Aber Martin Luther hat selber mal gesagt, das Evangelium kann nur mit Humor gepredigt werden. Das ist mir jedenfalls sehr wichtig. Griesgrämige Christen, das wäre für mich ein Widerspruch in sich selbst.
Heinlein: Sind die Katholiken da geschickter, Frau Käßmann? Karneval ist ja etwa durchaus integriert in den katholischen Festtagskalender.
Käßmann: Das ist sicher in der Tradition immer so gewesen, dass man gesagt hat, die Katholiken sind sinnlicher in ihrer Art zu feiern, die Protestanten sind so kopflastig. Ich glaube, da hat sich aber auch in dieser Art und Weise ökumenisch einiges entwickelt. In den katholischen Gottesdiensten gibt es inzwischen gute und interessante Predigten und in den evangelischen Kirchen hat sich die Spiritualität, also den Glauben mit allen Sinnen wahrnehmen, doch durchaus entwickelt und die Gottesdienste haben sich verändert. Das sind keine Veranstaltungen, wo sie etwas in 45 Minuten abhocken und gar nicht beteiligt sind, sondern ich erlebe viele fröhliche Gemeinden, die gemeinsam singen, feiern, beten und das auch so wahrnehmen.
Heinlein: Der Reformationstag - wir haben es in dem Beitrag gehört - ist nur in den fünf neuen Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag. Ist das auch ein Grund, warum dieser Tag in weiten Teilen der Gesellschaft weitgehend ignoriert wird?
Käßmann: Zum einen hätte ich den Reformationstag natürlich gerne als Feiertag, aber wir haben eben in dem Beitrag ja gehört: wenn es ein Feiertag ist, heißt es noch nicht, dass die Menschen wissen, was am Reformationstag geschehen ist. Mir ist wesentlich lieber, viele werden informiert darüber, was Reformation bedeutet, dass die Freiheit des Menschen vor Gott, das Gott vertrauen das Leben bestimmt. Ob es dann ein Feiertag ist oder nicht, ist dann letzten Endes zweitrangig.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, Margot Käßmann. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Käßmann: Auf Wiederhören!
Hinweis: Mehr zum Reformationstag finden Sie auf der Web-Seite der Evangelischen Kirche Deutschlands