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Bischof Oster zum Weihnachtsfest
"Ich mache mir Sorgen um unsere Demokratie"

Für den katholischen Bischof Stefan Oster ist es kein Zufall, dass Demokratien vor allem dort funktionieren, wo eine christliche Kultur vorausgegangen ist. "Entchristlichung trägt zur Instabilität der Demokratie bei", sagte Oster im Interview der Woche des Deutschlandfunks.

Stefan Oster im Gespräch mit Andreas Main |
    Der Passauer Bischof Stefan Oster mit erhobenen Händen
    Der Passauer Bischof Stefan Oster sieht den christlichen Glauben als wichtige Basis für die Demokratie (picture alliance / dpa / Armin Weigel)
    Andreas Main: Lieber Herr Oster, Sie sind katholischer Bischof. Sie wirken jung, sind aber Jahrgang 1965. Sie waren Journalist. Sie haben ein Leben geführt wie viele unserer Generation, bis Sie 30 waren und Ordensmann wurden. Bevor wir auf die großen Fragen von Politik und politischer Kultur kommen, sind Sie mit Ihrer Vergangenheit ein Zukunftsmodell oder ein Exot in dieser Kirche?
    Stefan Oster: Das kann ich nicht sagen, weil ich glaube, wenn wir von Berufung sprechen, dann beruft Gott jeden Einzelnen aus bestimmten Lebenssituationen. Und ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch ein absolut unverwechselbares Individuum ist und unvertauschbar Person ist. Und deswegen kann man keinen Typus daraus schnitzen. Bei mir war es halt so. Bei jedem anderen ist es wieder anders.
    Main: Sie leben hier in Passau am Domplatz in einer Wohngemeinschaft mit drei Frauen. WGs zeichnen sich auch durch Konflikte aus: Putzen, Spülen, Müll. WGs sind somit irgendwie letzten Endes auch politisch. Was ist für Sie die Herausforderung schlechthin in dieser Lebensform?
    Oster: Die Herausforderung ist für mich erstens mal, dass ich jetzt mit drei Frauen zusammenlebe. Das ist gar nicht so ganz einfach. Aber vorher war auch noch ein Mann dabei. Der war zwei Jahre dabei und hat sich dann entschieden wieder auszuziehen. Und jetzt bin ich mit drei Frauen. Und das Herausfordernde jetzt konkret bei uns ist, dass sich schon vieles nach meinem Dienst richtet. Die leben gewissermaßen, die orientieren sich nach den Zeiten, in denen ich da bin. Da passiert dann das gemeinsame Leben. Und ganz wichtig ist für mich, dass wir miteinander geistlich leben, also, dass wir miteinander reden und den Gottesdienst feiern, wenn ich zu Hause bin. Und das stützt mich und stärkt mich sehr.
    "Wir haben in Europa einen Führungsanspruch"
    Main: Herr Bischof, Stabilität ist gerade ein Wort, das in aller Munde ist. Wir brauchen eine stabile Regierung, heißt es allenthalben. Diejenigen, die sagen, wir kommen auch mit einer weniger stabilen Regierung aus, die sind eher in der Minderheit. Sie als jemand, der ein Bistum zu führen hat und der das womöglich auch stabil machen möchte: Fehlt Ihnen eine stabile Regierung in Berlin?
    Oster: Ja, wenn ich jetzt auf Europa schaue, dann spüre ich, dass sich in manchen Diskussionen in der europäischen Debatte sich die Deutschen zurzeit eher enthalten, zurzeit eher raushalten. Aber ich glaube durchaus, dass wir in Europa natürlich einen Führungsanspruch haben, mit dem politischen, gesellschaftlichen, moralischen Gewicht, das wir haben. Und da ist es nicht gut, wenn wir zurzeit gewissermaßen für Europa nicht so entscheidungsfähig sind. Und ja, es ist sinnvoll, dass wir möglichst bald eine stabile Regierung haben. Und ich habe auch nicht so wahnsinnig viel übrig für das Thema Minderheitenregierung, weil es einfach gut ist, aus einer gelassenen Mehrheit heraus auch gelassen Themen diskutieren zu können.
    Main: Also: Erst das Land, dann die Partei! Würden Sie empfehlen: Augen zu und durch?
    Oster: Schwierige Frage. Natürlich geht es auch immer um die Identität der Partei. Die SPD leidet ja darunter, dass Angela Merkel viele ihrer Themen aufgreift und auch mitbesetzt. Und das war ja das Thema von Martin Schulz gleich nach der Wahl, dass er gewissermaßen eingestanden hat, dass die SPD in dieser Großen Koalition ganz viel an ihrem eigenen Profil verloren hat. Und dann hat er ganz klar und laut gesagt: 'Also, wir machen auch keinen Fall mit bei einer Großen Koalition, weil wir erst mal wieder Profil gewinnen müssen.' Mit einigem Recht, ja. Und jetzt sind sie wieder in der schwierigen Situation, dass sie wieder mitmachen sollen, wollen, mehr sich da hindrängen lassen. Aber zugunsten des Landes ist es natürlich wichtig, dass wir auch da eine stabile Regierung kriegen.
    "Wo Demokratien funktionieren, ist eine christliche Kultur vorausgegangen"
    Main: Vor mir sitzt ein Kirchenmann. Eine Kirche, die seit 2000 Jahren mehr oder weniger stabil ist. Wir leben in einer Demokratie, die hervorgegangen ist aus einem massenmörderischen Nazi-Regime und einer menschenfeindlichen DDR-Diktatur. Wie erleben Sie den Zustand unserer Demokratie? Funktioniert die? Ist die stabil?
    Oster: Ich mache mir gerade Sorgen um unsere Demokratie. Und ich glaube ehrlich gesagt, es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen dem christlichen Fundament und einer funktionierenden Demokratie. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass in den allermeisten Ländern, wo Demokratien funktionieren, eine christliche Kultur vorausgegangen ist, eine Kultur, die die Personenwürde achtet, die die Menschenwürde, die Freiheit der Menschen achtet, die auf Diskurs aus ist und aufbaut.
    Und, wenn wir Entkonfessionalisierung im breiten Raum erleben - so wie wir es jetzt eben erleben in unserer Gesellschaft - dann bricht etwas von diesem Fundament weg, das uns eigentlich trägt. Das berühmte Wort von Ernst-Wolfgang Böckenförde, dem Verfassungsrechtler, der gesagt hat: 'Ein Rechtsstaat, ein freier Rechtsstaat lebt von Voraussetzungen, die er selber nicht garantieren kann'.
    Also, was sind die Voraussetzungen? Ja, dass die Menschen sagen: Wir wollen unseren Teil einbringen. Wir wollen solidarisch sein. Wir wollen nicht korrupt sein. Solche Dinge kann man nicht einfach herstellen. Die leben von einem Fundament, das schon da ist. Und wer, wenn nicht wir, könnte dieses Fundament liefern? Also, auch die Entchristlichung und Entkonfessionalisierung trägt zur Instabilität der Demokratie bei.
    Bischof Stefan Oster sitzt im Studio des Bayerischen Rundfunks Andreas Main gegenüber
    Bischof Stefan Oster im Studio des Bayerischen Rundfunks in Passau im Gespräch mit Andreas Main (Deutschlandradio / Andreas Main)
    Main: Sie plädieren also dafür, dass alle Parteien, auch die C-Parteien, das C stärker betonen?
    Oster: Ja. Also die Betonung ist natürlich das eine. Das andere ist ein echtes Leben aus dem Glauben. Wissen Sie, wenn ich mir das einfach nur auf die Fahnen schreibe und dann heuchlerisch bin, dann hat es auch keinen Wert. Aber Bekehrung kann man nicht verordnen.
    Main: Wir sitzen hier in Bayern, in Passau. Bayern ist auch evangelisch, aber hier in Passau ist es vor allem katholisch. Es ist das Bistum mit dem höchsten Katholikenanteil bundesweit. Im nächsten Jahr bekommen Sie einen evangelischen Ministerpräsidenten. Hätten Sie lieber einen katholischen - oder können Sie mit dem leben, der da kommt: mit Markus Söder?
    Oster: Wir versuchen mit jedem zurechtzukommen. Und wir haben ja übrigens schon mal auch einen evangelischen Ministerpräsidenten gehabt.
    Main: Beckstein.
    Oster: Beckstein war mal, wenn auch nur für kurze Zeit, Ministerpräsident. Söder ist auch Synodale seiner Kirche. Also, ich gehe davon aus, dass wir gut miteinander zurechtkommen.
    "Für die CSU richtig schwierig"
    Main: Sie werden sich jetzt hier nicht parteipolitisch äußern, aber Sie sind im Kontakt mit den Menschen, mit 500.000 Katholiken in Ihrem Bistum. Sie nehmen gesellschaftliche Strömungen wahr. Von daher finde ich die Frage spannend: Inwieweit beobachten Sie, dass die CSU ihre Basis verliert, oder dass die ins Schwanken oder Schwimmen kommt?
    Oster: Ja, das ist schon eine Herausforderung für die CSU. Die ganze Thematik der Flüchtlinge, die die CSU auch so umgetrieben und beschäftigt hat, da ist schon einiges passiert, auch hier in Bayern. Wir haben auch im Bayerischen Wald ganz starke Verluste zugunsten einer anderen Partei. Das ist für die CSU richtig schwierig.
    Und ich glaube auch, die Schwankungen, die sie innerparteilich haben, auch die Flügelkämpfe, die sie innerparteilich haben, das Verhältnis zur Bundesregierung, das hat alles auch mit dazu geführt, dass die Menschen nicht so ganz sicher waren, sich, in der CSU. Aber ich gehe schon davon aus, das ist irgendwie in Bayern auch so verwurzelt, dass sich das alles auch wieder stabilisiert.
    Main: Von wem stammt der Satz - Zitat - 'Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben?'
    Oster: Von Franz-Josef Strauß.
    Main: Würden Sie den Satz unterschreiben?
    Oster: Ach, ich bin kein Politiker. Ich bin Bischof und Ordensmann.
    Main: Freuen Sie sich darüber?
    Oster: Mein Ordensvater, Don Bosco, der hat gesagt: 'Unsere Politik ist die des Vaterunsers und wir bringen uns mit dem, was wir haben, in die Gesellschaft ein.' Und insofern möchte ich mich dazu nicht äußern.
    "Anspruch, für alle Menschen da zu sein"
    Main: Sie haben eben eine Partei nicht mit Namen benannt. Wie gehen Sie mit Menschen um, die Ihnen als Bischof gegenüber bekennen, dass sie Katholik sind einerseits, dass sie aber auch Wähler der Alternative für Deutschland sind?
    Oster: Ich muss als jemand, der den Anspruch hat, für alle Menschen da zu sein und offen zu sein, mit allen Menschen reden und Kontakt haben. Und wir diskutieren miteinander. Sie wissen auch, dass es in dieser Frage auch im Blick auf die Kirchen einen radikalen Wandel gegeben hat, zum Beispiel im Blick auf die Grünen. Vor wenigen Jahrzehnten in der Gründungsphase der Grünen galten die Grünen auch für Kirchen fast als nicht - wie soll ich sagen -gesprächsfähig.
    Main: Das Tischtuch ist zerschnitten.
    Oster: Das Tischtuch war zerschnitten. Heute vertreten die Grünen immer noch ähnliche Positionen, zum Beispiel im Blick auf das Thema Lebensschutz. Und trotzdem sind sie voll etabliert in der Mitte der politischen Gesellschaft angekommen. Und heute wird keiner so eine Frage stellen, wie Sie jetzt gestellt haben mit Blick auf die AfD, mit Blick auf die Grünen, obwohl sich die Themen im Grunde auch nicht so wahnsinnig geändert haben.
    Main: Sodass Sie glauben, dass sich das Verhältnis entkrampfen wird?
    Oster: Das Verhältnis wird sich in jedem Fall entkrampfen. Das hat jetzt natürlich die politische Landschaft sehr stark durcheinandergebracht und man versucht sich jetzt halt, zu profilieren auch durch Abgrenzung. Aber ich muss mit jedem Menschen sprechen können.
    "Bayerisch pragmatische Gelassenheit in der Flüchtlingskrise"
    Main: Passau war das Epizentrum schlechthin in der Flüchtlingskrise. Es kamen wohl 8000 Migranten hier an, und zwar täglich. Einerseits die Erfahrung der Hilfsbereitschaft, andererseits die Erfahrung des Kontrollverlusts an den Grenzen. Wie hat das die Menschen hier in Ihrem Bistum geprägt?
    Oster: Also, ich habe erlebt, und da war ich wirklich sehr stolz auf die Menschen hier im Bistum, dass eine große pragmatische Gelassenheit hier geherrscht hat. Es war sicherlich auch durch die leitenden Figuren - jetzt ganz konkret hier bei uns der Oberbürgermeister und der Landrat -, die in guter Kooperation auch mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften, auch mit uns sehr gut kooperiert haben.
    Wir haben im Grunde gesagt, wir krempeln die Ärmel hoch und wir bewältigen das. Angela Merkel hat gesagt: 'Wir schaffen das.' Bei uns hat man eigentlich gesagt: 'Ja, wir stellen uns zur Verfügung. Wo wir helfen können, helfen wir.' Und es gab zumindest in der Zeit aus meiner Sicht gar keine schwierige Stimmung.
    Da und dort habe ich es erlebt bei Menschen - Polizisten und Grenzbeamten –, die mit dem Durcheinander nicht klargekommen sind. Ich habe also dann mit Leuten gesprochen, die an der Grenze kontrollieren und gesagt haben: 'Wie geht denn das? Am Bahnhof kontrollieren wir anders als an der grünen Grenze und wieder anders am Flughafen? Wir haben keine einheitliche Linie mehr. Irgendwie kommen alle rein. Was soll man jetzt machen? Wann hört das auf?'
    Also, da war zwischendrin große Frustration zu spüren und auch ein bisschen gefährliches Potenzial, glaube ich. Aber das hat sich auch gelegt mit diesem Pragmatismus, den ich erlebt habe, haben wir das auch mit deutscher Organisationskraft, glaube ich - oder auch bayrischer - ganz gut hinbekommen.
    Main: Sie hören den Deutschlandfunk, das Interview der Woche mit Stefan Oster, Bischof von Passau. In Betlehem geboren, der Jude Jesus von Nazareth, ein Steinwurf entfernt, in Jerusalem, wird er als 'König der Juden' verurteilt. Wie stark sollte aus Ihrer Sicht, aus der Sicht des Dogmatikers und Bischofs, wie stark sollten die jüdischen Wurzeln des Christentums betont werden?
    Oster: Sehr stark. Ich gehe da ganz konform mit Papst Johannes Paul II., der neu gefragt hat, auch als Theologe: 'Ist denn der sogenannte Alte Bund, was wir als das Alte Testament lesen, ist der eigentlich gekündigt?' Die Kirche hat jahrhundertelang in einer Art Ersatztheorie sich als das 'neue Volk Gottes', als das 'neue Israel' verstanden - mit dem Hintergrund, dass der Alte Bund gewissermaßen hinfällig ist und nicht mehr zählt. Und das war, glaube ich, über Jahrhunderte auch eine theologische Fehlleistung, die Johannes Paul II. aufgearbeitet hat und der immer von den älteren Brüdern gesprochen hat.
    Wir stehen auf dem Fundament des Judentums. Jesus war Jude, seine Mutter war Jüdin, Josef war … alle Apostel waren Juden. Die verehren wir alle. Und es gibt eine große Kontinuität zwischen dem Volk des Alten Bundes, das immer noch mit Gott unterwegs ist und den christlichen Geschwistern.
    "Jede Form des Antisemitismus gänzlich ausgeschlossen"
    Main: Und wir erleben in diesen Tagen in Berlin und in anderen Städten in einem Land, in dem vor nicht allzu langer Zeit Synagogen brannten, erleben wir brennende Israelflaggen. Ihr Dogmatiker-Kollege Jan-Heiner Tück hat das 'Volk Israel' mit dem Propheten Sacharja als 'Gottes Augapfel' bezeichnet. Welche Konsequenzen hätte dieses Bild angesichts des Judenhasses, wie er entflammt in diesen Tagen?
    Oster: Also, ich kann nur sagen, dass wir als Christinnen und Christen mit aller Konsequenz auf der Seite unserer jüdischen Geschwister stehen müssen. Also, für uns ist jede Form des Antisemitismus gänzlich ausgeschlossen. Das war nicht immer in der Geschichte so, aber in der Geschichte wird auch manches überzeichnet, wie die katholische Kirche angeblich auf die Juden reagiert habe. Da wird auch vieles entstellt. Aus heutiger Sicht ist Antisemitismus für uns völlig unmöglich und undenkbar.
    Main: Die brennenden Flaggen waren eine Reaktion auf eine Hauptstadtfrage. Zu der können Sie sich als Bischof nicht äußern. Dennoch, mit Blick auf Jerusalem, was machen Juden, Christen und Muslime falsch in der Region?
    Oster: Schwierige Frage, weil …
    Main: Große Frage.
    Oster: Ja, Riesenfrage, weil das so eine komplexe Angelegenheit ist. Und ich glaube auch, wer von außen hier ein Urteil drauflegen würde, der täuscht sich schon, indem er das überhaupt versucht.
    Für uns ist einfach ganz wichtig, dass Jerusalem eine so symbolisch aufgeladene Stadt ist, dass wir glauben als Christen, die muss immer frei sein in ihrem Zugang für Gläubige aller Religionen, die da involviert sind. Das ist die 'heilige Stadt' der Juden zu allererst. Es ist die 'heilige Stadt' der Christinnen und Christen. Aber es ist auch eine 'heilige Stadt' der Muslime. Und alle Gläubigen dieser Religionen müssen Zugang zu Jerusalem haben. Das ist für uns ganz, ganz wichtig. Und das ist auch, glaube ich, Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Amerikas, dass wir ermöglichen müssen, dass dieser Zugang möglich ist.
    Main: Sie haben eben vom symbolischen Aufgeladen-Sein der Stadt gesprochen. Vielleicht wäre es ja eine Strategie, symbolisch ein wenig zu entladen.
    Oster: Ich weiß nicht, ob das überhaupt gelingt. Also, das liegt ja in den Herzen der Menschen. Also, Jerusalem ist auch im Alten Testament die Sehnsucht der Völker. In den Psalmen wird gesungen: 'Wenn ich an dich nicht mehr denke, dann soll' - weiß ich was - 'mir die Hand abfallen.' Oder … also, solche Dinge. Das ist auch in unseren heiligen Texten: Jerusalem wird immer als der Sehnsuchtsort der Völker beschrieben.
    Main: Zion.
    Oster: Zion, die Tochter Zion, die Tochter Jerusalems- das ist gewissermaßen Bild für das ganze Volk. Und der Ort, wo der Erlöser gelebt hat, auch gekreuzigt worden ist, auch Auferstehung passiert ist. Das ist völlig unmöglich zu sagen, wir entladen jetzt mal diese symbolische Kraft, die von diesem Ort ausgeht.
    Main: Die Deutsche Bischofskonferenz hat vor wenigen Tagen zusammen mit der Evangelischen Kirche eine Stellungnahme zur Religionsfreiheit vorgelegt beziehungsweise zur weltweiten Verfolgung von Christen. Am zweiten Weihnachtstag wird bundesweit für verfolgte und bedrohte Christen gebetet in den Kirchen. Wo sind aus Ihrer Sicht die Probleme besonders krass zurzeit?
    Oster: Ja, wir sehen ja natürlich, dass im Grunde überall dort, wo es eine starke muslimische Mehrheit gibt, wo damit sich dann auch das muslimische Gesetz, die Scharia, durchsetzt, dass da das Thema Religionsfreiheit am problematischsten ist.
    Man kann natürlich noch Nordkorea dazu nehmen. Da ist es, glaube ich, am allerschlimmsten. Oder auch China und Vietnam, also kommunistisch dominierte Länder. Das sind die Länder, wo es am schwierigsten ist. Und das hängt natürlich auch mit dem gesellschaftlichen oder religiösen Hintergrund zusammen.
    "Der Kontakt mit jungen Menschen ist mir sehr wichtig"
    Main: Stefan Oster, Bischof von Passau, im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Oster, Sie sind in der Deutschen Bischofskonferenz zuständig für Jugend. Sie sind quasi der Jugendminister - oder sagen wir lieber: Jugendbischof. Nun sind wir beide zwei alte Männer, auch, wenn Sie sich besser gehalten haben als ich.
    Oster: Ich habe schon eine künstliche Hüfte. Sieht man nur nicht.
    Main: Bei all dem Tempo von Veränderung, von Wechsel der Moden im Digitalen und so weiter - wie schaffen Sie es, dranzubleiben an dem, was so Jugend genannt wird?
    Oster: Ich versuche alle 14 Tage wenigstens - nein, eigentlich jede Woche – junge Menschen zu treffen und mit ihnen im Gespräch zu sein. Also, natürlich nur sofern sie es wollen. Das ist ein Kreis von Jugendlichen, die mit mir auch Diskussionen über Glauben und Gebetszeiten organisieren. Das heißt, es ist eher - jetzt von außen gesehen - eine frömmere Fraktion. Aber die sind natürlich trotzdem Jugendliche und junge Erwachsene mitten in dieser Zeit und mitten in dieser Welt. Und da kriege ich schon was mit.
    Und zwei meiner Mitbewohnerinnen sind 25 und 30. Die leben auch nicht außerhalb der Welt. Und, ja, also, ich versuche den Kontakt mit den Jugendlichen zu halten. Ich gehe relativ häufig auch in Schulen, um mit jungen Menschen zu diskutieren.
    Natürlich haben wir unsere Jugendverbände, die ich regelmäßig treffe und auf deren Versammlungen und Events ich immer wieder hingehe. Also, der Kontakt mit jungen Menschen ist mir sehr wichtig.
    "Schlechte Übersetzung in die Sprache der Jugendlichen"
    Main: In einem knappen Jahr wird es im Vatikan eine groß angelegte Jugendsynode geben. Sie haben hier in Deutschland zur Vorbereitung dieser Synode eine groß angelegte Bestandsaufnahme veröffentlicht. Die ist selbstkritisch und zugleich optimistisch ausgefallen. Sie haben von einem 'kirchlichen Kommunikationsdefizit' gesprochen. Worin besteht das - gegenüber Jugendlichen?
    Oster: Ja, wir haben, wenn wir fragen, warum Jugendliche die Kirche verlassen oder sich entfremden, dann haben wir im Grunde drei große Blöcke. Der erste Block und erstaunlicherweise - zumindest sind das amerikanische Umfragen, die ähnliche Probleme haben wie wir - der erste Block mit etwa einem Viertel der Jugendlichen, die stoßen sich natürlich an den ganzen Themen rund um Sexualität. Also, da gehört Zölibat dazu. Da gehört die Frage nach Geschiedenen, Wiederverheirateten dazu. Da gehört das Thema Homosexualität dazu. All die Fragen, wo sie empfinden, dass die Kirche etwas vertritt, was nicht in diese Zeit passt, stößt sie ab und lässt große Fragen bei ihnen.
    Ein zweites noch größeres Feld mit, glaube ich, über der Hälfte der Jugendlichen nach solchen Umfragen, stößt sich an der Frage oder bringt sie nicht zusammen: Wie kann man ein modernes wissenschaftliches oder auch von dieser Gesellschaft geprägtes Weltbild überhaupt kompatibel machen mit dem, was die Kirche lehrt, glaubt, sagt? Also, sind diese Verständnisse von Welt und Gesellschaft überhaupt irgendwie kompatibel? Und viele, viele Jugendliche sehen da überhaupt keinen Weg hin. Die verstehen überhaupt nicht mehr, was da gefeiert wird, warum wir was feiern und so was.
    Das dritte Thema - das ist jetzt aber, glaube ich, noch ein bisschen stärker amerikanisch als bei uns - von solchen Umfragen wäre: Jugendliche verbinden Religion mit Gewalt und Ursache von Krieg. Das ist, glaube ich, bei uns nicht so stark, aber aus der amerikanischen Perspektive stärker.
    Und da haben wir ein Kommunikationsproblem insofern: Ich glaube, bei uns liegen schon viele Antworten bereit und viele Möglichkeiten, auf Fragen zu reagieren. Aber wir kriegen das schlecht übersetzt in die Sprache der Jugendlichen. Und ich glaube ehrlich gesagt auch: Unsere Ausbildung der Hauptamtlichen, der Priester in den letzten Jahrzehnten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pastoral, die ist nicht so wirklich geeignet gewesen, auf solche großen Fragen plausible Antworten zu geben, die wir aber haben.
    "Unterscheiden wir uns anderen Wohlfahrtsverbänden?"
    Main: Sie haben gefragt: 'Ist da, wo Kirche draufsteht, auch wirklich Glaube drin?' Sie haben da offenbar manchmal Zweifel. Woran machen Sie das fest?
    Oster: Ich mag einfach nur eine Zahl nennen. Anfang der 60er-Jahre sind etwa 50 Prozent der Menschen regelmäßig in den Sonntagsgottesdienst gegangen von den gläubigen Katholiken. Und in der Zeit hatte die Kirche etwa 100.000 Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in allen Bereichen, also Schule, Caritas, Krankenhaus, in den Vereinen und so weiter.
    Heute bei etwa gleichbleibender Zahl von 23 oder 24 Millionen Katholiken in Deutschland, heute gehen gut zehn Prozent der Menschen in den Gottesdienst. Und dieselbe Kirche hat 700.000 angestellte Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter.
    Einfach nur dieses Verhältnis betrachtet: Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind alle Kinder dieser Zeit. Das sind auch Kinder einer säkularisierten Gesellschaft. Das heißt, wenn die sich als Sozialarbeiter bei der Caritas bewerben, das heißt noch nicht automatisch, dass sie tief gläubig sind. Und wir haben so einen großen Bereich: Die Caritas ist ein riesiges Unternehmen. Die tut auch gesellschaftlich wahnsinnig viel Gutes. Aber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, heißt noch nicht, dass die automatisch gläubig sind. Und sie sind dann professionelle Sozialarbeiter, aber meine Frage ist dann: Unterscheiden die sich jetzt von den Einrichtungen der anderen Wohlfahrtsverbände, was die Arbeiterwohlfahrt beispielsweise macht oder andere?
    Main: Wenn das Wort nicht so belastet wäre heutzutage, würden Sie sich als Fundamentalist bezeichnen?
    Oster: Fundamentalismus assoziieren wir gern mit Gewalt, Gewaltsamkeit. Und da würde ich radikal widersprechen, in diesem Sinn. Aber radikal von der Wurzel her, also im Sinn von 'bemühen wir uns darum, radikal liebesfähig zu sein', das will ich sein, ja, natürlich. Und ich brauche auch ein Fundament dafür, das ich mir nicht selber schaffe, sondern auf dem ich stehe.
    Main: Dann wage ich noch eine steile These. Sind Sie womöglich auf katholische Art und Weise evangelikal?
    Oster: Wenn evangelikal bedeutet, mir geht es ums Evangelium, um die Heilige Schrift und das wieder so zu lesen, erst mal zu verstehen, was dasteht und versuchen, das zu leben, dann bin ich das gern.
    "Was können wir von Freikirchen lernen?"
    Main: Freikirchen sind durchaus erfolgreich, egal, ob in den Vereinigten Staaten oder in Südkorea und kommen auch bei jungen Menschen gut an. Könnte man also sagen: Von Freikirchen lernen, heißt siegen lernen?
    Oster: So nicht unbedingt. Aber die Frage ist: Was können wir von Freikirchen lernen? Sicherlich gibt es da eine Betonung der Entschiedenheit. Also, ich habe in Benediktbeuern unterrichtet. Da sind auch manchmal evangelische Christinnen und Christen zum Studium gekommen. Und die haben gesagt: 'Ja, jetzt werde ich, jetzt gehe ich mal zu den Katholiken da ins Kloster und studiere da. Und jetzt merke ich, die sind alle so lasch. Ich habe gedacht, ihr seid viel konsequenter als wir.' Also, eine nur liberal gewordene Kirche ohne Fundament des Evangeliums die zieht am Ende niemanden mehr an.
    Main: Für Sie ist Weihnachten mit viel Arbeit verbunden, wenn ich das so sagen darf. Lohnt es sich da, einen WG-Weihnachtsbaum anzuschaffen?
    Oster: Ja, haben wir, ja.
    Main: Wann wird der entzündet und mit welchem Ritual?
    Oster: Der wird - wir beten die Weihnachtsvesper, die erste Vesper von Weihnachten, also dieses Abendgebet der Kirche, das man am Heiligen Abend betet und danach entzünden wir den Weihnachtsbaum. Und dann essen wir zusammen; und es gibt auch kleine Geschenke.
    Main: Echte Kerzen oder elektrisch?
    Oster: Elektrisch. Aber - Moment - also ich habe ja auch eine Kapelle, eine kleine Kapelle im Haus, wo wir miteinander beten. Da sind natürlich echte Kerzen drin. Aber in unserem Esszimmer, wo wir miteinander essen, haben wir einen Christbaum, der mit elektrischen Kerzen ist.
    Main: Dann haben wir auch das geklärt. Und bevor wir jetzt noch privater werden, wünsche ich Ihnen und allen, die uns bis hierher gefolgt sind, ein wunderbares Weihnachtsfest.
    Oster: Ich auch - verbunden mit dem Wunsch um Gottes Segen für alle, die zuhören.
    Main: Und das Ganze auch fürs neue Jahr. Und, wenn Sie auch kein Zukunftsforscher sind: Wird das Jahr 2018 gut oder eher nicht?
    Oster: Gut.
    Main: Eindeutig?
    Oster: Ja.
    Main: Danke Ihnen, Bischof Oster, für dieses Gespräch.
    Oster: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.